|a49| |b57| |c52| Erster Abschnitt.
Philologie.
55.
Philologie begreift – in dem Sinn, wie man das Wort jetzt nimmt – alle Kenntniß der Sprachen und der dabey erforderlichen Hülfsmittel. Sie lehrt also den Ausdruck in einer Sprache verstehen und anwenden; lehrt den Gebrauch des Ausdrucks, c√ in Absicht sowohl auf die damit verbundenen Begriffe, oder den sogenannten Sprachgebrauch, als auch in Absicht auf die Veränderungen der Wörter und ihre Verbindung, oder die Sprachregeln. In so fern sie das letztere thut, nennt man sie auch Grammatik im engsten Verstande.
Man weiß, daß
Philologie und
Grammatik bey den Alten für
Litteratur galt
, d. i.
alle Sprach- und historische, selbst philosophische Kenntnisse in sich faßte, die man zur Erklärung alter Schriftsteller bauchte; daß man sie nachher auf Kenntniß und Gebrauch der Sprachen einschränkte; daß endlich Philosophie und
Rhetorik, oder, wenn man will, auch die
Aesthetik der Neuern,
mit ihr
theilte.
S.
unter Andern
Quinctilianus de instit. oratoria im ersten und
zweyten Buch. Nach
der neuern Absonderung dieser
Wissenenschaften hat man der
|b58| Philosophie, die Untersuchung der allgemeinen Natur der
Sprache, und
des, wenigstens deutlichen, Vortrags; der
Rhetorik, und noch mehr der Aesthetik, den Unterricht über den sinnlichen Vortrag, und, sofern es
dabey auf Sprache ankommt, über den edlern oder
auserlesenern Ausdruck, vorbehalten; der Philologie aber
besondre Sprachen, und mehr das Mechani
|a50|sche derselben,
überlaßen. So weit also jene Wissenschaften mit Sprache zu thun haben, theilt ihnen die Philologie ihre
|c53| Produkte mit, und erhält
hinwiederum nicht nur an den Sachen, die in jenen Wissenschaften erfunden werden, neuen Stoff zum Ausdruck, sondern auch die
Kunst, ihre
eigne Produkte zu
veredlen, und von dem Mechanischen der Sprachen Rechenschaft zu geben, oder es in vernünftige und allgemeine Principien aufzulösen.
56.
Es würde kaum nöthig
seyn, zu
sagen,
wie unumgänglich nothwendig die gründliche Bekanntschaft mit Sprachen sey, wenn der Ueberzeugung davon nicht weit mehr, als vielleicht irgend einer andern Wissenschaft, sehr gangbare und herrschende Vorurtheile
entgegen stünden. *) – Weil der Anfang des Unterrichts
bey der Erziehung gemeiniglich mit Sprachen gemacht wird, so mag dies die Ursach seyn, warum
vielen dieses Studium bloß für
Anfänger zu gehören scheint; so gar
anders auch die Art ist, mit der der Verständigere und der Anfänger die
nemliche Sache
|b59| behandeln
kan, und so sehr auch in jener gewöhnlichen Ordnung
bey dem Unterricht, das sehr richtige Geständniß liegt, daß Kenntniß der Sprachen die Grundage von allen andern Kenntnissen
sey.
*) Man weiß, wie sehr über die Nothwendigkeit des Studiums der Sprachen, namentlich der alten, und der ganzen alten Literatur, wenigstens der frühzeitigen und allgemeinen Beschäftigung damit auf Schulen, noch
neuerlich, seit den lebhaften Versuchen, eine gänzliche pädagogische Revolution
hervor zu bringen, gestritten worden ist. Das, theils Scheinbarste, theils Wichtigste, wider diese Nothwendigkeit ist in den
beyden Trappischen Aufsätzen:
über das Studium der alten classischen Schriftsteller und ihre
Sprachen, und:
über den Unterricht in
Sprachen, zusammengefaßt, wovon jene in der
Allgemeinen Revi|c54|sion des gesammten Schul- und Erziehungswesens, von einer Gesellschaft praktischer Erzieher, herausgegeben von J. H. Campe , im 7ten Theil
S.
309
f.
steht, und diese den 11ten Theil des gedachten Werks einnimmt. So sehr der Streit
hiedurch und
durch die der erstern Abhandlung
beygefügten Anmerkungen einiger gelehrten Männer sowohl, als durch die
treflichen
Rehbergschen
Aufsätze in der
Berlinischen Monatsschrift, im Februar
1788 S.
105
f.
, im März
S.
253
f.
und im Januar
1789 S.
20
f.
der
unpartheyischen Entscheidung näher gebracht ist; so sehr ich auch von dem Nutzen und der Nothwendigkeit einer Läuterung oder wenigstens Darlegung
beyderseitiger Urtheile und ihrer Gründe überzeugt bin: so erlauben doch die Grän
|b60|zen dieses Buchs schlechterdings diese nicht. Ich hoffe, daß durch die folgenden kurzen Bemerkungen, und durch die, welche weiter unten §.
106 f.
vorkommen, vielen Mißverständnissen und Einwürfen schon ehedem
vorgebaut und mancher
Gesichtspunct angewiesen
sey, der
bey Beurtheilung dieses Streits nicht sollte übersehen werden; auch scheinen sie mir mit den erst in dieser Ausgabe hinzugefügten hinreichend, nachtheilige Eindrücke zu verhüten oder zu schwächen, die durch jene Bestreitung könnten veranlaßt werden, wenn anders ein Leser unbefangen urtheilen
kan, und sich Mühe geben will, den oft bloß
gegebnen Winken weiter nachzudenken. Ganz habe ich mich indessen auf jene Abhandlungen weder einlassen können noch dürfen, da sie in
pädagogischer Hinsicht geschrieben sind, dieses Buch hingegen nur die Bildung
angehender Theologen betrift. Nur über die
Streitfrage,
so fern sie
hieher gehört,
sey folgendes, vornemlich in Rücksicht auf jene Aufsätze, hinzugefügt. Wer die Nothwendigkeit des Studiums der Sprachen behauptet, redet ja 1) nicht bloß oder hauptsächlich von
Sprachregeln oder überhaupt vom Bau der Sprachen; noch weniger giebt er das Studium dieses
Sprachenbaues für wichti
|c55|ger aus als
den Sprachgebrauch. 2) Eben so wenig sondert er
bey dem Sprachgebrauch
Worte und ihren
Sinn,
d. i.
die mit den Worten verknüpften Begriffe, oder, wie es Andre ausdrucken, den
Körper und den
Geist der Sprache,
so, daß er die bloße Beschäftigung mit
Worten empfehlen
wollte, und die Kenntniß der
bloßen Worte für wichtiger ausge
|b61|ben, als die Kenntniß der damit verbundenen
Ideen. 3) Er schließt nicht einmal die Kenntniß der
Sachen aus,
so ferne ohne sie kein
Begrif statt findet, und
so ferne eine Schrift, durch deren Lesung er hauptsächlich die Sprache gelernt wissen will, ohne sie gar nicht verstanden werden
kan. Er billigt 4) indem er das Sprachenstudium vertheidigt, keinesweges verkehrte
Methoden, sie zu studieren, deren üble Folgen ohne Ungerechtigkeit nicht dem Sprachenstudium selbst
können zur Last gelegt werden
c√. Wer ihm also irgend etwas von dem bisher
erwähnten Schuld giebt, läßt ihm nicht Gerechtigkeit
wiederfahren, und ficht entweder mit einem bloßen Schatten, oder glaubt fälschlich
den Werth des Studiums der Sprachen vernichtet zu haben, indem er bloß Mißbräuche
bey diesem Studium gerügt hat. Endlich 5) wer dieses Studium empfiehlt, will damit nicht gleich das
Studieren der
Sprachen, oder gar das Studieren der
Alten, allgemein, in
alle, selbst die niedrigsten, Schulen eingeführt, oder in Schulen
vollendet, oder eigentliche
Kinder mit den
feinern Theilen und Veränderungen der Sprachen beschäftigt
wissen. Sondern 6) darin stimmen
wohl alle wahre Kenner des wahren Werthes der Sprachen
überein: daß 1) die fleißige und frühzeitige Beschäftigung mit Sprachen, in
dem Umfang, wie sie §.
55 erklärt wurde, 2)
allen, die nach einer
feinern Geistesbildung streben, oder dazu bereitet werden sollen, sehr nützlich, und besonders denen, die sich den
Wissenschaften, namentlich der
Theologie, widmen wollen, unentbehrlich
sey. – Wenn damit anzu
|b62|fangen
sey? wie weit? und wie sie zu
|c56| diesem Zweck zu treiben
sey? läßt sich nicht im Allgemeinen beantworten. Das Nöthige, in Absicht auf die, welchen dieses Buch bestimmt ist, wird unten in diesem Abschnitt angegeben werden.
c√
57.
Wer es der Beschäftigung mit Sprachen zum Vorwurf macht, daß sie so sehr bey Kleinigkeiten verweile; der überlegt nicht, daß man anders nie zur Vollkommenheit aufsteige, als durch den Fortschritt vom Kleinern zum Größern, und daß |a51| die Vollkommenheit jeder Erkenntniß, wie jeder Kunst, von dem Fleiß abhänge, mit der man selbst die kleinsten Theile bearbeitet. – Wer sie für unfruchtbare, von allem Vergnügen entblößte Beschäftigung hält, beurtheilt die Sache zu sehr nach seinem besondern Geschmack, und verräth eine gewisse Kurzsicht, die es ihm unmöglich macht, mehr zu sehen, als was gleich vor seinen Augen liegt. Jede Beschäftigung, wäre sie auch nur Uebung unserer Kräfte, führt ihr eigenes Vergnügen mit sich; wer würde sie denn sonst verfolgen, wenn sie nicht ihren besondern Reitz hätte? Der große Nutzen der gründlichen Sprachkenntniß zeigt sich freylich erst späterhin; aber eben der später erkannte Nutzen und die Erinnerung an die Mühe, die es uns, bis dahin zu kommen, gekostet, gewährt ein c√ so größeres Vergnügen, je unerwarteter der Nutzen, und je mühsamer er errungen worden ist.
|b63| 58.
Und gerade deswegen, weil diese Beschäftigung viele, selbst ins Kleine gehende, Mühe und Fleiß erfordert, an der sich dieser, wie an einem Wetzstein, schärfen kan; ge|c57|rade darum, weil man da, auf Hoffnung erst mit der Zeit zu erreichender Vortheile, arbeiten lernen muß; und Anfänger nicht genug zum unverdroßnen Fleiß in Ueberwindung vieler Schwierigkeiten, zur ausharrenden Geduld, und zur Hinsicht auf das gewöhnt werden können, was nicht gleich vor Augen ist: sollte man bey diesen Lust zu dieser Beschäftigung zu erwecken suchen, eben um sie an Schwierigkeiten, Zweifel und Verlegenheit, die sich ihnen künftig in ihrem Leben überall darstellen werden, zu gewöhnen, und ihnen dadurch eben sowohl guten Muth zu machen, um sich von dergleichen nie schrecken zu laßen, als sie durch Uebungen zum voraus schon in den Stand zu setzen, alles solche Abschreckende glücklicher zu überwinden. Und sie selbst c√ sollten mehr |a52| dem Rath derer folgen, die der Sache kundig sind, als ihrer eigenen Scheu für alles, was mühsam ist, oder nicht unmittelbaren Nutzen oder Vergnügungen verspricht, und den Vorspiegelungen dererjenigen, die weder Geschmack daran, noch Kenntniß davon haben; zumal weil nichts mehr hinreißt, als herrschende Vorurtheile, und diese Beschäftigung um so schwerer und abschreckender wird, je länger man sie aufgeschoben hat.
|b64| 59.
Wie groß der Einfluß der Sprache auf die Bildung der menschlichen Seele, sowohl auf Verstand, als Herz, sowohl für sich, als durch gegenseitige Mittheilung der Gedanken und Gesinnungen, sey, muß einem jeden einleuchten, der selbst zu denken gewohnt ist, und der es darauf anlegt, sich Andern auf eine wirksame Art mitzutheilen. Und noch einleuchtender macht es der auffallende Unterschied zwischen sprachfähigen Menschen und sprachlosen Thieren, zwischen |c58| taub- oder stummgebornen und hörenden oder redenden Menschen, zwischen der Cultur solcher Nationen, die eine reiche, und solcher, die eine arme Sprache haben, nebst dem gleichmäßigen Fortschritt der Geistesbildung bey Kindern, mit dem schnellern oder langsamern Fortgang in der Sprache. Wer also eine Sprache genau und gründlich kennt, und sie in seiner Gewalt hat, kan in dem nemlichen Grade ein vernünftigerer und besserer Mensch seyn, andre mehr aufklären und bessern, und mehr Nutzen von Andrer Unterricht ziehen, als wem es c√ daran fehlt; |a53| und die verabsäumte genaue Kenntniß und Fertigkeit einer Sprache ist eine Hauptursache, warum man theils selbst zurückbleibt, und auf unrichtige Begriffe und Irrthümer fällt, theils andern nicht fort- oder ihren falschen Vorstellungen und üblen Gesinnungen nicht abhelfen kan.
60.
Schon erstlich in Rücksicht auf unsern eignen Vortheil – können wir durch Hülfe der Sprache
a√|b65| die Begriffe festhalten, welche wir durch den Eindruck der Dinge empfangen haben, und uns dadurch nicht nur ihrer wieder erinnern, sondern auch allgemeine Begriffe bilden,
verworrene aus einander setzen, und eine stete Verbindung unsrer Vorstellungen bewirken. – Die Sprachen leiten sogar auf neue Begriffe und Entdeckungen, legen wenigstens den Grund zu allgemeinen Begriffen und Sätzen, die zu
weitern Betrachtungen ermuntern, und eine fruchtbare
Quelle neuer Entdeckungen werden können.
– Sie befördern den leichtern Uebergang von einem
Begriff zum andern, und stellen ihren Zusammenhang besser
dar *) . – Und wer der Sprache mächtig ist, mehrere Begriffe in Ein Wort, oder mehrere Gedanken in wenige Worte
zusammen zu drängen versteht,
kan nicht nur schneller im Denken
|c59| fortrücken, und mehr in der Geschwindigkeit übersehen, sondern auch selbst seine Begriffe anschauender, und ihre Wahrheit einleuchtender
machen **) .
Anm.
1. Zur Ueberzeugung von der Wahrheit des Meisten, was hier und im Folgenden gesagt ist, auch von andern Vortheilen der Sprache, dienen vorzüglich:
- |a54|
De l'influence des opinions sur le langage et du langage sur les opinions, par Mr. Michaelis , à Breme 1762
in 8.
- Neues Organon durch J. H. Lambert , Leipzig 1764
in 2 Bänden in gr.
8. Band 2. S.
8 fgg.
- |b66|
Joh. George Sulzers vermischte philosophische Schriften, Leipzig 1773
in gr.
8. Theil 1. S.
166 fgg.
-
Gedanken von dem Nutzen richtig getriebner Philologie, von G. B. Funk , wieder abgedruckt in dem Berlinischen Magazin der Wissenschaften und Künste, Berlin 1784
in gr.
8. Band 2. Stück 1. S.
113 f.
- Jerusalem, oder über religiöse Macht und Judenthum, von Moses Mendelssohn , Berlin 1783.
8. Abschnitt 2. S.
64 f.
Anm.
2 *). Ein
Beyspiel zur Erläuterung der dritten Bemerkung in diesem §.
kan die Herleitung der
sämtlichen moralischen Eigenschaften Gottes aus dem
Begriff seiner
Güte, vermittelst der Begriffe des boni physici und moralis abgeben; so wie von der letzten Bemerkung
**), die auch in der Theologie eingeführte Schulsprache,
z. B.
in der Lehre von dem Willen Gottes und der Mitwirkung Gottes
bey der Sünde. Die Schriften des
Thukydides ,
Cicero ,
Tacitus , des
Apostels
Paulus , – der mehrere vielkörnige (prägnante) Wörter und Redensarten hat, z. B.
Phil. 1,
7. χάρις (für Leiden, die eine Wohlthat sind, verglichen mit
V.
29. und
Kap.
4, 14); ἄδικοι 1 Kor. 6, 1 (Richter, die keine Christen, und daher gegen diese gewöhnlich ungerecht sind); ἑτεροζυγεῖν ἀπίστοις 2 Kor. 6, 14 (sich Unchristen gleichstellen, aber mit Anspielung auf 3 Mos. 19, 19. und Einschluß des |c60| darin liegenden Grundes der ganz verschiedenen Denkart oder Gesinnung |b67| eines Christen und eines Profanen); wie dergleichen Redensarten Phil. 1,
21: „wenn ich leben bleibe, so fällt der Gewinn für Christi Lehre. sterbe ich, so fällt er für mich aus,“ verglichen mit V.
22 bis 24; auch 2 Kor. 3, 6
fgg.
Kap.
4,
12. u. a.
– bieten mehr
dergleichen Exempel dar.
61.
Auf der andern Seite sind
c√ die Sprachen, durch die wir unsere Begriffe
bekommen, und sie uns geläufig machen, eine ergiebige Quelle von mangelhaften
, verworrenen, irrigen Begriffen und Urtheilen. Denn
wir müssen eine jede Sprache
nehmen, wie sie ist, und, weil diese sich nach den Begriffen
dererjenigen gebildet hat, welche sie nach und nach erfanden, ihre mangelhaften, ungeläuterten, unentwickelten, und oft ganz falschen Begriffe in Wörter einkleideten, wenig von der Kunst
|a55| verstanden, die Sachen durch angemessene Ausdrücke zu bezeichnen, und, um nicht die Wörter zu sehr zu vervielfältigen, sehr oft Einen Ausdruck zur Bezeichnung mehrerer Begriffe brauchten, oft auch, um gewisse Sachen mehr verständlich und anschauend, als bestimmt darzustellen,
neuerfundne Ausdrücke den rohern Begriffen des
großen Haufens anschmiegen mußten: so theilten sich alle
dabey zum Grunde liegende Fehler oder Unbequemlichkeiten der Sprache mit, und wurden durch sie so gangbar, daß es eben so viel Mühe kostet, diese Fehler zu entdecken, als sie durch
allerley Gegenanstalten zu heben.
|b68| Daher unter andern 1) die Ausdrücke, welche die Sachen, nicht nach Untersuchung ihrer wahren Natur und Ursachen, sondern nach den Vorstellungen der Sinne und der Einbildungskraft bezeichnen, wie die, welche natürliche Dinge, Eigenschaften und Handlungen Gottes, Geister und der
|c61|gleichen betreffen. 2) Die, welche
so gar leicht falsche Nebenbegriffe erregen, wohin sonderlich bildliche Ausdrücke gehören,
vornemlich solche, die Gott und göttliche Dinge durch ähnliche bezeichnen sollen, als der Mißverstand in den Ausdrücken:
Beleidigung und
Versöhnung Gottes;
Gott hat alles zu seiner Ehre erschaffen, Gottesdienst, Furcht Gottes u. a.
3) Die vieldeutigen Ausdrücke, als
νόμος,
πνεῦμα,
ὑιοὶ Θεοῦ,
ἄγγελοι u. dgl.
62.
Die Schwierigkeiten vermehren sich zuvörderst durch die Menge sehr verschiedner Sprachen; und weil bey den Ausdrücken der einen Sprache nicht gerade die Vorstellungen zum Grunde liegen, |a56| welche zu den Ausdrücken in der andern Gelegenheit gaben: so ist es oft unmöglich, oft wenigstens schwer, den Ausdrücken in der einen, vollkommen angemessene Ausdrücke in der andern unterzulegen, oder zu verhüten, daß sich der Mißverstand aus einer nicht in die andere fortpflanze.
Beyspiele, wie viel Mißverstand hieraus entstehe, können 1) schon die unrichtigen, meist nach der Etymologie
eingerichteten, Uebersetzungen der Wörter
ἐκλέξασθαι und
ἐκλεκτοὶ Röm.
9 und an
|b69|derwärts,
ἀναξίως 1 Kor. 11,
27 (welches mit
μὴ διακρίνων τὸ σῶμα
τ. Κυρίου V.
29 und mit Matth. 3,
8 hätte
verglichen, und nicht unwürdig, sondern
unanständig oder
ungebürlich sollen gegeben werden
a√),
σκανδαλίζειν 1 Kor. 8. Röm.
14 (nicht: jemand ärgern, welches ein Mißfallen, sondern: ihm
Gelegenheit zur Versündigung geben, welches ein Wohlgefallen des
andern an unserm Betragen und eine Nachahmung
desselben, anzeigt), und der Redensarten der
heil.
Schrift
seyn, die Gott zum
Urheber des Bösen|c62| zu machen scheinen, welche durch die ähnlichen Ausdrücke Apostelgesch. 13,
29 und
K.
1,
18 mehr Licht erhalten. Noch mehr 2) die
unbestimmten, d. i.
solche Ausdrücke, deren Umfang nicht einleuchtend oder nicht angegeben ist, und welche daher in einer Sprache oft weiter oder eingeschränkter genommen
werden, als sie in der andern gebraucht sind. Zum
Beyspiel dienen die Wörter
θεοδίδακτοι Joh. 6,
45 und
θεόπνευστος 2 Tim. 3, 16, die nur zu oft auf unmittelbare Offenbarung und Einfluß eingeschränkt
werden; und
ἀπιστία, welches, ganz wider den Sprachgebrauch der
heil. Schrift, auch auf die ausgedehnt wird,
welche keine Kenntniß von den geoffenbarten Lehren erlangt haben.
|a57| 63.
Ausser dem giebts in mehrern Sprachen wieder besondere Gattungen, die entweder durch besondere Gegenstände der Erkenntniß, welche in der gemeinen Sprache nicht bezeichnet waren, oder |b70| dadurch nothwendig worden sind, daß man das Mangel- und c√ Fehlerhafte der gemeinen Sprache verbessern wollte. Solche Gattungen sind die Kirchen- und Gelehrten-Sprache; ja gewissermaßen hat jeder in seiner Art originelle Schriftsteller seine eigene Sprache. Hiedurch wird eine Sprache noch weitläuftiger, folglich noch schwerer, und selbst der Mißverstand kan dadurch zunehmen. Denn, weil dadurch die Bedeutungen Eines Ausdrucks vervielfältigt, und die Begriffe in der besondern Sprache von denen in der gemeinen Sprache verschieden werden: so wird auch die Verwechselung leichter. Ja selbst die Bestimmung, welche man in der besondern Sprache einem Ausdruck gegeben hat, ist oft dem Sprachgebrauch in der gemeinen, oder in einer andern besondern Sprache |c63| nicht gemäß, und bringt dadurch Mißverstand aus jener in diese.
So drückt
Person, als Suppositum intelligens erklärt, in der
c√ Lehre von der Trinität, und
Natur, dem Erlöser der Menschen
beygelegt, einen ganz andern
Begriff aus, als
Person im gemeinen Leben und
Natur in der Metaphysik. – So schließt
Zurechnung, wie es Paulus
Röm.
5 braucht, weder den
Begriff vom Urheber einer
freyen Handlung, noch
einmal den
Begriff von Strafe in sich, welches
beydes sonst an dem Worte hängt; und
φυσις Ephes. 2,
3 hat einen ganz andern Sinn, als wenn man in der Theologie
Natur und
Gnade|a58| einander
entgegengesetzt. – Selbst diese
zwey Beyspiele und die bekannten
Arianischen, Nestorianischen und Monophysitischen Streitigkeiten über
|b71| die Wörter
ὁμοoύσιος,
Θεοτόκος und
φῦσις können eine Erläuterung der
zweyten Hälfte des §. abgeben.
64.
Wenn nun die Bildung unseres eigenen Verstandes,
und die Lücken, Vorurtheile und falschen Wendungen
unserer Erkenntniß so sehr von
unserer Sprache
abhängen: so muß ungemein viel daran liegen,
– daß man die Sprache, worin man zu denken gewohnt ist, sorgfältig studiert habe, um dem
Mißverstand, der daraus entstehen
kan, auf die Spur zu kommen, und alle Vortheile zu
geniessen, die eine Sprache giebt;
– daß man selbst, wenn man es
kan, mehrere Sprachen so studiere, nicht nur um das brauchen zu können, was in solchen gesagt oder geschrieben wird, sondern auch um durch die eine die
andre mehr aufzuklären, und durch Hülfe der einen das Fehlerhafte
oder Unvollständige der andern zu
entdecken, und daraus möglichst zu
verbessern *) ; – daß man endlich den Fehlern sei
|c64|ner eigenthümlichen Sprache so viel abhelfe, als es ihre Natur und Verständlichkeit für die, welche sie ebenfalls brauchen, erlaubt.
a√
Anmerk.
1. Es ergiebt sich zugleich aus allem bisher
gesagten: 1) daß das Studium der Sprachen schon
an sich, als Sprachenstudium, auch abgesehen (nicht von den damit verknüpften Begriffen, sondern) von den
Sachen, die man durch Hülfe der Sprachen, als Zeichen von Vorstellungen, lernt, einen unglaublichen Nutzen habe. 2) Daß – vorausgesetzt: man treibt es mit jungen Leuten zu
|b72| den vorhin
angegebnen Absichten, und lenkt immer
darauf ihre Aufmerksamkeit – es die beste Vorbereitung zur Bildung des Geistes für künftige Gelehrte, und überhaupt für solche
sey, die sich einmal vorzüglich mit
Geistesarbeiten beschäftigen sollen. (
Vergl.
Rehberg in der Berlinischen Monatsschrift 1788, Februar,
S.
125
f.
und 1789, Januar,
S.
53
f.
c√) Dadurch wird das Gedächtniß geübt, gerade zu der Zeit, wo es die meiste Empfänglichkeit für aufgefaßte Eindrücke hat, und wo diese Gedächtnißübungen noch nicht durch die reitzendern Uebungen des bloßen Verstandes verdrängt oder verleidet sind. Es wird zugleich frühzeitig auf unsinnliche Dinge und solche Zeichen gerichtet, welche die Dinge nicht sinnlich darstellen, wodurch verhindert wird, daß man sich in
frühern Jahren nicht zu sehr an das gewöhne, was bloß vor die Sinne gebracht werden
kan. Durch die Bereicherung des Gedächtnisses bekommt man früh einen ansehnlichen Reichthum von Ideen, ohne
welchem Stoff zum Denken, Genie und Verstand nichts
vermag, und eben der Reichthum von Wörtern befestigt die Ideen und setzt den jungen Geist in den Stand, die dadurch ausgedruckten Begriffe zu behalten, sie sich geläufig zu machen, und Andern wieder mitzutheilen. Seiner natürlichen Flüchtigkeit wird dadurch
gesteuret, daß
bey dem Sprachstudium die Aufmerksamkeit auch mit auf Kleinig
|c65|keiten gelenkt, und die Seele
gewöhnet wird, diese überall mit in Anschlag nehmen zu lernen, und sich nicht bloß mit dem Auffallenden oder sich leicht Darstellenden zu begnügen. Ich wiederhole
|b73| hier die übrigen Vortheile nicht, die das Sprachenstudium gewähren
kan, welche sich
bey einer noch unverstimmten und feinerer Eindrücke empfänglichern
jugendlichen Seele wohl
eher, als
bey andern möchten erreichen
laßen.
