|a[1]| |b[1]| |c[3]| Einleitung.
1.
Wenn die Bestimmung des Menschen und das höchste Ziel seiner Wünsche, wahre und dauerhafte Glückseligkeit, nicht auf dieses Erdenleben eingeschränkt ist; – wenn er, als ein vernünftiges Wesen, dieses Ziel anders nicht erreichen kan, als durch Weisheit und Tugend; – wenn c√ Religion beide lehrt, unterhält, und dazu die kräftigste Ermunterung giebt, ja ohne sie, Weisheit, nicht wahre Weisheit, Tugend, nicht beständige Tugend seyn kan: – so giebt es für den edlen Geist des Menschen keine würdigere Beschäftigung, als das Bestreben, c√ Religion aufs überzeugendste kennen zu lernen und aufs willigste auszuüben.
2.
Man kan bey der Religion
c√, wie
bey allen andern Gegenständen, einen Unterschied zwischen einer
gemeinen und einer
philosophischen Kennt
|a2|niß
c√ machen. Letztere findet nur
alsdann statt,
wenn ich eine Sache im
c√ Zusammenhange mit
einer andern,
d. i.
so erkenne, wie sie der Grund
oder, die Folge
von der andern ist, oder, mit andern Worten, wenn
ich sie
mit meiner Vernunft erkenne; und sie ist in dem Grade
vollkommner, je mit meh
|b2|rern Dingen
ich sie so verbunden
denke und je mehrere
solche Verbindungen
ich zwischen denselben
einsehe.
|c4| Zusammenhang wird hier nicht von jeder Verbindung genommen, als welche eben so wie die Vorstellung dieser Verbindung, zufällig und willkürlich seyn kan. Nur dann ist eine Erkenntniß philosophisch, wenn ich einsehe, wie etwas von dem Andern Grund oder Folge ist, oder wenn ich das Eine aus dem Andern erklären kan.
3.
Eine solche eigentlich zusammenhängende oder philosophische Kenntniß irgend einer Art von Gegenständen, macht eben den Kunstverständigen in weiterer Bedeutung aus, so fern er von dem bloß gemeinen Kenner, dem Studierten c√ (homme de lettres,) dem bloß mechanisch Handelnden oder Arbeitenden unterschieden wird, und c√ eben sowohl den Gelehrten als den wahrhaftigen Künstler bezeichnet. Denn eigentliche Kunst (Τεχνην oder Artem) legt man doch nur dem bey, der seine Kenntnisse in c√ einer Art von Dingen nicht bloß Andern abgelernt oder nur aus Beobachtung geschöpft, sondern auch darüber selbst gedacht, ihren Gründen und Folgen oder möglichen Anwendung nachgeforscht, sich eben sowohl feste und sichere Regeln und überhaupt allgemeine Kenntnisse, als deutliche Begriffe von der Art seiner Beschäftigungen, erworben hat. Freylich muß er historische und philosophische Kenntnisse davon zugleich besitzen. Historische, oder einen ansehnlichen |b3| Vorrath und Stoff, den er hernach verarbeiten kan, oder dessen er zur Verarbeitung seiner Kenntnisse bedarf, das heißt:
er muß Vieles und davon Viel wissen (multa et multum). Aber eben so nothwendig ist, daß er, was er weiß, gut wisse, und besonders im Zusammenhange oder philosophisch einsehe, weil davon selbst die immer mehrere Vollständigkeit |c5| der Kenntniß einer Sache, und noch mehr die Sicherheit und rechte Anwendung derselben, abhängt. – Nicht minder unterscheidet man selbst unter den Kunstverständigen den eigentlichen Gelehrten von dem Nichtgelehrten; und dieser Unterschied scheint sich auf den verschiednen nächsten Zweck zu gründen, wonach man bey Erwerbung einer gewissen Art von Kenntnissen trachtet. Dieser Zweck besteht immer in der Befriedigung gewisser Bedürfnisse oder des Gefühls von dem Werth gewisser Kenntnisse, und diese Bedürfnisse können entweder sinnliche oder geistige seyn, d. i.
entweder den Körper und äusserliche Verhältnisse betreffen, in welchen wir gegen irgend Etwas stehen, was ausser uns ist, und auf unsre Glückseligkeit ein Einfluß haben kann, als Gesundheit, Nahrung, Sicherheit, Hülfe von Andern, Vergnügung der Sinne u. d. g.
, oder die Vollkommenheit des Geistes, Kenntniß des Wahren, Nützlichen, Guten und Schönen, nebst der Bildung des ganzen Charakters, unsrer Denk- und Handlungsart, befördern. Dienen nun zusammenhängende Kenntnisse einer gewissen Art von Gegenständen, zunächst zur Befriedigung geistiger Bedürfnisse:|b4| so macht der Inbegriff solcher Kenntnisse eine Wissenschaft aus. Zielen sie aber zunächst auf Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse ab: so würde der Inbegriff solcher Kenntnisse eine Kunst heissen müssen. Will man also den eigentlichen Gelehrten von dem Nichtgelehrten unterscheiden: so würde derjenige verdienen ein Gelehrter genannt zu werden, der vorzügliche zusammenhängende Kenntnisse in irgend einer Wissenschaft besitzt, d. i.
dergleichen Kenntnisse von solchen Gegenständen, die zunächst geistige Bedürfnisse befriedigen sollen; und Gelehrsamkeit wäre dann vorzügliche Bekanntschaft mit |c6| Gegenständen der so eben beschriebenen Art; da hingegen alle diejenigen müßten zu den Nichtgelehrten gerechnet werden c√, denen es an Kenntnissen gewisser Arten von Sachen ganz fehlt, oder die davon keine vorzügliche, oder keine zusammenhängende Kenntnisse (in dem vorhin angegebenen Sinne des Wortes) haben, oder deren Kenntnisse Gegenstände betreffen, welche zunächst nur sinnliche Bedürfnisse c√ befriedigen.
|a3| Anmerk.
1.
Bey dem so sehr
verschiednen Sinn, in welchem
Gelehrsamkeit genommen
wird, und
bey den so schwankenden Begriffen davon, war es wenigstens nöthig, einen bestimmten Begriff anzugeben, an den man sich in der Folge halten
könnte; und der hier angegebene scheint mit dem Sprachgebrauch am meisten überein zu kommen, weil dadurch wirklich der Gelehrte nicht nur von dem ganz Unwissenden, von dem gemeinen Mann und dem Handwerker, sondern auch von dem viel gebildetern Künstler, dem Geschäftsmann und blossen|b5| Homme de lettres unterschieden wird. Wer bloß mechanisch, oder nur durch Aufmerksamkeit und Uebung, gewisse, selbst vorzügliche Kenntnisse erlangt hat, oder so seine Geschäfte treibt, oder, mit andern Worten, der bloß routinirte Mann, heißt, nach dem Sprachgebrauche, so wenig ein Gelehrter, als bloße, selbst bildende, Künste, ökonomische, Finanz- und Handelskenntnisse oder Fertigkeiten, zu gelehrten Beschäftigungen gerechnet werden. Was unterscheidet aber den bloß Routinirten von dem eigentlichen Kunstverständigen, wohin auch der Gelehrte gehört, als daß jener, bey Erwerbung oder Anwendung seiner Kenntnisse mechanisch, dieser aber philosophisch verfährt? und was anders, zieht die Gränzlinie zwischen gelehrten und andern Beschäftigungen, als der Unterschied zwischen innerer, geistiger, und zwischen äusserlicher Cultur? Nur muß man bey diesem letztern Unterschied nicht übersehen, ob eine Beschäftigung jene oder diese zunächst zur Absicht habe. Denn|c7| sonst können ja gelehrte Beschäftigungen, als Sprachstudium, Mathematik, Geschichte u. s. w.
getrieben werden, um unsere oder Anderer äusserliche Nothdurft, Bequemlichkeit und Vergnügen, so wie mechanische und bildende Künste, um Bildung des Geistes zu befördern.
- S.
Philosophische Blicke auf Wissenschaften und Menschenleben,
von Heinzelmann und Voss , Band. 1. S.
10 f.
Anmerk.
2. Auf den
Unterschied der
gemeinen und der
gelehrten Kenntniß der
Religion beruht der
|b6| bekannte Unterschied, den man zwischen
Religion und
Theologie macht. Letztere, als Eigenschaft betrachtet, ist eine gelehrte Kenntniß der Religion, und ein
Theologe ist daher, der
eine
solche Kenntniß von der
Religion,
d. i.
von den Begriffen und Lehren besitzt, welche Gott und das gegenseitige Verhältniß zwischen Gott und den Menschen betreffen; so wie
sie, als Wissenschaft genommen, der Inbegriff der Religionswahrheiten ist,
so fern diese auf eine gelehrte Art
erkennt werden.
c√ S.
mein Programm de diuersitate studiorum, quibus Theologum decet ceteris Ecclesiae doctoribus praestare, Halae 1767.
in 4. – Einen Theil der Theologie macht Philosophie über Religion aus, nehmlich im Unterschied von gelehrten historischen Kenntnissen, welche auch die Religion aufklären können. S.
J. G. Töllners theologische Untersuchungen, B.
1. Stück 1. die 9te Abhandlung. c√
|c8| 4.
Daß die gelehrte Erkenntniß der Religion an sich einen großen Vorzug vor der gemeinen habe, wird niemand leugnen, wer nicht glaubt, Unwissenheit sey besser als Kenntniß, mangelhafte Kenntniß besser als vollkommnere. Aber die, welche die gelehrtere Erkenntniß in der Religion für unnöthig oder gar für gefährlich halten – wenn |a4| sie dies nicht aus Trägheit oder Eigendünkel behaupten – haben entweder nie den Nutzen und gewissermassen die Unentbehrlichkeit einer solchen Kenntniß recht überdacht, oder stehen in dem |b7| Wahn, daß bey solchem Streben nach weiterer Aufklärung, die Religion selbst, sowohl die Kenntniß und der Glaube an sie, als die gottselige Gesinnung, leiden möchte. Gegen jene müßte also der Nutzen, gegen diese, die Unschuld der Gelehrsamkeit, gezeigt werden.
Anmerk.
Wiewohl es immer schwer halten
wird, eigentliche Verächter der Gelehrsamkeit
selbst, zu überzeugen. Denn davon überzeugt zu werden, bedarf es schon selbst einiger
Gelehrsamkeit. Wem es daran fehlt, oder wer nur nach der
einen
Art gelehrter Erkenntniß, dem Vielwissen, nicht nach der andern, der philosophischen Erkenntniß (§.
