|a385| |b100| Zweyter Abschnitt.
Historische Theologie.
78.
Es ist eine überaus lehrreiche Beschäftigung, dem
verschiedenen Gang nachzuforschen,
den die Religion in der Welt,
bey so verschiedenen Fähigkeiten,
Aufmerksamkeit, Hülfsmitteln, Neigungen, Sitten und Verbindungen der Menschen unter einander, genommen hat, man
mag die Religion als Erkenntniß Gottes und des Verhältnisses zwischen ihm und den Menschen, oder als Dienst desselben,
d. i.
als
Betragen ansehn, das auf Religion gegründet
ist. Eine
allgemeine Geschichte der Religion müßte – in
a√ Rücksicht
auf die Erkenntniß Gottes, lehren,
|c89| was nach und
nach, hie und da, unter den Menschen, in Absicht auf diesen Gegenstand, für Wahrheiten oder Irrthümer, Ueberzeugungen, Vorurtheile und
Zweifel? aus was für Quellen, oder durch welche
Veranlassung, sie
entsprungen und
wodurch befördert, oder
vermindert? a√ was für merkwürdige Veränderungen dadurch in der Denkungsart, dem Charakter, den Sitten der Menschen und ganzer Völker, selbst in ihren
äusserlichen Einrichtungen und Schicksalen,
c√ hervorgebracht
worden |a386| sind? – in Rücksicht aber auf den
Dienst und Verehrung|b101| Gottes, oder
den Ausbruch dieser Begriffe
von Gott und die daraus entstandnen Empfindungen: wie sich diese
Begriffe und Empfindungen
geäussert? durch was für Anstalten und Mittel das Wachsthum oder die Abnahme religiöser Gesinnungen und Handlungen, auch des
äusserlichen Gottesdienstes, befördert
worden? welche Begriffe und Empfindungen, und wie sie auf
diesen Gottesdienst, umgekehrt
auch, welche
gottesdienstliche Handlungen auf die
Verändrung der Erkenntniß Gottes, wie und auf welche Theile
derselben, sie Einfluß gehabt
haben.
79.
Alle Kenntnisse, welche diese Geschichte der Religion betreffen, rechnet man zur
historischen Theologie, nach dem weitern Begriff, den man dem Namen der Theologie untergelegt hat (§.
2 und 3 ); und so würde dieser Theil der Theologie, als eine Wissenschaft betrachtet, nichts anders seyn, als
Geschichte der Religion in ihrem ganzen Umfange
a√, die alle merkwürdigere Veränderungen der Erkenntniß und des Dienstes Gottes
aller Zeiten und
Völker begreifen müßte. Weil aber diese Wissenschaft von einem unübersehlichen Umfang seyn würde, wenn sie
|c90| nur
einigermaßen das leisten sollte, was der Name einer solchen allgemeinen Geschichte
verspricht; und uns von den meisten,
|a387| wenigstens allen
barbarischen, Völkern, Jahrtausende
hindurch, die Nachrichten dieser Art entweder ganz fehlen, oder so mangelhaft und
|b102| unsicher sind, daß sich keine eigentliche zusammenhängende Geschichte davon liefern läßt: so schränkt man sich gemeiniglich nur auf die Geschichte der in der Bibel enthaltenen Religion und der darauf gegründeten Gesellschaften,
d. i.
auf die Kirchengeschichte, ein; zumal da es gewöhnlich ist, das Wort Theologie vornehmlich und eigentlich von der biblischen zu verstehen.
Anm.
1. Diejenigen, welche eine Geschichte der Religionen, auch derer, die sich nicht auf die heilige Schrift gründen, zu entwerfen unternommen haben, geben doch eigentlich nur eine Religionsgeschichte einiger bekannten Völker, die noch dazu sehr dürftig und
unzuverläßig ist, wie man sich leicht überzeugen
kan, wenn man die in der
Anweisung zur Kenntniß der theol. Bücher §.
293 und
94 angeführten
Bücher vergleicht. Alle übrige (daselbst §. 296
f.
) sind nur, zum Theil
vortrefliche, Beyträge zur
Religionsgeschichte besondrer Völker, und der mit so mühsamen Fleiß und philosophischen Blick entworfne Grundriß der Geschichte aller Religionen, von
C. Meiners (Lemgo 1785.
8.), schränkt sich nur auf einige Religionsbegriffe und Gebräuche ein, die unter den Menschen am gangbarsten gewesen sind,
betrift eigentlich nur den religiösen Aberglauben, und läßt sich auf gar keine Geschichte der Völker und Gesellschaften ein, so
ferne sie sich über Religionsbegriffe und davon abhängende Uebungen getrennt und unterschieden haben.
c√
|a388| |b103| Anm.
2. In einem
engern Verstande wird
historische Theologie nur von der Geschichte oder dem Fortgang und den Veränderungen der verschiedenen Begriffe der Menschen von besondern Religionslehren genommen, oder gar
nur theils auf Vorstellungen selbst, theils nur auf die verschiedenen Begriffe von den in der Bibel geoffenbarten Lehren eingeschränkt.
Am engsten c√ wird dieses Wort von
denenjenigen gebraucht, welche darunter die angeblich christlichen Lehren verstehen, sofern ihr Beweis, oder doch der Beweis ihres Alterthums in der christlichen Kirche, auf Nachrichten und Aussprüchen angesehener Kirchenlehrer, oder auf Decreten der sogenannten Kirche darüber, mit
einem Wort, auf
der Tradition beruht.
80.
Die Geschichte der verschiednen Religionen unter den Menschen verdient es sehr, daß man sie mit aller Sorgfalt studiere. Denn sie ist einer der wichtigsten Theile der Geschichte der Menschheit, und überall zeiget sich der mächtige Einfluß der Religion auf die übrigen Arten der menschlichen Cultur. Ueberall, wo man das Christenthum zuerst predigte, schmiegte man entweder diesen Unterricht den vorhandnen Religionen an, oder es ging natürlich vieles aus diesen in das Christenthum über, das sich nach diesen in solchen Gegenden bildete; in so fern kan selbst die christliche Kirchengeschichte dieser Kenntniß andrer Religionen nicht entbehren. – Ausser den Frag|b104|menten von dieser allgemeinern Religionsgeschichte, die sich in der bekannten Völkergeschich|a389|te finden, sind zuverläßige Reisebeschreibungen, so fern sie sich auch auf Sitten und Verfassungen der Völ|c92|ker eingelaßen haben, eine unentbehrliche Quelle solcher Kenntnisse.
c√ Ein Verzeichniß der wichtigsten steht hinter
Meiners Grundriß der Gesch. aller Rel. (
s.
§.
79. Anm.
1.) und in der
Anweisung zur theol. Bücherkenntn. §. 297
flgg.
81.
Aus diesen Quellen
müßte man sich nach und nach
einzelne Nachrichten
sammlen, und sie entweder nach den
verschiednen Ländern und Völkern
c√ ordnen, oder nach den merkwürdigsten Lehren, Einrichtungen und Gewohnheiten, die nach den besondern Religionsbegriffen getroffen, oder angenommen
worden. Bey der
ersten Methode
könnte man etwa die
anderwärts schon erwähnte Gattererische Weltgeschichte, oder die
ohngefähr da gemachte Anlage,
bey der andern
den eben genannten Abriß von
Meiners zum Grunde legen.
Man müßte hernach, sowohl nach der auffallenden Aehnlichkeit der Religionen
verschiedner Völker mit einander, als nach den Nachrichten der Geschichte über den Ursprung eines Volks aus dem andern,
und über den Einfluß des einen aus dem andern, zu entdecken suchen, welche Völker, auch in Absicht auf Religion originell sind, oder welche sich nach andern gebildet haben, und
bey|b105| dem, was jedes Volk in seiner Religion Eignes hat, nach den natürlichen und sittlichen
Ursa|a390|chen, forschen, aus welchen sich dieses Eigene, der Geschichte gemäß, erklären läßt.
Bey Befolgung dieser Regel
würden auch
einzelne Untersuchungen gelehrter Männer über diese Religionsgeschichte mit Nutzen
gebraucht werden können.
c√ Der Versuch über die Religionsgeschichte der ältesten Völker, besonders der Egyptier, von
Chr. Meiners ,
|c93| Göttingen
1775,
in 8. kan, wenigstens einen Theil des Gesagten, deutlicher, und auf die Vorsichtigkeit
bey solchen Sammlungen und Untersuchungen aufmerksam machen.
82.
Unter allen Theilen der Religionsgeschichte ist die Geschichte der christlichen Kirche am bekanntesten, und am meisten bearbeitet. Das Wort Kirche (Ἐκκλησία), welches in der gewöhnlichen Bedeutung nur erst unter Christen aufgekommen ist, und bey diesen nur von solchen gesagt wird, die der in der heiligen Schrift liegenden, oder überhaupt von einer wahren nähern göttlichen Offenbarung abhängenden Lehre folgen, bezeichnet vornehmlich die Christen zusammengenommen, oder den ganzen Inbegrif dererjenigen, welche die von Christo und seinen Aposteln bekannt gemachte Religion für wahr annehmen, und, so fern man es von einer äusserlichen Gesellschaft nimmt, alle die zusammengenommen, welche sich zu dieser Religion, durch Theilnehmung an den |b106| darauf gegründeten äusserlichen Gottesdienst, bekennen. Kirchengeschichte, oder, be|a391|stimmter zu reden, christliche Kirchengeschichte, heißt daher die Erzählung der merkwürdigern Veränderungen dieser Gesellschaft, im Zusammenhang.