Anmerk.
2. *) Wer jene Vortheile von dem Studium der Sprachen recht beziehen will, muß wenigstens
zwey oder
drey Sprachen eigentlich
studieren, und mit einander vergleichen lernen, solche Sprachen, die, wegen ihres gemeinschaftlichen Ursprungs oder Abstammung von einander, kurz, wegen ihrer Verwandtschaft, viel Eigenes gemein haben, wie die griechische und lateinische, und wieder
andre, die ganz in ihrer Bildungsart verschieden sind, wie jene und die morgenländischen Sprachen. Mag es seyn, daß Dinge, die sich überall auf
einerley Art den Sinnen zeigen, oder daß reine Verstandesbegriffe, von allen Menschen und Nationen überhaupt auf
einerley Art empfunden oder gedacht, also auch durch Wörter, die dem Ton oder der Schrift nach ganz verschieden sind, doch so ausgedruckt werden, daß alle, die das Wort verstehen, sich eben dieselbe Sache
dabey vorstellen: so gerathen doch manche Nationen oder einzelne aufmerksame, schnell oder fein empfindende
oder denkende Köpfe unter
ihnen, auf Vieles, woran
andere gar nicht denken.
Seltenere, oder unter verschiedenen Gestalten an
verschiednen Orten oder in
verschiednen Köpfen erschienene oder gedachte
Gegenstände, erwecken
bey Verschiedenen auch sehr verschiedene Begriffe. Und selbst gemeine oder all
|b74|tägliche Gegenstände bekommen in
veschiednen Köpfen durch die
verschiednen Umstände, unter welchen sie sich ihnen darstellen, und durch die verschiedene besondere Vorstellungskraft oder Art, Dinge zu bezeichnen, gleichsam eine ganz eigenthümliche Farbe, werden mit
mehrern oder
|c66| wenigern Nebenbegriffen, mit
feinern Bestimmungen, sinnlicher oder unsinnlicher gedacht, zumal je nachdem sich die Einbildungskraft mehr oder weniger einmischt, und der Reichthum von Begriffen größer oder geringer ist. Hieraus ist offenbar, daß durch das Studium
mehrerer Sprachen, und selbst origineller Schriftsteller, ganz neue Ideen erzeugt werden, oder doch schon bekannte Begriffe unter ganz
neue Gestalten erscheinen können, worauf wir erst durch die fremde Sprache sind aufmerksam gemacht worden; und je mehr
dies, was Einer Sprache eigen ist, in die andere übergetragen wird, und durch unsere Art zu denken und uns
auszudrucken wieder eine etwas veränderte Gestalt bekommt:
je mehr muß der Reichthum, und zum Theil die Bestimmtheit und
Fruchtbarkeit, unsrer Begriffe und Gedanken zunehmen. Es
kan also dieses Studium eine
vortrefliche Uebung dem Verstande gewähren, der dadurch geschmeidiger, und für Vieles empfänglicher
wird; ein Gewinn, der schwerlich durch etwas Anderes erlangt werden
kan, und augenscheinlich beweiset, wie vortheilhaft das Sprachenstudium schon
an sich sey. –
Was in der oben
bey §.
56. angeführten
allgemeinen Revision etc.
Theil 7.
S.
420
f.
und Theil 11.
S.
224
f.
dagegen gesagt ist, beruhet
theils darauf, daß immer Stu
|b75|dium der
Sprache als ganz abgesondert von der Erlernung der dadurch mitgetheilten
Begriffe von Sachen angenommen wird,
theils auf dem Wahn, als wenn sich Sprachkenntnisse nicht
ließen unterhaltend machen
c√,
theils auf einer anderen Einbildung, als wenn Kinder
alles unerträglich fänden, und nicht leicht fassen könnten, was ihnen
Zeichen darstellt, ohne zugleich die
Sache selbst darzustellen, wovon doch Musik und Mathematik
c√ das Gegentheil beweiset.
Anmerk.
3. Daß übrigens ein solches Sprachenstudium nichts weniger als bloßes
Geschäfte des Gedächtnisses, daß
|c67| es sehr schwer
sey, und keine gemeine Fähigkeiten und Uebungen, besonders eine sorgfältige Aufmerksamkeit selbst auf Kleinigkeiten, ein feines Gefühl, Geduld und anhaltenden
Fleiß, erfordere, also auch sein großer Nutzen, Leuten, die bloß auf sinnliche und unmittelbare Vortheile ausgehen, und den Werth der Geistesnahrung wenig oder gar nicht zu schätzen wissen, nicht einleuchtend
könne gemacht werden
c√, bedarf wohl kaum einer Erinnerung.
65.
Und weil unsre Neigungen ganz durch unsre Vorstellungen gestimmt werden, diese Vorstellun|a59|gen aber inniglich mit der Sprache verbunden sind: so muß die Sprache selbst über das Herz große Gewalt haben. Je edler ein Ausdruck ist, je anschauender er die Sachen darstellt, je fruchtbarer er ist, das heißt, je mehr Begriffe er erregt, die |b76| Licht, Anmuth und Interesse in die Vorstellung bringen, je passender, bestimmter und schöner er ist: desto mehr wirkt er aufs Herz; so wie hingegen unedle, verworrene, kraftlose, unschikliche Ausdrücke das Herz entweder kalt laßen, oder gar gegen die beste Sache einnehmen.
c√
66.
Alle Vortheile und Unbequemlichkeiten der Sprache
ergießen sich auch
2) (§. 60 ) in den Vortrag und die
Mit|c68|theilung der Gedanken an Andere. – Wie viele Irrthümer, unnöthige und
verworrene Untersuchungen, selbst wie viele Erbitterung und Argwohn, entstehen aus
bloßem Mißverstand, der in den Wörtern liegt? der eben sowohl durch unbequeme Ausdrücke
erregt, als von Andern aus ihnen geschöpft, und
hinwiederum durch schicklichere Wörter oder bestimmtere Erklärungen verhütet oder gehoben werden
kan. – Wie viel helfen deutliche und
unzweydeutige oder von falschen Nebenbegriffen
freye Wörter, bestimmte Erklärungen und
Classification der Dinge, die nur durch Wörter geschehen
kan, den
Begriff deutlich, und Sachen kenntlich zu machen, oder zu vergegenwärtigen? – Wie viel besser
drucken sich die Sachen durch bestimmte Wörter, durch bildliche Ausdrücke, durch
körnigte Sentenzen, dem Gedächtniß und der Einbildungskraft
ein? – Wenn der dunkle, ver
|a60|wirrte, matte und weitschweifige Vortrag, der immer mit von Armuth und Ohnmacht der Sprache herrührt,
den Leser |b77| oder Zuhörer ermüdet,
ihnen das Denken erschwert, und selbst die
vorgetragene Sachen verleidet: so unterhält die Deutlichkeit, die Fülle der Wörter und die gedrängte Kürze, die Aufmerksamkeit, und giebt den Sachen einen gewissen
Reitz, der die Theilnehmung befördert. – Und wie sehr erweckt der klare,
bestimmte und einleuchtende und gleichsam theilnehmende Ausdruck des
Redenden, auch das Vertrauen, daß er seine Sache verstehe, von ihrer Wahrheit überzeugt, und von ihrem Werthe durchdrungen
sey, ein Vertrauen,
das für die Wahrheit und
Treflichkeit des Gesagten den Zuhörer sehr einnehmen muß. – Wenn auch kein
Andrer so viel Ursache hätte, darnach zu trachten, daß er seiner Sprache mächtig würde: so sollte es der, der Lehrer der
|c69| Religion seyn will. Wäre auch der Schade so groß nicht, den der Lehrer sonst gegen seinen Willen stiften
kan: so thut er zur Empfehlung der Religion
bey weiten nicht so viel, als er könnte, wenn er mehr Kraft der Sprache in seiner Gewalt hätte.
67.
Sofern endlich
3) (§. 66. ) Sprachen der
Canal sind, durch den uns alle Kenntnisse
zugeführet werden, die wir von
Andern empfangen, sofern theilt sich uns,
|a61| je nachdem wir solche Sprachen genau oder obenhin verstehen, alles Gute und Nachtheilige mit, was diese Sprachen
bey sich führen. Denn, da dasjenige, was in der mittheilenden Sprache liegt, in
unsre eigene übergetragen wird, oder die
|b78| Begriffe, welche der Andere mit seinen Wörtern verknüpft, in
unsre eignen, immer an Sprache
gebundne, Begriffe verwandelt werden müssen: so
entgehet uns nicht nur, falls wir jener Sprache nicht recht kundig sind, das, was uns durch sie mitgetheilet werden könnte, und das Fehlerhafte jener Sprache schleicht sich mit in
unsre Sprache, und so mit in
unsre Erkenntniß, selbst oft in unser Herz; sondern wir selbst vermischen auch dieses Mitgetheilte, wenn es nicht schon
vor sich trübe ist, mit so
viel fremden Theilen aus
unsern Vorstellungen, daß es unmöglich rein zu uns kommen
kan. – Soll nun insbesondere ein Lehrer der Religion und des Christenthums seine Kenntnisse
vornemlich aus der heiligen Schrift schöpfen; soll er die kirchliche Theologie und die verschiedenen Meinungen über gewisse Lehren verstehen, und selbst das, was von seinen Vorstellungen abweicht, richtig beurtheilen; soll er in der Geschichte und sonst die Quel
|c70|len der Wahrheit gehörig benutzen: so muß er nothwendig
theils die Sprache
Andrer so studiert haben, daß er ihr Gutes und Fehlerhaftes genau kenne,
theils seiner
eignen Sprache so kundig seyn, daß er wisse, ob und wie weit sie mit jener übereinkomme, oder davon abgehe. Sonst ist Mißverstand durchaus unvermeidlich. Man bauet auf Ausdrücke der heiligen Schrift Meinungen und Theorien, an welche
|a62| die heiligen Schriftsteller nie gedacht haben, und giebt menschliche Irrthümer für göttliche Wahrheit aus, sieht
alles aus einem falschen
Gesichtspunct an, verwickelt sich in Wortstreit, und bestreitet oft
, was |b79| man dulden, oder fährt zurück vor dem, was man
a√ mit Dank annehmen sollte. Man erdichtet Begebenheiten und Meinungen, die nie gewesen sind.
c√
68.
Bey Erlernung der Sprachen überhaupt kommt alles an – auf genaue Sprachregeln, – auf vernünf|c71|tige Lesung guter Schriften in einer solchen Sprache – und auf eigne Uebung im genauern Uebersetzen, Schreiben oder Reden. – Daß die eigne Uebung dem Lesen nachstehen müsse, versteht sich von selbst. – c√ ⌇⌇c 1) In Absicht auf die Sprachregeln aber scheint es weder rathsam, sich damit allein oder weitläuftig aufzuhalten, ehe man irgend einen Anfang mit Lesen guter Schriften selbst macht: noch sie ganz auszusetzen, bis man erst eine Fertigkeit erlangt hat, Bücher in einer Sprache zu lesen, oder sich, wenigstens nothdürftig, darin auszudrücken, noch auch sie erst mit dem Lesen zu verbinden.
69.
⌇⌇c Das erste würde nicht nur, wegen Trockenheit dieser Beschäftigung, die Erlernung der Sprache sehr verleiden; es würden auch die Vortheile verlohren gehn, die aus Verbindung der Regeln mit dem Lesen entspringen, wobey man gleich die Regeln in der Anwendung, folglich auch ihren |a63| Nutzen, und die Art, wie sie anzuwenden sind, besser absieht. – Das zweyte ist noch schlimmer. Denn es ist unmöglich, recht sicher zu erklären,|b80| oder sich recht auszudrucken, wo man keine Regeln vor sich hat, nach welchen man es thut, und wonach man wieder in ähnlichen Fällen verfahren kan. Auch laßen sich angenommene Fehler viel schwerer hinterher ablegen, als gleich anfangs verhüten, und je länger man eine für die meisten wenig unterhaltende Beschäftigung aufgeschoben hat, je lästiger wird sie hinterdrein, zumahl wenn die Seele, durch fast stete Beschäftigung mit dem, was den Sinnen und der Einbildungskraft schmeichelt, verstimmt worden ist. Es ist auch nicht abzusehen, |c72| wie man bey dem Lesen um einer Sprache willen fortkommen könne, ohne das Allgemeine oder die Natur einer solchen Sprache vorläufig zu kennen, vornemlich wenn man eine Sprache vor sich selbst lernen muß. Wenigstens ists viel schwerer und unangenehmer, einzelne Beobachtungen in der Sprache zu fassen, und sie zu ordnen, wenn man noch nicht weiß wohin man sie beziehen, oder an welche allgemeine Begriffe man sie anreihen soll. Viel leichter ists auch, und man bekommt eher etwas Ganzes in der Sprache, wenn man Regeln, die in einer gewissen Beziehung und Zusammenhang unter einander stehen, in diesem Zusammenhang übersieht. Endlich wird selbst das Lesen weit angenehmer, wenn man aus den Sprachregeln gleich Grund anzugeben weiß, warum man die Wörter so oder so verstehen und verbinden müsse, und man gewöhnt sich mehr an eine philosophische Behandlung der |a64| Sprache, die dem denkenden Kopf eine gewisse Unterhaltung giebt, welche man bey der bloß mechanischen Behandlung |b81| derselben verliert. – Selbst die dritte Art, erst bey dem Lesen die Regeln sich beyläufig bekannt zu machen, ob sie gleich weit besser ist als jene beyden, hat den Nachtheil mit der zweyten gemein, daß das Lesen aus Mangel der nöthigen grammatischen Vorerkenntnisse sehr erschwert wird, und man den Vortheil der zusammenhängenden Einsicht der Regeln entbehrt. Es zerstreut aber auch zu sehr, wenn man bey dem Lesen bald auf einzelne Wörter und ihre Bedeutung in und ausser der Verbindung, bald auf ihre grammatische Bildung und Verknüpfung Acht geben muß.
Man wird hoffentlich nicht vergessen, daß hier eigentlich von der besten Art Sprachen zu lernen nicht für Kinder, son|c73|dern für Erwachsene, nicht zur Bildung künftiger Schwätzer, sondern künftiger Gelehrten, die Rede sey, sonderlich auf den Fall, wenn letztere vor sich Sprachen c√ lernen wollen. Bey solchen kann man ohnehin schon theils die Kenntniß der nothwendigsten Begriffe von Sprachen und Bekanntschaft mit Behandlung einer Sprache, theils eigenen Trieb und Lust zum Sprachstudium, voraussetzen; und dadurch fallen die Schwierigkeiten noch mehr weg, die man dem hier gesagten entgegen stellen möchte.
70.
Die
Mittelstraße würde also auch hier wohl die beste
seyn: wenn man erst die nothwendigsten Regeln einer besondern
Sprache sich bekannt machte, sich
alsdann gleich zur Lesung leichter Schriften
|a65| |b82| wendete, und
bey dieser theils auf die Anwendung jener Regeln sähe, theils das Uebrige von den
zurückgelaßenen Regeln gelegentlich nachholte. Zu diesem
nothwendigsten könnte man das eigentliche Lesen und die gewöhnlichsten Beugungen und Verbindungen der Wörter, sonderlich die gewöhnlichen Abänderungen der Nenn- und Zeitwörter und die allerersten Regeln
des Syntax rechnen. Nur müßte man die Regeln sich mit mehreren
Beyspielen, wodurch jene anschaulich würden, eindrücken, oder vielmehr sie aus solchen
Beyspielen abziehen, und, wenn man in einer solchen Sprache Anderer Unterricht
genießen könnte, sich in ähnlichen Formen nach solchen Regeln üben.
c√
|c74| 71.
Hätte man die nothwendigsten Sprachgesetze in seiner
Gewalt: so
wäre es Zeit,
2) (§. 68 ) gleich zur
Lesung der Schriften in einer solchen Sprache fortzuschreiten
a√, wodurch man das Meiste, auch in Absicht auf die Sprache, und
es aufs beste, lernen
kan. Das
Meiste; weil man,
ausser den Sachen,
Wörtern mit ihren
verschiednen Bedeutungen, Einschränkungen und
jedesmaligen schicklichsten Gebrauch,
*) weise Mannigfaltigkeit des Ausdrucks, Regeln einer Sprache, ihre Anwendung und ihre Ausnahmen, das Eigenthümliche einer Sprache mit ihrem Unterschied von andern, und die
verschiedentlichen Falten und Entwickelungen des menschlichen Geistes und Herzens, welche auf den Ausdruck
wirken, und durch ihn
veranlaßet|b83| werden,
zugleich kennen lernt.
Aufs beste;|a66| weil
Beyspiele immer deutlicher, unterhaltender und eindrücklicher sind, und der Umgang mit verständigen, rechtschaffenen und gesitteten Menschen
, folglich auch die Beschäftigung mit den Werken ihres Geistes, mehr zur Bildung
beyträgt, als allgemeine Regeln und Kenntnisse; weil erst durch das fleißige Lesen Sprachkenntniß etwas Ganzes wird; und weil selbst Regeln, so wie
einzelne Wörter und Redensarten, erst durch die Verbindung in Schriften recht deutlich
werden, und die nöthige Bestimmung und Abänderung bekommen.
*)
S.
die Gedanken vom Vocabellernen - - von
Martin Ehlers , Altona
1770
in 8.
72.
Die Frage:
Wie soll man Schriften aufs nutzbarste lesen? kommt
hier nur so weit in Anschlag, als durch die
|c75|ses Lesen
unsre Sprachkenntniß gebildet, das heißt, die Geschicklichkeit erlangt werden soll, eine Sprache wohl zu
verstehen, und sich darin
auszudrucken. In dieser Absicht muß man
zuerst auf
gutgeschriebene,
d. i.
solche Schriften sehen, worin eben so viel Fleiß auf den Ausdruck als auf die Sachen gewendet worden ist, die daher in ihrer Art
musterhaft oder
classisch heissen können;
hernach von den
leichtern zu den
schwerern,
d. i.
zu
solchen, fortgehen, die schon mehrere und reifere Kenntniß der Sprache erfordern, in der sie geschrieben sind.
|b84| Anm.
1. Ob man gleich gute Schriften auch, und meistens mehr, wegen der Sachen
lieset: so gehören doch Vorschläge, wie man sie in Rücksicht auf die Sachen zu lesen habe,
entweder mehr in eine Anweisung zur nützlichen
Lectüre überhaupt, oder in
|a67| den
Unterricht, wie Bücher zu benutzen sind, die
besondre Wissenschaften betreffen.
Anm.
2.
Gutgeschriebene Bücher sind
hier, im
weitern Verstande genommen, nicht bloß schöngeschriebene, sondern eben sowohl solche, die mit Klarheit und Bestimmtheit in der
Sache abgefaßt sind. In dieser Rücksicht
kan selbst das trockenste Buch
classisch seyn.
73.
Wenn sich unsre Sprache nach musterhaften Schriftstellern
und Schriften bilden
soll: so muß man nicht nur wissen,
welche, und wie
ferne sie, in Absicht auf Sprache, diesen Namen
verdienen? sondern man muß auch, falls sie dafür bekannt sind,
bey dem Gebrauch
solcher Schriften zu dieser Absicht, voraussetzen können, daß diese und daß die darin gebrauchten Ausdrücke durchaus von
dergleichen Schriftstellern herrühren. Hier liegt die Nothwendigkeit der
Kritik (im engsten Verstande), die einen Theil der Philologie
|c76| ausmacht.
Kritik ist überhaupt die Geschicklichkeit zu urtheilen,
oder das
Aechte vom
Unächten, dasjenige, was wirklich das
ist, wofür es gehalten oder ausgegeben wird, und was nur so scheint, zu unterscheiden; oder, als Wissenschaft betrachtet, der
|b85| Inbegriff der Grundsätze und Regeln, wonach sich unser Urtheil richten muß. In diesem
allgemeinen Verstande erstreckt sie sich auf alles Wahre, Gute, Schöne, Schickliche
u. d. gl.
und bekommt
besondre Namen, oder einen
eingeschränktern Verstand, nach den
verschiednen Gegenständen, womit sie sich beschäftigt. Daher ensteht eine
logische, morali|a68|sche, ästhetische, historische, philologische Kritik; wiewohl diese
verschiedne Gattungen oft in einander
fließen,
so fern die Gründe der Beurtheilung aus
verschiednen Wissenschaften entlehnt werden müssen; und
alsdann bekommt sie gemeiniglich den
Namen von
der Wissenschaft, die das
meiste dabey thut.
Anm.
1.
Philologische Kritik müßte sich eigentlich nur auf
Sprache erstrecken, also nur beurtheilen, ob der
Ausdruck in
der Sprache, in
dem Schriftsteller, in
der Schrift und in
der Stelle derselben, wovon die Frage ist,
ächt sey? müßte dann auch die Regeln begreifen, wonach dieses alles zu bestimmen wäre.
Und wer den Namen eines philosophischen Kritikers verdienen sollte, müßte nicht nur diese Regeln kennen, sondern auch die Kenntniß der Sprache, wovon die Frage wäre, die Geschichte ihrer von Zeit zu Zeit erfolgten Veränderungen, und des Schriftstellers, nebst der gehörigen Fertigkeit besitzen, diese
sämtlichen Kenntnisse auf einen vorliegenden Fall richtig anzuwenden, folglich auch zu entdecken, ob der Ausdruck in einer Stelle von Abschreibern oder angeblichen Verbesserern verdorben, und wie er wieder herzustellen
sey? Hingegen, ob eine
Schrift selbst|b86| ächt sey, die dem ver
|c77|meinten
Verfasser oder der Zeit, worein man sie setzt, in der That zukomme?
dies zu entscheiden,
gehörte vor
dem Richterstuhl der
historischen, oder, wenn man will,
literarischen Kritik
c√. Allein, weil man diese letztere Frage, wenn eigentliche entscheidende
Zeugnisse abgehen, oder zweifelhaft sind, nach
innern Umständen einer Schrift
c√ beurtheilen muß,
und zu diesen Umständen auch die
Sprache gehört, die oft den Verfasser oder die Zeit verräth: so rechnet man diese Kritik über eine
Schrift ebenfalls mit zum Gebiete der
philologischen Kritik.
Anm.
2. Man sieht
hieraus: daß, weil sich dieser
letztre Theil der philologischen Kritik auf den
erstern gründet,
Niemand recht über die
Aechtheit jener Schrift urtheilen könne, wer der Kritik des
Ausdrucks, oder der eigentlichen Sprachkritik, nicht mächtig ist.
Anm.
3. Manche nennen die Kritik der
Schriften, den
allgemeinen, und die Kritik ihres
Textes, den
besondern Theil der
philologischen Kritik, jene auch die
höhere, diese die
niedere, oder gar die
Wort-Kritik. – Bey jener Abtheilung und ihrer Erklärung aber
vergisset man die Kritik der
Sprache überhaupt, die ich im Anfang der ersten Anmerkung erwähnte, ohne welche man weder von
Aechtheit der Schriften noch ihres Textes urtheilen
kan. – Die Kritik des Textes ist auch keine bloße Kritik der
Worte; denn es können ja eben sowohl unrichtige
Sachen, als
Worte, verrathen, daß der Text verfälscht
sey. – Und den Unterschied
|b87| der
niedern und
höhern Kritik scheinen wieder Andere für
einerley mit dem bloß relativen Unterschiede der
gemeinen und
feinern Kritik zu nehmen, sie mag
Aechtheit der Schriften, oder ihres Textes, oder der Sprache
überhaupt, betreffen. Wenn man die
Aechtheit nach vorliegenden, zumahl sehr bekannten oder leicht
erkennbaren, Umständen,
z. B.
bey einer Schrift nur nach Zeugnissen gleichzeitiger
|c78| Schriftsteller, auffallenden historischen oder
Sprach-Fehlern, Spuren des Fehlers oder Mißverstandes in den Zügen oder Abtheilungen der Wörter,
Parallellstellen u. d. gl.
zu entdecken
vermöchte: so würde
dies gemeinere Kritik seyn;
feinere aber, wo Spuren des
Unächten verborgen liegen, und das
Aechte oder
Unächte nur durch sehr feine Beobachtung und eine Zusammenstellung mannigfaltiger
kleinen Umstände entdeckt werden könnte. So möchte diese
feinere Kritik mit sogenannter
Conjecturalkritik, wenn sie nicht bloß
räth und willkürlich verfährt, ziemlich
einerley seyn.
74.
Kritik im allgemeinern Verstande ist bey unsern eigenen Vorstellungen und Neigungen sowohl, als bey denenjenigen, die Andre uns mittheilen, folglich auch bey dem Gebrauch ihrer Schriften, schlechterdings nothwendig, wenn wir nicht betrogen werden, Schatten für Wahrheit ergreifen, und zu Irrthümern, Fehlern und Ausschweifungen verleitet seyn wollen. Hänget etwas vom Ansehen des Schriftstellers ab, – und dies |b88| ist der Fall, wenn wir uns müssen auf seine Einsicht und Recht|a69|schaffenheit verlaßen, ihn für Kenner, Gesetzgeber und Muster annehmen können: – so müssen wir vor allen Dingen gewiß seyn, daß eine Schrift, und daß namentlich der Theil derselben, an den wir uns halten sollen, wirklich von ihm komme. – Alsdann ist auch philologische Kritik a√ schlechthin unentbehrlich, weil die in seiner angeblichen Schrift gebrauchten Ausdrücke eben dasjenige sind, wodurch wir von ihm lernen; und es ungereimt seyn würde, eine Schrift erklären, oder gar etwas daraus beweisen zu wollen, ehe man nicht wüßte, daß etwas wirklich ein Theil einer solchen Schrift, und nicht untergeschoben sey.
|c79| Anmerk.
Wie nöthig die Kritik
bey dem Gebrauch der
heil. Schrift
sey, wird sich unten
bey der exegetischen Theologie besser zeigen
laßen.
75.
Aber deswegen ist es nicht nöthig gleich anfangs, bey dem Lesen einer Schrift um der Sprache willen, uns mit dieser Untersuchung zu beschäftigen. – Ausser dem daß dieses die wirkliche Benutzung einer Schrift ungemein aufhalten und verzögern würde; – ist es doch keine unwahrscheinliche Voraussetzung, daß eine Schrift, die das Zeugniß ihrer Zeitgenossen oder andrer Kenner vor sich hat, und daß deren einzelne Stellen und Ausdrücke ächt seyn, weil der Fälle weit mehr sind, wo ein so angegebner Verfasser es auch wirklich ist, |b89| als wo er es nicht ist, und weil eine Schrift selten so sehr unter Andrer Händen leidet, a√ daß nicht das Meiste übrig bleiben sollte. – Sehr oft beruht auch ihr Werth in Absicht auf Sprache nicht auf dem Ansehen ihres Verfassers, sondern auf ihrem Gehalt und ihrer Uebereinstimmung mit andern der besten Schriften in einer solchen Sprache. – Ueber dies erfordert diese Beurtheilung schon große Kenntniß einer Sprache, und wird daher besser bis auf die Uebungen in derselben aufgeschoben, die erst alsdann glücklich unternommen werden können, wenn man sich schon durch das fleißige Lesen der Schriften |a70| gebildet hat. Man setze also diese kritischen Untersuchungen lieber aus, begnüge sich mit andrer Kenner Nachrichten, und mit den reinesten Ausgaben von einer Schrift, und wende sich gleich zum Lesen c√.
c√
76.