3 )
getrachtet, oder
nicht immer nach dem
Cui bono? gefragt, d. i.
nicht immer
unpartheyisch nachgesucht hat, welchen Werth, welchen Einfluß
hat jedes, was wir erkannt
haben? oder
c√ wenigstens nicht um eine anschauende Erkenntniß dieses Werthes und Nutzens bekümmert gewesen ist: der ist auch schwerlich einer Ueberzeugung
bey dieser Frage über den Werth der Gelehrsamkeit in der Religion,
und gewiß so weit noch nicht
c√,
fähig, daß diese Ueberzeugung den scheinbaren Vorurtheilen dawider das Gleichgewicht halten könnte. Man
kan hienach beurtheilen, ob er ein befugter Richter in dieser Sache
sey?
Komm und
Siehe! ist hier der sicherste Weg zur Ueberzeugung.
|c9| Den umgekehrten Weg können nur die geführt werden, die noch nicht gegen Gelehrsamkeit eingenommen sind.
|a5| |b8| 5.
Wie
nützlich und selbst wie
unentbehrlich unter gewissen Umständen gelehrte Erkenntniß der Religion
sey, läßt sich am besten
bey den
einzelnen zur Bildung eines angehenden Theologen dienlichen Wissenschaften zeigen.
Dies ist die Ursach, warum es in dieser Anleitung bis dahin verschoben wird. Hier
sey es
genug im Allgemeinen zu
bemerken: daß es
bey jeder rechten Kenntniß einer Wahrheit, also auch jeder Lehre in der Religion, auf
drey Stücke ankomme: daß man sie – recht
verstehe – recht
beurtheile und – recht
anwende. Das dritte setzt das
zweyte, so wie das
zweyte das erste voraus. Wo es an einem dieser
drey Stücke fehlt,
kann die Erkenntniß dieser Lehre nie das seyn, was sie seyn
soll, Mittel zur Wahrheit
,
und, durch
diese, zur Glückseligkeit zu gelangen.
Bey Angabe des Nutzens
einzelner Theile der Gelehrsamkeit in der Religion, müßte also stets ihr Einfluß auf diese
drey Stücke in Anschlag genommen werden.
6.
Wenn denn aber nun Gelehrsamkeit für die Religion gefährlich wäre? Das ist sie gewiß nicht; und wer dies gleichwohl meint, macht sich entweder von Gelehrsamkeit, oder Religion, oder von dem, was gefährlich ist, falsche Begriffe. Ohne Wegräumung dieses dreyfachen Mißverstandes wird man wider und für die Unschuld der Gelehrsamkeit mit gleichem Glück streiten und die Sache c√ unverglichen bleiben a√.
|a6| |b9| |c10| 7.
c√ Gelehrsamkeit – reicht sowohl den nöthigen Stoff zur Erkenntniß und Beurtheilung einer Sache, dar, als die Regeln, wonach dieser beurtheilt, gewürdigt und richtig angewendet werden muß (§. 3. ). Sie kan also, ihre Natur nach, dem Wahren und Guten nicht nachtheilig seyn; und wenn sie es wird: so liegt der Grund davon entweder in unvollständigen oder unrichtigen Kenntnissen und Regeln, wonach man verfährt, oder in dem Gelehrten selbst, so fern er von richtigen Kenntnissen und Regeln keinen genugsamen und rechten Gebrauch macht. In beyden Fällen kan der entstehende Schade nicht der Gelehrsamkeit beygemessen werden, sondern im erstern, dem Mangel der Gelehrsamkeit, im letztern aber entweder dem Vorurtheil, nach welchem der Gelehrte von der Gelehrsamkeit Alles erwartet, da sie doch nur den Verstand aufklären und leiten kan, um dadurch den Weg zur Besserung des Herzens zu bahnen, oder der Gleichgültigkeit gegen das Gute, die zum Theil selbst aus jenem Vorurtheile, zum Theil aus der Macht sinnlicher Neigungen und Leidenschaften entspringt. *)
*)
Vertraute Briefe die Religion betreffend (von
J. J. Spalding ), vornehmlich im 4ten und 7ten Briefe.
8.
Was ist
Religion? – Sind es wahre, gegründete, die strengste Prüfung aushaltende, Gott
|b10| und das Verhältniß zwischen
ihm und den Menschen betreffende Sätze? – Oder sind es
bloße Meinungen und menschliche Einfälle,
|c11| Zusätze zur Religion, an welchen wir mit
Zuversicht und Ergebenheit
hängen; weil sie uns
entweder von Jugend auf geläufig worden, wir aber das Gegentheil als wahr zu denken
ungewohnt sind, oder
es nur als wahr zu vermuthen und zu prüfen, uns nicht einmahl in den Sinn kommt;
oder weil das Ansehen frommer oder in der Welt vielgeltender Lehrer uns für ihre Richtigkeit Gewähr zu leisten scheint; oder weil wir sie
|a7| behaglich finden, es
sey, daß sie uns
eigne Untersuchung und Mühe ersparen, oder wir
dabey keine nachtheilige,
oft wohl gar
gute, Folgen für
unsre Frömmigkeit und Gemüthsruhe bemerken? – Oder betreffen
sie ihrer Natur nach, Gott und das Verhältniß zwischen ihm und uns eigentlich, weder mittel- noch unmittelbar, gar nicht; scheinen sie uns vielmehr nur dahin zu gehören, weil wir sie in ehrwürdigen Büchern neben und mit Religionswahrheiten gefunden haben, oder unsre Einbildungskraft sie mit diesen Sätzen der Religion
einmal so verknüpft hat, daß wir befürchten,
eins müsse mit dem
andern stehen oder fallen? – Im
ersten Fall
kan Gelehrsamkeit der Religion nicht nachtheilig seyn; sie bewährt sie
eben, und hilft jene wahren Lehren von den erdichteten und falschen absondern. Hilft sie im
zweyten Fall
unächte Zusätze zerstören, so ist sie für die wahre Religion wohlthätig und vertilgt das Unkraut, unter dem wahre Religion ersticken würde. Im
dritten raubt sie dem Menschen we
|b11|nigstens nichts von Religion; aber sie macht auch den Gebrauch solcher fremden Lehren, wenn sie ja noch Wahrheit enthalten, für die Religion unschädlich, und zieht den Fleiß der Menschen von
entbehrlichern Beschäftigungen
ab, und
c√ auf solche, die wichtig und heilsam
sind.
|c12| 9.
Was ist
gefährlich für Religion? Sicherlich nicht, was jene eben erwähnte
unächte oder
fremde Zusätze zerstört oder absondert,
hingegen, wahre Religionslehren als
wahre darstellt, bestätigt,
|a8| ausser Zweifel setzt, und nützlicher anwenden lehrt. Zwar
kan Gelehrsamkeit, wie zugestanden wurde (§.
7 ), durch Zufall und Mißbrauch gefährlich und eine Quelle neuer Uebel werden. Aber –
was giebts irgend
c√, das nicht
dergleichen werden kan? Empfindlichkeit, selbst Vernunft,
der edlere Theil des Menschen, selbst Gottseligkeit,
machen uns eben so fähig und aufgelegt zu Mißvergnügen, Sorgen und
Kummer, wovon die
Thiere und leichtsinnige Menschen nichts oder wenig
empfinden, als sie auf der andern Seite
Quelle des höhern und reinern Vergnügens,
nothwendiges Mittel
zur Vollkommenheit sind, die das Thier und der Leichtsinnige oder Gleichgültige weder begreift noch
erreicht; und wer mag mit diesen tauschen? wer lieber hungern als essen, aus
Furcht seine Gesundheit zu verderben? – Unwissenheit, eingeschränkte Einsichten, Mangel des reifern Ueberlegens sind
ihrer Natur nach schädlich, wahre Gelehrsamkeit nie. Nur durch zufällige
|b12| Umstände können jene unschädlich, diese nachtheilig werden. Aber nicht der Zufall, nur die Natur ist der rechte Maaßstab, den Werth der Dinge zu bestimmen. – Endlich läßt sich doch
c√ Mißbrauch,
laßen sich
neue Uebel
, so viel an uns ist, verhüten, wenn wir
uns feste und
sichere Regeln machen, wonach wir untersuchen; wenn wir in Bestimmung dessen, was wahr und falsch, nützlich oder schädlich ist, nicht weiter
gehn, als der Stoff
(die data), den wir zu verarbeiten, oder wonach wir zu urtheilen
haben,|c13| und
unsre Kräfte reichen; wenn wir unsere Urtheile von dem
Maaß unserer Kräfte und von dem
Werth der Dinge in eben
|a9| dem Verhältnisse berichtigen und verbessern, in welchem sich unsere Einsichten erweitern.
*) Aber um alles dieses zu können, müssen wir
Vieles wissen und viel geprüft
haben; wir werden also in dem Grade gegen Mißbrauch gesichert seyn, in welchem wir gesucht
haben immer gelehrter zu werden.
Thue das Deine und überlaß das Uebrige Gott, der auch
unsre Fehltritte zum Besten zu lenken weiß!
*)
Siehe C. G. Salzmanns Vorrede zu der Schrift:
über die wirksamsten Mittel Kindern Religion beyzubringen, Leipzig 1780.
gr.
8.
10.
„Aber das
Wissen blähet auf.“ –
Freylich, wenn Wissen
(γνωσις), wie es der Apostel nimmt (1 Kor. 8,
1), so viel ist, als die Meinung, daß man woran recht thue, verbunden mit der Meinung, daß man es
alsdann auch thun dürfe, ohne
Rüksicht auf unsern
unaufgeklärtern Nächsten, den
|b13| wir durch unser
unvorsichtiges Beyspiel verleiten, etwas uns nachzuthun, was er nicht für
recht erkennt; und überhaupt als unreife oder übel angewendete Wissenschaft. Nicht so, wahre Gelehrsamkeit
a√, die, weil sie uns
unsre Schwächen, Lücken der Erkenntniß,
c√ Verschiedenheit der Ueberzeugung
bey verschiedenen Menschen, und Schwierigkeiten
bey Untersuchungen fühlbar macht, eben sowohl Bescheidenheit als Schonung des Nächsten befördert.
11.
„Viel Wissen, oder Trachten danach, zer
|a10|streut; wir vergessen die Anwendung aufs Herz; was bloß Mittel seyn
|c14| sollte, wird zum Zweck
gemacht.“ –
Müßiggang, oder nicht genugsame oder unnütze Beschäftigung zerstreut auch und läßt Verstand und Herz
leer (Matth. 12, 44.