83.
Es versteht sich von selbst, daß diese Geschichte nicht bloß auf die christliche
Gesellschaft und deren Schicksale eingeschränkt werden müsse.
Denn, – da sich diese Gesellschaft auf besondere Religionsbegriffe gründet, und dadurch sowohl als durch den
Gottesdienst, von andern unterscheidet;
– da diese Begriffe und die darauf beruhenden Gesinnungen durch Sprachen und
äusserliche Handlungen
ausgedruckt, diese
|c94| durch jene Begriffe und Gesinnungen gestimmt werden, und hinwiederum Sprachen und Gebräuche,
bey ihrer besondern Modification, einen
grossen Einfluß in die Bestimmung und Richtung
a√ religiösen Vorstellungen und Gesinnungen
äussern (
Theil 1. §.
60 –
67 );
– da endlich
einzelne merkwürdigere
Personen, und ihre Schriften, oder
besondre Gesellschaften, durch ihr erlangtes Ansehen, Gelegenheit zu
großen Veränderungen in
Lehrvorstellungen, in deren Ausdruck und in gemachten Einrichtungen unter den Christen
gegeben haben: so muß die christliche Kirchengeschichte nicht bloß die Veränderungen der Kirche, als Gesellschaft betrachtet, sondern auch die Beschaffenheit und Geschichte der Lehre und des Gottesdienstes, der
|b107| Ausdrücke, der Einrichtungen und Gebräuche, der
|a392| merkwürdigern Personen, Schriften und besondern
Gesellschaften, erzählen, welche jene Veränderungen bewirkt haben.
c√ Die Geschichte der Lehren von
Dreyeinigkeit Gottes,
Freyheit des menschlichen Willens, Erbsünde, Prädestination,
Transsubstantiation
u. d. gl.
– der
verschiednen Liturgien, besonders der römischen, die so eifrig als die Lehre selbst ausgebreitet worden, des
Bilderdienstes, der
Kindertaufe, der
Kelchsverweigerung
bey dem heiligen Abendmahl, – die
Geschichte der lateinischen Sprache in der Kirche, und der Wörter
ὁμοούσιος,
ὑπόστασις,
φύσις, fides, bona opera, satisfactio
u. a.
– der bischöflichen und übrigen hierarchischen Einrichtung, der Concilien und Synoden, der
Bullen in Coena Domini und Unigenitus, der
Kirchenbuße und des Beichtwesens – der
Gebräuche, über die sich oft allein
einzelne Gesellschaften getrennt haben, als über
gesäuertes
Brodt bey dem heiligen Abendmahl, über Kindertaufe und Untertauchung oder Besprengung – die Geschichte des
Athanasius
,
Hieronymus
,
Augustins ,
Hussens , Luthers
, Melanchthons
u. a.
– der
|c95| Schriften des
Dionysius Areopag.
, der
Vulgate, des
falschen Isidorus
, der
Weissagungen des
Abts Joachim , der
Formulae Concordiae
u. d. gl.
– der
verschiednen Orden
u. s. f.
kan hier zum Beweise dienen.
84.
Alles, was im ersten Theil dieses Buchs von dem großen Nutzen der Geschichte überhaupt ge|b108|sagt wurde, gilt auch von der Religions- und Kirchengeschichte insbesondre, und macht dem, der ein |a393| würdiger Lehrer der Religion und des Christenthums seyn will, das Studium dieses Theils der Geschichte zur ganz besondern Pflicht a√: man mag entweder auf die Bildung seines Charakters, als eines solchen sehen, der die Religion lehren und empfehlen soll, auf welche Bildung dieses Studium einen so großen Einfluß hat, oder auf die einzelnen Theile der Theologie, womit er sich, nach dem ganzen Umfang seines Berufs, beschäftigen muß.
c√ Der Nutzen der Kirchengeschichte reicht zwar viel weiter, als hier angegeben ist. Kein Christ, der wahre Aufklärung, der anschauende Ueberzeugung in der Religion sucht, und nach erleuchteter Frömmigkeit trachtet, sollte dieses Studium
vernachläßigen, wenn er irgend Gelegenheit und Hülfsmittel dazu haben
könnte. Noch weniger irgend jemand,
der, als
Obrigkeit dereinst, auch durch sein Betragen in Absicht auf die Beförderung und Leitung der Religion, vieler Menschen Glück oder Elend befördern
kan, weil
beydes so sehr vom Einfluß wahrer oder falscher Religion, von Achtung oder Gleichgültigkeit dagegen, von den weisen und unweisen Mitteln, ihren Einfluß zu befördern oder zu hindern, abhängt. Und daß
verschiedne Wissenschaften, Geschichte
z. B.
, Staatskunst, Rechtsgelehrsamkeit, vornehmlich die geistliche, das Licht der Kirchengeschichte gar nicht entbehren können, bedarf keines Bewei
|c96|ses.
Aber, nach der Absicht dieses
Buchs, kommt c√ hier nur die Nothwendigkeit
|b109| dieses Studiums der
Kirchengeschichte in Absicht auf den Lehrer der
Religion in Anschlag.
|a394| 85.
Der
große Einfluß einer rechten Kenntniß der
Kirchengeschichte auf die
gründliche Erlernung der theologischen Wissenschaften, zeigt sich in
allen Theilen der Theologie. In
der exegetischen 1) ganz eigentlich:
bey Erklärung
dererjenigen Stellen
neues Testaments, welche historische Umstände zur Zeit der Apostel enthalten, um in dieselbe mehr Licht zu bringen, oder falsches Licht davon zu entfernen; zur Kenntniß der Geschichte der neutestamentlichen Bücher; und zur Kenntniß mancher merkwürdigen Bücher der ältesten Zeiten, die, wenn sie gleich
apokryphisch
genennt werden, doch, wegen der darin liegenden Vorstellungen vieler unter den ältesten Christen oder Juden, auch wegen mancher Fragmente der historischen Tradition, noch einen reichen
Schaz von historischen Erläuterungen des neuen
Testaments, enthalten, und dazu gebraucht werden können,
so bald erst durch Hülfe der genauern Kirchengeschichte die wahre Zeit, wohin sie gehören, und andere historische Umstände derselben bestimmt sind. 2)
Bey der Kritik des neuen Testaments, wo ohne genaue Kenntniß der Kirchengeschichte nicht einmal die Geschichte des heiligen Textes klar ist, so wenig als das Alterthum und der Werth gewisser Lesearten, ohne diese Kenntniß beurtheilt werden
kan. *) |b110| 3) Um sich gegen manche sehr schädliche Vorurtheile in der eigentlichen Theologie zu verwahren,
und ihren Ungrund aufzudecken. Denn viele Irrthü
|a395|mer in der Theologie, so wie viele Beweise auch richtiger Lehren, beruhen auf
bloßem Mißverstande der heiligen Schrift, oder gar
|c97| ihrer Uebersetzungen, hinter den man ohne diese Kenntniß nicht wohl kommen
kan, **) oder sie gar für apostolische Tradition hält; so wie man sich oft nicht gegen gewisse richtigere Erklärungen der heiligen Schrift sträuben würde, wenn man ihr Alterthum und den neuern Ursprung falscher
herrschenden Erklärungen
kennete. ***) Ueberhaupt würde man bald hierin von Irrthümern zurückkommen, wenn man die Genealogie und
die Chronologie einiger berühmten Erklärungen, die von Hand in Hand gegangen sind, fleißiger aus der Kirchengeschichte aufsuchte, und sich aus dieser überzeugte, daß die angebliche exegetische Tradition und fortgepflanzte sogenannte Erklärung der
Kirche oft anders nichts ist, als Privaterklärung eines, oft ohne sein Verdienst, berühmt
gewordnen alten Auslegers, die durch zufällige Umstände gangbar wurde, oder in häufig gelesene Commentarien überging, und hernach, ohne
weitre Untersuchung, als ausgemachte Wahrheit, von Kirche zu Kirche, und Jahrhundert zu
Jahrhundert, nachgesagt wurde, zumal wenn sie gewissen herrschenden Meinungen in der Theologie günstig war.
****)
*) Wie
bey 1 Timoth. 3, 16; 1 Joh.
5, 7; Röm. 8,
11. διὰ τοῦ ἐνοικοῦντος πνεύματος, statt
διὰ τὸ|b111| ἐνοικοῦν πνεῦμα; Matth. 27, 49. der Zusatz aus Joh. 19,
34 in einigen Handschriften.
|a396| **) Wie die Vorstellungen in der lateinischen Kirche von praedestinatio, poenitentia, sacramentum; die alten Deutungen von Sprüchw. 8, 22. Psalm. 110, 3. Matth. 16, 18. Joh. 16, 26. und eine neuere von Apostelgesch. 3, 21.