Das
nächste, worauf man
bey diesem Lesen zu sehen hätte, wäre: den Ausdruck
verstehen zu lernen. Denn ohne dieses könnte man weder zur Kenntniß der in einer Schrift enthaltenen Sachen gelangen, die uns nur durch den Ausdruck mitgetheilt werden
können, noch würde man durch das Lesen einer Schrift in den Stand gesetzt werden, eine
andre in eben derselben Sprache verstehen zu lernen, oder jemals
eine solche Sprache
in seine Gewalt zu
bekommen. Aber der
gute Schriftsteller bedient sich nicht bloß einer
Sprache, er will auch das, was er darin sagt,
gut,
d. i.
so
|b90| ausdrucken, daß es sich dem Leser als
wahr, als gut, als gefällig darstelle, wenigstens daß es sich ihm
auf einer dieser Seiten empfehle; und, wie die Sprache Ausdruck der Seele ist, so ergießt sich seine gebildete Empfindung, Verstand und Gesinnung in den Vortrag, der davon seine ganze Farbe bekommt. Man muß daher gutgeschriebenen Schriften, selbst wenn man sie wegen der Sprache lieset, einleuchtende Vorstellung der Wahrheit, Empfehlung guter Gesinnungen, Annehmlichkeit des Vortrags, abzulernen, kurz, dadurch seinen Verstand, sein Herz und seinen Geschmack zu
bilden suchen. Dies nennt man das
kritische, so wie jenes, das auf den Verstand des Gelesenen
|a71| abzielt, das
philologische oder
grammatische Lesen einer Schrift.
|c81| Eine solche Anweisung enthalten, ob sie sich gleich nur auf ältere griechische und römische Schriftsteller einschränken:
- ⌇c
Joh. Aug. Ernesti Zuschrift vor der Ausgabe der Werke des Cicero .
-
⌇c
J. G. Sulzers Gedanken über die beste Art, die claßischen Schriften der Alten zu lesen, Berlin 1765
in 8. a√ in dessen vermischten Schriften Theil 2. S.
215 f.
wieder abgedruckt.
- Imm. Joh. Gerh. Schellers Anleitung, die alten Schriftsteller philologisch und kritisch zu erklären, zweyte Auflage, Halle 1783.
gr.
8.
c√
|b91| 77.
Bey der Absicht, eine Schrift
verstehen zu lernen, möchte
alles auf folgende Regeln
ankommen. 1) Man bemühe sich zuerst, die bestimmte Bedeutung
einzelner Wörter und Redensarten recht einzusehen, nach ihrem Umfang, auch Nebenbegriffen, Einschränkung und Unterschied von
andern, die eben dasselbe zu bedeuten scheinen. Giebt der Schriftsteller die Bedeutung nicht selbst durch Erklärung, Gegensatz, gleichbedeutende Wörter,
Beyspiele oder Verbindung an, und kennen wir keine
andre ähnliche Stellen desselben, die ein Licht auf das, was wir suchen, werfen
könnten: *) so müßte man entweder, zumal wenn die Sprache noch lebendig ist, sich
bey denen erkundigen, die feine Kenner einer solchen Sprache sind, oder man müßte gute Wörterbücher, Claves, Wörterregister und Ausleger zu Hülfe nehmen,
bey ihrer Wahl
aber,|a72| und um sie mit Sicherheit brauchen zu können, wohl darauf
acht geben, ob sie die Bedeutung be
|c82|stimmt angeben, und die Richtigkeit derselben, wo sie zweifelhaft seyn
kan, mit angemessenen deutlichen Stellen oder Beweisen belegen.
*)
Beyspiele sind im
N. T.
von erläuternden
Erklärungen,
πιστις Ebr. 11,
1,
μετανοια 2 Kor. 7,
10 vergl.
mit
V.
11. Von dergleichen
Gegensatz 2 Kor. 10, 4. Röm. 9, 18. Von
gleichbedeutenden Wörtern und Redensarten, 1 Kor. 10,
24. οἰκοδομεῖν und
συμφέρειν, so wie 1 Petr. 5,
8 durch
παθήματα V.
9. vergl.
mit 1 Thess. 2,
14,
|b92| erklärt wird, und Röm. 9,
1. die
Betheurungs-Formel:
ἀλήθειαν λέγω ἐν Χριστῶ beweiset, daß
ἐν Πνεύματι ἁγίω zu
οὐ ψεύδομαι gezogen, und auch für eine solche Betheurung genommen werden müsse. Erklärungen durch
Beyspiele sind Luc. 18,
1. vergl.
mit
V.
2 f.
Kap.
15,
10. μετανοεῖν mit
V.
11
f.
; durch die
Verbindung oder den Context Ephes. 2, wo
νεκροὶ V.
1.
V.
3. ὑιοὶ ὀργῆς
heissen,
ἐκλεκτοί Röm. 8,
33. eben daselbst
V.
28.
ἀγαπῶντες
τ. Θεὸν,
ὑπακοὴ πεπληρομένη 2 Kor. 10,
6 gleich nachher
V.
15 πίστις αὐξανομένη.
Beyspiele von Erklärungen aus
ähnlichen Stellen sind bekannt genug.
78.
Man müßte 2) wohl auf die Verbindung und Ordnung der Wörter
Acht geben, als worauf
vornemlich das Eigenthümliche einer Sprache beruht, und sowohl die wahre Bedeutung
einzelner Formeln bemerken, als in
wieferne eine gewisse Verbindung oder Stellung der Wörter und Redensarten, des Sinnes wegen, oder nur den Ausdruck deutlicher oder angenehmer zu machen, gebraucht
sey. Gute Sprachlehren
und
andre Bücher, wel
|a73|che die Idiotismen einer
|c83| Sprache erklären, oder die Gründe der Sprachregeln untersuchen, können
dabey große Dienste thun.
79.
Es
würde ferner 3) nöthig seyn, stets dahin zu sehen, daß man nicht bloß den Wörtern und
|b93| Redensarten, die man verstehen lernen
wollte, andre Wörter
unterlegte, sondern sich auch wirklich Begriffe von dem
machte, was jene
ausdrucken. Leicht
wäre dieses, wenn wir einen solchen Ausdruck in einen uns
geläufigern, der ihm völlig
entspräche, verwandeln, und so den uns schon gewohnten Begriff, der damit verbunden ist, erneuern
könnten. Wäre
dies aber nicht, und bekäme ein Ausdruck eine
der Sprache oder
dem Schriftsteller
eigene Bedeutung
daher, weil er sich auf
besondre Meinungen, Gewohnheiten, Begebenheiten
u. d. gl.
bezöge: so müßte man sich vorher diese bekannt machen, oder diejenigen zu Rathe ziehen, welche dergleichen Umstände und darnach gebildete Ausdrücke aufgeklärt
hätten.
Von dieser Art sind die Namen der öffenlichen
Bedienungen Consul, Dictator
etc.
die
calumnia religionis
bey Cicero
epist. ad
diuers. I, 1. Die Ausdrücke in seinen philosophischen
Schriften, welche aus der akademischen, stoischen
etc.
Philosophie entlehnt
sind, u. dgl.
Im
N. Test.
die Wörter
πραιτώριον (anders Matth. 27,
27, anders Phil. 1,
13,) στρατοπεδάρχης,
Ἀσιάρχαι,
νεωκόρος von einer Stadt gebraucht,
Γραμματεῖς (anders in Asien, Apostelgesch.
19, anders zu
Jerusalem,) σπένδομαι,
ἅδης,
δαιμονιακοὶ,
ἡ οἰκουμένη
ἡ μέλλουσα Ebr. 2,
5. τὰ ἔθνη,
ὁ
κόσμος,
στοιχεῖα του κόσμου u. a.
|a74| |c84| 80.
Weil man aber sehr wohl
einzelne Wörter verstehen
kan, ohne deswegen den ganzen Satz zu
|b94| verstehen, der aus ihnen zusammengesetzt
ist *) ; auch viele
Wörter **) , ja ganze
Sätze ***) , neue bestimmte Bedeutungen in einer Stelle durch die Verbindung mit andern zu einem ganzen Satz
bekommen; und sehr oft Ein Wort nicht geradezu mit Einem Wort aus einer
andern Sprache vertauscht werden
kan, sondern nur der Sinn im Ganzen
ausgedruckt werden
muß †) ; so wie bisweilen – und das ist der Fall der
Allegorie – anstatt einer Sache, die eigentlich
ausgedruckt werden sollte, eine ihr ähnliche gesetzt
wird ††) , folglich die gemeinte Aehnlichkeit aufgesucht werden muß; so muß man sich auch 4) bemühen, den
Sinn des ganzen Satzes, oder mehrere in Eins
verbundne Sätze im
Ganzen, und das in der Allegorie liegende
Eigentliche, zu denken. Gute,
freye, aber
genaue Uebersetzungen und eben dergleichen Umschreibungen sind hier für den, der es noch selbst nicht vermag, die besten Hülfsmittel.
S.
die
zwey unschätzbaren Programmen von S. F. N. Morus a√ de discrimine sensus et significationis in interpretando, Lips. 1777.
4. und Progr. quibus caussis allegoriarum interpretatio nitatur, Lips. 1781.
4.
Jenes ist das zweyte, und dieses das zwölfte in s.
Diss. theolog. et philologicis, Lips. 1787.
in 8.
*)
Z. B.
Luc. 21,
19. κτήσασθε
τ. ψυχὰς ὑμῶν ἐν τῇ ὐπομονῇ (seyd standhaft, so werdet ihr euer Leben retten); K.
12,
21. εἰς Θεὸν πλουτεῖν (seinen Reichthum nach Gottes Willen anwenden).
|b95| **) Als
ἀποθανεῖν (aufhören zu sündigen) Röm. 6, 7.;
ὡς ζῶντες ἐν Κόσμῳ,
δογματιζεσθε (ihr hängt noch an |c85| willkürlichen Gesetzen, als lebtet ihr noch im Judenthum,) Kol. 2, 20. Dieses gilt besonders von den Emphasen, als
1. Kor. 9, 16.
ἐυαγγελίζεσθαι, (das Christenthum lehren, und sich dafür bezahlen lassen) vergl.
mit
v.
17 u.
18[.]
***) Als Luc. 6, 34 (von Ausleihen aus Gewinnsucht).
|a73[!]| †)
Z. B.
1 Kor. 10, 29.
ἵνα τί ἡ ἐλευθερία μου κρίνεται u. s. w.
(Warum soll ich mich nicht meiner Freyheit bedienen, ohne erst zu fragen, ob ein Anderer Etwas für erlaubt hält?) vergl.
mit
v.
30. zumahl wenn gewisse uneigentliche Ausdrücke in der Sprache, wohin wir sie aus einer andern übertragen müßten, ungewöhnlich sind, als Luc. 1, 69.
ἤγειρε κερας σωτηρίας
ἡμῖν
(Er hat uns einen Erretter geschenkt); Röm. 13, 14.
ἐνδύσασθε u. s. w.
††) Als Matth. 6, 22. 23. Joh. 4, 35
f.
81.
Beynahe das Schwerste würde 5) die Vergleichung der Sprache seyn, woraus, und der, worein wir übersetzen. Denn bey den vorigen Beschäftigungen, eine Schrift verstehen zu lernen, wär' es allenfalls genug, den richtigen Sinn unterzulegen, oft müßte man damit auch zufrieden seyn; hier aber müßte man eine Sprache der andern aufs möglichste anschmiegen, welches bey Idiotismen selten möglich, vornemlich aber bey|b96| Schriftstellern, die recht eigentlich in ihrer Sprache und sie rein schreiben, oder gar eine eigenthümliche Art des Ausdrucks haben, sehr schwer auszudrucken ist. Ohnehin muß man der Sprache, in die man übertragen will, und aller ihrer Feinheit und Beugsamkeit, der sie fähig ist, sehr kundig und mächtig seyn. Der vornehmste Nutzen einer so genauen Uebertragung bestünde denn wohl in der Ueberzeugung, daß man das, was jene Sprache ausdruckt, genau aufgefaßt hätte, und in der Bereicherung oder |c86| Vervollkommnung unserer Sprache durch jene. Weil es uns indessen bey dem Verstehenlernen zunächst nur um den Sinn zu thun ist: so könnte dieser schwerere Versuch wohl besser über das Lesen guter Schriften c√ hinaus verschoben werden.
|a76| 82.
Hätte man nun einen guten Schriftsteller
verstanden (§. 76. ) so
müßte man ihm auch den guten Ausdruck und Vortrag
abzulernen suchen; und dies muß
c√ die Absicht seyn,
wenn man
wohl geschriebene Schriften zur Bildung des
Verstandes, des
Geschmacks und des
Herzens lieset. Zur Bildung des
Verstandes geschieht dieses, – wenn man die Wahrheit dessen, was er sagt, es
sey bey allgemeinen Sätzen oder
bey Erzählungen, prüft, und bemerkt, worin die Stärke oder die Fehler dessen, was er zur Unterstützung einer Sache sagt,
bestehn; – wenn man
Acht giebt auf
alles, was zur Kenntniß der Menschen und der
|b97| Welt,
und zur Kenntniß des Ganges
dient, den die göttliche
Vorsehung und den die Menschen
bey ihren Handlungen nehmen, um gewisse Absichten zu
erreichen: – wenn man, um jene Ueberzeugung von Wahrheit zu erlangen, auf Ursachen und Mittel, Folgen und Absichten der vorgefallenen Sachen studiert;
– wenn man alles dieses, durch Anwendung und Folgerungen, zur Aufklärung der Wahrheit, zur vernünftigen Beruhigung und zur Beförderung eines klugen Betragens gebraucht. Ohne diese Rücksichten und Uebungen
kan das Lesen auch der besten Bücher wenig
helfen; es unterhält allenfalls auf eine kurze Zeit, bereichert das Gedächtniß, verleitet zur blinden
Nachahmung, den Verstand
c√ bildet es nicht.
|c87| Auch das, was in der
mehrmahls angeführten
Allgemeinen Revision, Theil 11.
S.
84
f.
wider die Geistesbildung durch das Sprachstudium überhaupt, und
S.
196
f.
wider die Geistesbildung zu einem Gelehrten insbesondere, gesagt wird,
kan dem hier Gesagten nicht entgegengesetzt werden.
Ausser dem schon oft gerügten Irrthum, als wenn Vergleichung
Einer Sprache mit der
Andern weiter nichts
sey, als Umtauschung verschiedener
Töne oder
Schriftzeichen gegen andere, die gerade eben dasselbe ausdrückten, ist hier nicht die Rede vom Studium des bloßen
Sprachbaues und
Sprachgebrauchs, sondern von dem Nutzen, den die
Lectüre guter Schriftsteller gewährt, in
so ferne diese
Sachen gut
vortragen.
|b98| 83.
So fern indessen das Lesen zur Bildung des
|a77| Ausdrucks nach guten Schriftstellern unternommen werden
sollte, müßte vornehmlich darauf die Aufmerksamkeit
gerichtet werden, wie ein solcher Schriftsteller das, was er gesagt,
dargestellt und
eingekleidet,
d. i.
in welches Licht er es gesetzt
hätte, um den Leser zu
überzeugen, wie
c√ es angelegt, um ihn dafür
einzunehmen; in
jener Absicht also, wie er
z. B.
seine Sätze bestimmt, durch Beweisgründe unterstützt, durch angegebene und hervorgezogene Umstände glaublich gemacht, in
dieser aber, wie er, was er empfehlen will, eindrücklich zu machen, wovon er aber abziehen will,
abschrecklich vorzustellen, oder zu verbergen, oder zu mildern gesucht habe. Alles dies
kan der Schriftsteller durch deutliche oder sinnliche Vorstellung zu erreichen suchen. Das
erste gehört zum Gebiete des
Verstandes,
daß letztre mehr zum Gebiete des
Geschmacks.
Beyder Gränzen laufen aber oft so in einander, daß sich die Regeln, wie man Schriften lesen soll, den Verstand und |c88| Geschmack zu bilden, nicht wohl trennen laßen. Vieles also, was noch zu jener Absicht zu bemerken wäre, ist erst in folgender Anweisung enthalten, wo man Rücksicht auf Bildung des Geschmacks genommen hat.
84.
Wer durch Lesung guter Schriftsteller seinen
Geschmack bilden
wollte, müßte 1), um keine
|b99| Schönheit in der Darstellung zu
übersehn, und sich durch das, was leichter zu übersehen ist, an das zu gewöhnen, was schon feinere Empfindung und mehrere
|a78| Fassungskraft erfordert, mit dem Einfachern anfangen, und zum Zusammengesetztern fortgehen, erst
einzelne Stellen in dieser Rücksicht studieren, und
alsdann immer weiter schreiten, bis er das Ganze, sowohl nach der schönen Anlage der Theile, woraus es zusammengesetzt ist, als nach der Schönheit, die ein Theil dem andern mittheilt, übersehen
könnte.
Er müßte 2) ein jedes, kleinere oder
größere, Ganze, von aller Form entkleiden
c√, um den Hauptgedanken zu finden,
und zu entdecken, durch welche Einschränkungen, Erläuterungen,
Beyspiele, Bilder, Gegensätze
u. d. gl.
und wie er dadurch
einleuchtend, interessant und gefällig
dargestellet worden
sey. 3)
Nächstdem stets darauf
Acht c√ geben, wie der Schriftsteller auf die Gedanken gekommen, und
woher er das
geleitet habe, was er zur Ausbildung der Hauptsache gethan; wie er die gefundenen Sachen
ausgedruckt; und wie er
alles so gestellt habe, daß jene Absichten aufs beste erreicht werden
konnten.
Man müßte 4) den Gründen nachspüren, warum gerade
die Ausführung,
der Ausdruck und
die Stellung beobachtet
wäre, und was dieses alles für Wirkung auf das Ganze
thäte. Man müßte endlich
5), um den
großen Unterschied des Schönern
|c89| und Schlechtern zu begreifen, und die Mannigfaltigkeit oder die
vielerley Arten, wie man die Darstellung einer Sache abändern
kan, kennen zu lernen, ähnliche Stellen oder Schriften eines sol
|b100|chen Verfassers oder
Andrer zusammenhalten, und bemerken, was jede nach ihrer besondern Absicht Vorzügliches in der Darstellung vor der andern gleiches Hauptinhalts habe, und worin der Grund dieses Vorzüglichen liege.
|a79| 85.
Zur Verbesserung des
Herzens und unserer ganzen
Gesinnung wird das Lesen guter Schriftsteller vieles
beytragen, wenn man 1) nicht nur dasjenige bemerkt, was sie unmittelbar zu dieser Absicht
alsdann sagen, wenn sie von Sachen reden, die Gott, Religion und Tugend
betreffen, wenn sie den Werth und die guten Folgen der letztern, nebst Ehrfurcht und Liebe gegen Gott, es
sey durch Gründe oder Erfahrungen oder
Beyspiele, empfehlen, sondern auch 2) das, was in ihrem
Vortrag liegt, und daraus gezogen werden
kan, zur Kenntniß und Ueberzeugung von Gottes
Vorsehung, zur Kenntniß des menschlichen Herzens und menschlicher Leidenschaften, der Mittel, diese zu lenken und jenes zu verbessern, zur Ermunterung zu allem Guten, braucht, und
3) –, welches hier
bey der Sprache besonders in Anschlag kommt – wenn man auf
den Ausdruck
acht giebt, und
den ihnen abzulernen sucht, wodurch edle und gute Empfindungen können bezeichnet, und so in uns befestigt oder erweckt oder eindrücklich gemacht, und gute Nebenbegriffe erregt werden, die das Gute, vermittelst der Einbildungskraft, auch unserm Herzen
empfehlen (§.
60 und
65. ).
|b101| |c90| 86.
Freylich erfordert ein so
c√ ausführliches Lesen guter Schriften viele
Zeit, die so sehr ins Kleine gehende Aufmerksamkeit wird von dem Ganzen abgezogen, und dem, der noch nicht weit in einer Sprache gekommen ist, muß es schwer, oft un
|a80|möglich werden, so tief in das Schöne des Ausdrucks einzudringen. Aber, –
ausser dem, daß der Schriftsteller nur
wenige sind, die in Absicht auf Ausdruck und Sprache musterhaft
heissen können, und daß anhaltende Uebung uns mit der Zeit in den Stand setzt, den guten Ausdruck schneller zu bemerken, auch Unterricht und Leitung von einem in solcher
Lectüre Geübtern, die Aufmerksamkeit und das Fortschreiten hierin unendlich erleichtern
kan: – so hilft wiederholtes sowohl als cursorisches Lesen eines guten Schriftstellers diesen Unbequemlichkeiten sehr ab, und befördert nicht nur die Uebersicht des Ganzen, sondern gewöhnt uns auch mehr an den ganzen Ton des Schriftstellers, und macht uns mit dem, was ihm eigen ist, macht uns mit Stellen desselben bekannt, die über Sachen und Wörter Licht ausbreiten können.
*)
*) S.
Joh. Matth. Gesners Vorrede zum Livius
nach Clerici
Ausgabe,
Leipz. 1735.
in 8. und
J. A. Ernesti zur Fischerschen
Ausgabe der Werke des Ovidius
,
Leipz. 1758.
8.
87.
Auf das Lesen guter Schriftsteller in einer Sprache müssen
3) (§. 68 und 71. ) die
Uebun|b102|gen in der Sprache folgen,
wobey man immer wieder vom Leichtern zum Schwerern fortgehen müßte. Diese Uebungen bestehen im
Uebersetzen, Schreiben und allenfalls
Reden,
|c91| womit noch die
Beschäftigung mit den feinern Sprachregeln und mit der
Kritik im engsten Verstande (§.
74. ) könnte verbunden werden
ac√. Das
Uebersetzen ist unstreitig das Leichteste, weil man
|a81| durch das Lesen guter Schriften schon zubereitet, und seiner Sprache, in die man übersetzt, mächtiger ist als einer fremden, also leichter fremden Wörtern seine, als seinen die Wörter einer fremden Sprache unterlegen
kan,
die uns weniger als
die unsere geläufig ist.
Bey einer solchen Uebersetzung
müßte, noch mehr als
bey dem Lesen, darauf
gesehen werden, das, was in der fremden Sprache geschrieben ist, nicht nur aufs genaueste
auszudrucken, sondern auch, so weit es die Natur
unsrer Sprache
erlaubt, und nicht auf Unkosten ihrer Deutlichkeit oder ihrer Vorzüge vor einer fremden,
unsre der fremden anzuschmiegen.
c√
88.
Viel sichrer ist es auch, sich eher im Schreiben als Reden zu üben, weil man mehr Zeit hat bey dem Schreiben bedächtig auszufeilen, und, wenn man zumal vorher über|c92|setzt, und das Uebersetzte eine Zeitlang weggelegt hat, die Wörter und Wendungen der fremden Sprache uns leichter beyfallen. – Zwar ist die Uebung im Schreiben nicht bey jeder fremden Sprache nöthig, wenn wir sie nur |b103| verstehen lernen wollen. Aber nützlich kan sie doch immer seyn, theils, um bey der Kritik besser beurtheilen zu können, ob ein Schriftsteller wohl so oder so könne geschrieben haben, wie man es in seinem Text findet, theils, um das Eigenthümliche einer jeden Sprache und den Unterschied von der unsrigen besser einzusehen. c√ – Findet man nöthig, auch eine Sprache sprechen zu lernen, so unter|a82|nehme man es nur nicht eher, als bis man eine Fertigkeit hat, sie gut zu schreiben, weil man sich sonst zu leicht Nachläßigkeit im Ausdruck angewöhnt, und das, was unsrer Sprache eigen ist, in die fremde überträgt; wenigstens müßte man nur mit solchen sprechen, die eine genugsame feine Kenntniß der fremden Sprache besitzen, um unsre Fehler verbessern zu können. Je früher man zu sprechen anfängt, ohne durch das Lesen guter Schriftsteller genug gebildet zu seyn, je mehr werden uns die Fehler im Sprechen anhängen, und je schwerer werden sie sich ausrotten laßen.
c√
89.
Bey allen diesen Uebungen versteht sichs, daß man immer vom Leichtern zum Schwerern fortgehen, sonach auch im Lesen, Uebersetzen, Schreiben und Reden anfänglich nur auf das Gewöhnlichere und auf die Reinigkeit der Sprache, nach und nach erst auf ihre Feinheit und Zierlichkeit, auf |c93| die verborgnere Güte des Ausdrucks, und auf die Schönheit, die sich durch das Ganze ergießt, Acht geben müsse. Sind in einer Sprache Schriften vorhan|b104|den, welche die besondere Feinheit einer Sprache entwickeln, oder feine Kritiken über das Schöne musterhafter Schriftsteller enthalten: so kan das fleißige Studieren solcher Schriften, noch mehr aber der musterhaften Schriften in einer Sprache selbst, und die sorgfältige Vergleichung solcher Stellen, wo diese oder andre die nemlichen Gedanken verschiedentlich ausdrucken, nebst dem Nachdenken, warum und worin eine Art |a83| des Ausdrucks die andre übertreffe, uns in Entdeckung des Feinern in einer Sprache sehr weit bringen.
90.
Und nun erst könnte man sich an die Kritik im engsten Verstande wagen, wenn man den Beruf dazu hat. Diesen giebt nur – ein feines Gefühl – eine weitumfassende genaue und geläufige Kenntniß der Sprache – und ein reicher Vorrath von historischen Kenntnissen, welche den Verfasser, oder seine Schrift, oder die darin vorkommenden Hindeutungen auf Geschichte, Verfassung und Umstände seiner Zeit und Nation, und der erwähnten Personen und Sachen, betreffen. Hierzu muß aber nothwendig noch kommen: – Bekanntschaft mit alten Handschriften, mit ihrer Schrift, und den mannichfaltigen Ursachen der Verdorbenheit eines Textes, die darin sowohl, als in den Umständen und Absichten der Abscheiber oder Correctoren liegen; – lange und fleissige Uebung, theils im Umgang mit guten Kritikern und Beobachtung ihrer Verfahrungsart, theils durch eigene Versu|b105|che bey einem solchen Schriftsteller oder |c94| Texte, wo Fehler und die Art sie zu verbessern leicht aufzufinden sind, theils in Auffassung sichrer Regeln der Kritik, aus beyderley eben erwähnter Uebung; – endlich vertraute Bekanntschaft mit der Schrift, bey der man die Kritik üben will, und anhaltendes ins Feine gehende Studium einer solchen Schrift und andrer eben desselben Verfassers, mit dem was ihnen eigenthümlich ist.
Für den
Anfänger sind solche
Bücher, wie
- Jo. Clerici Ars critica, Edit.
4. Amst. 1712
in 3 Oktavbänden, im dritten Theil.
- Christoph. Aug. Heumanni Parerga critica, Jenae 1712
8.
- Elémens de Critique – – par l'Abbé Morel , à Paris 1766
in gr.