45). Eingeschränkte Kenntniß, wonach man doch immer urtheilen und handeln muß, macht verlegen und verursacht entweder Zeitverlust und unnöthige Zerstreuung über dem Suchen desjenigen, was man nicht zu finden weiß, oder gebiert Leichtsinn und Gewissenlosigkeit. Wo nicht
Vieles im
Kopf ist, läßt sich auch nicht
Vieles, wenigstens nicht recht, anwenden.
Bloß Vieles wissen ist nicht
Gelehrsamkeit (§.
3 ). Bildet das Wissen zu dem aus, was wahre Gelehrsamkeit ist (§.
2 und
7 ), und der Vorwurf fällt von selbst weg. Je mehr man in wahrer Gelehrsamkeit fortrückt, desto mehr lernt man sich sammlen, verhütet Zerstreuung, und lernt
c√ besser anwenden.
|b14| 12.
„Aber man glaubt um so weniger, je mehr man weiß; und Gelehrsamkeit ist eine reiche Quelle von Zweifeln.“ – Aber wer viel glaubt, wird auch viel betrogen; dagegen sichert demnach nichts besser, als daß man Vieles und daß man es gut wisse; also setzt uns wieder Gelehrsamkeit in den Stand zu wissen, wo man glauben dürfe oder nicht? – Der Gelehrte zweifelt c√ mehr wie der Ungelehrte. Aber Zweifel sind nicht immer schädlich; sie sind ein kräftiger Antrieb zur Untersuchung, wobey man immer gewinnt; sie sind sogar das einzige natürliche Mittel, von Vorurtheilen und |a11| Irrthümern zurückzukommen. – Und in dem Maaß, wie man in der Gelehrsamkeit wächst, nehmen auch die Kenntnisse zu, um den Ungrund schädlicher Zweifel einzusehen, und es wächst die Fertigkeit, sie aufzu|c15|lösen; denn Zweifel entstehen aus Unwissenheit, und werden nur schädlich, wenn man mit ihnen nicht umzugehen weiß.
13.
„Gleichwohl lehrt Erfahrung und Geschichte, daß es eben Gelehrte waren, die Irrthümer aufbrachten, die die Religion von ihrer Einfalt zurückführten, die sie ihrer Geheimnisse zu berauben
suchten.“ – Wenn dies Gelehrte gethan haben
sollten: so müßte erst, ehe man sie verdammen wollte, das ausgemacht werden, was oben §.
8 erinnert ist. Aber gewiß sind jene
vorgeworfene Verderbnisse der Religion
mehr Folgen der Un
|b15|wissenheit, des Mißverstandes, der
Schwärmerey oder des
aftergelehrten Dünkels,
welchen eben
die Gelehrsamkeit
entgegen arbeitet.
14.
„Indessen erschweret doch die Gelehrsamkeit, und die davon abhängende eingeführte Schulsprache, die Kenntniß der Religion.“ – Wenn sie sonst nöthig oder nützlich ist: so müssen uns die Schwierigkeiten nicht abschrecken, sie in unsere Gewalt zu bekommen. Kann sie aber jemand ohne Nachtheil der Wahrheit und Gründlichkeit, oder muß er sie, nach seinen Umständen, entbehren: so überlaße er, ohne Verachtung oder Verun|a12|glimpfung, das, was er entbehren kann, dem, der dessen fähig und bedürftig ist.
15.
Denn so sehr es allgemeine Pflicht eines jeden Menschen ist, sich um Religion zu bekümmern, und nach Gottseligkeit zu trachten; so nöthig es ist, nicht nur zu lernen, sondern auch das, was man von der Religion weiß, zu er|c16|halten, fester zu gründen, zu vermehren, zu berichtigen, lebhafter und eindrücklicher zu machen, und von Zeit zu Zeit zu erwecken und anzufrischen: so fehlts doch dem größten Theil der Menschen an Fähigkeit, Hülfsmitteln, Muße, und daher auch mit an Uebung in der Erkenntniß und Gottseligkeit. Um so geläufiger und wirksamer sind bey den meisten Unwissenheit oder seichte Kenntnisse in der Religion, |b16| Vorurtheile und grobe oder nach jedes Leidenschaften gebildete Vorstellungen von Gott und unsichtbaren Dingen überhaupt, wodurch ihnen alles Ungewohnte befremdlich, jeder aufsteigende oder gehörte Zweifel aber eine neue Nahrung des Leichtsinns oder der Aengstlichkeit wird. Wie sehr darunter erleuchtete Gewissenhaftigkeit und davon abhängende gute Gesinnung und Betragen eines Menschen sowohl als seine wahre Gemüthsruhe leiden müsse, ist leicht zu begreifen.
16.
Es wäre also großes und seliges Verdienst, wenn, wie in allen andern menschlichen Angelegenheiten, die, so mehr vermögen, den Schwächern |a13| oder Zerstreutern, auch hierin zu Hülfe kämen. Und wenn sie durch ihre Umstände in den Stand gesetzt würden, sich ganz diesem Geschäfte zu widmen; wenn sie durch ihre vorzüglichern Kenntnisse, durch die sorgfältigste Anschmiegung an Anderer Bedürfnisse, durch die zärtlichste Sorge für deren Gewissen und Gemüthsruhe, durch Klugheit, durch tugendhaftes und gottseliges Beyspiel und durch das auf dieses alles gegründete innerliche Ansehen, Weisheit, Tugend und Religion, nicht nur lehrten, sondern auch empfählen; wenn sie dadurch Lehrer, Leiter und Muster für das Gewissen der |c17| übrigen Menschen würden: was und wie wirksam könnten sie c√ für menschliche Glückseligkeit seyn?
|b17| 17.
Wenn nun in der menschlichen Gesellschaft die, welche es einsehen, daß sie selbst
den Fleiß nicht auf Religion und Bildung ihres Verstandes und Herzens danach wenden können, den sie
sollten und wünschten (§.
15 ), diese Angelegenheit und die ganze Sorge für ihre geistliche Wohlfahrt oder
ein Theil dieser
Sorge, andern übertrügen, welchen sie am meisten die
vorerwähnte Eigenschaften (§.
16 ) zutrauten: so entstünden dadurch in der Gesellschaft die, welche man in Beziehung auf den Unterricht in der
Religion, Prediger, in Rücksicht auf die Anwendung derselben nach jedes besondern
Gemüthsbedürfnissen, Seelsorger, und überhaupt
Lehrer der Religion zu nennen pflegt. Ein höchst nützlicher und
respectabler Stand, der nur dem verächtlich oder gleichgültig scheinen
kann,
wer|a14| ihn entweder nicht aus diesem
Gesichtspunkt betrachtet, oder
wem Tugend, Gewissen und Religion, so weit es nicht in seine
eigennützige Absichten schlägt,
nichts ist.
18.
Selbst dem
Staat, wenn er seine Pflichten, Vortheile und Rechte kennt,
kan dieser
Stand, man mag ihn den
geistlichen oder wie man
will nennen, so wenig gleichgültig seyn, als
die Sorge, wie er besetzt wird. – Die Rechte der Menschheit, und unter diesen sind die Rechte des Gewissens die höchsten, können durch keine Art von Verbindungen und Gesetzen aufgehoben
werden:|b18| und wer die Regierung eines Staats übernimmt, der übernimmt
|c18| auch, ausdrücklich oder stillschweigend, die Pflicht, die Tugend und Religion seiner Unterthanen nicht nur nicht zu kränken, sondern sie auch, so viel er
kan, zu
befördern *) . – Je mehr und je allgemeiner wahre Religion erkannt, je
c√ für
wohlthätiger und
unentbehrlicher sie zur Glückseligkeit gehalten, je angelegentlicher und genauer sie befolgt wird: desto weniger geschieht den Gesetzen und guten Anstalten, ohne welche keine Gesellschaft bestehen
kan, öffentlicher oder heimlicher Abbruch; desto williger thut jeder, auch ungesehen und unerinnert,
Gutes, und wirkt desto eifriger zum gemeinen Besten; desto mehr ersetzt sich das, was der Tugend an bürgerlicher Ermunterung abgeht, durch Zufriedenheit des Gewissens, und noch weit mehr durch die Vorstellung des Wohlgefallens Gottes
|a15| und seiner, selbst über die Gränzen dieses Lebens reichenden, Belohnung.
- (J. J. Spalding ) über die Nutzbarkeit des Predigtamts und deren Beförderung, zweyte Auflage, Berlin 1773.
8. im ersten Abschnitt, sonderlich S.
33. folgg.
- *) J. A. Eberhard's neue Apologie des Sokrates , Band 2, Berlin 1778.
in 8. S.
117 folgg.
c√
19.
Unmöglich
kan die Religion ihrer Natur nach schädlich seyn. Sie wird es bloß durch Mißverstand,
Schwärmerey und ausschweifende Leidenschaften. Dieses zu verhüten und den
unent|b19|behrlichen seligen Einfluß der Religion auf die ge
|c19|meine und besondere Wohlfahrt zu befördern, sind in dem
Staat Anstalten nöthig, wodurch immer richtigere Begriffe von Sittlichkeit und Religion
sowohl als wirksamster
Antrieb sie auszuüben, oder tugendhafte und gottselige
Gesinnung, allgemeiner gemacht werden. Weil aber die, welche fähig seyn möchten, Tugend und Religion
richtigst und
nachdrücklichst zu lehren und zu empfehlen, schwerlich dieses
Geschäfte angelegentlich genug treiben werden, wenn sie sich ihm nicht ganz und unzerstreut widmen können;
andere hingegen, die genug Eifer haben möchten, nicht immer die dazu erforderlichen Fähigkeiten oder Kenntnisse besitzen, und in diesem Fall der Religion und dem
Staat mehr schädlich als nützlich werden:
|a16| so macht dies nicht nur, wie zu andern öffentlichen Angelegenheiten, einen besondern Stand nöthig, dergleichen man auch
bey allen nur
einigermassen gesitteten Völkern
findet, sondern der Staat hat auch die Pflicht und das Recht, für dessen würdigste Besetzung und für Einrichtungen zu sorgen, wodurch das innerliche Ansehen der dazu bestimmten Personen (§.
16. ) durch
äusserliches verstärkt, und
jeder derselben in den Stand gesetzt werde, mit
gehöriger Angelegenheit und aufs wirksamste die
ihm obliegende Pflichten zu erfüllen.
Alles bisher gesagte §. 15 –19 kan dazu dienen, angehenden Theologen Liebe und Achtung gegen den Stand, dem sie sich widmen, einzuflössen, und sie von ihrer wahren Bestimmung zu belehren. c√
|b20| 20.