***) Als Röm. 12, 6. 1 Kor. 2, 14.
****) Wie viel ist
z. B.
aus dem
Origenes
in lateinische Ausleger, aus den
africanischen Kirchenvätern, sonderlich dem Augustinus
, in eben dieselbe, aus solchen la
|c98|teinischen Auslegern hernach, vermittelst des
Ambrosiasters
, oder Hilarius Diaconus
, und später durch die
Glossam
ordinarium, in alle Exegeten der lateinischen Kirche
übergangen? Eben so in der griechischen Kirche;
s.
Ernesti Opuscula philol. crit.
p.
317
seq.
86.
Die Kirchengeschichte giebt 4) erst die recht anschauliche Ueberzeugung, wie sehr die ganze Theologie an ihrer Lauterkeit und wahrhaften praktischen Brauchbarkeit gewonnen oder gelitten habe, je nachdem man die wahren Hülfsmittel zur Einsicht des Sinnes der heiligen Schrift recht kannte, schätzte und
brauchte, oder nicht (
§. 19 ); und, indem sie uns so deutlich zeigt, welchen unsäglichen Schaden die Herrschaft des menschlichen Ansehens in der Kirche gestiftet
habe: so macht sie uns die göttlichen Schriften
c√ desto
werther. |b112| Und, weil auch
die Menschen über den Sinn dieser göttlichen Belehrungen wieder
a√ so verschieden urtheilen, diese Verschiedenheit und Uneinigkeit aber immer
größer und unvereinbarer wird, wenn man nicht hierin mit Gewalt und
offenbaren Ge
|a397|wissenszwang eine
äußerliche Einigkeit befördern will: so lehrt sie uns sehr einleuchtend die Nothwendigkeit fester exegetischer Grundsätze, und des Fleißes, den man auf die deutliche
eigne Ueberzeugung von dem wahren Sinn der heiligen Schrift und die klare Darlegung desselben wenden muß. Und wenn denn auch nur 5) die Kirchengeschichte, wie sie es wirklich thut, uns mit der
so sehr verschiednen Denkungsart,
c√ Fähigkeiten, vorzüglichen Hülfsmitteln und Sitten, und den dadurch geleiteten mannichfaltigen Vorstellungen und Neigungen der Menschen in so
verschiednen Zeiten und so besondern Lagen, bekannt machte: so könnte sie uns wenigstens mehr gewöhnen, uns
|c99| in fremde Zeiten und Umstände hinein zu denken, welches
so sehr viel zur Bildung des wahren Auslegers
beyträgt.
87.
Noch ausgebreiteter ist der Nutzen dieses Studiums in der
eigentlich sogenannten Theologie. – In der
dogmatischen und
elenchtischen, so fern 1) diese doppelte Wissenschaft nicht bloß die Religionslehren selbst, sondern auch die
verschiednen Vorstellungen davon vorlegen soll, ist ja die Geschichte dieser Lehren und der
verschiednen Begriffe davon, ein Haupttheil der Kirchen
|b113|geschichte, der uns die
Veranlaßung der
verschiednen Vorstellungen, das Interesse
dabey, und den Zusammenhang mit andern Lehren und Vorstellungen, zum Theil die zu ihrer Unterstützung gebrauchten Gründe, und die eingetretenen Umstände
lehret, welche gewissen Meinungen An
|a398|sehen verschafft, oder Widerspruch gegen sie veranlaßt haben. 2) Indem sie dieses thut, unterrichtet sie uns von dem wahren Sinn
dererjenigen, die über gewisse Lehren der Religion, über gewisse Vorstellungen davon, oder über gewisse davon gebrauchte Ausdrücke
verschiedner Meinung waren. Dadurch wird vielfältiger Mißverstand gehoben, viel unnützer Streit
und Untersuchung abgeschnitten, und unnöthige,
parteyische, oder gar
gehäßige Beurtheilung verhütet.
88.
Sie legt 3) zugleich den unsäglichen Schaden vor Augen, den die Vermischung dieser Meinungen über Religionslehren mit diesen letztern selbst, der gleiche Werth, den man auf jene, wie auf diese gelegt hat, das Bestreben, durch alle, auch unerlaubte Mittel, jene eben so wie diese geltend zu machen, gestiftet
hat; und befördert dadurch
|c100| nicht nur die Billigkeit in Beurtheilung
verschiedner Vorstellungen, sondern auch die Vorsichtigkeit, um nicht durch
Zweydeutigkeit, Unbestimmtheit, Vermengung der Hauptsache mit Nebensachen, und unzeitigen Eifer für
unsre Meinungen, Gelegenheit zu Zwistigkeiten zu geben, und
|b114| der Hauptsache selbst dadurch zu schaden. Sie allein zeigt 4) wie manche Lehren oder Meinungen davon
eher gar nicht
c√ in Gang gekommen, oder Aufsehen und Widerspruch erregt, als bis gewisse
äusserliche Umstände,
z. B.
Eifersucht oder Herrschsucht angesehener Kirchen und Bischöfe,
|a399| ausserordentliche Achtung gegen einen berühmten Mann
u. d. gl.
dazu gekommen, und diese zufälligen Umstände erst die Sache wichtig, oder der weit um sich
gegriffne Streit sie zu einer Quelle
großer Revolutionen gemacht
habe, (wovon die Geschichte der
pelagianischen,
nestorianischen, monophysitischen und Sacramentstreitigkeiten
u. d. gl.
traurige
Beyspiele liefert); wie daher die Wichtigkeit einer solchen Lehre, Meinung oder
c√ Ausdrucks gar nicht, oder lange nicht so sehr in der Natur der Sache selbst, und ihrem
Zusammenhang mit den Lehren des eigentlichen Christenthums, und mit praktischen
Folgen, liege, als vielmehr in gewissen
Zufällen, welche die Religion gar
nicht angingen.
89.
Wenn denn die Kirchengeschichte einem jeden Unbefangnen so augenscheinlich zeigt, – wie es so gar keine völlige Einigkeit jemals in Meinungen gegeben habe, und alle äusserliche völlige Einstimmung weder durch öffentliche Religionsgespräche, noch Friedens- oder Glaubensformeln, sondern nur durch Zwang oder durch blinden Glauben bewirkt worden; – daß der Triumph gewisser |b115| |c101| Meinungen über andre, so selten durch Ueberzeugung, und gemeiniglich nur durch Anschmiegen an Vorurtheile des großen Haufens, oder an eingeführte Gewohnheiten, und noch öfterer durch mehrere Macht und Kühnheit ihrer Vertheidiger, durch Ansehn großer Männer, oder berühmterer |a400| Kirchen, durch geschlossene Verbindungen der Bischöfe, durch Beystand der Fürsten, erfochten worden; – daß zu Einer Zeit und in Einem Lande das wieder verdammt worden, was zu einer andern Zeit und anderwärts als Lehre und Befehl der Kirche, aus angeblicher Eingebung des heiligen Geistes, festgesetzt worden war; – daß Bischöfe, Päbste und Concilien einander selbst widersprochen, und ihre vorige Aussprüche wieder zerstört haben; – daß die vorgegebne bessere Einsicht oft bloß durch Einfluß der Höfe und mächtigerer Parteyen gestimmt worden sey; – daß die sogenannte Kirche sich c√ oft herausgenommen habe, über das Gewissen und die Seligkeit, selbst über und wider Christi und seiner Apostel eigne Lehren und Verordnungen, zu entscheiden; – und daß c√, wenn sich die unterdrückte Partey nur entschließen können, um des Gewissens willen zu leiden, oder zu schweigen, und in der Stille zu wirken, keine Macht je im Stande gewesen sey, den Fortgang der Wahrheit zu verhindern: – so wirkt sie 5) die innigste Ueberzeugung, daß überall kein menschliches Ansehen und kein Ansehen der sogenannten Kirche und Tradition eine den Verstand und das Gewissen verpflichtende Kraft habe, sondern höchstens ein Vorurtheil errege, das uns zur nähern |b116| Untersuchung der Sachen auffordert; das schlechterdings eigne Untersuchung in der Religion nothwendig sey, und eigner Glaube frey bleibe; und daß man nur Glauben an Gott und Muth, die Wahrheit zu untersuchen, |c102| und mit Weisheit zu bekennen, erhalten dürfe, um gewiß |a401| zu seyn, bey veränderten Umständen, die in Gottes Hand sind, werde die Wahrheit doch durchdringen, und die Ehre des Gewissens gerettet werden. Eine Ueberzeugung, die auch bey gewissenhafter Untersuchung der Religionslehren und der verschiednen Meinungen darüber, unumgänglich nöthig ist, und c√ die Auffindung der Wahrheit ungemein befördert.
90.
Und wodurch laßen sich
c√ 6) Meinungen, die man fälschlich für christliche Lehren ausgiebt, und die keine andere Gründe
für sich haben, als
Ansehn der Kirche, überzeugender widerlegen, als wenn man aus der
Kirchengeschichte darthun
kan, wie spät ihr Ursprung, und wie wenig die Kirche aller Zeiten darüber einig gewesen
sey? Gegen solche
Gemeinen, die ihre Unterscheidungslehren
auf das Ansehen der ältern christl.