12, und vorzüglich - Gasp. Scioppi de arte critica, Amst. 1662
in 8,
c√ immer
gut genug. Wer weiter
gehn will, muß solche Kritiker, die in ihren
vorgeschlagnen Verbesserungen
vorsichtig sind, und die in dem §.
bemerkten Erfordernisse besitzen,
als
Nic. Heinsius ,
Joh. Friedr. Gronov , vorzüglich
Bentley ,
Hemsterhuys ,
Valkenaar ,
Markland ,
Ruhnken ,
F. W. Reitz ,
F. A. Wolf u. d. gl.
nebst manchen Sammlungen kritischer Bemerkungen, als
Gruters Thesaur. crit. zum Theil,
Toup Opuscula crit., die
amsterdamische Biblioth. crit. u. s. f.
mit den
Gründen, die |b106| sie für versuchte Aenderungen
angegeben haben, und, wenn er es haben
kan, alte Handschriften, neben diesen aber, oder wenn er dazu keine Gelegenheit hat, solche Werke
studieren, die eine Sammlung
verschiedner Schriftarten und Züge enthalten, als die
- |a84| Palaeographia graeca – – opera et studio Bern. de Montfaucon , Paris. 1708.
Fol.
- De re diplomatica libri VI. – – op. et st. Joh. Mabillon , Edit.
2. Lut. Paris. 1709.
Fol.
und noch mehr den
- Nouveau traité de Diplomatique – – par deux Religieux Benedictins, (Charl. Franc. Toustain et René Prosp.|c95| Tassin ,) à Paris 1750–1765.
in 6 Bänden in gr.
4. (übersetzt:
Neues Lehrgebäude der Diplomatik, Frankfurt 1759–69.
9 Bände in gr.
4.)
- Joh. Christoph Gattereri Elementa artis diplomaticae, Vol.
prius, Goetting. 1765.
in 4. und andere ähnliche. a√
91.
Sprachen zu lernen ist nöthig,
entweder weil wir sie
bey unserm
eignen Denken und den Fortschritten darin nicht entbehren können,
oder Andern unsre Gedanken und Gesinnungen mitzutheilen,
oder vermittelst der Sprachen uns
Anderer Kenntnisse und
Leitungen zu Nutz zu machen
|b107| (§.
59 f.
). Dieser
dreyfache Nutzen der Sprachen und der
mehrere oder
mindere Einfluß einer Sprache auf die Beförderung
unsrer Haupt- oder Nebenabsichten
bey dem Beruf, dem wir uns widmen, muß uns stets
leiten, wenn die Frage ist:
welche Sprachen wir lernen, und auf welche wir uns
vorzüglich legen
|a85| müßen? – Hiernach, und vorausgesetzt,
theils, daß hier eigentlich auf die Bildung zu einem künftigen Lehrer der Religion und zu einem Gelehrten zu sehen
sey, theils, daß die christliche Religionskenntniß aus der richtig
verstandnen heiligen Schrift geschöpft werden müsse,
theils, daß eine Sprache um so vorzüglicher zu treiben
sey, je zu mehreren der
drey erwähnten Absichten sie nöthig
ist: würden
– die
Deutsche, – die Lateinische,
– die
Griechische, – die
Hebräische, – und, um der
letztern willen, die mit ihr verwandten Mundarten – sonst aber die
Französische, – Englische – und allenfalls die
Italiänische, bey dem, der sich der Theologie widmet, in Anschlag kommen müssen.
|c96| Die vier ersten – und zwar in der Ordnung, wie sie hier angegeben worden, – sind ihm unentbehrlich; die andern können, nach verschiednen weitern oder eingeschränktern Umständen und Absichten, nöthig, sonst wenigstens doch unter den übrigen Sprachen die nützlichsten seyn.
92.
Der
deutschen, so wie der Muttersprache überhaupt, sollte der vorzüglichste Fleiß gewidmet
|b108| werden.
– Es ist schon
unnatürlich, mit seiner Muttersprache, oder mit der,
die, unsern Umständen
nach, ihre Stelle vertritt,
d. i.
in der wir
gemeiniglich denken, weniger bekannt zu
seyn, und
es ist Undank gegen die göttliche
Vorsehung, die uns gerade mit
der Nation, wozu wir gehören, in die nächste Verbindung gesetzt,
uns, vornemlich zu
ihrem Besten
|a86| zu
arbeiten, bestimmt hat.
– Hängt die Bildung unsrer Seele von der Sprache
ab: so erfordert unstreitig
die Sprache unsre meiste Aufmerksamkeit, in der wir gewöhnlich und am meisten
denken – und die wir auch
bey denen, mit welchen wir am häufigsten
umgehn, oder welchen wir in der Religion weiter forthelfen müssen, am meisten brauchen.
– Sind wir in dieser Sprache, die für uns die unentbehrlichste ist,
zurück; wer
kan sich da des Verdachts
erwehren, daß wir es in minder nothwendigen Kenntnissen noch mehr seyn werden? wenigstens, daß wir die Wahl zwischen dem
Nöthigern und
Entbehrlichern nicht zu treffen wissen?
Man kan sich von dieser vorzüglichen Nothwendigkeit auch noch mehr überzeugen, wenn man die deutsche Sprache gegen fremde überhaupt, und besonders gegen alte und ausgestorbene Sprachen hält.
|c97| 1. Durch die Muttersprache erhalten wir
unsre ersten Begriffe, welche
dadurch, und durch den häufigen
Gebrauch, sich nicht nur am geschwindesten in der Seele
darstellen, und die Schnelligkeit im Denken befördern, sondern auch anschaulicher und lebendiger werden, als durch
Wörter einer
fremden Spra
|b109|che, die erst, vermittelst der Wörter in der Muttersprache, Begriffe erregen können. Und immer können wir
Aufklärung, und was davon abhängt, allgemeiner machen, wenn wir uns der Muttersprache bedienen, die allgemeiner verständlich ist.
(Eberhards Vorlesung über die Zeichen der Aufklärung einer Nation, Halle 1783.
8.
S.
24. f.
)
2. In
ausgestorbenen Sprachen (die lateinische ausgenommen, welche, als gelehrte Sprache betrachtet, noch
lebt,) denkt und spricht man fast gar nicht; es gehen ihnen also
zwey große Vortheile ab, um derer
Willen|a87| die Erlernung einer Sprache nöthig ist. Ueberdies ists
überhaupt, oder doch ohne
Weitschweifigkeit, oder ohne Gefahr eine alte Sprache zu verstellen, unmöglich, die so häufigen neuen Begriffe darin
auszudrucken. Und lebendige Sprachen, vorzüglich die deutsche, können vieles, sonderlich die Begriffe selbst, viel deutlicher
darstellen, als es die alten,
bey mehr dunkeln Begriffen, konnten.
(
Adelungs Magazin für die deutsche Sprache,
erster Jahrgang,
zweytes Stück, S.
3
f.
) Auch in sofern gewinnt unsre eigne und Andrer
Cultur durch den auf unsre Muttersprache gewendeten Fleiß.
93.
Es ist auch nicht genug, daß wir unsre Muttersprache durch Uebung nothdürftig lernen, sie verdient selbst studiert zu werden. Schon deswegen, weil sie, wie oben gezeigt worden ist, einen so großen Einfluß, selbst durch Kleinigkeiten, |b110| auf unsre Erkenntniß und Gesinnung, auf |c98| unsern Vortrag und auf die Benutzung Andrer hat. Und was man bloß durch Uebung lernt, das lernt man auch mit seinen Fehlern, und gewöhnt sich eine Nachlässigkeit an, die um so schwerer abgelegt, selbst um so weniger nur bemerkt werden kan, je mehr sie durch den steten Gebrauch zur andern Natur worden ist.
Die
Einwendungen gegen dieses
Studium der Muttersprache in der
Allgemeinen Revision
S.
30. f.
gründen sich auf die Absonderung des
Sprachbaues von dem
Sprachgebrauch, oder, wie es da heißt, der
Wörter und der
Worte. Auch ist hier nicht die Rede von dem, was man zu Begriffen
nothdürftig braucht, sondern was zur
höhern Bildung des Geistes dient.
94.
Dieses
Studieren der deutschen Sprache
müßte sich
vornemlich auf die Mundart
c√ erstrecken, die gewöhnlich in Schriften, im gesittetern
Umgang und im
Vortrag gebraucht wird,
d. i.
auf das
Hochdeutsche. Man müßte sich 1)
befleißigen, gut|a88| aussprechen zu lernen,
d. i.
nicht nur verständlich und richtig, sondern auch genau den Sachen und ihrem Ausdruck
gemäß;
-
Friedr. Gedike Gedanken über die Uebung im Lesen, wieder gedruckt in dessen gesammleten Schulschriften, Berlin 1789
in 8.
|b111| 2) einer richtigen
Rechtschreibung zu
folgen, wovon man die besten Grundsätze in
- Pütters Bemerkungen über die Richtigkeit und Rechtschreibung der deutschen Sprache, Göttingen 1780
in 8. und
-
J. C. Adelungs Magazin für die d. Spr. Jahrg. 1. St.
1. S.
59 f.
St.
3 S.
3 f.
noch mehr aber|c99| in dessen vollständiger Anweisung zur deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache etc.
Leipz. 1788
in 8., zweyte verbesserte Aufl. ebendaselbst 1790
in 8.
findet. Da das Hochdeutsche die jetzige allgemein angenommne deutsche Schriftsprache ist; so giebt der feinere Sprachgebrauch in den Gegenden, wo man Hochdeutsch spricht, billig die Regel im richtigen Sprechen und Schreiben.
Hieher gehört auch die richtige Abtheilung der Rede, die sich stets nach dem Verstande des Gesagten oder
Geschriebnen richten muß.
S.
die Lehre von der
Interpunction – – von
Joh. Friedr. Heynatz , verbesserte Ausgabe, Berlin
1782
in 8.
95.
Man
müßte sich 3)
rein ausdrucken lernen,
d. i.
so deutsch und
frey von ausländischen oder nur einer besondern Mundart
eignen Wörtern, Redensarten oder ihren Verbindungen, als es immer die Deutlichkeit und die Nothwendigkeit leidet, das, was man sagen will, vollständig und genau darzu
|a89||b112|stellen
c√; auch in Wörtern und Redensarten, ihren Bedeutungen, Beugungen und Verbindungen, dem gemäß
c√, was der Sprachgebrauch der
obern Classen in den, auch in Absicht auf deutsche Sprache, ausgebildetsten
Provinzen mit sich bringt.
Adelungs Magazin für die
d. Spr.
Jahrg. 1 St.
1. Aufsatz
1 und
2,
vergl.
mit Stück 2. Aufsatz 7. und Stück 4. Aufsatz 4.
5. und
7, betreffend die Gegenden, deren Sprachgebrauch billig die Regel für die Reinigkeit des Ausdrucks angiebt; und von dem Vorzug des Sprachgebrauchs vor bloßer Analogie und Regeln, ebendaselbst Stück 2.
Aufs. 6.
96.
Hierzu sind gute Sprachlehren, Wörterbücher und feinere Beobachtungen über deutsche Sprache von großem Nu|c100|tzen; – schon deswegen, weil es nirgends nöthiger ist erinnert, und auf unerkannte Fehler aufmerksam gemacht zu werden, als in einer bloß durch Uebung erlernten Sprache, wo man so unvermerkt Fehler annimmt und beybehält, zumal wenn sie Ansehen für sich haben, und durch Provinzial-Eigensinn verstärkt werden. Noch mehr aber, weil dazu sonderlich wenn man mehr als rein, wenn man auch gut, im ganzen Umfang des Wortes, sich ausdrücken will, nicht nur viel feine Empfindung desjenigen, was schicklich und gut überhaupt ist, sondern auch Bekanntschaft mit dem erfordert wird, was dergleichen nach den conventionellen Begriffen der Nation und derjenigen Provinz ist, deren Ausdruck in die |b113| Schriftsprache übergegangen ist. Selbst dazu ist genaue Bekanntschaft |a90| mit classischen Schriftstellern der Nation, oder vielmehr kritisches Studium ihrer Schriften, Kenntniß der Abkunft der Wörter und Redensarten, und der Geschichte des Sprachgebrauchs, vornemlich des veredelten, und Philosophie über Sprache überhaupt, wie besonders über das Eigne der deutschen Sprache, nöthig. Wäre das nicht mit Dank anzunehmen, was hierin von Männern, die dieses in ihrer Gewalt hatten, wenigstens theilweise, geleistet worden ist?
97.
Wie fern man sich jemandes Leitung hierin anvertrauen könne, dies muß die Prüfung lehren, ob und in welchem Maaß er die erwähnten Eigenschaften besitze. Denn, weil es vielen, die sich dieses Verdienst zu erwerben gesucht haben, mehr oder weniger, an dieser oder jener Eigenschaft fehlt, ihre Grundsätze oft sehr verschieden sind, manche zu früh und zu allgemein entschieden, andre zu viel bloß vorge|c101|schlagen, und zu wenig nach Gründen festgesetzt haben, auch bey vielen der Hang zum Sonderbaren viel Gutes verdorben, oder unverständlich gemacht hat: so ist vorsichtige Auswahl sehr nöthig.
98.
Unter den bisherigen Versuchen einer deutschen
Sprachlehre behaupten die dahin gehörigen
Adelungischen Bücher,
- |b114| Deutsche Sprachlehre, zum Gebrauch der Schulen in den Königl. Preußischen Landen, Berlin 1781
in 8.
- |a91| Auszug aus der deutschen Sprachlehre für Schüler, eben das.
1782
in 8. und
-
Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache etc.
Leipzig 1781 und 1782,
in 2 Bänden in gr.
8. so wie dessen noch weiter reichendes Werk
über den deutschen Styl, Berlin 1785 und 1786
in drey Theilen in 8., und bey einer dritten vermehrten Auflage Berlin 1789
in 2 Oktavbänden,
in Hinsicht auf alle §. 96 erwähnte Eigenschaften, den vornehmsten Rang. c√
|c102| 99.
Brauchbare Wörterbücher in Absicht auf die jetzige schon gebildete deutsche Sprache haben wir nur zwey:
- Johann Leonhard Frisch deutsch-lateinisches Wörterbuch, Berlin 1741
in gr.
4., als ein allgemeineres, doch mehr zur Geschichte der Sprache dienliches, und den weit vollkommnern
-
Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuchs der hochdeutschen Mundart, (von Joh. Christoph Adelung ,) Leipzig 1773–1786,
in 5 Theilen in gr.
4. c√
100.
Unter der ziemlichen Menge solcher Bücher, die
Beobachtungen über die deutsche Sprache
|b115| und über
einzelne Theile
derselben, enthalten,
sind, in verschiedner Absicht, wenige mit
-
S. J. E. Stosch Versuch in richtiger Bestimmung einiger gleichbedeutenden Wörter der deutschen Sprache, erster Theil, neue Auflage, Frankfurt an der Oder 1777, zweyter, das.
1772 und dritter 1773
in gr.
8.
- Ebendesselben kleinen Beyträgen zur nähern Kenntniß der deutschen Sprache, Berlin 1778–1782
in 3 Stücken in 8. c√
- |a92| dem|c103|
Magazin für die deutsche Sprache
von J. C. Adelung , in zwey Bänden, jedem von 4 Stücken, Leipzig 1782 bis 1785 in 8., und der - deutschen Sprachlehre für Damen, in Briefen, von Carl Philipp Moritz , Berlin 1782
in 8.
zu vergleichen.
Mehrere, auch in Absicht auf die Abkunft der Wörter und die Geschichte dieser Sprache,
c√ anzuführen, ist der
hiesigen Absicht nicht
gemäß, und um so weniger nöthig, da sie in den angeführten Werken meistens benutzt worden sind. Das erwähnte
Adelungische Magazin
und
J. C. C. Rüdigers neuester Zuwachs der
deutschen und allgemeinen Sprachkunde, Leipzig
1782–1785
, bis jetzt in
4 Stücken
in 8., geben,
zumal von den neuesten, nähere Nachricht.
101.
Ausser dem reinen Ausdruck müßte man sich auch 4)
gut ausdrucken lernen,
d. i.
– mit unter
|b116|haltender Klarheit, die sich von unverständlicher Kürze und ermüdender oder doch entbehrlicher Weitläufigkeit gleich weit entfernt
hielte – in einer
natürlichen und dem Eindruck, den man machen will, angemessensten
Ordnung – mit möglichster Bestimmtheit, die eben so sehr der ganzen Fülle der Gedanken
entspräche, als die Gelegenheit zum Mißverstande
abschnitte – in steter Hinsicht auf
das, was
schicklich, und sowohl der Sache, über die man sich ausdrückt, als dem Zweck, worauf man arbeitet, angemessen
ist – und,
so weit es diese Sache und dieser Zweck erlaubt, so einleuchtend für den Verstand, so gefällig für den Geschmack,
|a93| und so eindrücklich für das
Herz, als es unserer gebildeten Denkungsart natürlich ist.
102.
Sehr viel und das
meiste trägt hiezu der
Umgang mit solchen
Personen, und das
Lesen, oder vielmehr das, auch in Absicht auf Ausdruck, sorgfältige
Studieren solcher deutschen Schriftsteller
bey, welche die vorhin (§.
94 –101. )
|c104| erwähnte Tugenden in Absicht auf guten deutschen Ausdruck vorzüglich in ihrer Gewalt haben. Denn eben durch sie lernt man die ausgebildetste Mundart; sie läutern die Sprache, heben das Bewährteste
aus, und bringen es am meisten in Umlauf; sie theilen auch der Sprache etwas von ihrem Genie,
wär' es auch nur durch neue Wendungen, mit, das, wenn es auch nicht üblich wäre, doch werth seyn
kan, üblich zu
werden, und es durch ihr Ansehen auch wird; sie
|b117| bilden also
in so fern die Sprache allerdings aus
*) . Nur haben sie kein Recht, es willkührlich zu thun, und, um ihnen nicht blindlings oder übereilt zu folgen, ist wohl zu untersuchen, ob die, welche Neuerungen wagen, genugsame Sprachkenntniß und geläuterten Geschmack
haben? ob ihre Versuche den Regeln
und der Analogie der guten deutschen Sprache gemäß
sind? ob sie nicht, besonders aus Nachahmung der Ausländer, den Geist der deutschen Sprache umschaffen, und ihr Kraft, Deutlichkeit und Bestimmtheit
entziehen? ob sie gute Neuerungen am rechten Ort
angebracht, und
z. B.
nicht
Prose und Poesie, komische und ernsthafte
|a94| Schreibart, verwechselt
haben? Eben diesen Unterschied müßte man
bey der Nachahmung wohl vor Augen behalten.
*) Hiernach möchte das zu beurtheilen seyn, was in dem
Adelungischen Magazin
Jahrgang
1, Stück
3, Aufsatz
4, behauptet wird.
103.
Daß man sich auch, um des guten Ausdrucks in seiner Muttersprache mächtig zu werden, in schriftlichen Aufsätzen üben, dabey auf alles bisher Gesagte mit sorgfältigem Fleiß, selbst in Kleinigkeiten, sehen, ja nicht eher an das Schönschreiben denken müsse, ehe man nicht Reinigkeit und die übrigen wesentlichen Tugenden einer guten Schreibart in seiner Gewalt hat; – daß man eben so sorgfältig sich im |c105| Sprechen den guten Ausdruck angewöhnen; – sich von Kennern und |b118| strengen Beobachtern des guten deutschen Ausdrucks beurtheilen, zurecht weisen laßen, und ihnen mehr als dem Kitzel eines aufwallenden Genies, regellosen Beyspielen, oder der bloßen Mode, folgen müsse; – dieses sollte kaum einer Erinnerung bedürfen.
c√
104.
Unter den übrigen lebendigen Sprachen ist die französische, englische, und allenfalls die italiänische dem, der sich der Theologie widmet, am nützlichsten. Denn – diese Nationen sind unstreitig, neben der deutschen, auch in Absicht auf |a95| Sprache, am meisten gebildet; – ihre Sprache ist die Sprache der feinern Welt geworden, und bekommt dadurch selbst den meisten, guten und nachtheiligen, Einfluß auf feinere deutsche Sprache und Sitten; die Französische insbesondre hat sich auch in Deutschland unter allen, die gebildet heissen wollen, so sehr ausgebreitet, daß es fast Schande ist, es wenigstens nicht zu verstehen; – auch sind diese Sprachen, vor andern ausländischen, die, in welchen die besten Schriften, zur Theologie selbst, vorhanden sind. – Daß nur weder der deutsche Geist, noch das Gute der deutschen Sprache, darunter leide!
c√
|c106| 105.
Man kan gewissermaßen zu den lebenden Sprachen noch die lateinische rechnen, weil doch noch lateinisch gesprochen und geschrieben wird, und so fern ist es um vieles nothwendiger, sie, als andre|b119| alte und ausgestorbne Sprachen, zu verstehen. Unter diesen behaupten die griechische, und die nach ihr gebildete lateinische, große Vorzüge, welche verursacht haben, daß man beyden, und allen, aus Lesung der alten Schriften in beyden Sprachen geschöpften, Kenntnissen vorzüglich den Namen der (alten) Literatur und Humanität gegeben hat.
Humanität hat zwar
bey den alten römischen Schriftstellern einen viel
weitern Umfang, und begreift alle Arten von Wissenschaften, die zur Bildung des Menschen dienen.
S.
die Stelle in
Gellii noct. Att. XIII,
15. und
J. A. Ernesti prolus. de finibus humaniorum
|a96| studiorum regendis, Lips.
1738
in 4. Weil aber ihre Kenntniß
bey den Römern aus und durch die Lesung guter
griechischen und
römischen Schriftsteller eigentlich erlangt, auch in neuern Zeiten eben dadurch die gesammte Gelehrsamkeit
wieder hergestellt und in Gang gebracht
wurde: so ist dadurch der
enge Begriff entstanden, in welchem man jetzt Humanität und Humaniora (studia) nimmt.
c√
106.
Freylich wird derjenige schwerlich diesen
Namen gerecht finden, der in der Einbildung steht,
– daß sie höchstens eine Beschäftigung künftiger Schullehrer seyn müsse,
und, seit der
neuesten versuchten Reformation der Schulen, selbst
diesen ziemlich entbehrlich
sey – daß ihre Kenntniß allenfalls dem Gelehrten zur Zierde
gereiche –|b120| daß man, weil grie
|c107|chische und römische Werke einmüthig für die besten Quellen des guten Geschmacks gehalten werden, Schande halber mit ihnen nicht ganz unbekannt seyn
dürfe – daß wir
alles jetzt weit besser wüßten, als es die Alten
konnten. Wer so denkt, den wird man so wenig von den Vorzügen dieser alten Literatur überzeugen können,
als, von dem Werth der Gelehrsamkeit und der Bildung des
Geistes, den, dessen erste Frage immer ist: ob eine Sache etwas, und ob sie vieles
einbringe? Wer sie aber auf die Art
studiert, die oben (§.
76 –85 ) angegeben
wurde: der wird bald gewahr werden, daß sie die hohe Achtung, wonach man sie besonders in Schulen zur Bildung künftiger Gelehrten
braucht, mit
großem Recht verdiene.
|a97| 107.
Denn – nicht zu gedenken, daß der künftige Gelehrte, sie, zumal die lateinische Sprache, nach der jetzigen Verfassung der Gelehrsamkeit, nicht entbehren
kan; und daß durch Unkunde dieser Sprachen ein
großer Schatz von Begriffen, der in unsre Wissenschaften durch die aus beyden
Sprachen entlehnten Kunstwörter übergegangen ist,
verlohren geht, oder doch unbrauchbarer
wird – so ist schon die Kenntniß dieser Sprachen, als Sprachen betrachtet, ein ungemein
großer Gewinn
(§. 64. Anm.
1. und 2), wenn man das voraussetzt, was oben (§.
59 f.
) von dem
großen Einfluß der Sprachen auf die Bildung der Seele gesagt worden ist, und dazu nimmt, daß
beyde hier in Unter
|b121|suchung kommende Sprachen unter die vorzüglich ausgebildeten gehören. Daher ist der Wahn, als wenn man griechische und
lateinische Schriftsteller
vornemlich, oder
nur, um der Sachen willen
|c108| lesen müsse, und dazu eine nothdürftige Kenntniß dieser Sprachen zureichend
sey, ein
sicherer Beweis, daß man entweder jenen Einfluß oder die Natur
beyder Sprachen nicht genugsam kenne.
108.
Dieser
große Vortheil wird
bey weiten nicht durch
Uebersetzungen der alten
klassischen Schriftsteller erhalten.
Mögen sie immerhin gut genug für die seyn, die der alten Sprachen selbst unkundig, doch den Inhalt alter Schriften oder die in ihnen vorgetragnen Sachen lernen und benutzen wollen; immerhin dazu helfen, einen alten Schriftsteller etwas verstehen zu lernen, und, wenn sie sehr gut sind, uns auf manche unerkannte Schönheit des Originals aufmerksamer zu machen; mögen sie selbst unsere Sprache aus den alten bereichern helfen: so machen sie uns doch das alte Original selbst durchaus nicht entbehrlich. Denn
– ausserdem daß es überaus wenige Uebersetzungen giebt, die recht eigentlich genau und mit solchem Fleiß ausgefeilt wären, daß sie das Original wirklich nachgezeichnet dar
|a98|stellten, und, in Absicht auf den Ausdruck wenigstens, vielleicht gar
keine, die man für das Original
nehmen
könnte – so kan man nicht einmal den Inhalt selbst ganz ohne eigene feinere Kenntniß der Sprache des Originals |b122| verstehen. Denn selbst der Inhalt ist so voll Anspielungen auf Meinungen, Sitten und Verfassungen, setzt wenigstens so viele Kenntnisse dieser Dinge voraus, ohne die man sich in die Denkart und Lage des Schriftstellers nicht hinein denken kan, daß es unmöglich ist, ihn recht zu verstehen, ohne unsre eigne Vorstellungen ihm unter zu schieben. Und wenn |c109| auch einigen dieser Schwierigkeiten durch Anmerkungen kan abgeholfen werden: so haben sich doch die Ausdrücke eines alten Schriftstellers so sehr nach der besondern Beschaffenheit seiner Nation und Zeit, und selbst nach seinen individuellen Geistes- und äusserlichen Umständen gebildet, und dieses alles ist so in seine Sprache übergegangen, daß sie schlechterdings nur in dieser Sprache können ausgedruckt und empfunden werden. – Ueberhaupt bleibt das Eigenthümliche dieser Schriftsteller, zumal im Ausdruck, immer unübersetzbar;
bey alten Schriftstellern, die auf den Ausdruck Fleiß gewendet haben,
z. B.
bey den Briefen des Cicero
,
kan man sich leicht durch Proben überzeugen. Ist die Uebersetzung eines solchen Schriftstellers auch im Ausdruck, auch in den
Wendungen, recht
genau: so ist sie gewiß jedem, der einigen Geschmack hat, wegen des Undeutschen und der so ganz fremden Gestalt, unerträglich. Läßt sie sich aber wie ein
deutsch Original lesen, oder folgt man der ungereimten Regel, die Alten so reden zu
laßen, wie sie geschrieben haben würden, wenn sie Deutsche gewesen
wären: so müssen nothwendig gerade die eigenthümlichen Züge des Originals
verwischt seyn.