Diese einmal würdig zu leisten und die wichtigen Absichten zu erfüllen, wozu der geistliche Stand da ist, c√ dazu gehört die gewissenhafteste Prüfung, ob man c√ dazu fähig und fest entschlossen sey, und ein ununterbrochenes Bestreben, immer dazu fähiger und geneigter zu werden. Eine solche Vorbereitung erfordert, daß man wisse: – welche Arten von Kenntnissen nützlich oder unentbehrlich sind, um sich zu einem künftigen Lehrer der Religion zu bilden – welche Fähigkeiten nöthig sind, um diese zu erlangen und auf das nützlichste zu Anderer Besten anzuwenden – und welche Hülfsmittel und Uebungen dazu dienen.
|a17| 21.
Alles, was ein künftiger Lehrer der Religion in Absicht auf Kenntnisse zu thun hätte, vereiniget sich in drey Hauptbeschäftigungen, – daß und wie er sie zu sammlen – anzuordnen, oder zusammen zu stellen – und für andre anzuwenden habe. – Um sich den nöthigen Vorrath zu einer eignen wohlgegründeten Kenntniß und Ueberzeugung von der Religion zu verschaffen, würde er sich vor allen Dingen um Kenntniß der Natur überhaupt c√, und besonders nach seiner Bestimmung zum Lehrer der Religion, um die Kenntniß der Natur Gottes und der geistigen Natur des Menschen c√ zu bekümmern haben, weil ohne diese Kenntniß, welche die Philosophie darreicht, weder eine recht überzeugende Erkenntniß von dem Verhältniß |b21| zwischen Gott und den Men|c21|schen, womit sich die Religion beschäftigt, erhalten, noch ein richtiger Gebrauch der Vernunft bey solchen Untersuchungen gemacht werden könnte.
22.
Und weil das Christenthum sich auf die nähere Offenbarung Gottes in der heiligen Schrift gründet; diese aber in der hebräischen oder chaldäischen und griechischen Sprache zu uns gekommen ist; und erstre wenigstens ohne Bekanntschaft mit den verwandten Dialekten nicht gründlich verstanden werden kan; ausserdem auch die heilige Schrift theils sich auf viele historische Umstände bezieht, theils manche historische Kenntnisse zur Beurtheilung |a18| der Glaubwürdigkeit der heiligen Bücher überhaupt oder in einzelnen Stellen erfordert werden: so würd' er nach ausgebreiteter und genauer Kenntniß der hebräischen und griechischen, auch der mit jener verwandten Sprachen, nach einiger Kenntniß der alten Geschichte und anderer historischen Hülfswissenschaften trachten, auch sich durch sichere, auf Vernunft und Beobachtung der Natur gedachter Sprachen, wie sie in der heil. Schrift gebraucht sind, gegründete Regeln und fleißige Uebung in Erklärung alter Schriften zu einem gründlichen Ausleger bilden müssen.
23.
So würde auch eine pragmatische Kenntniß der Geschichte überhaupt, und besonders der |b22| Veränderungen, die mit der Religion und der darauf gegründeten Kirche vorgegangen sind, ausser dem schon erwähnten Nutzen, einen mächtigen Eindruck von dem so weisen Gang der göttlichen Fürsehung geben, der zur Erweckung der Aufmerksamkeit |c22| auf die Religion und ihren unaussprechlichen Werth sowohl, als auf die ganze gute Gesinnung gegen Gott so unentbehrlich ist. Sie würde den großen Einfluß der gebrauchten oder vernachläßigten Vorerkenntnisse bey der Religion und dem Christenthum, die seligen Folgen einer durch bescheidnen und regelmäßigen Gebrauch der Vernunft und der heiligen Schrift aufgeklärten Religion und ihrer gewissenhaften Befolgung, so wie die traurigen Folgen des Gegentheils lehren, einleuchtend machen, und da|a19|durch eindrücklich zu jenem ermuntern und für diesem warnen. Sie würde auch zeigen, wie weit man in der gründlichen und heilsamen Erkenntniß der Religion vor- oder rückwärts gekommen sey, und dadurch zu erkennen geben, was man von Vorarbeiten in der Religion benutzen oder wegräumen und verbessern c√ müsse.
24.
Um die dazu nöthigen Hülfsmittel sicherer gebrauchen zu können, würde nicht nur zum Theil die Kenntniß der vorhinerwähnten Sprachen, sondern auch die c√ der lateinischen sehr nöthig, vielleicht auch die einiger andern nützlich seyn; wenigstens in so fern als jene, die unter Gelehrten am meisten zum Vortrag gelehrter Sachen ge|b23|brauchte ist, in diesen aber c√ erhebliche Aufklärungen über manche Theile der Theologie mitgetheilt sind. Daß eine genaue Bekanntschaft und besondre Fertigkeit in der Muttersprache aus eben diesem Grunde und noch weit mehr zur nutzbarsten Mittheilung der Religionskenntnisse an Andre, unentbehrlich sey, scheint so wenig einer Erinnerung zu bedürfen, als daß zur Erlangung aller bisher erwähnten |c23| Kenntnisse, und überhaupt zur Benutzung dessen, was uns von andern vorgearbeitet worden, Kenntniß der besten Bücher, sonderlich der in allen Theilen der Theologie geschriebenen, nöthig sey.
25.
Bey dem Studium der Sprachen, Lesung |a20| und Auslegung alter Schriften, Beurtheilung der Quellen, woraus man Religions- und andre Kenntnisse schöpfen soll, und überhaupt zu der, auch bey der Religion, so nöthigen Unterscheidung des Aechten und Unächten, würde die Kenntniß und Fertigkeit in der Kritik, nichts weniger als entbehrlich seyn. Eben dieses gilt von den schönen Wissenschaften, die sich mit Bildung des guten Geschmacks beschäftigen, der auf die Unterscheidung des Schicklichen und Unschicklichen, auf das nützliche Studium alter Schriften und der Sprachen, auf die gleich weite Entfernung von Schwärmerey und Spitzfindigkeit, und auf das Empfehlende des Vortrags, ja selbst des Betragens, einen sehr wichtigen Einfluß hat.
|b24| 26.
Mit alle dem wäre dies eigentlich nur Vorbereitung auf das Studium der Theologie, und durch Hülfe jener Kenntnisse und Uebungen müßte sich erst eine wohl zusammenhängende gründliche Kenntniß der theoretischen und praktischen Religionslehren bilden. Sollte diese auf eigner gewissenhaftesten Ueberzeugung beruhen: so würde man selbst die einzeln erlangten Kenntnisse mit einander verglichen, durch einander geläutert, bestimmt und bestätigt haben müssen. Immer würden aber auch Anderer abgehende Vorstellungen davon sowohl, als die Erklärung der Gesellschaft, zu der man sich, |c24| nach vorhergegangener Ueberzeugung, daß sie unter allen andern der Vernunft und heiligen Schrift am nächsten komme, bekennt, mit in |a21| Anschlag zu nehmen seyn. Auf diese Art entstünde die Nothwendigkeit der Kenntniß von thetischer Theologie, theologischen Moral, Polemik und Symbolik.
27.
Und nun die fruchtbarste Mittheilung und Empfehlung der erlangten Religionskenntnisse an Andre durch Unterricht und Beyspiel; das gesammte Betragen eines Religionslehrers gegen die, so sich seiner Leitung anvertrauen. Hiezu bedürfte es der Kenntniß, wie der Vortrag aufs lehrreichste und eindrücklichste einzurichten wäre, sowohl der an einander hängende in Predigten, als der mehr zerstückte in Gesprächen über die Religion, kurz,|b25| Kenntniß der Homiletik und Katechetik. Ferner, der Kenntniß des ganzen vorsichtigen, weisen und erbaulichen Verhaltens eines Lehrers und Seelsorgers, oder der sogenannten Pastoral-Theologie. Und endlich der Kenntniß geistlicher Rechte und Kirchengesetze, oder der geistlichen Rechtsgelahrtheit.
28.
Schon die Menge und der grosse Umfang gedachter Wissenschaften eröffnen dem angehende Theologen ein unermeßliches Feld, und erfordern keine gemeine Fähigkeiten, Uebungen und Hülfsmittel, wenn man es darin zu einiger Vollkommenheit bringen will. Ueberdies wird jede dieser Wissenschaften von Zeit zu Zeit reicher und weitläufiger. Und noch ist nicht einmal in Anschlag |a22| gebracht worden, daß man auch aus diesem Stande gemeiniglich die Lehrer in Schulen |c25| nimmt, und die Forderungen an sie bis zum Ungebührlichen häuft; daß auch noch andre Wissenschaften sehr nützlich und nothwendig sind, die entweder nicht, wie die vorhin berührten, einen unmittelbaren Einfluß in das Studium der Theologie haben, oder von dem Lehrer der Religion, nicht als von einem solchen, verstanden zu werden brauchen; und daß es eben so schwer, wo nicht noch schwerer ist, das Falsche und Ueberflüßige in diesen Wissenschaften zu entdecken und zu vergessen, als das Wahre und Nützliche zu lernen.
|b26| 29.
Aeusserst schädlich und vergeblich würde es
c√ seyn, wenn man es darauf anlegen wollte, alle diese Wissenschaften, die den angehenden
Theologen bilden können, wenigstens mit
gleichem eigenen
Fleisse, zu
studieren; ein Unternehmen, wozu man
bey dem Gefühl vorzüglicher Kräfte und
bey herrschender Liebe zu den Wissenschaften, oft auch aus Eitelkeit, leicht versucht werden
kan. Denn
– nur wenige Menschen besitzen
ausserordentliche Fähigkeiten, und auch diese haben sie nur vorzüglich zu gewissen Arten von Kenntnissen und Wissenschaften.
– Nur wenige werden durch günstige Umstände der
Muße und hinlänglicher Hülfsmittel unterstützt, um jenen Vorsatz,
wenns ihnen auch nicht an Kräften und
rastlosen Fleiß fehlte,
einigermassen durchsetzen zu können.
– Niemals kan auch eine solche ins Unbestimmte gehende Wißbe
|a23|gierde und einiger
glückliche Fortgang derselben
anders, als auf Unkosten der Gründlichkeit und Reife der
Einsichten – anderer oft noch theurer
Pflichten – und der Leibes- und
Gemüthskräfte geschehen; überhaupt aber
niemand sich
eine solche Absicht beygehen lassen, es in
vielerley Wis
|c26|senschaften zur Vollkommenheit zu bringen,
wer den Umfang der
Wissenschaften, die
Größe und Schwierigkeiten der
dabey nöthigen Beschäftigungen, und das eingeschränkte oder sehr erschöpfliche Maaß der menschlichen Kräfte kennt.