Kirche gründen,
giebts kein wirksameres Mittel zur Widerlegung, als
die Kirchengeschichte; und die
Casaubon's ,
Saumaisen ,
Blondel's ,
Daillés ,
Richer's und
andre gründliche Kenner
dieser Geschichte haben allezeit mehr ausgerichtet, als die ganze Polemik bloß scholastischer Theologen. Wem das Studium der Kirchengeschichte, selbst für den
|b117| Volkslehrer, gleichgültig scheint, der muß entweder den immer regen, auch in Geheim
wirkenden, Bekehrungsgeist
der römisch-katholischen Kirche und die daher unserer
Gewissensfreyheit drohende Gefahr, oder die wirksame Macht religiöser Vorurtheile
|a402| und des menschlichen Ansehens auf die Gemüther nicht kennen. Eben von
beyden giebt die Kirchengeschichte die überzeugendsten Beweise.
|c103| 91.
Mitten in einer solchen Fluth menschlicher Meinungen, unter allen Verderbnissen
des Christenthums, und den mannichfaltigen Versuchen,
es nach menschlicher
Willkühr abzuändern, oder gar zu
verdrängen: hat sich denn doch 7) das
eigentliche Christenthum selbst immer
erhalten, und bewährt
befunden. Alle, nicht
bey Uebelunterrichteten, Leichtsinnigen und Leichtgläubigen, sondern
bey wahrhaftig aufgeklärten und gründlich untersuchenden Köpfen,
wirksame und
siegende Angriffe auf
das sogenannte Christenthum
c√ haben nie
das Christenthum selbst, sondern nur die falschen Zusätze und Vorstellungen zernichtet. Selbst in den verderbtesten Zeiten und Kirchen hat sich das
Ansehn der
heil.
Schrift und Jesu Christi
, hat sich das wahrhaftig allgemein Trostreiche und wahrhaftig Bessernde
im Christenthum überhaupt erhalten. Diese Ueberzeugung macht
das Christenthum und seinen
c√ Werth sehr
respectabel, und
dergleichen historische Ueberzeugung gewährt das fleißige Studium der
christlichen Kirchengeschichte, welches auch 8) zur rechten
|b118| eignen Ueberzeugung von der wahren Beschaffenheit,
Aechtheit, Glaubwürdigkeit und
wesentlichen Unverdorbenheit der biblischen Bücher
c√, worauf die Ueberzeugung von der Wahrheit und
|a403| Verbindlichkeit der daraus geschöpften Lehren mit beruht,
c√ sowohl erfordert
wird, als zur Beschämung der Vorwürfe gegen
das Christenthum und
dessen wohlthätige Wirkungen. Denn alle Scheinbarkeit dieser Vorwürfe gründet sich lediglich darauf, daß man entweder nur das
Gehässige oder die nachtheilige Seite hervorzieht, auf der sich das sogenannte Christenthum leider oft genug gezeigt hat, und
daß man nicht mit eben dem ehrlichen Fleiß dem Guten nachspürt, welches das
|c104| wahre Christenthum, selbst
bey so
mancherley Verderbnissen, gestiftet hat; oder daß man das Christenthum selbst nicht von den ihm aufgehängten Zusätzen und Vorstellungen darüber unterscheidet; oder daß man das auf die Rechnung
des Christenthums setzt, was
c√ bloßer Ausbruch
der Leidenschaft war, die überall, nicht
verbunden mit
dem Christenthum allein, die menschliche Glückseligkeit
zerstört. Eben
dieser Unterschied, der so traurigen und ungerechten Mißverstand veranlaßt, und eben jene
unleugbar heilsamen Einflüsse des Christenthums auf die Glückseligkeit der Welt,
kan nur der rechte Fleiß in der Kirchengeschichte klar machen.
92.
Wenn die
Geschichte überhaupt die beste Schule der Weisheit und Tugend werden
kan,
|b119| wo man die Menschen
sieht, wie sie wirklich sind, und
wie sie wirklich werden
können, wo man sie unter und nach ihren jedesmaligen besondern Umständen
|a404| handeln sieht, wo man sich von dem Werth und Einfluß ihrer moralischen Grundsätze und Gesinnungen in das Verhalten
und in die Glückseligkeit der Gesellschaft überzeugen
kan: so gewährt die Kirchengeschichte
c√ vorzüglich
c√ diesen Nutzen,
theils, weil sie, ihrer Natur nach,
mehr Auftritte enthält,
wo sich die Menschen in ihrem eigentlich sittlichen
c√ Verhalten zeigen,
theils, weil sich
c√ da die besondern Wirkungen wahrer und falscher Vorstellungen
in der Religion und des rechten und unrechten Gebrauchs offenbaren, den man von ihr
bey dem sittlichen Betragen macht.
Sie stellt
c√ uns
Beyspiele von religiöser
Schwärmerey und Aberglauben, von Leidenschaften unter der
Masque der Religion, von Irreligiosität und höchstem
Sittenverderbniß auf einer, und auf |c105| der andern Seite, von erleuchteter, reiner Frömmigkeit, von der Macht der Religion über die Schwäche des Herzens, und über die Stärke der Leidenschaften, in
mancherley Lagen und Gestalten
vor; und einem aufmerksamen Beobachter, der zugleich das von den wirklichen Handlungen und ihren durchschimmernden Triebfedern zu scheiden versteht, was
Parteylichkeit Gutes oder Böses
hinzu gedichtet hat,
einem solchen kan es selten schwer fallen, zu entdecken, woraus
beyderley Arten von Handlungen entsprungen sind, wodurch sie Nahrung bekommen, was für wohlthätige oder schädliche Wirkungen sie hervorgebracht haben. Wie viel Gewinn
kan also die
|b120| christliche Sittenlehre aus der Kirchengeschichte
ziehn, da diese Geschichte so viele Belege enthält, die den Inhalt dieser Sittenlehre bewähren, an
|a405|schaulich darstellen, und eine so reiche Quelle feiner Beobachtungen über das menschliche Herz oder genauerer Bestimmungen der Sittenlehre eröffnen!
93.
Die sogenannte symbolische Theologie, wenn sie ihrem Namen treu bleibet, und nicht in das Gebiet der Dogmatik und Polemik schweift, ist selbst nichts anders als ein Theil der Kirchengeschichte, man mag auf die Geschichte der Symbolen und symbolischen Bücher, oder auf die Geschichte der darin vorkommenden Lehren und Vorstellungen davon sehen, die sowohl selbst, als die Nothwendigkeit, sie zu behaupten, zu vertheidigen oder zu widerlegen, schlechterdings ohne christliche Kirchengeschichte nicht verstanden werden kan.
|c106| 94.
Diejenigen Wissenschaften,
die nun eigentlich die
Amtsführung des Predigers, und was dazu gehört, betreffen,
scheinen zwar die Kenntniß der
Kirchengeschichte in dem Grade, wie die bisher
erwähnten Wissenschaften, nicht zu erfordern. Denn – die Kenntniß der geistlichen Rechte abgerechnet,
wobey freylich diese Geschichte unentbehrlich bleibt, die aber zur Theologie eigentlich nicht gehört – so
nützlich es seyn würde, auch
|b121| in Predigten und Katechisationen den Vortrag durch wohlgewählte
Beyspiele aus der christlichen Geschichte anschaulicher und eindrücklicher zu ma
|a406|chen,
und so sehr auch zu wünschen wäre, daß selbst dem gemeinen Christen und den Kindern recht frühzeitig
möchte ein
Begrif von dem für sie lehrreichen Inhalt der
Kirchen- sonderlich der Reformations- und übrigen Geschichte ihrer Kirche,
beygebracht werden: so sind
doch jene
Beyspiele nur unzusammenhängende Bruchstücke, die man, auch ohne eigentliches Studieren der Kirchengeschichte, sich bekannt machen
könnte; es gehörte viel
Vorsichtigkeit und weise Wahl dazu, um nicht den Vortrag, der für die Religion bestimmt ist, mit Nebensachen, oder gar solchen Dingen anzufüllen, die für
solche Zuhörer unnütz, vielleicht selbst, wegen des zu leichten Mißverstandes, schädlich werden
könnten; und das wirklich für sie Nützliche könnte ihnen
c√ anderwärts wohl bequemer und vollständiger, als
bey dem Gottesdienst selbst,
beygebracht werden.
– Allein der eigentlichste und wesentliche Nutzen,
den der Prediger aus der Kirchengeschichte ziehen
müßte, wäre die so unentbehrliche Klugheit
bey Mittheilung der Religion und
bey seinem ganzen Betragen, ja überhaupt die
Bildung seines ganzen Characters dadurch, die doch überall das Wichtigste ist, wornach er zu trachten hat, und die so
|c107| sehr durch das rechte Studieren der Kirchengeschichte
geschehen kan. – Dies führt uns auf den
zweyten höchst wichtigen Vortheil,
den der
auf diese Wissenschaft gewendete
Fleiß giebt (§. 84. ).
|a407| |b122| 95.