*) |b123| An
Beybehaltung des Reitzes, der sich durch das Ganze ergießt, der vielsagenden Kürze, des harmonischen Baues der Rede, des
Numerus, der besondern Uebergänge von Einem aufs Andere, die oft nur in der Sprache liegen, u. dgl.
welches alles so sehr
gefällt, und
unsre Seele zum Gefühl einer gewissen Schönheit stimmt, die sich in
unsrer Sprache nicht gerade eben so
ausdrucken läßt, aber doch die Seele zu ähnlichen
Ergießungen gewöhnt, ist
bey Uebersetzungen gar nicht zu gedenken.
*)|c110| S.
(
J. H. Hottingers )
Etwas über die neuesten Uebersetzerfabriken der Griechen und Römer in Deutschland,
1782
in
8, vornemlich S.
81
f.
109.
„Es ist aber doch schon vieles aus diesen alten Sprachen in manche neuere
übergetragen, es haben auch diese
neuere viel eigenthümliche Vollkommenheit, darin sie die
Alten übertreffen, und
|a99| dadurch scheint das Studium der Alten entbehrlich gemacht zu werden.“ – Entbehrlich nun wohl nicht, wenn auch an dem Gesagten mehr
wäre, als
nicht ist. – Man ist schon weniger aufmerksam auf
das, was uns bekannter,
unsrer Denkungsart, Sitten und Ausdruck gleichförmiger, als was fremd oder ungewohnter ist; schwerlich sind wir geneigt, jenes so, bis auf die feinsten Züge der Schönheit, zu
studieren, als dieses. – Neuere Sprachen haben, eben
deswegen, weil sie im Gange
sind, und immer an ihrer Bildung gearbeitet wird, weniger
bestimmte Schönheit, als die nun keiner
|b124| schönen Veränderung mehr
unterworfnen alten Sprachen
c√. – Je mehr die Schriftsteller, wie dieses der Fall
bey den alten ist, in ganz andern Umständen waren, empfanden, dachten, handelten und redeten, als die
Unsrigen; je mehr lernen wir, durch den Umgang mit ihnen, die so schwere Kunst, uns in fremde Umstände versetzen,
welches unentbehrlich ist, um sie recht zu verstehen, zu
beurtheilen, und williger von ihnen zu
lernen; eine Geschmeidigkeit,
die, zumal für einen Lehrer des Christenthums, sehr vortheilhaft ist, der seine Weisheit aus den alten Büchern der heiligen Schrift schöpfen, unverwandt nach Wahrheit und Liebe trachten, und
allen Alles werden soll.
|c111| Aus diesem
letzten Umstand läßt sich zum Theil die Wirkung des
Didicisse fideliter artes auf die Sitten und
der schwerlich abzuläugnende
Umstand erklären, daß Lehrer der Religion, welche die Alten fleißiger
studieret haben, weniger unbillig und streitsüchtig zu seyn pflegen, als die, so sich dadurch nicht gebildet haben.
|a100| 110.
Ist denn aber auch schon so viel aus den alten griechischen und lateinischen Schriftstellern auf die Neuern übergetragen worden? Lassen sie sich, bey so vielerley Rücksichten, in welchen man sie studieren kan, wirklich ausstudieren? Und sinds nur einzelne Schönheiten, ists nicht eben ihr ganzer Geist, den wir uns aufs möglichste zu eigen machen sollten, und der eben noch so wenig auf uns ruht, und so wenig ins Allgemeine wirkt?
|b125| 111.
Wenn wir auch bloß auf die Sachen sehen, wie viel ist die alte Geschichte werth, die wir beynahe bloß aus ihnen schöpfen können? so viele feine Philosophie? wenigstens die Kenntniß des Fortgangs und der Entwickelung der Seelenkräfte unter den gebildetsten Völkern des Alterthums? so viel Menschen- und Weltkenntniß? so viel trefliche Sittenlehre und Klugheit? Mögen wir es in manchen Künsten, in Kenntniß der körperlichen Natur und ihrer Kräfte, in dem, was zum äusserlichen Fortkommen und Nahrung gehört, und in guten bürgerlichen Verfassungen, weiter gebracht haben als sie; in dem Uebrigen, in dem, was den Geist bildet – abgezogen was wir von ihnen mittel- oder unmittelbar gelernt haben – wie weit übertreffen wir sie denn? und wie viel haben wir ihnen noch lange nicht abgelernt?
|a101| |c112| 112.
Am meisten kommt es
hiebey nicht so sehr auf die
Sache selbst, als auf die
Art an,
wie sie
sie dachten und
ausdruckten. In Absicht auf den
Geschmack, sind sie von allen Kennern allgemein als Muster anerkannt; und sie sind es wirklich, in der weitesten
Bedeutung, die man dem
Wort Geschmack geben
kan. – Sie schöpften ihre Kenntnisse aus der ersten Quelle, aus der zwar noch nicht so
entwickelten, aber auch noch nicht so verstellten
Natur, und bildeten sich durch
Beobachtung.
Bey uns gießt man den Geist von Kindheit an in
|b126| Formen, überall regiert die
Mode, wir bilden uns durch
Bücher, und verderben uns frühzeitig durch die
Schwelgerey der
Lectüre. – Sie, als gleich theilnehmende Glieder
Einer zu
einerley Absicht arbeitenden Gesellschaft, lernten durch
Handeln, und durch Umgang mit
allerley Arten von
Menschen. Dies schärfte den Wahrheitssinn, leitete aufs Gemeinnützige, machte ihre Erkenntniß praktisch;
dies erhielt und schärfte das Gefühl der menschlichen Würde und der natürlichen Rechte des Menschen; ihre Philosophie war Philosophie des Lebens, ihre Geschichte eigentlich pragmatisch,
d. i.
auf Bildung zu Geschäften und zu der dazu nöthigen Klugheit angelegt.
Bey uns ist diese enge Verbindung der bürgerlichen Gesellschaft
beynahe verschwunden; wir haben Staaten, aber wir haben, im bürgerlichen Verstande, kaum
ein Vaterland. Wir handeln nach eingeflößten Grundsätzen;
gewöhnen uns an hergebrachte Gewohnheiten und Formen, an druckende Einrichtungen, die oft mehr Gewalt und List, als Weisheit, welche für jeden sorgte, eingeführt, und die bloße Länge der Zeit in angebliche Rechte verwandelt hat; wir vergessen darüber unsere Kräfte, unsern Menschenwerth, unsere angebohrnen Rechte. Unsre Erziehung ist meist in den Händen solcher
Leute, die durch nichts weniger als durch gereifte Erfahrung gebildet sind; unsre
Gelehrte, die fast
einzigen, die noch an der wahren
|a102| Bildung des Geistes arbeiten,
sind zu sehr ausgeschlossen von der Welt und dem Umgang mit
Geschäftleuten, auch zu wenig für die Welt, wenigstens mehr auf
|b127| Speculation als auf das praktische Leben bedacht; unter ihren Händen gewinnt Philosophie und Geschichte an Wahrheit und Gewißheit, selten wird sie Schule der
Weisheit, gemeiniglich zieht sie, weil es ihr an Geschmack und Weltkenntniß fehlt, nicht einmal die Ungelehrten zum Lesen an. – In unsrer Welt ist Bildung des Geistes oft kaum etwas
anders, als ausgeartete
Cultur, die nach Ueberfluß und Vergnügungen hascht; Höfe und glänzende Gesellschaften geben den Ton an, theilen die Begierde zu glänzen, den nach Convention geformten Geschmack, Weichlichkeit und Frivolität, allen denen mit, die den Schimpf nicht haben
wollen, daß sie nicht zu leben wüßten; Schriftsteller, die nichts mehr
wünschen, als von der feinen Welt gelesen zu werden, stimmen ihre Schriften nach diesem
Ton, und machen die Seuche allgemeiner. Diese Abgeneigtheit von
ernsthaftern, nützlichen Beschäftigungen, der
Eckel an nüchternen
Untersuchungen, und die leidige Geniesucht vertilgt vollends die wahre Bildung des Geistes zur Weisheit und Tugend. So entsteht eine Philosophie, die von einiger Weltkenntniß
oben abgeschöpft, aber durch genaue Untersuchung nicht geläutert ist,
bey welcher Witz für Beweis gilt, die sich entweder dadurch
empfiehlt, daß sie den Leidenschaften der Menschen schmeichelt, oder
dadurch, daß sie natürlich scheint, weil sie
alles, was moralisch ist, nicht nach der Natur, sondern nach ihren Ausartungen
|a103| |c114| in der wirklichen Welt, vorstellt; und die Geschichte hört in sofern auf, die Stelle der Erfahrung zu
vertreten, und wahre
|b128| Weisheit zu lehren, als darin nicht Wahrheit, sondern nur Unterhaltung und Belustigung gesucht wird. Wären nicht selbst deswegen die
classischen Schriften der Griechen und
Römer, – die sich so sehr durch männlichen Geschmack und bewährte Weltkenntniß auszeichnen, deren Geschichtschreiber
insbesondre nicht bloß für den Gelehrten, den Staatsmann, den bloß
neugierigen und Zeitvertreib suchenden Leser, sondern Weise und
Rechtschaffne zu bilden, geschrieben haben – wären die nicht
werth, fleißig studiert zu werden, um
unserm Geschmack wieder Festigkeit, unsrer Menschen- und Weltkenntniß gesunde Nahrung, und der Weisheit und Tugend wieder Kraft und Ermunterung zu geben?
c√ S.
ausser den §.
76 erwähnten Schriften:
-
Is. Casauboni Zuschrift seines Polybius an K.
Heinrich 4. (im dritten Theil der von Ernesti besorgten Wiener Ausgabe 1763
in 8.)
-
⌇c
Ernesti Opuscula Oratoria pag.
3. 20. 184. 197 seq.
-
⌇c
Vermischte Beyträge zu Philosophie und den schönen Wissenschaften Band 2, Stück 2, Aufs.
1. über die Wissenschaft der Literatur.
c√
113.
Dem, der sich der Theologie widmet, wird, ausser den bisher erwähnten großen Vortheilen, welche ihm die fleißige Lesung der alten griechischen und lateinischen Schriftsteller gewährt, die Kennt|b129|niß |a104| beyder Sprachen auch dadurch unentbehrlich, daß ohne sie weder der Verstand der heiligen |c115| Schrift, auf der doch unsre Religion beruht, noch andre Theile der Theologie überzeugend erkannt werden können. – Es ist eitler und schädlicher Wahn, daß man, um die heilige Schrift zu verstehen, beyde Sprachen deswegen nicht genau zu verstehen brauche, weil c√ eine große Menge guter Ausleger uns schon genug vorgearbeitet habe. – Die guten Ausleger laßen sich wohl zählen; und wie mag der, welcher sich durch jene Sprachen selbst nicht zum Ausleger gebildet hat, es wagen, über den Werth des einen vor dem andern zu entscheiden, oder sich der Empfehlung von andern blindlings anzuvertrauen? – wie alsdann zu entscheiden, wenn auch gute Ausleger in ihren Erklärungen uneins sind? – wie, ohne große Gefahr zu irren, alsdann entscheiden zu wollen, wenn sie gerade den Sinn für den richtigen ausgeben, der unsern Wünschen und Erwartungen gemäß ist? – Und ist schon alles erschöpft, der wahre Sinn nirgends mehr verborgen, nichts mehr zu läutern, nichts Neues mehr zur Bestätigung des wahren Verstandes zu sagen? Soll man überall, nur bey der heiligen Schrift nicht, mit eignen Augen sehen?
114.
Wie soll denn sonst eine gewissenhafte Ueberzeugung entstehen, daß die heilige Schrift wirklich etwas gesagt habe, und wie verhütet werden, daß man nicht auf schwärmerische Einbildungen von
|b130| dem Verstande
einzelner Aussprüche der
heil.
Schrift ver
|a105|falle, oder ihr seine
eigne Gedanken unterschiebe, oder auf
bloßes Gerathewohl einen Sinn annehme, als dadurch, daß wir gewiß wissen, der Sprachgebrauch bringe diesen und keinen andern Sinn mit sich? welches ohne genaue Kenntniß solcher Sprachen schlechterdings unmöglich ist.
|c116| 115.
Diese erlangt man so wenig durch flüchtiges Lesen der in solchen Sprachen
geschriebnen Bücher als durch Wörterbücher allein.
– Jenes mag uns zur nothdürftigen Kenntniß einer Sprache verhelfen; zur genauern, zumal
bey schweren Stellen, hilft es gewiß nicht, wie man leicht begreifen wird, wenn man das oben (§.
77. f.
)
gesagte, versteht, und in genauere
Erwegung ziehen will.
– Unter den Wörterbüchern sind die meisten ohne genugsame Kenntniß der Sprachen und ohne bestimmte Genauigkeit
zusammengetragen; auch die bessern bedürfen noch so mancher Berichtigung, so häufiger Ergänzung von Wörtern oder Redensarten und deren Bedeutungen, sonderlich in einem bestimmten Zusammenhang, so vieler Erklärung der Begriffe
selbst, die an einem Worte hängen, daß man sich geradezu nicht auf sie verlassen
kan. Haben sie auch,
– wie dieses zur
Ueberzeugung, daß sie
alles richtig angäben, nöthig wäre,
– ihre Angabe mit Beweisen belegt: wie will man die prüfen, wenn es uns noch an genauer Kenntniß einer Sprache
fehlt, und man sich durch sorg
|b131|fältiges
Studieren guter Schriftsteller
|a106| noch nicht die Fertigkeit erworben hat,
selbst den Sinn in einer fremden Sprache zu finden?
Wenn dieses auch nicht das allgemeine Geständniß aller eigentlichen Kenner alter Sprachen
wäre: so läßt es sich schon an einem kleinen
Beyspiel, an den Wörterbüchern über das
N.
Testament, zeigen. Wie manche Wörter fehlen da, weil sie nicht in
unsern gedruckten griechischen
Text stehen, deren Kenntniß doch zur Beurtheilung und Erklärung
verschiedner Lesearten nöthig ist?
ausser vielen sprachwidrigen Erklärungen in den meisten Wörterbüchern dieser
Art; wie viele
a√, sonderlich hebräische Bedeutungen der
Wörter fehlen da z. B.
von
ἀγαλλιαν,
εὐχαριστια,
καυχασθαι,
|c117| κενουν,
λογιζεσθαι το κακον,
τρεμειν τινα u. a.
und wie wenig sind die Begriffe von
οἰκοδομη,
παντοκρατωρ,
πνευμα,
σημειον ἀντιλεγομενον,
ἑαυτω ἀρεσκειν u. dgl.
vornemlich, wie wenig sind diejenigen
bestimmt, die man
Religionsbegriffe nennen könnte, obgleich die Wörter, durch die sie ausgedruckt werden, in den Wörterbüchern
übersetzt sind? Dies
sey bloß hingeworfen, um die aus ihrer gleichgültigen Ruhe zu wecken, die, mit dem Wörterbuch in der Hand, der Auslegung des
N. T.
gewachsen zu seyn glauben.
c√
116.
Ueberhaupt wird der sehr gewinnen, der sich nicht eher an Erklärung der heiligen Schriften wagt, bis er vorher durch Lesung alter griechischer und lateinischer Schriftsteller wohl geübt ist. –|b132| Denn 1) wie es der Anfang aller exegetischen Weisheit ist, nur erst zu fühlen, ob man etwas verstehe oder nicht? so ist schon dies sehr schwer für den, der nicht aus jener Schule zur heiligen Schrift kommt, weil uns die Stellen heiliger Schrift, die wir in |a107| der Jugend gemeiniglich ohne Verstand gelesen haben, den Wörtern nach geläufig, ihre Lehren, oder was man dafür zu halten gelernt hat, bekannt sind, und man gemeiniglich mit einem Sinn zufrieden ist, der keinen offenbaren Unverstand enthält, zumal wenn er sich durch Erbaulichkeit empfiehlt. Alles dieses hindert, daß es uns oft nicht einmal in den Sinn kommt, nur zu zweifeln, ob wir auf dem rechten Wege sind. Hingegen bey andern Schriftstellern sind wir weder schon so mit ihren Begriffen bekannt, noch dafür schon so eingenommen, fürchten auch weniger c√ Vorwürfe von uns oder andern, wenn wir von hergebrachten Erklärungen abgehen, oder gestehen, daß wir etwas nicht verstünden.
117.
Ist man 2) nur mit den Umständen, Sitten und dem Sprachgebrauch neuerer Zeiten und Sprachen bekannt: so findet man in alten Schriften Schwierigkeiten, wo keine sind, man sucht sie zu heben, verwickelt sich eben durch diese Bemühung in noch mehrere Schwierigkeiten, fällt auf harte und gekünstelte Erklärungen, wodurch man auf einer Seite den Gegnern der heiligen Schrift Blößen giebt, auf der andern sich gegen |b133| natürlichere Erklärungen abhärtet, theils, weil man das für das Natürlichste hält, was unsrer Art zu denken, zu reden und zu handeln am gemäßesten ist, theils, weil man das ungern aufopfert, was uns Mühe gekostet hat, zumal wenn man durch einen vermeintlich gefundnen Sinn der heiligen Schrift neue Bestätigung seines |a108| Lehrbegriffs gefunden, oder mehr Zusammenhang in seine Vorstellungen gebracht zu haben glaubt. Wer hingegen schon mit andern alten Schriften ausser der Bibel vertraute Bekanntschaft, und gelernt hat, sich in die Lage alter Schriftsteller zu versetzen, fällt entweder auf solche eingebildete Schwierigkeiten gar nicht, oder er weiß sie leichter aus den Meinungen und Redensarten der Alten zu erklären, schiebt der heiligen Schrift weniger neuere Begriffe unter, und ist demnach fähiger von ihr zu lernen.
118.
3) Den Sprachgebrauch in todten Sprachen kan man anders nicht zuverläßig lernen, als aus den Schriften, die in einer solchen Sprache abgefaßt sind, und, wo es der|c119|gleichen nicht giebt, oder wo sie nicht zureichen, aus der Analogie andrer mit ihr verwandten Sprachen, oder aus den Erklärungen, die der Schriftsteller selbst in einer Stelle oder in ähnlichen Stellen giebt. – Selten ist dieses letzte möglich, weil es seyn kan, daß er nur Einmal von einer Sache redet, oder nur Einmal ein Wort und eine Redensart braucht. So ein trefliches Hülfsmittel also zur Einsicht des Verstan|b134|des ähnliche Stellen sind, so helfen sie doch nicht überall; sicherlich wird auch der die in der heiligen Schrift den meisten unmerkbare feinere Aehnlichkeit leichter empfinden, der dergleichen zu bemerken durch achtsames Lesen alter Schriftsteller sich gewöhnt hat; und überall folgt ein Schriftsteller, wo er nicht sehr dringende Ursachen hat, demjenigen Sprachgebrauche, der in der Sprache, worin er schreibt, herrscht, wenigstens bildet er, auch da, wo er eigne Ausdrücke wählt, seinen besondern Sprachgebrauch aufs möglichste nach dem allgemeinen. Und dieser, woraus ist der anders zu erkennen, als aus den andern Schriften in eben der Sprache? bey dem neuen Testament also, woher anders, als aus andern alten griechischen Schriftstellern, und zum Theil aus den griechischen Uebersetzern des alten Testaments?
Anm.
1. Je ähnlicher ein Schriftsteller in seiner
besondern Art des Ausdrucks, in der Kürze, in den Wendungen, in der Zusammenziehung mehrerer Begriffe in Ein Wort oder Redensart
u. dgl.
einem andern ist, wie
z. B.
schon von andern in Absicht auf den Apostel Paulus
und den Thucydides
bemerkt worden (
S.
Car. Lud. Baueri exercitat. de lectione Thucydidis, optima interpretandi disciplina, Lips.
1753
und desselben Philologia Thucydideo-Paulina, Halae
1773
, 8.): je nützlicher ist
es, den
Letztern zu
studieren, um den
Erstern besser zu verstehen.
|c120| Anm.
2.
Bey der Analogie andrer Sprachen
(s.
Ge. Godofr. Zemisch disp. de analogia linguarum
|b135| interpretationis subsidio, Lips.
1758
), kommt es hier, wo vom Griechischen die Rede ist, zunächst auf das Lateinische an, das
bey dem
N. T.
noch
viele unerkannte Erläuterungen
darreicht, z. B.
1 Kor. 7,
29. καιρος συνεσταλμενος, traurige Zeit,
vergl.
mit dem diffundi und contrahi
bey Cicero
Lael.
c.
13; Luc. 11,
13; πονηροι für
Karge, vergl.
mit
maligni in eben dem Sinn
beym Plautus
Bacch. III, 2.
17; Luc. 8,
18. vergl.
mit ex astris decidere
bey Cicero
a√ Att. II. ep.
21; Matth. 24,
29. mit dem
Lat.
cadere oder
occidere, von Gestirnen gebraucht; 1 Kor. 4,
9. θεατρον|a110|
ἐγενηθ. τω κοσμῳ
κ. ἀγγελοις
κ. ἀνθρωποις, überhaupt für: der
allgemeinen Verachtung bloß gestellt worden seyn,
vergl.
mit
Cicero's
Stellen, die Manutius
bey ad divers.
lib.
I.
ep.
9. gesammlet hat;
Χρισμα. 1 Joh. 2,
20. vergl.
mit dem
lat.
imbui statt doceri
u. dgl.
119.
Und wie 4) falsche und nach Schulformen gekünstelte Zergliederungen der Bücher
c√ heil.
Schrift sehr oft den wahren
Gesichtspunct verrücken, woraus man die Absichten eines Schriftstellers ansehen sollte, und selbst zu erdichteten Erklärungen seiner Ausdrücke Gelegenheit geben: so ist kein besseres
Mittel sich gegen diese
willkührliche Spielwerke zu verwahren, als wenn man aus Lesung alter Schriftsteller die gar nicht
schulgerechte, sondern natürliche Stellung ihrer Gedanken, ihre oft
unscheinbare Verbindungen durch Partikeln,
Participial-Con|b136|structionen u. dgl.
und die ganze Einkleidung
bemerkt, die von
unserer oft
c√ sehr
abgeht.
120.
Auch ist 5) diese sorgfältige Beschäftigung mit alten Schriftstellern ein gutes Verwahrungsmittel gegen die Ver|c121|besserungssucht des Textes der heiligen Schrift, sowohl als gegen die unzeitige Aengstlichkeit bey verschiednen Lesearten. Wer jene auch kritisch studiert hat, wird sich durch noch so viele Lesearten, mit welchen gleichwohl die unverfälschte Aechtheit des Textes bestehen kan, nicht nur nicht irre machen laßen, er wird auch allein im Stande |a111| seyn den Werth derselben abzuwägen. Hat man sich bey jenen Alten an die Beobachtung des feinern Parallelismus gewöhnt; Versuche gesehen, und selbst gemacht, dunkle Stellen zu erklären, und solche, die einander oder andern Schriftstellern zu widersprechen scheinen, mit einander zu vereinigen; und hat nach und nach das Ungegründete und Gezwungne mancher gewagten Veränderungen des Textes, wie die Quellen dieses Fehlers und die verschiedne Arten eingesehen, wie verschiedne Lesearten entstehen können: so wird gewiß dadurch Bescheidenheit so sehr als geschickte Beurtheilung befördert werden. Wenigstens ist es immer sicherer, sich erst in jener Kritik zu üben, wo der Schade bey Fehltritten so beträchtlich nicht ist, als bey der heiligen Schrift, bey der ohnehin die Vorstellung von ihrer Göttlichkeit leichter verleitet, vor genauerer Untersuchung Partey zu nehmen.
- |b137|
J. A. Ernesti Opusc. Orator. p.
41 sqq.
Aus dem, was bisher §.
115 f.
bemerkt worden ist, ergiebt sich augenscheinlich, wie
verkehrt und selbst für die Einsicht des rechten Verstandes der heiligen Schrift
nachtheilig es
sey, die Erlernung
des Griechischen mit dem Lesen des neuen Testaments anzufangen. Die Schwierigkeiten, welche
bey dem Griechischen des
N. T.
weit
größer sind als
bey den meisten sogenannten
Profan-Schriftstellern, (s.
die
14te bis 17te Abhandl. in Ernesti's Opuscul. philol. crit. Lugd. Bat. 1764
in gr.
8.) setzen es noch mehr
ausser Zweifel, wie nothwendig es
sey, sich nicht daran zu wagen, ehe
|c122| man sich nicht schon vorher durch
fleissiges Studieren alter Schriftsteller dazu vorbereitet hat.
|a112| 121.
Zur gründlichen Einsicht in andre Theile der Theologie
(§. 113 ) ist die genaue Kenntniß der
griechischen und
lateinischen Sprache eben so nothwendig.
– Die allermeisten Quellen der
Kirchengeschichte sind in einer von
beyden Sprachen
abgefaßt, und, da selbst der Sprachgebrauch zu
verschiednen Zeiten und in
verschiednen Gegenden so vieler Verschiedenheit und Veränderung unterworfen
war: so ist
c√ um so begreiflicher, wie
unzuverläßig die Kirchengeschichte seyn müsse, wenn sich ihre Kenntniß nicht auf die Kenntniß dieser Sprachen gründet.
– Alles, was in der Theologie auf Geschichte
beruht; die Kenntniß der Kirchentheologie oder der
verschiednen Vorstellun
|b138|gen von den Lehren der
Religion, und der Ursachen dieser Verschiedenheit; der Kunstwörter, die aus
beyden Sprachen
genommen, oder doch
darnach gebildet worden
a√, und selbst ein symbolisches Ansehen erlangt
haben; des Ursprungs der Irrthümer aus unbequemen
Ausdrücken, oder des Mißverstandes derselben, wodurch man ihrer Unrichtigkeit auf die Spur kommen
kan; der
Folgen, die daraus für die Theologie entstanden sind –
vornemlich wenn man die Richtigkeit dieser Kirchentheologie gehörig beurtheilen will,
– kan dieser Sprachkenntniß nicht entbehren.
122.
Würde nicht auch unsre Katechetik und Homiletik eine bessre Gestalt bekommen, und würde man |a113| sich nicht besser zum Unterricht in der Religion bilden, wenn man den Alten, sonderlich der Sokratischen Schule und ihren guten Nachfolgern, ihre Methode in Gesprächen, und den |c123| griechischen und römischen Rednern die Kunst Eindruck zu machen und, was man vorstellen oder empfehlen will, von der wirksamsten Seite zu zeigen, so weit ablernte, als es die Natur der Sachen, die Absicht, bleibende Eindrücke hervorzubringen, und unsere Umstände erlaubten.
c√
123.
Was oben (§.
68 f.
) von der besten Erlernung der Sprachen überhaupt gesagt worden ist, gilt
bey der
lateinischen und
griechischen Spra
|b139|che
insbesondre, und von ihnen vorzüglich, weil sie unter allen alten Sprachen am meisten gebildet sind. Nur scheinen hier noch einige
besondre Anmerkungen darüber nicht unnöthig zu seyn. – Die
lateinische Sprache hat das
eigne Glück gehabt, die allgemeine Sprache der Gelehrten (in Europa) zu
werden; daher sind die meisten gelehrten Schriften in ihr
geschrieben, ihre Kenntniß ist für den Gelehrten, nächst der Kenntniß der Muttersprache, die unentbehrlichste, und sie verdient, als allgemeine
Gelehrten-Sprache erhalten zu werden.
c√
124.