30.
Doch unendlich seltner ist dieser Fehler des
|b27| zu
vielen, als der entgegenstehende Hang und das Vorurtheil, daß man, die Pflichten eines würdigen Lehrers der Religion zu erfüllen, nur wenig
brauche; ein Vorurtheil, das,
ausser unrichtigen Begriffen von dem Umfang und Zusammenhang der Gelehrsamkeit und ihrem Einfluß auf gründliche und lebendige Religionskenntnisse,
*) durch flüchtiges und seichtes
Studieren auf Schulen, durch Liebe zur Gemächlichkeit, durch das
Studieren um guter Tage willen, manchmahl auch durch natürliche Muthlosigkeit, und noch mehr durch
üble aber mit Ansehen und Reichthümern belohnte
Beyspiele Andrer, sehr unterstützt wird.
*)
Vergleiche
Joh. Friedrich Jacobi vermischte Abhandlungen,
zweyte Sammlung, Hannover 1764,
in 8., im fünften, sechsten und siebenten Aufsatz,
S.
93 – bis 213. mit den
Briefen über die Jacobischen Gedanken die Erziehung der Geistlichkeit und die Gelehrsamkeit betreffend, Lübeck und Leipzig 1768.
8.
und:
Ueber einige verkannte, wenigstens ungenutzte Mittel zur Beförderung der Industrie etc.
Erstes Fragment von J. H. Campe , Wolfenbüttel 1786.
in 8. im 2ten Aufsatze, mit den in der allgemeinen deutschen Bibliothek,
Band 84. S.
592. f.
beschriebenen Schriften und der in dem Journal für Prediger
Band 19. S.
129. f.
befindlichen Beurtheilung.
|a24| |c27| 31.
Allein, so verschieden die Absichten sind, wozu ein angehender Geistlicher bestimmt werden |b28| kan; so verschieden daher c√ der Grad der Vollkommenheit ist, der, nach jener besondern Bestimmung, von ihm gefordert werden mag; und so billig ein Unterschied zwischen einem Prediger und einem eigentlichen Theologen gemacht wird, von welchen jener Ungelehrte belehren und leiten, dieser, Lehrer selbst bilden soll: so ist es – zuvörderst wenigstens, nicht immer gewiß, wozu man einmahl bestimmt werden wird; und es ist c√ nicht nur für die Gelehrsamkeit, sondern auch für die Religion selbst sehr nachtheilig, wenn die, so sich ein sehr kleines Ziel setzten, und deswegen wenig lernten, hernach c√ zu ansehnlichern Stellen befördert werden, wo sie künftige Lehrer bilden oder befördern sollen. Die Folge davon ist alsdann, daß sie, als Schul- oder akademische Lehrer, Andern nicht mittheilen können, was sie selbst nicht haben; daß sie das als entbehrlich oder verächtlich vorstellen, was sie eigentlich und vornehmlich lehren sollten; daß sie durch beydes gelehrte Anstalten, in blosse Volksschulen oder Anstalten für den künftigen Handwerker oder Geschäftsmann verwandeln, und sie, wie die Gelehrsamkeit selbst, immer mehr vernichten helfen. Sind sie aber als Obere anderer Lehrer angestellt, so sehen sie sich, als selbst Versäumte, ungern a√ von denen, die in der bürgerlichen oder kirchlichen Gesellschaft unter ihnen stehen, übertroffen; fordern daher auch a√ von ihnen das nicht, was sie selbst nicht besitzen; können nicht mit Weisheit, oder wollen nicht mit Gerechtigkeit, jedem seine Bestimmung, nach dem Maaß seiner mehrern |c28| oder mindern Vollkommenheit anweisen; |b29| werden oft verleitet ihre Gewalt zu mißbrauchen, um die, welche ihnen an Kenntnissen überlegen sind, zu unterdrücken oder nieder zu halten; und so sind sie, selbst ihres höhern Postens unwürdig, oft Werkzeuge, fähigere Männer an Ausführung guter Absichten zu hindern, und gute Anstalten, über deren Erhaltung und immer steigenden Flor sie wachen sollten, zu Grunde zu richten.
32.
Hiernächst ist der Vollkommenheit, wonach jeder, wonach besonders der ringen sollte, wer andre leiten, und für sie Muster seyn will, nichts so nachtheilig, als wenn man sich das Ziel so |a25| kurz steckt, nach welchem man laufen will. Es verräth schon wenig Trieb, wenig Gefühl seiner Kräfte, und wenig Entschlossenheit, folglich auch wenig Beruf, sich vor andern auszuzeichnen, wenn man sehr eingeschränkte Absichten hat. Je kürzeres und c√ leichter zu erreichendes Ziel, desto weniger Anstrengung. Natürliche Trägheit und aufstoßende Hindernisse ziehen ohnehin viel vom Fleiß ab. – Und warum bestimmen wir, was und wie viel jemand lernen soll, nur nach Beschaffenheit des Amts, nicht auch eben so sehr nach jedes Fähigkeit und darauf gegründete Neigung c√? Dieses giebt doch eigentlich den wahren göttlichen Beruf zu einer Beschäftigung, worin wir es am weitesten bringen, und womit wir gerade am nützlichsten werden können. Wenn denn auch äusserliche Umstände uns auf einen andern Posten stellen:|b30| so hört doch die Verbindlichkeit nicht auf, jene mit und neben unsern äusserlichen Beruf zu treiben, es sey, uns auf |c29| einen andern Stand, der unsern Fähigkeiten und Neigungen angemeßner ist, vorzubereiten, oder, weil doch die eigentliche Theologie von mehrern Wissenschaften Licht und Unterstützung erhalten kan, die Wissenschaften dazu zu benutzen, wodurch wir ihr die meiste Aufklärung und den meisten Eingang verschaffen können.
33.
Unausprechlichen Schaden thun
hiebey besonders übelverstandne
Begriffe von
Gemeinnützigkeit, die wenigstens so oft zur Decke der Unwissen
|a26|heit, der Trägheit, der Verachtung unerreichbarer
Kenntnisse, und des eingeschränkten Eigendünkels dienen müssen. –
Gemeinnützig soll doch wohl das
heißen, was für Jedermann, was also selbst für den
großen Haufen, nutzbar
ist, oder doch nutzbar gemacht werden
kan;
und wenn man darauf dringt, der Lehrer der Religion solle nur das Gemeinnützige
lehren, und darauf
studieren: so will man ohne Zweifel, er solle theils weiter
nichts von der Religion vortragen, als was Jeder
fassen, und wovon Jeder Nutzen haben könne, theils darauf bedacht
seyn, es
so zu lehren, daß es auch Leuten von den gemeinsten Fähigkeiten einleuchte und nutzbar werde; brauche denn auch weiter nichts zu
lernen, als jene Jedem faßliche und nützliche
Wahrheiten, und die
Kunst, sie
für Jedem nutzbar zu machen; wonach man seinen Fleiß
ohngefähr|b31| auf die nothdürftigsten Kenntnisse der Glaubens- und Sittenlehre und auf Homiletik und Katechetik einzuschränken pflegt.
c√
34.
Daß man dieses schlechterdings treiben müsse, c√ daß auch der geringste Lehrer der Religion diese Kenntnisse und Geschicklichkeit nicht entbehren könne, wenn er auch nun einigermaßen ein würdiger Lehrer seyn wolle, wer mag das leugnen? und wer nicht zugeben, daß das übrige nicht in den Vortrag vor dem großen Haufen gehöre? Daß der Lehrer aber weiter nichts brauche; daß er seinen wichtigen Pflichten ein Genüge thue, wenn er nur in dem angegebenen Ver|c31|stande gemeinnützig |a27| zu werden suche; daß er selbst für den gemeinen Mann damit hinlänglich sorge; daß, um dieses gewissenhaft leisten zu können, wenige Kenntnisse erfordert werden, und eigentliche Gelehrsamkeit entbehrlich sey – wer dies behaupten kan, möchte wohl über seine Pflichten, und über die Mittel sie zu erfüllen, wenig nachgedacht haben, oder wenig davon zu urtheilen, im Stande seyn.
35.
Denn
1) ist
c√ doch
unleugbar, daß die Religion unsäglichen Schaden
leide, und wenigstens
bey weiten den heilsamen Eindruck nicht
mache, den sie machen
könnte – wenn der geistliche
Stand, oder
wenn Lehrer der Religion verachtet sind, und der wird mit aller Arbeit wenig oder nichts fruch
|b32|ten, der nicht seinem Stande Ehre zu
machen, und diesen selbst in Achtung zu erhalten weiß. So lange die, welche von ihm
Belehrung oder Erinnerungen annehmen sollen, denken, es
sey nichts
leichter als ein Prediger zu werden – ein Vorurtheil, das sehr leicht
entsteht, und sich bestärkt, wenn sie sehen, wie
viel Unwürdige, die nichts
gelernet haben, und sich selbst nicht
einmahl zu regieren vermögen, die es auch wohl selbst nicht
verheelen, wie bald sie mit ihrer sogenannten Vorbereitung und
c√ Amtsverrichtungen fertig werden können, ins Amt
kommen; – so lange sie sich einbilden, das
alles, was sie von ihm lernen
sollten, wüßten sie schon – und das werden sie
destomehr glauben, wenn der Lehrer weiter nichts als das
|a28| Gemeine weiß; – so lange sie ihm
vorwerfen können, er spreche
bloß wie er von
andern gelernt habe, und es mit Unwillen
glauben,
|c32| daß
er bey Andrer sauren Arbeiten, für wenige Stunden Unterricht und einige
Krankenbesuche, in Gemächlichkeit das
Fett des Landes
genieße: so lange bleibt er, und mit ihm sein Stand und seine Beschäftigung, verachtet. Es ist nicht abzusehen, was ihn,
ausser dem
Bestreben, sich
andern nützlich zu machen, gegen dieses Vorurtheil
schützen, oder dieses von ihm ablehnen könne, als vorzügliche Einsichten, wodurch
andre von seiner Ueberlegenheit gewiß werden. In so fern ist ihm Gelehrsamkeit nöthig, verächtlichen Vorurtheilen zu entgehen, sich das so nöthige Vertrauen zu
verschaffen, und selbst im Stande zu
seyn, sein Ansehen wirklich geltend zu machen.
|b33| 36.