Man muß sich sehr wenig auf die rechte Schätzung des Werths der Dinge verstehen, wenn man sich einbilden kan, die Hauptsache, oder gar Alles, komme bey dem Lehrer der Religion auf das an, was er Andern wieder vortrage; dies müsse er eigentlich und vornehmlich, und nächstdem die Kunst lernen, es deutlich und lebhaft vorzutragen. Dieser Vortrag ist doch nur ein Theil seines Berufs; dazu bedürfte es nicht einmal gelernter Prediger; es bedürfte nur einiger äusserlichen Gaben, eines mittelmäßigen schlichten Menschenverstandes, eines guten Gedächtnisses, des fleißigen Lesens guter, der Classe der Zuhörer, vor welcher man reden soll, angemessener Predigten, oder einer kleinen Aufmerksamkeit auf die Manier beliebter Prediger im Vortrage: so wäre ein solcher Prediger fertig. Wenn aber das übrige schlechte, oder wenigstens gleichgültige oder unvorsichtige Betragen des Predigers das Gute, so etwa durch Predigten gestiftet werden könnte, verhindert, oder wieder zerstört, oder doch schwächt; wenn die Kraft des ganzen Beyspiels weit mehr wirkt als alles Predigen, und diesem erst den rechten Nachdruck giebt; wenn der Prediger durch sein ganzes Benehmen zum Guten wirksam, wahrer Vater und Seelsorger der ihm Anvertraueten seyn soll; wenn er so nicht reden und handeln |c108| kan, ohne eigne innige Ueberzeugung von dem, was er empfehlen, ohne eigne herzliche Gesinnung und Liebe, die er dagegen einflößen will, ohne |a408| |b123| wahrhaftige Weisheit in der Wahl und in der Art wie er redet und handelt: so möchte doch wohl auf seine eigne Bildung weit mehr ankommen, als auf seinen Vortrag, der ohnehin nach jener gestimmt werden wird.
96.
Eben diese
eigne Bildung ists, die durch das rechte Studieren der
Kirchengeschichte, mehr als durch irgend etwas Anderes, so
sehr befördert werden
kan. Denn sie zeigt
eigentlich das Schicksal und die Wirkungen der
Religion, nach den
verschiednen Umständen der Menschen und dem
verschiednen Gebrauch, den sie davon
machten; und, wenn man gleich diese Wirkungen auch aus Beobachtungen seiner selbst und Anderer, mit denen wir leben, lernen
kan: so zeigt uns doch die Kirchengeschichte eine viel
größere Verschiedenheit der Menschen,
ein viel
mannichfaltigeres moralisches Verhalten derselben, viel mehr
verschiedne Umstände, in die sie, in Absicht auf die Religion, kommen können, und
ersetzt das durch ihren Reichthum, was unserer sehr eingeschränkten Erfahrung abgeht. – Sie bildet und befestigt 1) unsre eigne
Ueberzeugung vom Christenthum
– durch die Vorstellung des Fortgangs, der wunderbaren Erhaltung und Entwickelung der wahren Religion unter so
mancherley Hindernissen und Angriffen, und ihrer für
einzelne Menschen und die ganze Gesellschaft so heilsamen Wirkungen;
– durch die ausgezeichnetsten Spuren der göttlichen
Vorsehung,
|a409| |b124| die so sehr für
die Erkenntniß
Gottes und
für wahre Gottseligkeit einnehmen,
|c109| so sehr das Vertrauen auf ihn auch unter den mißlichsten Umständen, nebst dem
Muth, Gutes zu thun, und nicht müde zu werden, stärken;
– durch die so deutlichen Anzeigen des Unterschieds zwischen dem
ächten und daher unveränderlich bleibenden Christenthum, und zwischen den falschen Zusätzen oder nicht
allgemein nothwendigen Vorstellungen davon;
– durch die ganz besondere Fürsorge Gottes für
die besondere Lehre und
die besondere Kirche, zu der wir uns bekennen, durch die, im Ganzen genommen,
geringre Mängel derselben, oder durch mehrere
Gewissensfreyheit,
sichrere Grundsätze und Glückseligkeit überhaupt, die sie uns gewährt.
97.
Durch diese einleuchtende Darstellung der wunderbaren und allezeit herrlichen Wege Gottes sowohl, als durch so viele gute und böse Beyspiele, und des ganzen Ganges, den das verschiedne Betragen der Menschen genommen hat, kan sie 2) sehr die ganze gute Gesinnung des Religionslehrers bilden. Welche Achtung gegen Wahrheit und Gewissen, welche Zufriedenheit mit Gott bey so mannichfaltigen verschiednen Vorstellungen vom Christenthum, die auf so verschiednen Wegen doch alle zu Einem Hauptzweck führen, und bey oft so sehr gegen einander laufenden Mitteln, die doch alle zu Beförderung der Absichten Gottes mitwirken müssen; welche Werthschätzung der |a410| |b125| Vernunft, der heiligen Schrift, der eignen Untersuchung, nützlicher Wissenschaften und guter Anstalten; welche Ueberzeugung von dem großen Umfang von Kenntnissen und Eigenschaften und ihrer Nothwendigkeit, um ganz dem Beruf eines Lehrers der Religion, nach den Bedürfnissen seiner Zeit und seiner Zuhörer, ein Genüge zu thun, und welchen regen Trieb darnach; welche Standhaftigkeit gegen diejenigen, die dieses Gute stören wollen, und welche Geduld, Mitleiden, Billigkeit gegen Irrende, oder die so von uns verschieden denken; welche Achtung und Liebe gegen unsern eignen so weit und mannichfaltig zum Besten der Menschen wirkenden Beruf; wie viel Selbsterkenntniß und Ermunterung zu allen Tugenden kan dieses Studium wirken, wenn man, durch fleißige Beobachtung dieser Vorgänge in der Kirchengeschichte und ihrer Ursachen und Folgen, sie sich zu einer lehrreichen Schule der Bildung unsers eignen Herzens macht!
98.
Wie viel dieses Studium 3) zur Beförderung der wahren Klugheit eines Lehrers der Religion
beytrage, können
z. B.
folgende Bemerkungen lehren. – Der
vernachläßigte Unterschied zwischen Christenthum und Theologie
bey dem Unterricht des Volks thut unsäglichen Schaden; die einleuchtendsten Beweise davon stellt die Kirchengeschichte fast
bey allen (
arianischen, nestorianischen, monophysitischen und andern)
|a411| |b126| Streitigkeiten auf, an welchen selbst das Volk Theil
nahm, und sie zeigt auch, welche Lehren von jeher unter den Christen und unbestritten gewesen, welche hingegen erst nach und nach entstanden, oder nie auf einstimmige Art von allen behauptet worden sind. – Nichts ist dem immer mehrern Wachsthum des Guten in der Kirche nachtheiliger, als die zu hohen Begriffe von gewissen Heiligen, angesehenen Lehrern, Anstalten, und der Untrüglichkeit der Kirche, so wie die Furcht vor der Gefahr, die aus
allem, was
neu scheint,
entsteht; dies verhindert alle weitere und eigne
|c111| Untersuchung, und giebt selbst Mängeln und Ausschweifungen ein unverletzliches Ansehn. Nichts ist
, auf der andern Seite, der Erhaltung des wahrhaftig Guten, der Festigkeit der Grundsätze, und der gemeinschaftlichen Liebe gefährlicher, als das unzeitige und unvorsichtige Reformiren; nichts empört so sehr auch gegen gute neue Anstalten und Untersuchungen, als die
unterlaßne Schonung, die man dem Gewissen, der
Freyheit der Menschen, und nützlichen, wenigstens unschädlichen, Vorurtheilen oder Dingen schuldig ist, an welche ein Theil von Menschen einmal seine Ueberzeugung von wichtigen Wahrheiten, seine Gemüthsruhe, oder seine Andacht und die Ausübung seiner Pflichten geknüpft hat. – Die Einigkeit in Meinungen über Religionssachen, in wie fern, und durch welche Mittel und unter welchen Umständen sie könne hervorgebracht werden, oder nicht, und was aus solchen Versuchen für Folgen
entstehn? was
kan|a412| alle diese Fragen besser
|b127| beantworten, als die Geschichte der Conföderationen, der öffentlichen Religionsgespräche, der Glaubens- und Vereinigungsformeln?
*) was mehr die nöthige Vorsichtigkeit, auch in Einführung und
Aendrung bloß
äusserlicher Anstalten und der Nebendinge in der Religion, lehren?
**) was aufmerksamer auf Erhaltung der
Freyheit, selbst in gleichgültigen Dingen?
***) was billiger in Beurtheilung hartnäckig- oder zu
nachgiebigscheinender Dissentienten?
†) was geneigter in Schätzung jedes Guten in seiner Art
††) machen
u. d. gl.
als die Geschichte solcher Personen oder Unternehmungen? – Kurz, es giebt keine lehrreichere Schule zur Bildung kluger und
bescheidner Lehrer der Religion, als die Kirchengeschichte, und immer haben sich in dieser Absicht diejenigen durch wahre
|c112| Klugheit, und in dem Maaß ausgezeichnet, welche und in welchem Maaß sie mit Fleiß und
unbefangnem Gemüth diese Geschichte studiert hatten.
*) Z. B.
der
Omousianer,
Eusebianer und
Anomöer; der Vertheidiger und Gegner der
chalcedonischen Kirchenversammlung; der
Streitigkeiten über den Origenes
und über die
drey Kapitel
u. d. gl.
– der
Religionsgespräche zwischen Katholiken und Protestanten, und der letztern unter einander; der
wittenbergischen Concordie, der
kryptocalvinistischen Händel, des
sendomirischen Vereins, der
Concordienformel, der
jansenistischen Streitigkeiten
etc.
**) Geschichte der
Feyer des Pascha unter den ersten Christen, des
Τριςαγιον, der
Streitigkeiten
|a413| über
|b128| Verehrung der Bilder, über den
Gebrauch des gesäuerten und ungesäuerten
Brodts im heiligen Abendmahl
u. d. gl.