Zuerst eben deswegen, weil die meisten gelehrten Schriften lateinisch abgefaßt sind. Je |a114| mehr also der Eifer diese Sprache zu erlernen und ihrer mächtig zu werden, |c124| erkaltet, und je mehr sie daher ausser Gang kommt: je mehr verlieren wir die oben erwähnte Vortheile, die aus dem fleissigen Gebrauch der alten klassischen lateinischen Schriftsteller entstehen, verlieren den Zugang zu den meisten Quellen der Geschichte, und, weil uns nichts anzieht was wir nicht verstehen, sogar die Lust daraus zu schöpfen, verlieren einen unschätzbaren Vorrath von Kenntnissen und Vorarbeiten in Untersuchungen c√.
c√ Was hier und in dem Nächstfolgenden vorkommt, ist zugleich hinreichend zur Beurtheilung der Einwendungen gegen die Nothwendigkeit der Kenntniß dieser Sprache in der
allgemeinen Revision etc.
Theil
II. p.
234–257, die ohnehin sehr ärmliche
|b140| Begriffe vom Verstehen des Lateinischen zum Grunde haben.
Anm.
1. Aber man hat ja schon das
Gegründetere und
Nutzbarere aus lateinischen Schriften in
deutsche und andere übergetragen? –
– Gewiß kaum mehr als das Nothdürftigste und was man für das Gemeinnützigste hielt, welches gegen die Menge des
Uebrigen für Nichts zu rechnen ist. – Am meisten ists noch in der
Geschichte geschehen; wie weiß man aber, daß es vollständig, richtig und aufrichtig genug geschehen
sey, wenn man nicht zu den Quellen zurückgehen
kan, ohne welche noch weniger Sicherheit ist, als
bey allen scharfsinnigen Untersuchungen, die nicht auf die ersten Grundsätze der menschlichen Erkenntniß zurückgeführt
werden. Eben die gelehrtern und genauern Untersuchungen, wodurch man neuerlich, selbst in deutschen Schriften, die Geschichte ungemein berichtigt,
vervollständigt, und ihr eine ganz andere Gestalt gegeben hat, beweisen, wie viel noch Gelegenheit in den Quellen zu sehr schätzbaren
Entdeckungen übrig
sey. – Je mehr das Ansehen der lateinischen Sprache
sinkt und
je für entbehrlicher man ihre Kenntniß
hält: je weniger wird sie, höchstens nur als Nebensache, getrieben werden. Aber eine
seichte Kenntniß der
|c125|selben ist gewiß dem Gebrauch der
|a115| Quellen und der daraus zu schöpfenden Wahrheit noch nachtheiliger, als wenn man
gar nicht daraus schöpft, weil man doch in dem letztern Fall weiß, daß man nur mit fremden Augen, in jenem Fall aber glaubt, daß man mit
eignen Augen gesehen habe.
|b141| Anm.
2. Wenn also von verständigen Männern auf die
Beybehaltung der lateinischen Sprache
gedrungen und vorhergesagt wird, daß mit ihrem Fall gewiß
Barbarey einreissen werde: so geschieht
dieses nicht aus pedantischer Hochachtung gegen diese Sprache, oder aus der falschen Einbildung, daß sie kräftiger und
vollkommner wie
andre Sprachen
sey. Sondern weil man vorhersieht, wie viele Kenntnisse mit dieser Sprache
verloren gehen, oder wenigstens aus dem
Gang kommen werden; wie sehr seichte Kenntniß statt der gründlichen und
zuverläßigen überhand nehmen, wie allgemeiner der unwissende Dünkel, der
bey verschlossenen Quellen nicht einmal mehr einer bessern Belehrung fähig ist, anstatt wahrer Ueberzeugung um sich greifen werde. Ohne in
ältre ähnliche Zeiten
zurückzugehn, mag die Erfahrung unsrer Zeit entscheiden, ob durch die Verächter dieser Sprache des Nachsprechens und Ausschreibens, oder der neuern und genauern Untersuchung mehr
worden sey, die Masse der
gelehrten Erkenntniß und die Achtung der
Gelehrsamkeit mehr ab- oder zugenommen habe?
125.
Zweytens: Die Gelehrsamkeit verliert viel, und die Entdeckungen und Verbesserungen in derselben gehen oft gänzlich
verloren; breiten sich wenigstens viel langsamer und nicht allgemein genug aus, wenn man unter den Gelehrten nicht
|a116| eine allgemeine Sprache hat, wodurch man sich das Neue und Bessere mittheilen
kan. – Wenn
|b142| man sagt: „so dürften die Gelehrten nur mehrere Sprachen lernen, und
|c126| allenfalls ersetzte auch dieses die Dienstfertigkeit der Uebersetzer:“ so hat man wohl nicht genug
bedacht: daß
beydes ein mühsamer Umweg ist, der völlig
ersparet werden
könte, wenn eine allgemeine Gelehrten-Sprache gebraucht
würde; ein Umstand, den die, welche die Nothwendigkeit einer solchen, namentlich der lateinischen, Sprache bestreiten, vornehmlich beherzigen sollten, da sie eben Zeit und Mühe
gespart, und auf nützlichere Dinge verwendet wissen wollen. Man hat nicht
bedacht: daß Uebersetzungen
großentheils unzuverläßig sind, und daß sie ungemein viel weniger die Vorstellungen eines Schriftstellers anschaulich darstellen, als er selbst, auch sogar in einer fremden Sprache, wenn er sie nur in seiner Gewalt hat, und in der fremden Sprache nicht bloß schreibt, sondern auch denkt. Man nimmt gegen alle Erfahrung an, daß Ausländer, um unsre Entdeckungen zu benutzen, unsre Werke, in ihre Sprache übersetzt, begierig lesen oder gar deutsch lernen würden.
*)
*) Aeusserst selten sind die
Beyspiele von Ausländern, die, unsre Schriften zu verstehen, Deutsch, und
vollends die es gut gelernt haben
. Sehr selten sind auch Uebersetzer aus dem Deutschen
bey solchen Nationen, unter welchen selbst viele denken und schreiben; und daraus, daß unter ihnen Bücher aus dem Deutschen übersetzt vorhanden sind, folgt noch lange nicht, daß sie auch Geschmack daran finden. Lesen ja noch auswärtige
|a117| Gelehrte Schrif
|b143|ten der Deutschen, so sind es lateinisch geschriebene, und
selbst diese haben itzt darum weniger Vertrieb, weil
bey Ausländern, fast
alles in ihrer Muttersprache zu schreiben, eben so gewöhnlich
wird als
bey uns, die Kenntniß des Lateinischen immer mehr abnimmt, und sie daher auch unsre
lateinische Schriften gar
nicht oder
c√ viel seltner als
sonst lesen. Weit häufiger unterhielten sich sonst Gelehrte
verschiedner|c127| Nationen unter einander, als die lateinische Sprache noch geläufiger war als
jetzt, und wo jenes noch jetzt geschieht, da geschiehts
meistens in lateinischer Sprache.
126.
Ist nun aber eine
allgemeine Sprache für die Gelehrsamkeit, deren Erhaltung und
weitre oder allgemeinere Ausbreitung, sehr nöthig: so
müßte man
c√ entweder die, welche es bisher gewesen,
nehmlich die
lateinische,
beybehalten,
oder eine der neuern Sprachen dazu wählen,
oder
eine ganz neue zu diesem Zweck erfinden.
– Dieses
letzte würde, wie so viele verunglückte Versuche beweisen,
große Schwierigkeiten haben; schwerlich würde man ihr,
zumahl allgemeinen Eingang verschaffen können; und wozu eine neue erfinden, da wir schon eine unter den Gelehrten überall
angenommne haben? – Diese
lateinische ist nicht nur
einmahl im Besitz, und, wenn es eben sowohl Pflicht ist, gute Gelehrte als gute Bürger zu
ziehen, wenn es uns wahrer Ernst ist, Aufklärung, mithin auch Gelehrsamkeit,
möglichst weit auszu|b144|breiten: so müssen wir diese Sprache zu
erhalten, und ihre Kenntniß
bey allen, die Gelehrte seyn wollen,
|a118| zu befördern suchen, weil sie gerade die bekannteste
bey allen Nationen ist, wo eigentliche Gelehrsamkeit blüht. Sie ist auch, eben durch den langen Gebrauch, den bereits erfolgten Erweiterungen und Aufklärungen in den Wissenschaften, mehr als eine
andre, wenigstens ältere Sprache,
und, umgekehrt, es sind diese aufgeklärtern Begriffe dieser Sprache so
angeschmieget worden, sie hat auch so sehr alle eigentliche Wissenschaften, namentlich die gelehrten Vorstellungen in der Religion, so
durchdrungen, und in allen Wissenschaften ist der Sprachgebrauch so an sie gebunden, daß
|c128| wir ihre Kenntniß, ohne eine gänzliche Umschmelzung der Wissenschaften, nicht
einbüßen können.
– Sollte sie auch, wie nicht zu
leugnen ist, von manchen
neuern Sprachen übertroffen werden: so würde es nicht nur schwer, ja, nach der jetzigen Verfassung der
Welt, unmöglich seyn, einer neuern Sprache eben die ausgebreitete Herrschaft zu
verschaffen; es würde sogar eben darum nicht rathsam seyn, weil und so lange sie eine lebende Sprache ist. Denn eine solche ist beständigen Veränderungen unterworfen, und nach einiger Zeit,
wo nicht den meisten unverständlich, doch wenigstens nicht mehr so reitzend; es gehen zu viele
Mängel, einer auch vom
gemeinen Volk gebrauchten Sprache, Nebenbegriffe, die den Wörtern anhängen
u. d. gl.
in die Wissenschaften über, daß diese darüber ihre Bestimmtheit verlieren; oder man muß diesem Schaden immer so durch
|b145| neue Bestimmungen entgegenarbeiten, daß die gelehrte Sprache bald wieder eine von der Volkssprache ganz
verschiedne wird.
|a119| Eine todte Sprache hingegen, die noch dazu schon für unsre Wissenschaften bearbeitet ist, hat ihre völlig festgesetzte Gestalt, und es bedarf,
bey neuentstandnen Begriffen, weiter nichts, als diese, auf eine der Natur dieser Sprache
gemäße Art, zu bezeichnen, wie man das
Beyspiel davon an der Naturlehre, der
Botanick u. s. f.
hat.
c√ Man wird einwenden:
„es
liesse sich vieles nicht lateinisch, wenigstens nicht mit Einem Wort,
ausdrucken, da der neuen Entdeckungen, Bestimmungen und Einrichtungen immer mehr würden, für welche die lateinische Sprache noch keine Ausdrücke
habe.“ Diesen Mangel
kan man dadurch abhelfen, daß man entweder Wörter, die man nicht entbehren
kan, in die zu unserm Gebrauch bestimmte lateinische Sprache aufnimmt, oder den schon vorhandenen lateinischen Ausdruck jenem neuen Begriff
an|c129|schmiegt. – – „Aber so wird das Latein barbarisch werden, wie man an dem
Beyspiel der Scholastiker und ihres
gleichen sieht“ – Diese Besorgniß wird sehr
übertrieben. Denn die Scholastiker
druckten sich auch da schlecht lateinisch aus, wo man sich weit besser
ausdrucken konnte; sie verderbten also das Latein, weil es ihnen theils an Geschmack, theils an Kenntniß des Reichthums und der Schönheit dieser Sprache fehlte, und sie des guten Lateins nicht mächtig waren. Wie viel sich hier, ohne besorgliche
Barbarey, thun
ließe, |b146| zeigen c√ Cicero's
und einiger andern
treflichen lateinischen Schriftsteller
Beyspiele. – Auch ist noch erst die
Frage: was den Namen des Barbarischen, als eines Fehlers in einer Sprache, verdiene? Gewiß das nicht, wofür sonst gar kein Ausdruck in einer
beniemten Sprache vorhanden ist, und was durch den öftern Gebrauch ohnehin seine fremde Gestalt verliert. – Endlich sollte
|a120| man nicht vergessen, daß hier von einer gemeinsamen Sprache der
Gelehrten die Rede
sey; die man also immerhin da nicht
brauchen möchte, wo man
sich nicht über gelehrte
Sachen oder nicht bloß für Gelehrte
erklären wollte.
127.
Drittens (§.
125 ) wäre es allerdings für die Wissenschaften und für die Menschen selbst sehr heilsam, wenn für eigentlich
gelehrte Sachen eine den Gelehrten eigenthümliche Sprache, dergleichen die bisher in dieser Absicht
aufgenommne lateinische ist, gebraucht würde. – Für die
Wissenschaften; zuerst schon deswegen, weil in einer der Gelehrsamkeit besonders gewidmeten Sprache die Wörter bestimmter, folglich zur genauern Kenntniß brauchbarer
sind, als in einer solchen, die eben sowohl vom
Volk gebraucht wird, wo daher Mißverstand und Uebergang schwankender Begriffe in die Sprache viel leichter ist.
Noch|c130| mehr aber, weil für die eigentlichen Wissenschaften nichts nachtheiliger ist, als die Verwirrung, die durch Halbkenner angerichtet wird, welche auch
|b147| mitsprechen wollen, ohne die dazu unentbehrlichen
Vorerkenntnisse, die nöthige Einsicht in die Beschaffenheit und den Werth scharfsinniger Bestimmungen oder Einschränkungen, und die erforderliche Uebung in gelehrten und ihnen nicht geläufigen Untersuchungen zu haben; wozu sie um so eher versucht werden, je mehr sie sich
einbilden die Sache zu verstehen, weil ihnen die Sprache bekannt ist, in der diese
ausgedruckt sind.
|a121| 128.
Eben so nützlich wäre es für solche Menschen selbst, welche gelehrte Untersuchungen nichts angehen, wenn ihnen der Zugang dazu durch den Gebrauch einer gelehrten Sprache erschwert würde. So erführen sie vieles nicht einmal, was ihre Neugier reitzt, sie zu unnöthigen Speculationen verleitet, von nützlichern Untersuchungen oder Beschäftigungen abzieht, und sie in schädliche Zweifel oder Irrthürmer stürzt, welchen sie aus den vorhin genannten Ursachen nicht gewachsen sind. Wie viel Zeitverderb und Verwirrung des Volks würde verhütet werden, wenn Gelehrte gleichsam hinter dem Vorhang einer nur ihnen verständlichen Sprache, ohne vom Volk gehört oder gelesen zu werden, erst unter sich, nach reifer Untersuchung ausmachen könnten, was wahr und was gemein zu machen heilsam wäre, und alsdenn nur das Ausgesuchte, Sichere und Gemeinnützige zur Kenntniß der Ungelehrten brächten.
Anm.
1.
Der große Schade, den nicht nur höhere Wissenschaften, wozu
viele gar nicht gemeine Kennt|b148|niß und,
c√ das dahin
gehörige genau zu beurtheilen, etwas mehr als schlich
|c131|ter Menschenverstand erfordert wird, sondern auch gemeinverständlichere und
gemeinnützigere Wissenschaften, selbst Religion und Moral, selbst Gewissen und Gemüthsruhe, öffentliche und Privatglückseligkeit, dadurch leiden, daß
alles, worüber sich nur reden und schreiben läßt, dem verständigen und unverständigen Publicum in der Muttersprache oder in einer
sehr gemeinbekannten vorgelegt
wird –
dieser Schade ist jedem unbefangenen Beobach
|a122|ter so
unverkennbar, daß der Vorwurf von Mißgunst, der bisweilen dem
Gebrauch einer nur den Gelehrten bekannten Sprache,
bey gelehrten Sachen oder einer
scharfsinnigern Behandlung auch sonst gemeinnütziger Sachen, gemacht worden, eben so ungereimt ist, als wenn man den Pädagogen Mißgunst vorwerfen wollte, wenn sie Kinder
verhindern, nicht
alles durch einander zu lesen, und es
bedauren, daß Kinder Gelegenheit
haben, allerley zu hören und zu lesen, wodurch sie Zweifel, Leichtsinn und Laster frühzeitiger kennen lernen, als sie dagegen
bewafnet sind, und überkluge Schwätzer werden, an welchen man seine Schande zieht. Aufklärung ist
unschätzbar, und
kan nicht genug befördert
werden, aber doch nur
dann und
bey dem, wo sie nicht ein Scheermesser in der Hand eines Kindes ist.
Anm.
2. Wo sie dieses
sey? dieses erfordert allerdings eine weit bedächtigere und reifere Ueberlegung, als der
große Haufe der Eiferer für oder wider Aufklärung anzustellen oder nur zu begreifen
|b149| fähig ist. Es bloß im Allgemeinen zu bestimmen,
kan wenig Nutzen haben; die Umstände derer, die aufklären wollen, müssen
dabey eben so sehr in Anschlag genommen werden, als die Umstände
dererjenigen, die
c√ aufgeklärt werden sollen. Und eben um so nöthiger wäre
bey einzelnen wichtigen oder für
wichtiggehaltenen Gegenständen, daß die,
so am meisten aufzuklären fähig sind, vorher, ungehört von denen, die der Aufklärung zu bedürfen scheinen,
unter sich ausmachen möchten, ob und wie weit, den Umständen nach, eine gewisse Aufklärung nöthig
|c132| und nützlich
sey. – Hier liegt die weitere Entwickelung dieser Sache zu sehr
ausser dem Wege.
c√
129.
Wer eine gründliche Kenntniß der
lateinischen|a123| und
griechischen Sprache erlangen
wollte, zumahl wenn er sie
vor sich und durch
eignen Fleiß lernen
müßte, würde das
stets, mit allen Einschränkungen und Bestimmungen, vor Augen behalten müssen, was oben (§.
68 –90 ) von Erlernung der Sprachen überhaupt gesagt worden ist.
– In Absicht auf
c√ Sprachlehre würde man wohl thun, wenn
man sich an
eine, die beste welche man finden
könnte, gewöhnte; – im Lateinischen z. B.
vorzüglich an J. J. G. Schellers ausführliche lateinische Sprachlehre,
dritte vermehrte Auflage,
Leipz. 1790
in gr.
8. oder, für den Anfang, an Desselben kurzgefaßte lateinische Sprachlehre,
dritte vermehrte Auflage, Leipz. 1785
in gr.
8.
und besonders um der sorgfältig gesammleten Beyspiele|b150| willen, aus welchen man lernen kan, selbst sich die Regeln abzuziehn, an J. H. L. Meierotto lateinische Grammatik in Beyspielen, Berlin 1785
in 2 Theilen in 8; oder an die practische Grammatik der lateinischen Sprache von C. G. Bröder , Leipz. 1787
in gr.
8, verbunden mit dem kurzgefaßten practischen Syntax von C. B. Lehmus , Leipz. 1789
in gr.
8. – im Griechischen etwa an die bekannte
Wellerische oder Märkische Grammatik, oder, unter den neuesten, vorzüglich an ⌇c J. G. Trendelenburg's Anfangsgründe der griechischen Sprache, dritte verbesserte Aufl. 1790
in 8. c√
130.
Die feinere Kenntniß der
lateinischen Sprache, ihres innern Baues und der Gründe, worauf er beruht,
könnte man sich
hernach durch die sorgfältige Beobachtung
bey Lesung der lateinischen Schriftsteller, und durch solche Bücher bekannt
c√ machen, welche das
Eigne dieser Sprache, oft auch dessen Gründe,
erklären, oder auf gewöhnliche Fehler
unsre Aufmerksamkeit lenken.
|c135| Hieher gehören
Christoph. Cellarii Orthographia
latina - - obss.
Longolii , Heumanni , Heusingeri , Schurtzfleischii suisque auxit et
Cortii disputationes de usu orthographiae cum orthographia
Norisiana typis
repetendas curavit
Theoph. Christoph Harles ,
Tom[.]
I.
|a124| et II. Altenburgi
1768
8.
– ⌇c Laurentii Vallensis libri elegantiarum sex, öfters aufgelegt
z. B.
Colon.
1522
4. und in seinen Operibus.
⌇c Thom. Linacri de emendata structura latini sermonis libri
|b151| VI. oft
aufgelegt z. B.
Lips.
1556
in 8.
und einige andre Schriften, die in Rich. Ketelii de elegantiori latinitate comparanda Scriptoribus selectis, Amst. 1713
in 4. gesammlet sind. c√ ⌇c Horat. Tursellini de particulis lat. orationis
libellus post curas
Jac. Thomasii et
Jo. Conr. Schwartzii denuo recognitus et auctus, Lips. 1769.
8.
und ⌇c Christ. Gottf. Schütz (noch nicht fortgesetzte) Doctrina particularum lat. linguae, Dessav. 1784
in gr.
8.; auch die ⌇c Abhandlung über die lateinischen
Ellipsen von
Joh. Gottlieb Lindnern , Frankfurt
1780
in 8.
– ⌇c Gasp. Scioppii Grammatica philosophica, nach J. C. Herzogs Ausgabe August. Vindel. 1712
in 8, und ⌇c Franc. Sanctii Minerua s. de caussis lat. linguae liber, cui inserta sunt – quae addidit
Gasp. Scioppius et
subjectae notae
Jac. Perizonii ,
Edit.
4. Amstel.
1714
in gr.
8.
– a√ ⌇c Jo. Frid. Noltenii Lexicon latinae linguae antibarbarum, der vermehrten
Ausgabe Helmst.
1744 in gr.
8., Tomus
poster.
Lips.
1768
, (zusammen wieder unter der Jahrzahl 1780
); wiewohl man die meisten zuerst
angegebnen entbehren
kan, wenn man entweder ein so vollständiges Buch
hat, wie die vorhin erwähnte
Schellerische ausführliche lateinische Sprachlehre ist, oder wenn man sich nicht vorzüglich auf das Lateinische legen will.
|c136| 131.
Eben so werden bey der
griechischen Sprache der ⌇c Libellus
animaduersionum quibus
Jac. Velleri Grammatica graeca emendatur, suppletur, illu
|b152|stratur, auctore
Joh. Frider. Fischero , Lips.
1750–52
in 3
Abtheilungen in 8.; ⌇c Franc. Vigeri de praecipuis graecae dictionis idiotismis liber, cum
animaduerss. Henr. Hoogeveeni , qui
|a125|bus
et suas adiunxit Jo. Carol. Zeunius ,
neueste verbesserte Ausgabe Leipz. 1789
in gr.
8. – ⌇c Henr. Hoogeveen doctrina particularum graecarum recens.
breuiauit et auxit
Christ. Godofr. Schütz , Dessav.
1782
in gr.
8.
– ⌇c Lamb. Bos Ellipses graecae, öfters aufgelegt, sonderlich mit mehrerer Gelehrten Anmerkungen in
Jo. Nic. Schwebelii Ausgabe Norib. 1763
gr.
8. – ⌇c Graecae linguae
dialecti - - recognitae opera
Mich. Maittaire ,
nach Jo. Frider. Reitzii Ausgabe Hag. Com. 1738
in gr.
8. oder in dessen
Ermanglung das
Compendium dialectorum graecarum,
concinnauit J. J. Facius , Norib. 1782.
8.
von großem Nutzen seyn.
132.
Zur Kenntniß des lateinischen Sprachgebrauchs übertrift unter den größern Wörterbüchern der Nouus linguae et eruditionis Romanae
thesaurus post
Ro. Stephani et aliorum
curas - - locupletatus a
Jo. Matthia Gesnero , Lips.
1749
in 4
Tomis in fol.
und unter den kleinern Schellers Ausführliches lateinisches Lexicon,
lateinisch-teutscher Theil, zweyte Aufl.
Leipz. 1788
in gr.
8., die übrigen bey weiten; womit
Ausonii Popmae de differentiis verborum itemque de
vsu antiquae lectionis libri retractati ab
Jo. Christ. Messerschmid , Dresdae
1769
in 8. und
Jo. Frid. Reitzius de
|b153| ambiguis, mediis et contrariis, Traj. ad Rhen.
1736
in 8. nützlich verbunden werden
könnten.
⌇⌇c Ueber die Latinität der
mitlern Zeiten
ist für den, der
Dufresne und
Carpentier große Glossarien |a126| nicht brauchen kan oder mag,
(Jo. Christoph Adelungs ) Glossarium manuale ad scriptores mediae et infimae latinitatis, Halae
1771–84
in 6 Tomis in gr.
8. hinlänglich. c√
|c138| 133.
Unter den größern Wörterbüchern über die griechische Sprache ist der ⌇c Thesaurus graecae linguae ab
Henr. Stephano constructus,
1572
in 4 Tomis fol.
nebst einem besondern Band, der den Appendix enthält,
noch immer das Hauptwerk, so wie unter den
kleinern das
⌇c Graecum Lexicon
manuale - - a
Beni. Hederico institutum - - locupletatum
et - emendatum cura
Jo. Aug. Ernesti ,
neue verbesserte Aufl. von
C. Chr. Wendler Leipz. 1788
in gr.
8.
bis jetzt das einzige recht brauchbare ist.
134.
Was diesen abgeht,
kan man
ergänzen, und überhaupt die Kenntniß des griechischen und lateinischen Sprachgebrauchs sehr
erweitern – entweder aus denen, die das besondern Dialekten
Eigne erläutert haben,
dergleichen das schätzbare Dictionarium Doricum
und das Dictionarium Jonicum
, beyde von Aemil. Porto , Francf. 1603 in gr.
8. gedruckt, und Ebendesselben Lexicon Pindaricum, Hanoviae 1606
in 8. ist – oder aus
|b154| den sogenannten
Auctoribus linguae latinae und den verschiedenen lateinischen und griechischen Scholiasten, Glossariis und Lexicis,
– oder aus den Anmerkungen gelehrter Männer zu gedachten äl
|a127|tern Wörterbüchern,
den
Hesychius ,
Pollux ,
Ammonius ,
Harpokration ,
Timäus ,
Thomas Magister ,
Moeris und andern, oder ihren Anmerkungen und erklärenden Indicibus, die den besten Hand- und
|c139| andern Ausgaben angehängt
sind, – oder aus den gelehrten Erläuterungen
einzelner Stellen alter
Schriftsteller, wovon unter andern der
Catalogus Bibliothecae Bunavianae Tom.
I. p.
1873 sq.
ein zahlreiches obgleich noch vieler Ergänzungen bedürftiges
Verzeichniß enthält – ⌇c Carol. du Fresne Glossarium ad Scriptores med. et infimae Graecitatis, Lugd.
1688
in 2 Folianten, ist zur Kenntniß des
spätern Griechischen unentbehrlich.
135.
Wie die alten Schriftsteller, und mit welcher Rücksicht, sie gelesen werden
müssen? dies
kan schon aus den obigen allgemeinen Erinnerungen (§.
72 –86 ) abgenommen werden. Hier noch einige allgemeine Vorschläge,
die diese
griechische und
lateinische Schriftsteller
insbesondre angehen.