Und schränkt sich denn 2) seine ganze Pflicht bloß auf den allgemeinen Unterricht ein? Ist nicht die Sorge für das geistliche Beste einzelner Menschen, die ihm anvertraut sind, eine eben so wichtige, wo nicht wichtigere, wenigstens noch mühsamere Pflicht? Wenn er nun gelehrtere, oder, wie sehr zu wünschen ist, nachdenkende Zuhörer hat; wenn diese auf dunkle Stellen oder Zweifel in der Religion stossen – ein Fall, der sich bey einigem Nachdenken bey Anwendung des Gelernten auf unsern Gemüthszustand, bey der immer gemeiner werdenden Aufklärung und Lectüre, den Religionsstreitigkeiten, in die sich selbst der gemeine Mann mehr, wie sonst, mischt, |a29| und der überhand nehmenden Irreligion, gar nicht selten ereignet –; wenn sie ihm dergleichen Zweifel oder Gewissensfälle vorlegen, es sey, ihn auf die Probe zu stellen, oder wirklich Belehrung und Gewissensruhe zu |c33| erhalten: – wird er, ich sage nicht bloß, sein Ansehen erhalten, sondern auch für ihre Seele wirklich sorgen können, wenn ihm nicht Gelehrsamkeit, selbst in Sprachen, in Philosophie, in Geschichte, zu Hülfe kommt, und er c√ genöthigt ist, sie mit allgemeiner Versicherung seines Mißfallens, mit Warnungen für Vernunft und Nachstellungen des bösen Feindes, und mit Forderung eines blinden Glaubens mehr abzuweisen, und sich verächtlich, die Religion selbst aber verdächtig zu machen, als ihnen die Zweifel zu benehmen, und ihr Gewissen zu leiten, oder zu beruhigen? Oder gehört nicht schon Gelehrsamkeit dazu, um ihnen |b34| nur begreiflich zu machen, warum sich keine nähere Belehrung geben lasse, oder daß die wahre und praktische Religion dabey nichts einbüße, wenn die Zweifel gar nicht, oder doch den Fragenden nicht, benommen werden können?
c√
37.
Warum soll denn auch
3) das
Gemeinnützige den Maaßstab hergeben,
wornach man den Werth eines Mannes oder einer Kenntniß schätzen, und worauf man am meisten sehen müsse, wenn man sich einer besonderen Beschäftigung widmen wolle? Gott hat die Gaben und Neigungen sehr
|c34| mannigfaltig ausgetheilt, ohne Zweifel in der weisen Ab
|a30|sicht, daß, weil nicht jeder
alles kan, einer mit seinen
besondern Gaben, dem, der
dergleichen wozu nicht hat, in die Hände arbeiten solle. Und es zeigt sich die Weisheit dieser Einrichtung dadurch, daß, wenn
alle Einerley darum trieben, weil es das Gemeinnützigste wäre, nicht nur unendlich viel Nützliches entbehrt, sondern auch viel Gemeinnütziges gar
nicht, oder nur sehr unvollkommen erhalten werden würde, wenn nicht das minder Nützliche zu dem Wichtigern
mitwürkte, ja sogar das Gemeinnützige, der Ackerbau
z. B.
, ungemein viel von seinem
Werth bey andern verlieren
müßte, wenn sich
alle darauf
verstünden, oder
alle damit beschäftigten. Man muß daher den Werth einer Beschäftigung nicht nach
ihren ausgebreitetern oder auffallendern unmittelbaren Nutzen, sondern nach den
größern Fähigkeiten und der Mühe, die sie kostet,
|b35| und man muß den Werth eines Mannes nicht nach dem beurtheilen,
womit er sich beschäftigt, sondern nach dem
Fleiß, den er darauf verwendet hat, um es darin zur möglichsten Vollkommenheit zu bringen. Es ist eine unverantwortliche Empörung gegen Gottes weise
Ordnung – die wir doch überall zum Muster nehmen
sollten – mit Verachtung auf das herabzusehen, was nicht so gemeinnützig als etwas
Andres scheint – zumahl wenn das Gemeinnützige anders nichts
ist, als was zur unmittelbaren Befriedigung körperlicher oder zeitlicher Bedürfnisse dient;
– dadurch den mannigfaltigen Fleiß zu ersticken, und gerade gegen das am ungerechtesten zu werden, was die seltensten Talente voraussetzt, die
größeste Anstrengung und Ge
|a31|nauigkeit erfordert, und meistens die wenigste Ermunterung oder Belohnung findet.
|c35| 38.
Sorgt man aber auch 4) in der That selbst für den gemeinen Mann hinlänglich, wenn man sich bloß auf das vermeinte Gemeinnützige in der Religion einschränkt? – Nicht zu gedenken, daß es einen großen Unterschied unter dem sogenannten gemeinen Mann, und noch mehr unter denen giebt, die keine Gelehrte von Profession sind, und daß mancher darunter mehr Fähigkeit und natürlichen Wahrheitssinn (sensus communis) hat, als sich der Lehrer einbildet: sollen wir nur immer seine gegenwärtigen Bedürfnisse befriedigen? uns nur immer an seine jetzige Fähigkeiten anschmiegen? |b36| ihn nie weiter heben? nie schlafende Fähigkeiten erwecken? und, wenn wir vorhersehen können, daß er, durch unsre Belehrung erweckt, bald mehr bedürfen werde, c√ nicht schon zum voraus dafür sorgen, daß Bedenklichkeiten, die gegen das Vorgetragene entstehen könnten, mehr schon durch den Unterricht abgeschnitten, als veranlaßt, und dann erst mit Mühe gehoben werden; und daß, wenn er einmahl weiter gerückt seyn werde, und unsre Belehrung nicht mehr haben könne, ihm doch gleichwohl schon fürs Künftige geholfen sey?
39.
Wenn man nun vollends
5) gar nicht
einmahl im Stande wäre, das Gemeinnützige Andern
gemeinnützig mitzutheilen, ohne vorher recht
Vieles, selbst was man gar nicht vorzutragen hat, und
|a32| ohne es recht gut gelernt zu haben? –
Zuerst muß der Lehrer doch für sich, und er muß gewissenhaft lernen, so daß er von
dem, was er
Andre lehren, und ihnen empfehlen will, selbst wahrhaftig
|c36| überzeugt, und dafür eingenommen
sey, wie wird er sonst zu
Andrer Ueberzeugung und mit Wärme reden können? Aber dazu gehören viele Kenntnisse, aus
welchen, zusammengenommen, Ueberzeugung entsteht, viele
eigne Erfahrungen und
viele Uebung, alles, auch das Entferntere, auf das Herz und zur Bildung seiner
eignen guten Gesinnung anzuwenden. Und ein Lehrer muß
Vieles sich bekannt machen, was gar nicht für seine Zuhörer
gehört, oder, nach der gewöhnlichen Sprache, nicht
|b37| gemeinnützig ist, um
vor sich
c√ gewiß zu seyn, daß, was er auch ihnen, wegen ihrer Unfähigkeit, nicht beweisen kann oder
darf, z. B.
gewisse Erklärungen von Stellen der heiligen Schrift, er ihnen gleichwohl sicher und auf sein bloßes Ansehen vortragen könne. Es ist auch ganz etwas anders, mit
eignen Augen sehen, als bloß auf
Andrer Credit annehmen; und, wenn gleich der gemeine Christ das
letztre thun darf und muß
(§. 15 ): so ists doch dem Lehrer, der
Andern vordenken soll, wenn er sich durch sich selbst
wovon überzeugen
kan, nicht zu
verzeihen, daß er sich nur mit dem
begnügt, was
Andre ihm vorgedacht haben. Ja, selbst wenn er auch Anderer Vorarbeit benutzen
will: so muß er's doch gewissenhaft thun, also,
bey der so
grossen Verschiedenheit der Meinungen, beurtheilen können, was das Richtigste
sey; und wie
kan er
das ohne
c√ viele dazu
gehörige, z. B.
philologische und historische Kenntnisse
c√?
|a33| 40.
Soll er
ferner nur das Gemeinnützige
lehren: so muß er die gehörige
Wahl zwischen dem zu treffen wissen,
|c37| was er zu sagen hat oder nicht. Diese Wahl erfordert, daß er mehr
wisse als er zu sagen braucht, sonst
läst sich nicht
wählen, und daß er den Werth desjenigen, was er vortragen könnte, zu würdigen verstehe, sonst
kann er nicht das Gemeinnützige ausheben. Er wird vielmehr entweder aus Armuth an Sachen, was er weiß, ohne Unterschied
vortragen, und dadurch die Gemeinnützig
|b38|keit aufgeben, oder das Alltägliche vortragen
müssen, und dadurch die Zuhörer
ermüden, oder dem
Vortrag nicht das Unterhaltende geben können. –
Endlich ist das Schwerste, gemeinnützige Sachen auch
gemeinnützig, d. i.
so zu sagen, daß es auch
Unverständigern, Trägen, Eingenommenen und Gleichgültigen einleuchtend, wichtig und rührend werde. Dazu gehört wieder nicht nur viele, selbst feine, Kenntniß des menschlichen Herzens, um zu wissen, wo und wie man jeder Art
Zuhörer am besten
beykomme, sondern auch die
Geschicklichkeit, alles auf mehrern Seiten
anzusehn, eine Sache, die sich wieder ohne Mannigfaltigkeit und Reichthum der Erkenntniß nicht erreichen läßt.
Anmerk.
1. Schon das ist sehr übereilt, und, wenn man es besser weiß oder
c√ wissen könnte, ungerecht, daß man immer das
Gemeinnützige sogenannten
Speculationen und
gelehrten Kenntnissen oder Untersuchungen
entgegen setzt, und
beydes für einander hinderlich und unvertragbar ausgiebt. Dieser Wahn setzt schon das voraus, was eben erst untersucht werden müßte, daß gelehrte und speculative Kenntnisse nicht gemeinnützig seyn oder werden könnten; er verwechselt zum Theil das
Gemeinbekannte oder Jedermann
erkennbarere mit dem
Gemeinnützigen; er schlägt den Werth des
äusserlichen Wohl's, mit Vernachlässigung der eigentlichen
Geistes-Cultur, zu hoch an, oder bringt es allein in An
|c38|schlag; er hält sich nur, oder zu sehr, an das, was
unmittelbar nützlich ist, und übersieht was
mittelbar, was auf eine entfern
|b39|tere und weniger in die Augen fallende
Art wirkt, aber oft sehr weit reichende Wirkungen hervorbringt. Haben nicht sehr oft Bemerkungen und Versuche, die anfangs
Spielerey oder
Spitzfündigkeiten zu seyn schienen,
z. B.
in der Naturwissenschaft und Mathematik, auf sehr wichtige und
äusserst gemeinnützig gewordene Entdeckungen geführt?