***) S.
die
Geschichte der
päbstlichen Obergewalt,
z. B.
der
eingeführten Krönung der römischen Kaiser von den
Päbsten, der
falschen Decretalien, der
Eingriffe der
Päbste in die
bischöfliche Rechte, der
Immunitäten und Privilegien der Bettelorden, des
Benehmens der
Päbste und der Concilien zu Costnitz und Basel gegen die
Hussiten, wie des zu
Trident gegen die Protestanten, der
Künste der Jesuiten, diese zu überlisten oder zu unterdrücken, und evangelische Landesherren zu Proselyten zu
machen, u. s. w.
†)
Geschichte der pelagianischen Streitigkeiten und der aus dem
Interim entstandenen Händel.
††) Geschichte der
bey allen Mängeln,
Fehlern und Irrthümern
sehr mächtig und heilsam auf Verbesserung der Kirche wirkenden
Priscillianisten,
Paulicianer,
Henrichianer,
Waldenser,
böhmischen
Brüder, und sogenannten
Pietisten. Vergleichung zwischen Luther
, Melanchthon
und Erasmus
. Vergleichung der sich einander
balanzirenden Gewalt der
Päbste und Geistlichkeit auf einer, und der Landesherren und des befehdenden Adels, auch zum Theil der Bischöfe, auf der andern Seite.
c√
99.
Es ist vor sich klar, daß dieser so große c√ Nutzen der christlichen Kirchengeschichte nur als|b129|dann erreicht werden könne, wenn sie die im ersten Theil |c114| erwähnten Eigenschaften einer guten Geschichte hat, und wenn man sie so studiert, daß man beständig diese vor Augen behält, und mit möglichstem Fleisse sie zu erreichen sucht. Dadurch fällt der einfältige Vorwurf c√ von selbst weg, daß sie ein bloßes Gedächtnißwerk, mit unnützen und unfruchtbaren Kleinigkeiten (wie wohl jede andre Wissenschaft) überhäuft, und zur Zubereitung eines künftigen Lehrers der Religion sehr entbehrlich sey. Eine flüchtige und oberflächige Bekanntschaft mit derselben ist so viel wie gar keine, und schwerlich giebts irgend eine Art von akademischen Vorlesungen für einen künftigen Theologen, die er, wenn er Gelegenheit hätte, sie ausführlich und auf die angezeigte Art zu hören, weniger versäumen, und öftrer hören sollte, als solche historische. Denn zuerst ist den meisten darin alles ganz neu und fremd; vieles unverständlich, weil so manche andre Kenntnisse dabey vorausgesetzt, oder mit beygebracht werden müssen, die schlechterdings sich in der Kürze nicht abfertigen laßen, sondern umständliche Auseinandersetzung erfordern; und Vieles muß, wenn dem Zuhörer fast alles noch unbekannt ist, seiner Aufmerksamkeit entwischen. Hiernächst kan er kaum den Abgang dieser versäumten Gelegenheit durch eignen Fleiß ersetzen, weil es ein gar zu weitläufiges Studium ist, das sehr viele Hülfsmittel erfordert, die selten jemand haben kan, so wenig wie hernach Geduld und Muße genug, um in seinem künftigen Beruf dieses nachzuholen; |b130| zumal da es so sehr an guten Handbüchern fehlt, |a415| woraus man sich selbst helfen könnte. Denn alle diese sind entweder viel zu unvollständig, oder sehr unzuverläßig, selten aus den rechten Quellen geschöpft, und gar nicht so bearbeitet, daß sie sich durch die vorhin gedachten Eigenschaften empfehlen; oder sie enthalten trefliche Materialien, die aber nicht genug geordnet, nicht lehr|c115|reich und überzeugend genug zusammengestellt sind, und für den Anfänger noch zu viel Dunkles und Unerläutertes enthalten; oder sie sind – und das trift selbst die besten Handbücher, – nicht vollendet, nicht auf die neuesten Zeiten fortgeführt. Ausführlichere Werke aber sind zu kostbar, und keines faßt den ganzen Umfang der Kirchengeschichte in sich.
c√ Wahr ists, der akademische Unterricht darüber bleibt immer noch kurz genug, und wer sich selbst mit eignem Fleiß auf dieses Studium legen, und aus den Quellen schöpfen will, kan es freylich darin weiter bringen, und diese Geschichte noch überzeugender lernen. Aber wer darum dergleichen Vorlesungen nicht auf Universitäten hören wollte, der würde nicht überlegen, daß, nach diesem Grundsatz, überall der akademische Unterricht auch in andern Wissenschaften entbehrlich wäre; daß es doch besser sey, wenigstens das Nothdürftigste von einer solchen nützlichen Wissenschaft, als gar nichts davon zu lernen; daß ein solcher Unterricht eine gute Grundlage für das künftige eigne Studieren sey; und daß man doch schon viel gewonnen habe, |b131| wenn man auch nur auf dasjenige aufmerksam gemacht würde, worauf man bey diesem Studium hauptsächlich sehen muß, und wenn man c√ dem Lehrer die wahre |a416| Art ablernte, wie die Kirchengeschichte studieret werden müsse. c√
|c116| 100.
Gemeiniglich stellt sich der Anfänger die Schwierigkeiten bey diesem Studium größer und unüberwindlicher vor, als sie sind, nicht nur wegen der Menge und Mannichfaltigkeit der Sachen, sondern auch weil man sich in der Geschichte und in allen Wissenschaften, wo nicht der Verstand das Meiste thun muß, weniger selbst helfen kan, sondern von Andern lernen muß; weil fast alles in dieser Geschichte dem Anfänger ganz fremd ist; und weil wenige Arten von den einem Studierenden nöthigen Kenntnissen so sehr auf Schulen versäumt werden, als die Kenntniß der Geschichte. Indessen laßen sie sich durch die Beobachtung folgender Vorschläge gar wohl überwinden, die zugleich auch zeigen, wie man dergleichen Vorlesungen über die Kirchengeschichte mit dem meisten Nutzen hören könne.
101.
Weil Wahrheit die Seele der Geschichte, Zuverläßigkeit der Erzählung der Grund aller andern aus der Geschichte zu ziehenden Vortheile ist, und der Anfänger sich hier vornehmlich muß auf die Kenntniß, Genauigkeit und Deutlichkeit des |b132| Docenten sowohl, als auf seine gute Wahl des Nützlichsten, und auf die lehrreichste Behandlung der Geschichte von ihm, verlaßen können: so |a401[!]| müßte man 1) vor allen Dingen, wenn man die Wahl unter mehrern Docenten haben kan, in dieser Wahl sehr vorsichtig seyn, und c√ sie nach dem beurtheilen, was unten darüber gesagt werden soll. Man müßte 2) nie Kirchengeschichte studieren wollen, ehe man sich nicht die Universalgeschichte seit Christi Geburt, und 3) die ältere und neuere Geographie wenigstens nothdürftig, und so weit bekannt gemacht hätte, daß man sich mit Hülfe guter Landcharten in vorkommenden Fällen helfen könnte; weil man sich ohne beyderley Vorerkenntnisse gar nicht zurecht finden kan.
c√ Es wäre sehr zu wünschen, daß man einige recht gute allgemeine Landcharten bekäme,
welche ganz eigentlich für die Kirchengeschichte wären, und
welche die
verschiednen Diöcesen in den christlichen Ländern zu
verschiednen Zeiten vorstellten,
ohngefähr so, wie die
christlichen Patriarchate von
d'Anville in
le Quien Oriens Christianus, und die
afrikanische Diöces von
de l'Isle vor
Du Pin Ausgabe des Optatus
Milev. woran es jetzt noch eben so, wie an einem guten Handbuch der Kirchengeographie fehlt.
Friedrich Spanheims Introductio ad Geographiam sacram ist fast das einzige
, obgleich sehr dürftige, Handbuch, das man ziemlich leicht haben
kan, und doch sind nur erst in der Ausgabe im ersten Tomo seiner Werke Landcharten
beygefügt, die
zum Theil einerley, zum Theil nicht viel besser
sind,|b133| als die in
Caroli a S. Paulo Geographia
S. Amstel. 1703.
fol.
; auch gehen
beyderley Werke und Charten nur die ältere Kirchengeographie
bis ins 6te Jahrhundert an. Die
oben
schon empfohlnen d'anvillischen Charten und
übrige Hülfsmittel bleiben doch überhaupt, auch
bey der Kirchengeschichte, unentbehrlich.
c√
|a402[!]| 102.