– – Zuerst müßte man sich eine vorläufige Kenntniß von ihnen und ihren Schriften, von den brauchbarsten Ausgaben, und von den Sachen erwerben, auf die sie sich beziehen, ohne welche man wenigstens
bey ihrer Lesung gar nicht fortkommen
kan. – Ueber diese Schriftsteller selbst,
|b155| ihre Umstände und Schriften hat man bis jetzt noch kein ausführlicheres
Werk als
Jo. Alb. Fabricii Bibliothecam latinam,
Edit.
5. Hamburgi
1721 und
22
in
drey Octavbänden, und, zwar etwas
|a128| verkürzt, aber besser geordnet und vermehrt von
Joh. Aug. Ernesti ,
Leipz. 1773 und
74
in
drey Tomm.
gr.
8., nebst
Fabricii Bibliotheca graeca, Hamb.
1705–28
in 14
Quartbänden, wovon seit 1790
eine 4te ungemein vermehrte Ausgabe durch Gottlieb Christoph Harles Veranstaltung in gr.
4 erscheint. Doch sind ⌇c Theoph. Christoph. Harles (noch nicht vollendete) Introductio in notitiam litteraturae Romanae inprimis
Scriptorum latinorum, Nori
|c140|berg.
1781
in
zwey Theilen in gr.
8., dessen Breuior notitia litteraturae Romanae etc.
Lips. 1789
in 8., so wie ⌇c
Ebendesselben Introductio in historiam linguae graecae,
c√ Altenburg.
1778.
8., besser angelegt, mit besserer Wahl gemacht, zweckmäßig vollständiger, und überhaupt die besten Handbücher, die wir bis jetzt darüber haben.
136.
Aus diesen
Büchern kan man auch
einigermaßen die besten Ausgaben
solcher alten Schriften kennen lernen. Der wahre Werth
dieser Ausgaben hängt, entweder von der Lauterkeit und Richtigkeit des Textes, oder von der Zweckmäßigkeit der Anmerkungen,
d. i.
davon ab, ob sie gerade so viel enthalten, als nöthig ist, den Autor durchaus zu verstehen.
Denn, wer die Absicht
hat einen alten Schriftsteller zu
lesen: der muß
ihn, und er muß|b156| ihn
verstehen lernen wollen; er muß also
wünschen durch den, der ihn
dabey leiten will, zur Erreichung seiner Absicht,
unterhalten, und nicht zerstreuet zu werden; er wird selbst deswegen wünschen, so viel selbst zu thun, als er ohne Anderer Hülfe thun
kan. Folglich sind,
zu seiner Absicht, alle Erläuterungen von Wörtern und Sachen unnütz,
unzulänglich, oder gar hinderlich, die seinen
|a129| Schriftsteller oder die Stellen, die er lieset, nicht angehen; die
c√ der Zweck der Herausgeber sind,
so wie der alte Schriftsteller
c√ nur
c√ Mittel, jene gelegentlich und mit
mehrern Anstand unter die Leute zu bringen; die wenigstens die Aufmerksamkeit zu lange auf andere Sachen, als auf den Sinn des Schriftstellers, ziehen; die gemeinbekannte Sachen enthalten, welche
der, wer einen gewissen Autor
|c141| lieset, schon
weiß, oder billig wissen muß; die nur einige Schwierigkeiten
auflösen,
welche gerade der Commentator wegzuräumen vermochte; und die, anstatt bloß Winke zu geben, um dem Leser auf die Spur zu helfen, durch Anmerkungen zu Bildung des Verstandes, des Geschmacks und Herzens, den Autor selbst dem Leser aus dem Gesicht rücken. Mögen alle solche Commentare
in andrer Absicht noch so nützlich
seyn: so scheinen zu
der hier gemeinten diejenigen Handausgaben die besten, welche einen genau geläuterten Text und so viele, auch nur so weit ausgeführte, Anmerkungen enthalten, als die Aufklärung des Sinnes, in Absicht auf Wörter und Sachen, nothwendig erfordert,
ohngefähr so, wie wir sie, mehr oder minder,
c√ von
einigen neuern Deutschen,
|b157| einem
Gesner ,
Ernesti ,
Fischer ,
Heyne ,
Morus ,
Wolf und einigen wenigen Andern
c√ haben.
137.
Die Sachen, auf welche sich die alten griechischen und römischen Schriftsteller
beziehen, und von welchen man wenigstens einige vorläufige Kenntniß haben muß, wenn man nicht alle Augenblicke
anstoßen, oder jene Schriftsteller nur halb
verstehen, oder sich zur Unzeit
bey ihrer Lesung selbst zerstreuen will, sind in der Geschichte, der alten Erdbeschreibung, der Mythologie, den griechischen und römischen Alterthümern zu suchen.
c√ Zur ersten Grundlage für einen Theil dieser Kenntnisse ist das
– ⌇c Handbuch der
klassischen Literatur, enthaltend Archäologie, Notiz der
Klaßiker, Mythologie, griechische Alterthümer, römische Alterthümer, von
Joh. Joach. Eschenburg , Berlin
1783
in gr.
8.
– ⌇c überaus brauchbar.
|c142| 138.
Die eigentlich
hieher gehörige
Geschichte betrift entweder die bürgerlichen Veränderungen in den alten griechischen und römischen Staaten, oder den Zustand und die Schicksale ihrer Literatur und Künste, besonders der Philosophie unter Griechen und Römern. So sehr es uns noch an Büchern fehlt, welche, mit Absonderung aller in
andrer Absicht sehr nützlichen Kenntnisse und Untersuchungen, recht eigentlich dazu eingerichtet wären, die, welche diese alten Schriftsteller in ihren Be
|b158|ziehungen und Anspielungen auf gedachte Gegenstände verstehen wollen, dazu, mit Zusammenfassung der erwähnten Kenntnisse, vorzubereiten: so kann man
sich doch
schon vor der Hand, – in Absicht auf alte griechische Geschichte, mit ⌇c
Stanyans , unter dem
Titel: Histoire de
Grece, traduite de l'Anglois de Mr.
Temple Stanyan , Amst.
1744
in 8.
in 3
Tomes nachgedruckten, und aus den Quellen selbst
geschöpften, Geschichte
Griechenlandes bis auf
|a131| den Tod
K.
Philipps in Macedonien;
oder mit dem ⌇c
Handbuch der griechischen Alterthümer in Rücksicht auf, Genealogie, Geographie, Mythologie, Kunst und Geschichte, zum Gebrauch für die Jugend beym Lesen der Alten, behelfen, Leipzig 1789
in 8. c√ Wichtiger ist freylich ⌇c
John Gillies Geschichte von Altgriechenland, von dessen Uebersetzung aus dem Englischen bereits zwey Theile, Leipzig 1787
in gr.
8. erschienen sind; c√ ⌇c und die vortrefliche ⌇c Voyage du jeune Anacharsis en Grèce (vom Abbé Barthelemy ) mit einem Recueil des Cartes, à Paris 1788
in 4 Tomes in gr.
4, und mehrmals nachgedruckt, ob es gleich bey weitem c√ mehr als bloße Geschichte enthält.
c√ Beziehen sich die Werke eines alten Schriftstellers,
z. B.
Cicero's
Briefe, sehr auf die Geschichte ihrer
Zeit: so sollte man
eher solche Schriften nicht
c√ lesen,
c√ bis man sich diese besondere Geschichte,
z. B.
die in Cicero's
Schriften zum Grunde liegende, aus
Seb. Corradi Quaestura, wieder aufgelegt Lips.
1752
in 8.;
The history of the life of M. T. Cicero
, by
Conyer Middleton , öfters aufge
|b159|legt, als London
1767
in 3
Voll.
gr.
8. (auch ins
Französische und ins Deutsche
übersetzt,) oder aus Ciceronis
vita (quam) ex ipsius scriptis excerpsit et ad Consulum seriem digessit
J. C. L. Meierotto , Berol. 1783.
8. bekannt gemacht hätte.
|a132| 139.
Woran es uns noch unter den zur griechischen und römischen Geschichte gehörigen Schriften fehlt, eben
dieses vermißt man auch
bey Schriften, welche den Zustand der Künste und Wissenschaften, namentlich der Philosophie,
bey beyden Völkern betreffen.
c√ ⌇c
M. Tullii Ciceronis
historia philosophiae antiquae, collecta, illustrata et amplificata a
F. Gedike , Berol.
1781
in gr.
8.
ist die einzige, die hier empfohlen werden könnte. Die mit großem Fleiß ausgearbeitete ⌇c Geschichte des Ursprungs, Fortgangs und Verfalls der Wissenschaften in Griechenland und Rom, von
C. Meiners ,
wovon zu Lemgo
1781 und
1782
erst zwey Bände in gr.
8.
erschienen sind, gehört schon für Leser einer höhern Classe.
140.
Auch bey der alten
Erdbeschreibung wird man vermuthlich noch lange auf ein Buch warten müssen, das,
bey der möglichsten Vollständigkeit, nach
eigner sorgfältigen Untersuchung und mit Benutzung der wirklich sichern und brauchbaren Entdeckungen einiger wenigen eigentlichen Kenner, auch mit möglichster
|c144| Vergleichung der ältern und
|b160| neuern Topographie, zwischen der weitläufigern
c√ a√ ⌇c Notitia orbis antiqui von
Christoph. Cellario mit
Jo. Conr. Schwartzii Anmerkungen,
Leipzig 1731 und
1732
in zwey Quartbänden, und zwischen der zu magern ⌇c Geographie ancienne abregée par Mr.
d'Anville ,
c√ à Paris
1768
in drey Bänden gr.
12., oder dem ⌇c Handbuch der alten Erdbeschreibung zum Gebrauch der eilf größern Danvillischen Landcharten (von Hummel , c√ Stroth , Bruns und Dittmar ,) Nürnb. 1785 und 1786
in zwey Bänden in gr.
8.
(auch
lat.
Compendium Geographiae antiquae etc.
) das Mittel hielte. Dergleichen ist ohngefehr die sehr schätzbare Geographie der Griechen und Römer - - von Konrad Mannert , wovon aber bis jetzt nur Ein Theil, Nürnberg 1788
und des Zweyten Theils erstes Heft 1789
in gr.
8. erschienen ist. – ⌇⌇c Die einzig guten Charten zur alten Geographie von
d'Anville , welche
unter dem Titel: Atlas antiquus Danvillianus zu Nürnberg 1784
nachgestochen worden, sind wenigstens
unentbehrlich; sonst muß man sich bloß mit den noch sehr unvollkommenen Charten in Cellarii
Werk oder
Jo. Dav. Koeleri Descriptione orbis antiqui in
XLIV. tabulis
von Weigel
in Nürnberg gestochen, begnügen.
141.
Zu der
bey Lesung der Alten so nothwendigen Kenntniß der
Mythologie, – welche sowohl die Begriffe alter |c145| Völker in ihrem noch rohen Zustande enthält, die sie sich von übermenschlichen |b161| Wesen und Naturbegebenheiten machten, als auch die Sagen von den unter ihnen vorgefallenen Ereignissen, – könnte man die ⌇c
Einleitung in die Götter- und
Fabelgeschichte der ältesten griechischen und römischen Welt, durch
Christ. Tob. Damm ,
4te Auflage, Berlin
1775
in 8., oder ⌇c
Dav. Christoph Seybolds Einleitung in die griechische und römische Mythologie der alten Schriftsteller,
2te Auflage, Leipzig 1784.
8. zum Grunde legen; noch besser in Rücksicht auf Dichter und Kunstwerke Karl Wilh. Ramlers kurzgefaßte Mythologie, Berlin 1790
in 2 Theilen in 8. Wollte man, doch nur im Allgemeinen, mehr davon wissen: so könnte ⌇c Anton Banier's Erläuterung der Götterlehre und Fabeln aus der Geschichte, mit
Joh. Adolf und
Joh. August Schlegels auch
Joh. Matthias Schröckh's Anmerkungen,
Leipzig 1754–1766
in fünf groß Octavbänden, auch, als einen Nothhelfer, Benj. Hede|a134|richs mythologisches Lexicon, verbessert von Joh. Joach. Schwaben , Leipzig 1770
in gr.
8. zu Hülfe genommen werden. ⌇⌇c Ein weit genaueres und sehr nutzbares Handbuch zur allgemeinern Uebersicht sind ⌇c Christoph. Saxi Tabulae genealogicae, s. Stemmata deorum, regum, principum - - qui per tempus - - mythicum vixisse - - creduntur, Ultraject. 1783
in Folio, ob es gleich einen weitern Umfang hat als bloße Mythologie. Hernach würde man, wenn man zumal die alten Dichter recht anschaulich verstehen
lernen wollte, die
Dactyliothek von
Phil. Dan. Lippert , Erstes und
Zweytes Tausend,
Leipzig 1767
in zwey |b162| Bänden in 4. und das Supplement dazu
1776
in 4. nebst den dazu gehörigen Abdrücken geschnittener Steine,
mit ungemeinen Nutzen zu Rathe ziehen, oder, weil dieser Schatz wegen seiner Kostbarkeit nicht überall zu haben ist, an dessen Stelle den Versuch einer mythologischen Dactyliothek für
Schulen - - von
Anton Ernst Klausing ,
Leipzig 1781
in gr.
8. (wovon noch ein zweyter Theil erwartet wird) ebenfalls mit den Abdrücken,
brauchen können.
⌇⌇c Ueber den Geist dieser Mythologie, oder ihren Sinn, nebst ihrer verschiednen Gestalt und Veränderungen zu verschiednen Zeiten und bey verschiednen Schriftstellern geben die
Heynischen und Hermannischen Schriften, welche man §. 313 der dritten Auflage meiner Anweisung zur Kenntniß der besten Bücher in der Theologie
angezeigt findet, die besten Aufschlüsse.
142.
Diese
bisher §. 137 f.
erwähnten Schriften und Werke enthalten selbst
einiges, das zur bessern Kenntniß der, wenigstens gottesdienstlichen,
griechischen und römischen Alterthümer dient.
c√ In Absicht der
griechischen, wo es uns noch so sehr an einem guten und hinlänglichen Handbuch fehlt, ist unter den mehr systematischen Büchern,
Johann Potters griechische Archäologie oder Alterthümer Griechenlandes mit Anmerkungen und Zusätzen von
Joh. Jac. Rambach ,
Halle 1775–1778
in drey Theilen in gr.
8. a√ in seiner Art das einzige. –|b163| ⌇⌇c Wenn man sich
bey den
römischen Alterthümern erst ein kürzeres Lehrbuch bekannt gemacht hat, unter welchen
Christoph Cellarii Compendium antiquitatum ro
|a135|mana
|c147|rum c. adnott.
J. E. J. Walchii Edit.
3. Halae 1774.
8.
Ge. Henr. Nieupoort rituum, qui olim apud Romanos obtinuerunt, succincta explicatio,
Edit.
13. Berol.
1767
in gr.
8. auch
Edit.
6.
(Ultrajectina) curant.
Guil. Ottone et
Jo. Freder. Reitzio 1774
gr.
8., und
Jo. Frid. Gruneri introductio in antiquitates Romanas, Jenae 1748.
8. die besten sind: so
kan man
hernach Georg Christian Maternus von Cilano ausführliche Abhandlung der römischen Alterthümer, in Ordnung gebracht von
Georg Christ. Adler , Altona
1775 und
1776
in vier
Theilen in 8. (die ein Commentar über den Nieupoort
, aber von viel weiterm Umfange ist)
dazu nehmen, und damit
G. C. Adlers ausführliche Beschreibung der Stadt Rom, Altona
1781
in 4.
; die Schrift: Ueber Sitten und Lebensart der Römer in verschiedenen Zeiten der Republik, von
J. H. L. Meierotto , Berlin
1776
in
zwey Theilen in 8.; und
C. Meiners Geschichte des Verfalls der Sitten und der Staatsverfassung der Römer,
Leipzig 1782.
8. verbinden.
c√
Wegen des
großen Einflusses der Kenntniß des römischen Kriegswesens auf die rechte Einsicht des Verstandes vieler Stellen
bey römischen Schriftstellern sind die
Römischen Kriegsalterthümer (von Rösch und
Nast ) Halle
1782
in gr.
8. sehr zu empfehlen.
|b164| 143.
Hätte man sich durch die bisher (§.
135 f.
)
erwähnte Kenntnisse zum Lesen griechischer und
|a136| lateinischer Schriftstel
|c148|ler
vorbereitet: so
möchten ferner folgende Vorschläge
bey dem Lesen nicht undienlich seyn. 1) Weil der, welcher diese Schriftsteller
vor sich lesen will, gemeiniglich schon vorher einen Unterricht in alten Sprachen und, nach unsern Einrichtungen, weit mehr in der lateinischen als in der griechischen, in letzterer oft so viel als gar nicht, bekommen hat; und weil man
bey Lesung der römischen Schriftsteller gemeiniglich auch mit die Absicht hat, sich eine Fertigkeit im lateinischen Ausdruck zu erwerben; ja, weil selbst die Hülfsmittel zur Erlernung des Griechischen und die
erklärende Anmerkungen in den Ausgaben griechischer Schriftsteller fast durchgehends in lateinischer Sprache abgefaßt sind: so ist es rathsam,
lateinische Schriftsteller eher als
griechische zu lesen. Wäre
man nicht in diesen Fällen: so wäre es viel nützlicher und vernünftiger, mit den griechischen anzufangen. Denn die römischen Schriftsteller haben die griechischen nachgeahmt und copirt, können also weit besser verstanden werden, wenn man diese schon voraus kennt; und man würde auf diese Art die fortschreitende
Cultur des menschlichen Verstandes und Herzens, auch der davon abhängenden Begriffe, Grundsätze und Sitten, weit besser wahrnehmen.
c√
|c149| 144.
So nützlich 2)
Chrestomathien oder Excerpte
|b165| aus mehrern alten
Schriftstellern, für den seyn mögen, der
keine ganze Schriftsteller
c√ haben
kan,
|a137| oder für den Anfänger, der vorerst den nothdürftigsten Sprachgebrauch
lernen, oder einen allgemeinen Vorschmack von
mehrern Schriftstellern und
ihrem Unterschied erlangen will: so
viel besser ist es doch,
ganze Schriftsteller
in eins fort zu lesen, ehe man zu andern fortschreitet. Denn
– ausserdem daß es unnatürlich ist und zur Unbeständigkeit gewöhnt, etwas
aufzugeben was man
angefangen, und was uns gefallen
hat – wird man durch das anhaltende Lesen eines guten Schriftstellers besser mit
seinen Sachen, so wie mit seiner eigenthümlichen Denk- und Schreibart, bekannt, lernt ihn
daher, und wenn man einmal im Gange ist, besser verstehen, und gewöhnt sich leichter, wenn man gar die Absicht
hat seinen Ausdruck nach
einem solchen Schriftsteller zu bilden, an eine gewisse Gleichheit und Reinigkeit des Ausdrucks.
145.
Wollte man – wie hier immer vorausgesetzt wird –
alle Schriftsteller
vor sich lesen, und wäre im Griechischen oder Lateinischen noch sehr
zurück: so wäre 3) zu rathen, daß man – da ein Anfänger zunächst erst des Sprachgebrauchs mächtig werden muß – ganz leichte Schriftsteller
läse, und sich
dabey solcher Ausgaben bediente, wo in Anmerkungen oder Registern die Bedeutungen der Wörter und Redensarten, auch wohl schwerere Formen, erklärt
werden, z. B.
die Fabulas Aeso|b166|picas nach Joh. Mich. Heusingers Ausgabe, vermehrt Eisenach 1771.
8.; Paeanii Metaphras. |a138| in Eutropium , nach F. S. Kaltwassers , Gotha 1780.
8.; Palaephatum de incredibilibus, nach Joh. Fridr. Fischers Ausgabe, Leipzig 1761.
8. Ist man etwas
weiter: so sind solche Glossarien, wo nur das
schwere und dem Schriftsteller
eigenthümliche mit we
|c150|nig Worten
erkläret wird,
wie die
Ernestischen bey Xenophons memorabil. Socratis und bey dem Polybius , zu
dieser Absicht, vollkommen zureichend.
146.
Und weil es vernünftig ist, vom Leichtern zum Schwerern fort zu gehen: so ist es 4) auch rathsamer, eher prosaische Schriftsteller, wenigstens leichtere, als Dichter zu lesen; selbst deswegen, weil der Geschmack leichter durch die Lesung der letztern verwöhnt, und zu sehr an das Hervorstechende gewöhnt wird; zumahl wenn man durch Lesung der Alten selbst seine Denk- und Schreibart bilden will. – Aus eben diesem Hauptgrunde würde man auf Schriften, welche gemeinbekannte Sachen enthalten, erst Geschichtschreiber, und auf diese erst philosophische Werke folgen laßen müssen; wenn nicht der schwerere Vortrag eines Schriftstellers in jenen erfordert, sie bis nach diesen zu verschieben; im Griechischen würde man auch wohl thun, Schriftsteller von einerley Dialekt zusammen zu nehmen, wenn hier jene angegebene Ursachen nicht wieder eine Ausnahme erforderten.
|b167| Anm.
1. Besondere Vorschläge von der bequemsten Ordnung, in der man
alle Schriftsteller nach ein
|a139|ander lesen möchte,
laßen sich nicht allgemein geben, da die Absichten, warum man
diese Schriftsteller lieset, sehr verschieden sind, und die gemeldeten Regeln oft einander in den Weg kommen. – Im Lateinischen würde man sehr wohl den
Phäder ,
Nepos und
Terenz – den
Cäsar und
Sallust –
Cicero's Lälius und Cato, seine Briefe, seine philosophischen, seine rhetorischen Werke und seine Reden, mit
Quinctilians Instit.
orat. – den
Livius ,
Suetonius und
Tacitus – den
Plautus , und so die übrigen nach
Befinden, auf einander folgen lassen können. Nach den leichtesten unter diesen Prosaikern
|c151| könnten schon
Ovid und
Virgil ,
sodann, nach den etwas schwerern,
Horaz und andere gelesen werden.
Anm.
2. Im Griechischen könnte man, nach der §. 145 angegebenen Vorbereitung, mit
Aelians vermischten Geschichten und mit
Epiktets Enchiridion sowohl als Arrians Commentarien den Anfang machen – hernach vorzüglich den
Xenophon , und überhaupt die besten Attischen Prosaisten, sowohl Philosophen, vornemlich
Platon's und
Aeschines Dialogen, und
Theophrasts Charaktere, sodann, nach
Aristoteles Rhetorik, den
Isokrates nebst den in der
Reiskischen Sammlung enthaltnen Rednern, lesen. Nun könnten, und, wenn man gerade nicht Attische Schriftsteller gleich zusammen nehmen wollte, auch schon gleich nach dem Xenophon , die Geschichtschreiber, hauptsächlich
Herodot , Thuky|b168|dides ,
Polybius ,
Plutarch , auch
Josephus , und von spätern
Arrian ,
Appian und
Herodian , eintreten. Die Dichter könnten sehr wohl mit den andern abwechseln .
Homer müßte billig allen vorgehen, und
Hesiod könnte ihm folgen. Vom
Anakreon ,
Theokrit , Moschus und Bion könnte man zu den Attischen Tragikern und Komikern fortschreiten, und alsdenn den
Pindar und
Kallimachus hinzufügen. Gut |a140| wäre es doch,
Aristoteles Poetik mit diesen Dichtern zu verbinden. ⌇⌇c Andere, sonderlich spätere oder unbeträchtlichere Schriftsteller zu erwähnen, erlaubt die hier nöthige Kürze und eingeschränkte Absicht nicht, die eigentlich auf die Muster des griechischen und lateinischen Vortrages geht. c√
147.
Bey einer solchen
Menge von griechischen und römischen Schriftstellern versteht sichs von selbst, 5) daß viele,
zumahl|c152| wenn man sich nicht ganz eigen diesem Studium widmet, nur cursorisch gelesen werden müssen. Je leichter ein
Schriftsteller, und vornehmlich je weniger er
classisch ist (§.
72 ), je weniger braucht man sich
bey ihm aufzuhalten. – Endlich
müßte man sich 6)
c√ hüten, daß
der Aufhalt nicht durch Vergleichung
gelehrter Commentatoren noch
verlängert würde. Billig sollte man sie nur da befragen, wo man nicht selbst fortkommen
könnte. Verlieren sie sich
zumahl in weitläufige und gelehrte Erläuterungen, die nicht bloß den zu erläuternden Autor
angehen: so ist es weit besser, eine
andre Zeit auszusetzen, um diese zu
|b169| studieren, als sich zu sehr von dem Autor selbst ablenken zu lassen.
148.
Uebungen im guten
Ausdruck brauchen sich
bey den bisher erwähnten
zwey Sprachen eigentlich nur auf die
lateinische einzuschränken. – Wenn das Studium der alten Griechen und Römer einen
|a141| großen Werth hat (§.
107 f.
), und
wenn der sie weit besser versteht,
wer sogar seinen Ausdruck in ihrer Sprache mit Fleiß nach ihnen gebildet hat;
wenn, nach den oben (§.
123 f.
) angeführten
Gründen, die lateinische Sprache, als allgemeine gelehrte Sprache, unter den Gelehrten erhalten zu werden
verdient *) ; wenn dieses vornehmlich durch
Beyspiele dererjenigen geschehen muß, die junge Gelehrte bilden oder sie prüfen sollen, und die durch ihr
Beyspiel und Ansehen hauptsächlich dem Strom
einreissender der Gelehrsamkeit
nachtheiligen Gewohnheiten entgegen arbeiten müssen: so sollten wenigstens alle, die
gelehrte Schriftsteller seyn,
d. i.
über Sachen, die zur eigentlichen Gelehrsamkeit gehören, schreiben wollten, und
es sollten vorzüglich Lehrer auf Schulen und
Universitäten, nebst
solchen, die auch Schullehrer zu prüfen und zu leiten haben, eine Fertigkeit besitzen, sich, wo nicht eigentlich schön, doch wenigstens rein und verständlich in der lateinischen Sprache, es
sey im Reden oder Schreiben, ausdrücken zu können, und diese Fertigkeit nicht immer mehr aussterben
laßen.
|b170| c√ *)
S.
Vertheidigung des
Lateinschreibens - - von
Friedr. Gedike , Berlin
1783
,
gr.
8. auch
in dessen gesammleten Schulschriften
S.
289 f.
, verglichen mit den Einwendungen dagegen in der Berlinischen Monatsschrift
von Gedike und Biester , 1783
, October
c√ S.
346
f.
,
und in der Allgemeinen Revision des Schul- und Erziehungswesens
Theil 11. S.
258 f.
auf welche
Scheingründe schon oben (§.
124 f.
) Rücksicht genommen worden ist.
|a142| 149.
Wer nach einer solchen
Fertigkeit sich lateinisch
auszudrucken trachtete, würde ausser den §.
76 und
129 angeführten
Schellerischen Büchern, J. J. G. Schelleri praecepta stili bene latini,
nach der zweyten vermehrten Ausgabe, Lips.
1784
in 2 Tomis in gr.
8. mit
großem Nutzen brauchen können, um feste Regeln zu
haben, woran er sich zu halten
hätte, und seine Aufmerksamkeit
bey wirklicher Lesung der Alten auch in dieser Absicht zu leiten. Denn dieses Lesen und die genaue Aufmerksamkeit auf ihren Ausdruck
und das Eigenthümliche ihrer Sprache in seinem ganzen Umfange, ist freylich die beste und sicherste Uebung.