Und was anders, als gelehrte und
spitzfündig scheinende
Untersuchungen willkührlich
angenommne Sätze, die sich bloß durch ihren Nutzen empfahlen, berichtigt, genauer bestimmt, bestätigt, und aus unzuverlässigen in
sichre und feste verwandelt?
Anmerk.
2. Eben den unsäglichen Schaden, den die falschen Begriffe von
Gemeinnützigkeit thun, stiftet auch der
c√ Name eines
Predigers, oder vielmehr das leidige Vorurtheil, daß ein Lehrer der Religion nur ein guter
Prediger zu seyn
brauche, und daß dazu sehr
|a34| wenig gehöre. Wäre dies, und reichten mäßige praktische Kenntnisse der Religion nebst den sogenannten Kanzelgaben dazu hin, so ist nicht abzusehen, warum ein besonderer Stand der Prediger nöthig
sey; ein frommer Laie von
gutem gesunden Verstande könnte eben dies und
könnt' es in mancher Absicht noch besser thun.
c√ Das Schlimmste ist nur, daß man den
großen Haufen
der Studierenden, der keinen andern innerlichen Beruf zu diesem
Stand als die
Hoffnung des
bequemern Fortkommens hat, nie davon überreden wird, weil es ihm an Sinn dazu fehlt, und daß von dem Nutzen solcher Sachen, die nur mittelbar nützlich sind, oder sich erst nach
eignen Versuchen und Erfahrungen bewähren, wie
z. B.
von Sprachen, erst
|b40| nach langer Uebung eine anschauende und wirksame Ueberzeugung entstehen
kan. Anfänger haben also um so mehr
Ursache, dem Rath und Urtheil derer, die
bey solchen Sachen hergekommen sind, mehr zu
trauen, als den Vorspiegelungen der Unwissenden, die, unbekümmert um den
Schaden, den
|c39| sie, auch ohne ihr Denken, der Religion selbst thun, das, was sie nicht verstehen, gern für entbehrlich ausgeben.
c√
41.
Zwischen
beyden bisher erwähnten Abwegen des zu vielen oder zu wenigen Lernens (§.
29 –40 ) gehet die rechte
Straße mitten durch; und die würde man halten
können – wenn man sich den Zweck, Inhalt,
Umfang und Einfluß einer jeden Wissenschaft oder Art von Kenntnissen auf
andre, vorläufig recht bekannt machte;
– wenn man
danach und nach
unparteyischer Prüfung seiner Fähigkeiten und Umstände, genau untersuchte,
|a35| worauf man sich hauptsächlich zu legen hätte;
– wenn man
alsdann von den übrigen Wissenschaften so viel
lernte, als zur gründlichen Kenntniß dessen, was man vorzüglich treiben will, unentbehrlich ist;
– wenn man sich um die besten Hülfsmittel in jeder Wissenschaft bekümmerte, um diejenigen Wissenschaften, welche man
bey Seite
laßen müssen, nachholen, und die, welche man bereits getrieben, noch vollständiger lernen zu können;
– wenn man endlich, um sich Zeit zu
sparen, und
alles aufs vortheilhafteste zu treiben, die
|b41| beste Art kennen zu lernen suchte, wie man, mit
Beyseitsetzung des Unnöthigen oder Mindernöthigen,
alles aufs kürzeste und sicherste lernte.
|c40| 42.
Hiezu würde eine allgemeinere Anleitung, wie sich ein angehender Theologe oder
künftige Lehrer der Religion zu bilden
hätte sehr dienlich
seyn, und diese müßte dann von den Kenntnissen handeln, die er erlangen, von den
Fähigkeiten, die er haben, und von den
Hülfsmitteln und
c√ Uebungen, die er
brauchen müßte (§. 20. ).
Eine solche Anleitung ist weder mit einer theologischen
Encyclopädie noch
Methodologie zu verwechseln.
Erstre giebt mehr einen kurzen Auszug aus allen Theilen der
Theologie, und dient zur allgemeinern Uebersicht des Inhalts einer jeden Wissenschaft.
S.
Quinctiliani Institut. orator.
lib.
I.
c.
10.
|a36| und
Jo. Wowerii tractation. de Polymathia, 1665.
in 8.
Cap.
2.
Letztre zeigt mehr die
Art, wie sie und ihre einzle Theile am besten getrieben werden können, und ist in so
ferne ein Theil der hier gemeinten Anleitung.
43.
Eine solche Anleitung müßte – in Absicht auf Kenntnisse oder Wissenschaften, gleichsam wie eine Landcharte, zeigen, welche Wissenschaften zur Theologie in sich oder als nothwendige Hülfswissenschaften gehören; welchen Umfang, welchen |b42| Nutzen oder Einfluß eine jede auf die andere hat; wie weit eine jede bisher bebaut ist; wo und welche Lücken in ihr sind; wie sie könnten ergänzt, und wie überhaupt jede, oder wodurch, noch vollkommner werden c√. – Bey den nöthigen Fähigkeiten müßten ihre Nothwendigkeit, ihre Kennzeichen, und die beste Art, sie möglichst zu ersetzen und zu verbessern, angegeben, und – bey den Hülfsmitteln und Uebungen, die besten Bücher, die sichersten Regeln, jede Wissenschaft zu studieren, und die vortheilhafteste Art der Uebung vorgestellt werden.
Anmerk.
1. Zu den
Hülfswissenschaften werden hier nur diejenigen gerechnet, welche
c√ Grundsätze zu der Theologie
hergeben, oder deren man
bey der Theologie zur gründlichen Kenntniß gar nicht entbehren
kan.
|a37| Anmerk.
2. Die Kenntnisse selbst bedürfen ihres Umfangs wegen
der weitläufigsten Vorstellung, und meistens können
|c41| die
dabey nöthigen Hülfsmittel und Uebungen gleich mit angegeben werden. Jene müssen auch erst bekannt seyn, ehe man die dazu erforderlichen Fähigkeiten bestimmen
kan. Hiernach
kan die im
Folgenden beobachtete Ordnung und die verhältnißmäßige Ausführlichkeit
beurtheilt werden.
Anmerk.
3.
Theologische Bücher werden hier eigentlich nicht erwähnt, weil ich sie in einem andern
Buch,
Anweisung zur Kenntniß der besten
allgemeinern Bücher in allen Theilen der Theologie,
dritte vermehrte Auflage, Leipzig
1790
8. angegeben
habe. Doch sollen
c√ hier die besten
Handbücher und die
|b43| besten aus andern Wissenschaften nicht übergangen werden.
44.
Sonach würde dergleichen Anleitung einen großen Nutzen haben, der zugleich zu erkennen gäbe, nach welchem Gesichtspunct man die Theologie oder einzelne Theile derselben studieren müsse. In so fern sie zeigte, was und wie viel zu einem würdigen Lehrer der Religion gehörte, würde sie uns in den Stand setzen, uns gewissenhaft zu prüfen, ob wir dazu fähig seyn möchten oder nicht. Diese Prüfung kan nie sorgfältig genug seyn. Wie kan man immer mit wahrer Zufriedenheit auf seine getroffne Wahl zurück sehen, – wenn man nicht überzeugt ist, daß uns Gott zu den gewählten Stand berufen hat, daß wir uns seines Wohlgefallens und Segens dabey getrösten können, daß wir uns nicht dem Stand entzogen haben, den er uns durch das Maaß der geschenkten Kräfte und der darauf gegründeten Neigungen angewiesen hatte? – wenn man |a38| sieht, wie unnütz man ist, |c42| wenigstens wie bey weiten nicht so nützlich man c√ für die Welt seyn kan in dem gewählten Stande, als in einem andern, und wie lästig man denen fallen muß, die durch uns gezüchtigt werden, und uns äusserlicher Umstände wegen behalten müssen, wie hinderlich zugleich für Andre, mit welchen ihnen weit besser gerathen wäre? – wenn man hinterher gewahr wird, daß man nicht nur oft selbst seinem zeitlichen Glücke im Lichte gestan|b44|den, sondern – welches noch schlimmer ist – daß uns die Beschäftigungen dieses Berufs schwer und verdrießlich werden, daß man, statt Zutrauen zu haben, verachtet wird, daß man auch wohl oft, wegen gebrauchter schlechten Mittel, sich äusserlich fortzubringen, oder wegen bloß zeitlicher Absichten bey der Wahl seines Berufs, mit Abscheu an sich selbst denken muß?
45.
Wie nun eine solche Anleitung hiedurch den, der keinen Beruf zu einem Lehrer der Religion hätte, noch zu rechter Zeit erinnern könnte, sich einer andern Beschäftigung zu widmen, der er mehr gewachsen wäre, und wodurch er, nach Gottes Absichten, Andern nützlicher werden würde: so könnte sie hingegen den, der sich wirklich aufgelegt dazu fühlte, und seiner ganzen Pflicht, als ein solcher Lehrer, Genüge thun wollte, den Umfang dieser Pflichten und die beste Art sie zu erfüllen, lehren. Die Vorstellung dieses großen Umfangs würde ihn nicht niederschlagen. Denn, wo ihm Schwie|a39|rigkeiten aufstießen, kämen sie ihm nicht unerwartet; er kennte denn auch schon durch diese Anleitung die Mittel, sie zu überwinden; und dies würde ihn, nebst dem erkannten Nutzen und Einfluß einer Wissenschaft und Beschäftigung auf die andre, sogar zu desto mehrern Fleiß ermuntern.
|c43| 46.
Da indessen Niemand
alles mit gleichem Fleiß und gleich glücklichem Erfolg treiben
kann: so würde |b45| sie jedem
die Beschäftigungen
anweisen, welche nach seinen Fähigkeiten und Neigungen eigentlich für
ihn gehörten, um sich nicht zu sehr zu zerstreuen, und, indem er seinen Fleiß
theilte, in keinem Theil der Theologie etwas
einigermaßen Vollkommnes zu leisten.
Sie würde ihn demnach
, da er keinen Theil der Theologie zu seiner Hauptbeschäftigung ganz entbehren
kan, auch
c√ lehren
c√, wie viel er daraus zu seinem Hauptzweck
bedürfte; wie und wodurch er sich am besten darin forthelfen, und, wenn er etwas hätte
bey Seite
laßen müssen, das er hinterher noch brauchte, wie er
es, nach seinen Bedürfnissen, nachholen
könnte.
47.
Endlich
würde sie ihm Zeit, Mühe und Kosten ersparen helfen. Denn man hat schon viel gewonnen, wenn man
weiß, was
für uns nothwendig und entbehrlich oder minder wichtig
ist; was
uns schon gut
vorgearbeitet, oder was
zu ergänzen und zu verbessern ist; in welcher Ordnung
|a40| man jedes aufs Beste vornehmen
kan; welche Hülfsmittel zu jeder Zeit,
beym Anfang oder Fortgang, die dienlichsten sind. Und über dieses alles soll uns eine solche Anleitung unterrichten.