Dem Gedächtniß, wegen der vielen Namen und Jahrzahlen, zu Hülfe zu kommen, sich überall mehr zu orientiren, und immer einen Faden zu haben, woran man die Kenntnisse reihe, die man in der Kirchengeschichte erlangt
hat,
müßte man sich 4) an ein gutes Handbuch
c√ gewöhnen, worin, nebst einer verhältnißmäßigen allgemeinen Vollständigkeit, eine gleichförmige Ordnung
herrschte †) , 5) sich gewisse Epochen und Hauptbegebenheiten genau und
|c118| fest mit ihren Umständen
eindrücken ††) , und 6)
sich entweder selbst synchronistische Tabellen
machen, oder dergleichen immer vor Augen
haben †††) ; überall aber 7) nicht bloß das Gedächtniß
c√ beschäftigen, sondern stets auf eine solche Kenntniß der Kirchengeschichte bedacht
c√ seyn, welche die
schon im ersten Theil angegebenen Eigenschaften
einer guten Geschichte hat.
a√
†) In
dieser Absicht scheint die Methode, die Kirchengeschichte nach den Jahrhunderten abzuhandeln, und
bey jedem
alles unter
einerley Hauptrubriken zu bringen, so manche Unvollkommenheit sie auch sonst
|b134| mit sich führt, für den Anfänger die zuträglichste zu seyn;
zumahl da er sich
bey längern Perioden zu leicht aus einer Zeit in die
andre verirrt, und den Synchronismus aus den Augen verliert, auch einmal
das Rechnen nach Jahrhunderten üblich ist, und die synchronistischen Tabellen darnach eingerichtet sind.
Mosheims Institutiones Hist. Eccles. verdienen deswegen,
bey allen etwanigen Mängeln, noch immer Empfehlung, selbst auch mit darum, weil der Anfänger an
zwey|a403[!]| vermehrten
deutschen Uebersetzungen einen kleinen Commentar über das Buch haben
kan.
Unter den Handbüchern, die, ohne sich an einzelne Jahrhunderte zu binden, die Zeitfolge zum Grunde legen, ist die
allgemeine Geschichte der christl. Kirche, von H. P. C. Henke , wovon bis jetzt zu Braunschweig 1788–91
drey Theile erschienen sind, unstreitig das beßte.
††) Hierin sowohl als in der pragmatischen
Behandlung hat der
spittlerische Grundriß der Geschichte der christlichen
Kirche (2te Aufl.
Götting. 1785.
8.) entschiedene Vorzüge,
zumahl wenn er etwas mehr mit Begebenheiten und Literatur bereichert, auch der
Gesichtspunct, so wie
bey der Geschichte der Hierarchie, eben so in andern merkwürdigen Rücksichten erweitert würde. Wer sich gewisse Hauptvorfälle mit ihren Umständen bemerkt,
kan dadurch leicht, vermittelst der Association, auch
andre Merkwürdigkeiten an ihren Ort stellen, wie
z. B.
wenn man einmal die Geschichte der
2ten ökumenischen Kirchenversammlung sich eingedrückt
|b135| hat, den
arianischen,
macedonianischen
,
apollinarischen Händeln, dem
Ursprung des constantinopolitanischen Patriarchats, der
Regierung Theodosii des
Großen , dem
Gregorius Nazianz.
und somit mehrern Andern, ihr Platz angewiesen wird.
†††) Wenn man dergleichen nicht schon
bey dem gewählten Handbuch hat, ist für den Anfänger der
seilerische kurze
Inbegrif der Kirchengeschichte des N. T. in Tabellen,
nach der dritten Ausgabe (Erlangen 1777.
4.) sehr brauchbar.
c√
103.
Wenn man sich auf die gedachte Art entweder durch gute Vorlesungen, oder durch den Gebrauch eines guten
|c120| Handbuchs der Kirchengeschichte eine allgemeinere Kenntniß derselben erworben
hätte, und
man wollte dieses Studium, wegen seines
großen Nutzens, weiter
fortsetzen †) ,|a404[!]| und
sie selbst untersuchen: so
würden, in Beziehung auf die oben
im ersten Theil angegebnen nothwendigen Eigenschaften einer wahren und nützlichen Geschichtskunde, folgende Regeln nie
müssen aus der Acht
gelaßen werden. 1) Weil
bey Geschichte
alles auf Nachrichten und Zeugnisse ankommt, und es,
bey der ungeheuren Menge
von Nachrichten, die oft in
Denkmahlen und Schriften, wo man sie gar nicht sucht, nur
beyläufig vorkommen, unmöglich ist, daß auch der
fleissigste Mann
alles wissen
kan, was hier einiges Licht
ausbreiten möchte, so muß man sich vor allen Dingen sowohl um die Quellen aller Art,
|b136| als um die, welche sie schon benutzt, und darnach irgend einen Theil der Kirchengeschichte untersucht haben, bekümmern.
Anm.
1. †) Es wäre allerdings sehr gut, vor der
eignen Untersuchung, ein oder anderes
größeres Werk über diese Geschichte zu
studieren. Man würde dadurch nicht nur jene erste Grundlage, sondern auch die
verschiednen Gesichtspuncte erweitern, aus der man die zur Kirchengeschichte gehörigen Sachen ansehen
kan. Denn die Verfasser der Handbücher schränken sich gemeiniglich nur auf gewisse
Gesichtspuncte, und oft zu sehr, ein,
z. B.
auf Geschichte der Kirche, ohne eben so genau der Geschichte der Lehre nachzuforschen, auf Geschichte der Hierarchie, ohne die Geschichte der religiösen
Cultur, und der sie befördernden Mittel
u. d. gl.
eben so fleißig darzustellen. Jeder läßt
bey der nothwendigen Kürze und in Rücksicht auf seine Leser oder Zuhörer vieles Nützliche weg, der Theologe
z. B.
die Geschichte der Kirchengesetze, der Protestant Manches, was ihn weniger als den
|a405[!]| Katholiken
interessirt, und das doch auch für ihn in mancher Absicht sehr nothwendig werden
kan. – Aber noch kenne ich kein ausführlicheres und
|c121| mit gehöriger Kenntniß der Quellen und Untersuchungsgeist
geschriebnes Werk, das
c√ vollständig wäre
, und die Kirchengeschichte aller Jahrhunderte umfaßte. Sonst würde ich, obgleich in
verschiedner Rücksicht, für den, der weiter gehen will, die
bossuet -cramerische Einleitung, die
semlerischen selecta Capita, Versuch eines fruchtbaren Auszugs
|b137| der Kirchengeschichte, und Versuch christlicher
Jahrbücher (Halle 1785 und
86
in 2
Theilen in gr.
8.), nebst der
schröckhischen christl. Kirchengeschichte, hernach die
Hist. Ecclesiastique par Fleury , und
Natalis Alexandri Hist. Ecclesiast. (s.
die
Anweisung zur Bücherkenntn. §. 329. 330. und 333), vor allen andern empfehlen.
Da sie inzwischen nicht bis auf die
neueste Zeiten
gehen, so müßte man diesen Abgang durch einige in der
Anweisung §.
501, 386 und 337 genannte Bücher
ersetzen.
Anm.
2. Nirgends ist Literargeschichte (
s.
c√ ersten Th.) und die Sammlung brauchbarer Excerpte unentbehrlicher, als
beym Studium der Geschichte. Die Bücher, welche ganz eigentlich für die Kirchengeschichte und
zu deren Aufklärung
c√ sind, allgemeinere und
besondre, kan man in der
Anweisung zur Kenntniß der besten Bücher in der
Theologie Theil 1.
Abschn. 3. und in den daselbst §.
289 angezeigten
Werken finden.
Andre, die kleine Theile der
Kirchengeschichte, oder
einzelne Umstände betreffen, muß man sich aus denenjenigen bekannt machen, welche diese mit Zeugnissen belegt, oder in ihren Schriften über
besondre Gegenstände die gebrauchten Quellen angegeben haben. Es giebt auch Bücher, wo man die wichtigsten Quellen und Schriften über die besondersten Umstände angezeigt
|a406[!]| findet,
z. B.
in dem
Catalog. Biblioth.
Bunavianae Tom.
1. Vol.
2.
lib.
VI.
c.
1. die, welche von einzeln berühmten
Schriftstellern, Tom.
III.
Vol.
II. p.
597
seq.
die, so von
einzelnen Heiligen
|b138| und Märtyrern geschrieben haben. Wenn man über die Kirchengeschichte
ein solches, aber
a√ noch viel mehr erweitertes Buch hätte, wie
Hambergers Directorium
historicum - - post Marq. Freherum
et iteratas
Jo. Dav. Koeleri
curas (Göttingen 1772.
4.) ist: so würde dem, der die Quellen der besondern Kirchengeschichte will kennen lernen, viele Mühe und
|c122| Zeit, nebst dem Abgang vieler
wichtigen Quellen,
ersparet werden.
c√
104.
Weil aber angebliche
Quellen diesen Namen nicht immer verdienen, und nicht aus
der Zeit, noch von
den Verfassern sind, welchen sie zugeschrieben werden: so muß
man 2), ehe man sie
braucht, von ihrer
Aechtheit überzeugt seyn, oder wissen, wie fern sie Quellen seyn können. Diese Kritik ist vielleicht nirgends nöthiger, als
bey diesen Quellen der Kirchengeschichte, weil
bey der früh
entstandnen Einbildung von Rechtmäßigkeit des sogenannten frommen Betrugs,
bey der so bald unter Christen eingerissenen Gewohnheit, nach menschlichem
Ansehn und Tradition Wahrheit und Pflicht zu bestimmen, und dem daher entstandenen Interesse, die
Aechtheit gewisser berühmten Denkmahle zu behaupten
, endlich
bey dem bis gegen die Zeiten der
Reformation fast gänzlichen Mangel der
hiebey gebrauchten Kritik und
den blinden
Glauben an, zumahl herrschende, Sagen, so viele
un|a407[!]|ächte Schriften und Denkmahle
einen sehr
unverdienten Credit erlangt haben.
|b139| Anm.