*) Ausserdem würde es sehr vortheilhaft seyn, solche neuere Schriftsteller fleißig zu lesen, die den guten lateinischen Ausdruck in ihrer Gewalt haben, und zum Theil Muster seyn können, als, unter theologischen Schriftstellern,
Erasmus ,
Phil. Melanchthon ,
Joach. Camerarius ,
Joh. Calvin ,
Joh. |b171| Sturm ,
Melch. Canus ,
Hier. Osorius ,
Jak. Sadoletus ,
Andr. Hyperius ,
Joh. Aug. Ernesti , S. F. N. Morus, und einige wenige
Andre; weil man sich dadurch mehr
gewöhnt den guten lateinischen Ausdruck unserer Art zu denken, unsern Kenntnissen und Bedürfnissen anzuschmiegen.
*) Ja es ist auch der einzige Weg, wie man
eigentliches, altes, römisches Latein, und überhaupt wirklich in einer fremden Sprache,
kan schreiben lernen. Denn dazu gehört, daß man in derselben Sprache
denken könne; und in jeder Sprache denkt man anders. Wer
dies nicht
kan, mag wohl aus einer Sprache in die andere übersetzen, und in der fremden Sprache sich so ausdrucken können, daß man sieht, was er sagen
wolle, aber
mit der Sprache,
z. B.
rein,
ächt Lateinisch, wird er nicht zu schreiben vermögen.
Andere Vorschläge und Regeln sind schon oben §.
87 –89. berührt worden.
150.
Ausser den bisher erwähnten Sprachen ist für den, der sich der Theologie widmet, die Kenntniß
|a143| der
hebräischen Sprache am
nothwendigsten, nicht nur wegen der Bücher des alten Testaments,
die meistens in dieser Sprache abgefaßt sind, sondern weil auch in den Büchern des neuen
c√ der Vortrag fast durchaus nach der
hebräischen Denk- und Sprachart gebildet ist, und sie nicht richtig verstanden werden können, wenn man jene nicht aus dem alten
Testament kennen gelernt hat.
|b172| 151.
So leicht die hebräische Sprache zu seyn scheint, weil nur Ein Werk in ihr geschrieben ist, und so viele Erleichterungs|c155|mittel es auch giebt, wodurch man sie dem bald beybringen kan, der sich unter den morgenländischen Sprachen nur auf sie einschränken will, und mit der nothwendigsten Kenntniß derselben zufrieden ist: so große Schwierigkeiten hat sie, wenn man sie wirklich verstehen, und eine sichere und gründliche Kenntniß derselben erlangen will, man mag auf die Sprachregeln oder auf den noch weit schwerer zu bestimmenden Sprachgebrauch sehen. Ein Beweis davon sind schon die ehemaligen ungereimten Methoden, die Richtigkeit von jenen und diesem zu entdecken, und es bleibt bey dieser ausgestorbnen Sprache, die noch dazu nur in Einem Werke übrig ist, kein andres sichres Mittel übrig, sie gründlich und mit eigner Ueberzeugung zu lernen, als die Kenntniß der mit ihr zunächst verwandten Sprachen, besonders der chaldäischen, syrischen und arabischen.
- |a144| c√ Origines hebraeae, s. hebr. linguae antiquissima natura et indoles ex Arabiae penetralibus reuocata ab Alb. Schultens . Ed.
altera, cui adiectum opusculum de defectibus hodiernis ling. hebr. Lugd. Bat. 1761
gr.
4.
- Joh. Dav. Michaelis Beurtheilung der Mittel, welche man anwendet, die ausgestorbene hebr. Sprache zu verstehen, Göttingen 1757
in 8.
|b173| 152.
Es wäre daher allerdings rathsam, eher das in Absicht auf Grammatik und Sprachgebrauch leichtere Syrische als das Hebräische zu lernen, alsdann sich das Chaldäische bekannt zu machen, welches mit dem Syrischen fast einerley Sprache, und in wenigeren, auch nicht einmal orginellen, Schriften vorhanden ist, hierauf das Hebräische folgen zu laßen, und zuletzt das wegen seiner |c156| Weitläufigkeit und seines Reichthums schwerere Arabische zu treiben. So würde die Beschäftigung mit der einen die mit der andern erleichtern und unterstützen. Lernte man hiebey auf den Unterschied und die Uebereinstimmung dieser Sprachen unter einander, in Sprachregeln und Bedeutungen der Wörter, merken: so würde der Mißbrauch der Erläuterung einer aus der andern auch leicht verhütet werden können.
- c√ J. D. Michaelis Abhandlung von der syrischen Sprache und ihrem Gebrauch, zweyte Aufl.
Göttingen 1786.
8.
- Jos. Friedr. Schellings Abhandlung von dem Gebrauch der arabischen Sprache zu einer gründlichern Einsicht in die hebräische, Stuttgard 1771.
8.
- |a145|
Alb. Schultens Clavis dialectorum bey Erpenii Rudimentis linguae Arabicae, Edit.
altera, Lugd. Batav. 1770.
4.
153.
Hätte man c√ keine Gelegenheit gehabt diesen Weg in Erlernung des Hebräischen zu betreten, |b174| und dieses letztere schon nothdürftig gelernt: so wäre doch, wenn man anders im Hebräischen selbst sehen lernen wollte, rathsam, jene Sprachen, in der angegebenen Ordnung, nachzuholen, oder sie mit jenem zu verbinden. Wem es aber dazu an Neigung, Fähigkeit, Muße oder Hülfsmitteln fehlen sollte: dem bleibt weiter nichts übrig, als bloß Andern zu folgen, und sich mit dem zu behelfen, was Andre entweder in den auf gedachte verwandte Sprachen gebaueten Sprachlehren, oder in Erläuterungen des Alten Testaments mit Hülfe dieser morgenländischen Sprachen, vorgearbeitet haben.
|c157| 154.
Wer
jenen sichern Weg zur Erlernung des
Hebräischen folgen
könnte und
wollte, würde am besten bey dem Syrischen sich erst die nothwendigsten Kenntnisse c√ aus der Brevis linguae Syriacae institutio, auctore J. G. C. Adler , Alton. 1784
in 8. verschaffen; alsdann damit den Syriasmus i. e. Grammatica ling. Syriacae, auct. Christ. Bened. Michaelis , Halae 1741
in 4., oder vielmehr die Umarbeitung dieser Sprachlehre in
J. D. Michaelis Grammatica Syriaca, Hal. 1785
in 4. c√ verbinden. Wenn er sich das Nothwendigste daraus bekannt gemacht
hätte, könnte er gleich zur Lesung der
syrischen Chrestomathie fortgehen,
die der
Michaelischen Abhandlung (§.
152. Anmerk.
) angehängt ist, wofern er der Anweisung von einem Andern
dabey geniessen könnte. Müßte er aber vor sich diese Sprache
|a146| lernen,
so wäre|b175| ihm die Chrestomathia Syriaca von Georg. Guil. Kirsch , Hofae 1789
in 8, besonders auch wegen des beygefügten Lexicons, und das Psalterium syriacum nach der Dathischen
Ausgabe (latine vertit
Thomas Erpenius ,
notas - - addidit
Jo. Aug. Dathe , Halae 1768.
8.)
zu empfehlen. Alsdann könnten der Pentateuchus Syriace, edidit Ge. G. Kirsch , Lips. 1787
in 4, die Syrischen Stücke in Jos. Sim. Assemani Bibliotheca Orientali, nebst der
doppelten Syrischen Uebersetzung des
N. Test.
sowohl der älteren, welche zuletzt
Carl Schaaf Lugd. Bat.
1709
in gr.
4. mit einem
Syrischen Wörterbuch, als der neueren Philoxenianischen, die
Joseph White Oxonii
1778
in 2
Tom.
in 4. über die Evangelien herausgegeben hat, und, wenn er weiter gekommen
wäre,
Barhebraei Chronicon Syriacum von P. J. Bruns und G. G. Kirsch herausgegeben, Lips. 1789
in 4., die Acta sanctorum martyrum
Orientalium et
Occidentalium - - Steph. Evod. Assemanus recensuit
etc.
Romae
1748
in 2
Tom.
Fol.
und die
drey Syrischen Theile von
Ephraemi Syri Werken Romae
1737–43
Fol.
folgen.
⌇⌇c Das beste
Syrische Wörterbuch ist das von
Edmundo Castello in seinem Lexico hebtaglotto, Londini
1669
, so zur Londonschen Polyglotte gehört
, und welches J. D. Michaelis mit seinen eigenen Anmerkungen, Göttingen 1788
in 4. besonders herausgegeben hat.
155.
Auf diese Art
müßte hernach die Erlernung des
Chaldäischen sehr leicht werden, wenn man
|b176| sich zuvörderst
aus
Jac. Altingii Synopsi Institutionum Chaldaearum et Aramaearum (Tom.
V. s.
Opp.
Amst. 1687
) und noch mehr aus J. D. Michaelis Grammatica chaldaica, Götting. 1771.
8. die Uebereinstimmung und den Unterschied des Chaldäischen und Syrischen bekannt
machte, und darauf mit Hülfe mancher
hebräischen Wörterbücher, die auch auf das Chaldäische
gehen, oder
Joh. Buxtorfii Lexici Chaldaici etc.
Basil. 1640
fol.
die
chaldäischen|a147| Paraphrasen
läse, die in der Anweisung zur Kenntniß der besten
allgemeinern Bücher in der Theologie §.
49. genennt worden sind.
c√
156.
Bey Erlernung des Arabischen hat man weit mehrere Hülfsmittel. ⌇c Thomae Erpenii Grammatica
Arabica, die schon
Jac. Golius , unter dem Titel: Arabicae linguae
tyrocinium mit einigen angehängten arabischen
Stücken Lugd. Bat.
1656
in 4. wieder herausgegeben hatte,
Alb. Schultens aber,
ausser den schon vorhin
dabey befindlichen Lokmannischen
Fabeln, mit Weglassung der andern Stücke,
vermehrt durch Auszüge aus der Hamasa des Abi Temmam
,
ebendaselbst 1748.
4.,
c√ ist ein Muster in ihrer Art, die Quelle aller folgenden guten arabischen Grammatiken, und selbst durch diese noch nicht entbehrlich gemacht.
Nebst den §.
152. Anm.
erwähnten Rudimentis Erpenii sind unter denjenigen, die aus ihr geflossen sind, die besten: Jo. Frid. Hirtii Institutiones
Arabicae linguae,
Jenae|b177| 1770.
8.; ⌇c
Erpenii arabische Grammatik, abgekürzt, vollständiger und leichter gemacht von
Joh. Dav. Michaelis , Göttingen
1771
in 8, verändert 1783. 8.
und ⌇c W. F. Hetzels erleichterte arabische Grammatik, Jena 1776.
8., wovon jede ihre Vorzüge hat.
157.
Bey allen diesen finden sich theils prosaische, theils poetische arabische
Anthologien, die
, und vornehmlich J. F. Hirtii Anthologia arabica, Jenae |a148| 1774.
8. so lange zur
|c160| Uebung im Lesen arabischer Schriften dienen können, bis man Gelegenheit und Fertigkeit genug bekommt, den Koran, die arabischen Uebersetzungen des
alten und
neuen Test. und
andre, ganz oder stückweise von
Erpenius ,
Edw. Pocock ,
Joh. Gagnier ,
Albert und
Heinr. Alb. Schultens ,
Joh. Jac. Reiske ,
J. D. Michaelis ,
Eberh. Scheid ,
Joh. Bernh. Köhler ,
H. C. G. Paulus und
andern herausgegebne arabische Schriftsteller zu lesen.
c√
158.
Von gedruckten Wörterbüchern hat man zwar ⌇c Antonii Giggei thesaurum linguae arabicae, Mediolani
1632
, in 4 Folianten, Jac. Golii Lexicon arabico-latinum, Lugd. Bat.
1653
Fol.
und seit
1780 hat man auch in Wien angefangen
Francisci a Mesgnien Meninsky Lexicon arabico-persico-turcicum
sehr verbessert und vermehrt
|b178| wieder herauszugeben.
|c161| Aber alle diese Werke, das mittelste doch am wenigsten, sind sehr selten und kostbar, so wie das von Castello in dem Lexico-heptaglotto (§. 154. ) zu eingeschränkt ist. Für den ersten Anfang und zum Verstande der vorhin erwähnten Anthologien ist doch Jac. Scheidii Glossarium arabico-latinum manuale,
Edit.
altera, Lugd. Bat.
1787
in gr.
4.
schon eine gute Hülfe; eine noch weit reichendere das ⌇c Lexicon linguae Arabicae in Coranum, Haririum et vitam Timuri , auct. Jo. Willmet , Roterd. 1784
in gr.
4.
Da hier nur die Frage von dem Nutzen oder vielmehr von der Nothwendigkeit ist, die mit dem Hebräischen zunächst verwandte Sprachen oder Dialecte zu brauchen, um das Hebräische sicher aufzuklären; und andre morgenländische Sprachen ausser den genannten, entweder nur in einer sehr entfernten Verwandtschaft mit der |a149| hebräischen stehen, oder der Hülfsmittel noch gar zu wenig vorhanden sind, die uns, sie zuverläßig zu lernen, in den Stand setzten, oder der Schluß von dem, was in ihnen üblich ist, auf das, was man im Hebräischen annehmen könne, sehr unsicher ist: so sind sie hier nicht mit berührt worden, ohne daß deswegen ihr anderweitiger Nutzen verkennt oder geleugnet wird.
159.
Bey Erlernung des
Hebräischen selbst, – man mag unmittelbar dazu kommen oder sich auf jene
mühsamere aber viel
sicherere Art, durch den
|b179| auf das
Syrische und
Chaldäische gewendeten Fleiß dazu vorbereitet
haben, – ist zuerst, wie
bey allen Sprachen, nöthig, sich einen allgemeinen Begriff von der Natur und dem
Eignen der
hebräischen Sprache, in Absicht auf Bestandtheile und Veränderung der
Wörter, zu erwerben, und deswegen eine Grammatik zum Grunde zu legen, die,
frey, nicht nur von willkührlichen Beweisen der Regeln, sondern auch von angeblichen Ausnahmen und unregelmäßigen Formen der Wörter, bloß das wirklich Gegründete in der größten Kürze enthält, und auf die Uebereinstimmung mit den verwandten Dialek
|c162|ten gebaut ist
; dergleichen a√ die hebräische Grammatik von Aug. Friedr. Pfeiffer nach der zweyten Aufl.
Erlangen 1790
in 8., und die Anfangsgründe der hebräischen Sprache von
H. E. Güte , zweyte umgearbeitete und vermehrte Ausgabe, Halle 1791
in gr.
8. sind. Wenn man hernach weiter im Lesen und Verstehen leichterer Bücher der Bibel gekommen ist, so
kan man das übrige Seltnere und Ungewöhnlichere, das besonders zur nähern Kenntniß
|a150| des Syntaxes Gehörige, und die auf dem wahren noch in den verwandten Sprachen
vorhandnen Sprachgebrauch
beruhende Gründe der Regeln, noch immer
nachholen, wozu, ausser Georg Joh. Lud. Vogels Anfangsgründen der hebräischen Sprache, Halle 1769.
gr.
8., vornemlich die Institutiones ad fundamenta linguae hebraeae von Nic. Guil. Schröder , Groening. 1766
in gr.
8. nachgedruckt Frft. et Lips. 1778
gr.
8; die Institutiones ad fundamenta linguae hebraeae von A. Schultens, Lugd. Bat. 1756.
4;|b180| in ihrer Art
(s.
Hallische gel. Zeitungen 1778. S.
282 f.
) W. F. Hezels ausführliche hebräische Sprachlehre, Halle 1778
in gr.
8.; und die
hebräische Sprachlehre nach den leichtesten Grundsätzen von Joh. Gottfr. Hasse , Jena 1786
in 8. empfohlen zu werden verdienen. Zu dieser Absicht und selbst zur bessern Kenntniß des hebräischen Sprachgebrauchs sind auch Joh. Simonis Arcanum formarum nominum hebraeae linguae, Halae 1735
in 4. und vorzüglich ⌇c Gottlob Christ. Storr Obseruationes ad analogiam et syntaxin hebraicam pertinentes, Tubingae
1779
in gr.
8.
sehr brauchbar.
Schon bey der bessern Einrichtung erwähnter Sprachlehren, und hauptsächlich bey der Kenntniß der verwandten Dialekte, fallen die meisten Schwierigkeiten weg, die sich in einigen Formen der Wörter finden; und dieses, nebst fleißiger Uebung in Analyse der Wörter, macht solche Bücher, wie
J. F. Hirtii Biblia hebraea analytica, die vermehrter Jena 1769.
8. gedruckt sind, und wovon desselben Bibliorum analyt. pars Chaldaica, Jenae
1757
8. eine Fortsetzung ist, entbehrlich, die übrigens dem Anfänger nützlich seyn können, wenn er sie nur da, wo er sich
|a151| gar nicht selbst zu helfen weiß, nachschlägt, und zumal an die
Danzischen
Grundsätze gewöhnt
ist.
160.
So bald man fertig
Hebräisch lesen kan, die Bestandtheile der Wörter kennt, und die Paradig
|b181|mata in seiner Gewalt hat, thut man wohl, wenn man sich gleich zum Lesen der Bücher, von leichtern historischen zu den
übrigen,|c163| wendet,
c√ ohne sich im Anfang, wo es nur bloß um Sprache zu thun seyn muß,
bey solchen Stellen aufzuhalten, die mehr wegen der Sachen, als wegen der Wörter dunkel sind.
Für den Anfänger ist ein Buch, wie
⌇c Christ. Reineccii Janua hebr. linguae
- - emendauit, auxit
Jo[.] Friedr. Rehkopf , Lips.
1769.
8. selbst um das Nachschlagen zu ersparen,
⌇c und noch weit mehr ⌇c
Joh. Georg Friedr. Leun's Handbuch zur cursorischen Lektüre der Bibel A. B., Lemgo 1788–90
in 4 Theilen in 8. immer gut genug. Am besten wäre ein solches, wie der ⌇c
Philologische Clavis über das Alte Testament von H. E. G. Paulus , Jena 1791
in 8., ob er gleich vorjetzt nur über die Psalmen geht, wofür er aber auch noch Mehreres zum Verstande dieser Psalmen enthält als nur Spracherklärung, und selbst von Sprachforschern und Auslegern studiert zu werden verdient. Sonst aber sind bis jetzt die besten Hand-Wörterbucher: Joh. Simonis Lexicon manuale hebraicum et
chaldaicum, Halae
1756
in gr.
8. und
⌇c Lexicon et commertarius sermonis hebraici et chaldaici, post
Joh. Cocceium et
Joh. Henr. Maium - - correctius et emendatius edidit
Jo. Christ. Frid. Schulz ,
Lips. 1777
in 2 Bänden in gr.
8; so wie unter den größern, wenn man dieses eben zuletzt genannte nicht haben kan, das
ältere von Cocceius , und
Edmundi Castelli Lexic. hebraicum - - annotatis in margine vocum numeris ex J. D. Michaelis Supplementis ad lexica hebraica,|b182| (bisher erst) Pars prima Goetting. 1790
in 4., welche Michaelischen Supplementa ad L. H. seit 1784
bis jetzt in 5 Partt.
in 4. herausgekommen sind.
161.
Da es indessen
bey der Kenntniß des
hebräischen Sprachgebrauchs nicht bloß auf die Bedeutungen
einzelner Wörter, sondern eben so sehr auf
|a152| den Verstand ganzer Redearten und Formeln ankommt, und es noch an einem Wörterbuch fehlt, welches diese
zuverläßig genug,
d. i.
aus den verwandten Dialekten und den alten Uebersetzungen,
erklärte: so
kan man
zur Noth Matthiae Flacii Clavem scripturae sacrae, Hafniae 1695
Fol.
noch mehr
Franc. Vatabli Anmerkungen über das alte Testament, die am Ende des §. 159 berührten Bücher, nebst
Glassii Philologia sacra nach der Dathischen Ausgabe, Lips. 1776
in gr.
8. und einige von den in der
Anweisung zur Kenntniß theologischer Bücher §. 95 erwähnten über die Hebraismen, am meisten aber diejenigen neuern Ausleger des alten Testaments zu Rathe ziehn, welche aus den eben genannten zwey Quellen dieses Eigne der hebräischen Sprache erklärt haben, und aus welchen z. B.
Jo. Christ. Frid. Schulzii noch nicht vollendete Scholia in V. Test. Norimb. 1783
gr.
8. manches auszugsweise enthalten.
162.
Freylich hängt man
hierbey nur von den Kenntnissen und Sagen
Andrer ab, und wer recht
|b183| gewiß seyn will, ob und
c√ wie fern sie den Sprachgebrauch richtig
angegeben haben, noch mehr, wer selbst die Gränzen dieser Kenntnisse erweitern helfen will, der muß nothwendig aus jenen Quellen selbst, muß aus den verwandten Sprachen und den alten Uebersetzungen des alten Testaments
schöpfen, und sie daher genau kennen gelernt haben. Diese letztern, sonderlich die griechischen in den
Hexaplen des
|a153| Origenes
, und namentlich die Alexandrinische, nebst den darnach
gemachten, sind nicht nur für die Kritik des Textes, sondern auch für die
|c165| Entdeckung des wahren
hebräischen Sprachgebrauchs, folglich nicht bloß zum Verstande des alten Testaments, sondern auch selbst des
neuen, dessen Griechisches durchaus
hebräischartig ist, ungemein
wichtig *) , und dieser Nutzen wird durch die Concordanzen oder Wörterbücher über diese
griechische Uebersetzungen keinesweges entbehrlich gemacht, weil sie alle
voll Fehler sind, so sehr sonst dergleichen Werke auch den Gebrauch derselben, und ihre Anwendung auf den Verstand des
A. und
N. Testaments erleichtern.
*)
S.
die in der
Anweisung zur Kenntniß der besten Bücher in der Theologie §.
46 angeführten Schriften.
163.
Wegen des zuletzt berührten Nutzens wäre
sogar aus den §.
116 f.
angegebnen ähnlichen
Ursachen, zu rathen, daß man erst die alten
griechischen Uebersetzungen des
A. Test., wenigstens die
|b184|
Alexandrinische, selbst die sogenannten
apokryphischen Bücher des
A. Test. studierte, ehe man das neue Testament verstehen lernen wollte. – Aber diese Uebersetzungen wirklich zu den gemeldeten Absichten sicher zu benutzen, muß man sie gehörig zu studieren und anzuwenden wissen. Man muß die Geschichte und Beschaffenheit ihres sehr
verdorbnen Textes,
– den
verschiednen Werth
einzelner Uebersetzungen,
– selbst von
einzelnen Büchern,
– und die
besondre|a154| Uebersetzungsart, der sie folgen, genau kennen;
– man muß sie nicht hie und da bloß nachschlagen, sondern sie im
Zusammenhang lesen, auf die Art, wie sie
einzelne Wörter und Redensarten geben, merken, und sich diese aus oder
bey den Concordanzen und Wörterbüchern über diese Uebersetzungen zum künftigen Gebrauch
beyzeichnen; – man muß sie nicht aus den oft schlechten
|c166| neuern Uebersetzungen verstehen lernen wollen, sondern vorher schon der griechischen
Sprache und der verwandten morgenländischen kundig seyn, um zu
wissen, wie sie zu mancher sonderbar scheinenden Uebersetzung gekommen sind, und ob man sich auf die Richtigkeit des griechischen Textes
verlaßen könne.
Dieses lernt man, wenigstens wird man auf das, was
hiebey in Betrachtung kommt, aufmerksam
gemacht durch die in der
Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß §. 46
f.
und §.
31 erwähnten Bücher
, womit man J. D. Michaelis critisches Collegium über die drey wichtigsten Psalmen von Christo , Frankfurt 1759
in gr.
8. verbinden kan.
|b185| 164.
Zwar beweisen diese Erfordernisse, daß ein solch nützliches Studium dieser Uebersetzungen nicht die Sache des Anfängers sey; aber sie beweisen doch auch nur, daß man für den Anfang, seinen Absichten
dabey, nicht diesen ganzen Umfang geben, sondern sie auf das Leichtere einschränken müsse. Vorausgesetzt also, daß jemand die Alexandrinische Uebersetzung
vor sich lesen wollte oder
müßte: so
|a155| müßte er es 1) nicht eher thun, als bis er sich aus den so eben angezeigten Büchern die Beschaffenheit und Uebersetzungsart dieser alten Uebersetzungen im Allgemeinen bekannt gemacht, und 2) wenigstens
leichtere, griechische Schriftsteller, im
Hebräischen aber diejenigen Bücher schon fleißig gelesen und gut verstehen gelernt hätte, die er nun in der Uebersetzung lesen will. 3) Er müßte mit solchen Büchern anfangen, die als vorzüglich treu und gut übersetzt bekannt sind, vornehmlich mit dem
Pentatevchus. 4) Wo ihm irgend etwas, das ihm nicht ganz leicht wäre, in Wörtern
aufstieße, müßte er gleich im
hebräischen Text nachsehen, worauf es sich bezöge, ob und was es für eine
hebräische Bedeutung hätte; und 5) wüßte er es damit nicht zu reimen, so
könnten|c167| ihm vielleicht
Jo. Christ. Biel novus thesaurus philologicus, Hag. Com.
1779 und
1780
in
drey gr.
Octavbänden, oder die
Kircherschen und
Trommischen Concordanzen Auskunft geben, für welches
hebräische Wort oder Redensart sonst dieses
nehmliche griechische, oder welches
hebräische anstatt des
nehm|b186|lichen griechischen gebraucht
würde, und er könnte daraus entweder auf eine falsche
Leseart oder darauf
schließen, daß das Griechische hier nur am unrechten Ort gebraucht wäre. Zeigte sich dieses nicht
bald: so müßte dieses Schwierige
überschlagen, und auf zukünftige weitere Untersuchung ausgesetzt werden. – Eben so könnte man hernach die
Hexapla
durchgehen; wenn man vorher,
so bald man an das
Hebräisch-griechische gewöhnt wäre, die apokryphischen Bücher des
A. T. gelesen hätte. – Wäre
|a156| man indessen mit dem
N. Test. näher bekannt
worden: so würde man sich bald an manche
bey Lesung jener Bücher und Uebersetzungen gelernte
Hebraismen erinnern, und
bey einer
zweyten fleißigern Durchsicht
würde man Gelegenheit genug
finden, sich noch mehrere auszuheben.
165.
Mit der
Accentuation der
hebräischen Bibel braucht man sich nicht lange aufzuhalten, da es ein erweislich späteres Kunststück ist, das
bey dem Verstande der Bibel nur wenige Vortheile gewährt,
und oft der richtigen Auslegung hinderlich fällt.
Joh. Dav. Michaelis Anfangsgründe der hebräischen Accentuation, Halle 1741.
8. und eine kleine Uebung, können in sehr kurzer Zeit alles Brauchbare lehren, was man davon zu wissen nöthig hat.
c√
Abkürzungsauflösung von "d. i.": das ist