48.
Noch einleuchtender wird ihre Nothwendigkeit, wenn man einen Blick auf die jetzige Verfassung oder vielmehr den Verfall
unsrer Schulen und Universitäten wirft. – Unstreitig eilt man
|b46| jetzt viel früher als sonst, und im Gan
|c44|zen
genommen, viel unbereiteter, von jenen auf diese. Mag's seyn, daß man durch die neuerliche Einrichtung unsrer Schulen mehr auch für den Ungelehrten, für die Bildung des guten Bürgers, für Abschneidung vieler Umwege
bey dem
Studieren, gesorgt
hat; für die, welche sich den eigentlichen Wissenschaften widmen sollen, hat man gewiß,
im gleichen Maaß, nicht gesorgt. Wer dieses Urtheil einer Unbilligkeit zeihen will, den
kan man
auffordern – wenn er unsre meisten Schulen
kennt, und weiß, was zur gründlichen Kenntniß der Wissenschaften
gehört – unparteyisch die Fragen zu beantworten:
–
Treibt man nicht jetzt zu
Vielerley auf Schulen?
– zu viele sinnliche
Beschäftigungen, und zu wenig solche, die zur eigentlichen Bildung des
Geistes dienen?
– unter den
Wissenschaften diejenigen zu wenig, welche zur
Vorbereitung auf die übrigen nöthig sind,
Sprachen z. B.
, und die hingegen, welche schon mehr
andre Kenntnisse voraussetzen, und den
höhern Schulen vorbehalten
|a41| werden sollten, zu früh oder zu viel?
– Sieht man eben so sehr darauf, daß etwas
recht gut und gründlich, als daß
Vieles gelernt
werde, und
ists besser, weniger und gut, oder
Vieles und obenhin, zu lernen?
– Wird die Jugend auch genug
geübt, und zu
eignem Nachdenken und
c√ Arbeiten, auch wenn sie
beschwerlich sind, angehalten? – Wird sie genug gegen Zerstreuung, Flüchtigkeit und
Dünkel verwahrt?
|b47| 49.
Wenn in Schulen nicht genug auf Universitäten vorbereitet wird: so kan vieles auf diesen gar nicht von den Lernenden verstanden, ja es kan ihnen nicht einmahl die |c45| Nothwendigkeit mancher Kenntnisse, und wie viel zur Gründlichkeit des Wissens gehört, recht einleuchtend gemacht werden. Selten verstattet dies, nebst dem Mangel des Geschmacks an Wissenschaften und ihrer gründlichen Kenntniß, dem Mangel der Zeit, und der Menge dessen, was sie erst, oder was sie besser, lernen sollen, das Versäumte nachzuholen; zumal wenn sie nicht gewöhnt worden sind, sich selbst zu treiben. Eilen sie dann, wie gewöhnlich, zu schnell wieder von Universitäten weg; finden, bey einer übelverstandnen Freyheit, mehr Geschmack an Vergnügungen als an Studieren; und kommt die Einbildung dazu, daß sie vieles nicht erst zu lernen bedürften, oder gar der Kitzel, sich bald hören zu laßen, und sich dann für reif genug zum Amte zu halten: – was wäre da auszurichten?
|a42|
Parentes (Praeceptores, oder was man statt dessen setzen
will,) obiurgatione digni sunt, qui nolunt liberos suos
seuera lege proficere. Primum enim, sicut omnia, spes quoque suas ambitioni donant; deinde cum ad vota properant, cruda adhuc studia in publicum propellunt, et eloquentiam (sacram), qua nihil esse maius confitentur, pueris induunt adhuc nascentibus. Quod si paterentur laborum gradus fieri,
vt studiosi
iuuenes lectione
seuera mitigarentur,
vt sapientiae praeceptis animos componerent,
|b48| vt verba atroci stilo effoderent,
vt, quod vellent imitari, diu audirent, sibi nihil esset magnificum quod pueris placeret: iam illa grandis oratio haberet
maiestatis suae pondus. Nunc pueri in scholis ludunt, iuvenes ridentur in foro (templis), et quod
vtroque turpius est, quod quisquis perperam discit, in senectute confiteri non vult.
Petronius im Anfange
s.
Satyr.
|c46| 50.
Die einzige Hülfe – wo sie noch möglich
ist, – könnte für die, welche Theologie
studieren wollen, von einem
Unterrichte über den Umfang der Wissenschaften, die Erfordernisse und Hülfsmittel
bey der Theologie, erwartet werden. Er
kan doch die so nöthige Selbstkenntniß
bey denen, die noch nicht, oder nicht ganz, verdorben sind, und die Kenntniß befördern, wie viel dazu gehöre, um mit Würde den Beruf eines Lehrers der Religion zu führen. Und,
– wenn Universitäten die eigentlichen Pflanzschulen künftiger Lehrer sind;
– wenn man da am sichersten und
vollständigsten erfahren
kan, wie weit bis jetzt das Feld der Theologie bebaut ist;
– wenn so viel davon abhängt, daß
|a43| man gleich im Anfang seine
akademischen Studien gut
einrichte; daß man sich nicht durch Mode oder
durch selbst noch Rathsbedürfige oder aus Leidenschaften Rathende, sondern durch Verständigere und der Sachen Kundige leiten lasse; daß man frühzeitig lerne,
was? warum? und
wie? man auf Universitäten hören
müsse: – so wird eine solche Anweisung immer nicht nur eine gute Vorbereitung
auf das übrige
Studieren, sondern auch eine große
Beyhülfe auf das künftige weitere Fortschreiten nach vollendeten
Universitätsjahren seyn.
51.
Unter den Büchern, die einen solchen
Unterricht, oder vielmehr einige
Beyträge dazu, enthalten,
und wovon die allermeisten entweder
unsern Zeitbedürfnissen, oder der Aufklärung, den Grundsätzen und der Verfassung
evangelischer Kirchen, gar nicht angemessen sind, verdienen, wiewohl in sehr verschiedner Absicht, verglichen zu werden:
- Desid. Erasmi Roterod. Ratio s. methodus (Compendium) verae Theologiae, bey seiner zweyten Ausgabe des griechischen neuen Testaments, von 1519,
und nachher oft aufgelegt; in der neuesten Ausgabe recensuit et illustrauit Jo. Sal. Semler , Halae 1782.
in gr.
8.
- De recte formando Theologiae studio (oder unter dem Titel: de Theologo s. de ratione studii theologici) libri quatuor, Andr. Hyperio auctore, am neuesten aufgelegt Basileae (1582.
) in 8.
- Jo. Gerhardi Methodus Studii theologici, Jenae 1654.
in 8. und schon vorher mehrmals gedruckt. - |a44| Traité des études monastiques – – par Jean Mabillon , etwas verändert wieder gedruckt à Paris 1692
in zwey Bänden in gr.
12. und hernach mehrmals.
- |b50| Methode pour étudier la Theologie (von L. E. du Pin ,) a Paris 1716. in gr.
12.
- Jo. Franc. Buddei Isagoge historico-theologica ad Theologiam vniuersam singulasque eius partes, Lipsiae 1727.
in 4. mit den Supplementen oder der Historia Theologiae litteraria continuata (1730.
) in 4.
- Jo. Christ. Koecheri Conspectus Theologiae vniuersae, Guelpherb. 1749.
in 8.
- Joh. Georg Walchs Einleitung in die theologische Wissenschaften, zweyte und vermehrte Ausgabe, Jena 1753.
in 8. - c√ ⌇c Joh. Lorenz von Mosheims kurze Anweisung, die Gottesgelahrtheit vernünftig zu erlernen – – zum Druck befördert von Christian Ernst von Windheim , Helmstädt 1756.
in gr.
8.
- Joh. Sal. Semlers Versuch einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleiße in der ganzen Gottesgelehrsamkeit, Halle 1757.
in 8. a√
- Briefe, das Studium der Theologie betreffend, (von J. G. Herder, ) Weimar 1780 und 81.
in 4 Theilen in 8. c√ c√
Die meisten andern Schriften, die hieher zu gehören scheinen möchten, sind entweder gar zu dürftig, und zeugen zu sehr von zu weniger Bekanntschaft mit diesen Wissenschaften selbst, oder mit unsern Zeitbe
|b51|dürfnissen; oder betreffen, wie die
Summe von Erfahrungen und Beobachtungen zur Beförderung der Studien etc. von
Gottlieb Schlegel , Riga 1786.
in 8. mehr die Zubereitung auf Schulen und Universitäten; oder enthalten, wie der
Versuch über das Studium der Theologie in Rücksicht unsrer Zeiten, Leipzig 1790. in 8. mehr Erklärungen über einige neulich in Anspruch genommne Kirchenlehren und das rechte Benehmen dabey, als daß sie sich auf Darstellung des Zwecks theologischer Wissenschaften und die beste Art sie zu treiben, einlassen sollten.
|c48| 52.
Alles, was man in einer solchen Anleitung mit Recht erwarten
kan, betrift entweder die Kenntnisse, die ein angehender Lehrer der Religion zu erlangen suchen,
oder die Fähigkeiten, die er
|a45| besitzen,
oder die Uebungen, die er anstellen muß
(§. 42 ). Und weil alle zu seiner Bildung, als eines
Religionslehrers, nöthige Kenntnisse oder Wissenschaften
entweder Vorbereitungs- und Hülfswissenschaften sind,
oder die eigentliche
Theologie, d. i.
die Lehren der Religion und die richtigen Vorstellungen davon selbst, nebst den dazu nöthigen
Beylagen, enthalten,
oder die Mittheilung derselben an
Andre, und die ganze weise und nutzbare Führung des Lehramts betreffen: so wird die folgende Anleitung vier Theile begreifen:
- |b52| 1. Von den Vorbereitungs- und Hülfswissenschaften.
- 2. Von den Theilen der sogenannten systematischen Theologie, und ihren Beylagen, der exegetischen und historischen Theologie.
- 3. Von der Anweisung zur würdigen und zwecksmäßigen Führung des Lehramts, und
- 4. von den Fähigkeiten und allgemeinern Anstalten und Uebungen, wodurch ein angehender Lehrer gebildet werden kan.
Besondre Uebungen, die zu einzelnen Theilen der Theologie gehören, werden bey der Abhandlung dieser einzelnen Wissenschaften gleich mitgenommen.
Abkürzungsauflösung von "d. i.": das ist