1. Da so viel darauf ankommt, den Werth der Quellen recht zu würdigen: so ist zur Kenntniß derselben und ihrer rechten Beurtheilung überhaupt,
C. W. F. Walchs critische Nachricht von den Quellen der Kirchenhistorie,
Leipz. 1770
in gr.
8. ein unentbehrliches Buch. Wie sehr wäre zu wünschen, daß man in Absicht auf die ganze Kirchengeschichte ein
solch Werk hätte, wie der
semlerische Versuch, den Gebrauch der Quellen in der Staats- und Kirchengeschichte zu erleichtern, Halle 1761.
8, in Absicht auf einen
kleinern Theil der
mitlern Geschichte
ist! Mehrere in der
Anweisung etc.
§.
409 genennte Schriftstel|c123|ler, und
ausser diesen, in Rücksicht auf
einzelne Schriften, manche Herausgeber der Schriften der Kirchenväter und alter
Denkmale, sonderlich die
Benedictiner von der Congregation des
heil.
Maurus
,
desgleichen
Jac. Sirmond ,
Joh. Launoi ,
Joh. Daillé ,
Anton Pagi ,
Tillemont ,
J. S. Semler ,
C. T. Spittler , und einige wenige
Andre, haben auch hierin um die Kirchengeschichte sehr
große Verdienste.
Anm.
2. Wie man
hiebey nicht auf die
bloßen Urtheile, sondern auf die Gründe sehen muß, womit man jene unterstützt
hat; denn der Zweifel geht sehr oft, nicht minder wie der blinde Glaube, über die Gränzen: so ist deswegen ein Denkmahl nicht gleich unbrauchbar, wenn es gleich fälschlich in eine gewisse Zeit
gesetzt, oder
einem Verfasser
beygelegt worden ist; es
kan, wie viele
unächte Schriften, doch in
der Zeit, wohin es wirklich gehört, und deren Spur es trägt,
großes Licht geben, und
|b140| unter vielem
Unächten, doch schätzbare historische
|a408[!]| Fragmente enthalten, wie die sogenannten
Apocrypha
N. T.
, die
ignatianischen Briefe,
Canones und Constitut. Apostolicae,
Recognitiones Clementis
, viele
unächte Schriften vom
Chrysostomus
,
Ambrosius
,
Augustinus
u. a.
wenn man nur
vorher ihren Ursprung und ihr Alter
ausfündig machen
kan.
105.
Eben diese Kritik müßte 3) bey einzelnen Stellen und deren Lesearten angewendet werden, wo, nach den Quellen, die zur richtigen Darstellung eines Textes dienen, oder nach andern wahrscheinlichen Spuren, Verdacht des Unächten entstehen kan, auch hernach 4) bey Bestimmung des richtigen Sinnes, wozu die Kenntniß des, besonders kirchlichen, Sprachgebrauchs, der in verschiedenen Gegenden und Zeiten sehr verschieden ist, unumgänglich erfordert wird, zumahl da er, durch Vernachläßigung dieses Unterschieds, durch Un|c124|wissenheit und Vorurtheile, die durch c√ Interesse geleitet wurden, sehr verdunkelt worden ist.
Bey der dritten Regel
s.
die
Theil 1. §.
90. erwähnten Schriftsteller, und wegen der vierten die, welche in der
Anweisung zur Bücherkenntniß §.
410 genannt worden sind.
Casaubons , Salmasii , Blondels und einiger Andern Schriften, unter den Neuern
J. A. Ernesti Antimuratorius,
C. F. Rößlers Bibliothek der Kirchenväter
etc.
enthalten sehr schätzbare Aufklärungen über diesen Sprachgebrauch.
|a409[!]| |b141| 106.
Wenn man von dem wahren Sinn in einer
ächten Stelle eines solchen Denkmahls oder Schriftstellers überzeugt ist, bleibt noch 5) die Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugnisses übrig. Es ist hier der Ort nicht, zu zeigen, wie diese Prüfung, und nach welchen Regeln, sie anzustellen
sey †) ; aber Vorsichtigkeit
kan bey dieser Geschichte, die durch Unwissenheit,
Parteygeist und Hang zum
Ausserordentlichen so sehr verdorben ist, nicht genug empfohlen, der angehende Geschichtschreiber nicht oft genug erinnert werden, eher nicht zu urtheilen, als bis und so weit er sich das Zeugniß geben
kan, eben die Eigenschaften
bey dieser Prüfung mitzubringen, die
bey dem Zeugen seyn müssen, den man prüfen soll,
nehmlich: in Absicht auf die Eigenschaften unsrer
Erkenntniß, hinlängliche Bekanntschaft mit der Geographie, Chronologie, der bürgerlichen und
Völker- der
Literar- auch der übrigen gleichzeitigen Kirchengeschichte, Philosophie, Kritik und genaue Sprachkenntniß, alles dieses verbunden mit gesundem Verstande, treuem Gedächtniß, feiner Menschen- und Weltkenntniß, scharfsinnigem
Beobachtungsgeist und Fähigkeit, selbst kleine Umstände, nach
|c125| den Spuren, die uns die Geschichte
weiset, geschickt zu verbinden; und in Absicht auf den
guten Willen,
theils strenge
Unparteylichkeit, die sich weder durch Liebe gegen das, wofür wir eingenommen sind, es
sey Religion, oder
Partey,
|a410[!]| oder eigne Entdeckung und
|b142| Einfall, es
sey Neues, das wir sagen, oder Altes, was wir vertheidigen wollen, noch durch Abneigung von Personen, Gesellschaften oder Sachen, verführen läßt,
theils unermüdeten Fleiß, dem selbst anscheinende Kleinigkeiten nicht zu gering sind, weil und wenn sie auf die Spur der so
oft versteckten Wahrheit leiten können.
††)
†) S. J. A. Ernesti vortrefliche Bemerkungen und Regeln in der
Diss. de fide historica recte aestimanda in den Opuscul. phil. crit.
p.
64
seqq.
††) Kein bescheidner Mann, und wer irgend die Menschen kennt, wird sich oder
andre für ganz
frey von allen Leidenschaften halten. Aber
Beyspiele von
einzelnen hier
erwähnten Eigenschaften, auch mehrere zusammen, wird man doch vorzüglich in
Ant. Pagi Critica in Annal. Baronii, in einigen
mosheimischen Werken über die Kirchengeschichte, in
Beausobre Hist. crit. du Manicheisme, in den
semlerischen hieher gehörigen Schriften, in
C. W. F. Walchs Entwurf einer vollständigen Historie der
Ketzereyen, in der
Plankischen Geschichte des protestantischen
Lehrbegriffs, und in einigen
wenigen Andern finden.
107.
Der große Einfluß, den die einzelnen Theile der Geschichte, und besonders der Kirchengeschichte, auf einander haben, macht es uns 6) besonders zur Pflicht, so sehr wir unsre Ursachen haben können, und so sehr uns der ungemein große|a411[!]| Umfang der Geschichte nöthigen kan, uns auf die |b143| Untersuchung gewisser Theile einzuschränken, – keinen |c126| gering zu achten, oder ganz zu vernachläßigen. Die geringfügigsten Umstände haben oft die größesten Revolutionen hervorgebracht; oft ist nicht die Sache, aber die Art wichtig, wie man sich dabey benommen hat; und oft findet sich über die Ursachen merkwürdiger Veränderungen in gewissen Theilen der Geschichte allein oder c√ mehr Aufschluß als in dem, welchen man bearbeitet.
Die
Geschichte der sogenannten
drey Kapitel, der
Zänkereyen der Patriarchen unter einander, der
nestorianischen besonders und der
monophysitischen Händel, des
Bilderstreits, des Einflusses der Höfe, und wiederum
einzelner Personen auf diese,
bey solchen Streitigkeiten, auch verschiedner
merkwürdigen sonderlich
Bettelorden,
kan das zur Genüge lehren.
108.
Die Wahrheit einer bezeugten Begebenheit ist nicht bloß nach Zeugnissen, sie ist auch nach der Natur der Sache und nach dem ganzen Umfang ihrer Umstände zu beurtheilen, und wenn die Nachrichten über diese von einander abweichen, oder einander widersprechen: so müssen sie mit einander verglichen, und in den wahrscheinlichsten Zusammenhang gebracht werden. Deswegen ists 7) nicht genug, viele Thatsachen oder Ereignisse zu sammlen, man muß alle Umstände derselben zusammennehmen, sie ordnen, oder sehen, was |a412[!]| bey der Vergleichung übrig bleibt. Dies giebt |b144| der Geschichte und unsren Begriffen davon mehr Deutlichkeit, und verhütet zugleich, daß man die Thatsachen nicht gleich verwirft, weil man sie verschieden oder widersprechend angegeben findet, nicht einen Zusammenhang oder Vorfälle und Absichten erdichtet, die nie gewesen sind, und dadurch die Wahrheit der Geschichte verdirbt, indem man sie reini|c127|gen oder unterhaltend machen will. Wiefern man sich hier Vermuthungen erlauben dürfe, ist schon im ersten Theil, bey der Geschichte überhaupt, gesagt worden.
109.
Dies giebt auch 8) den Stoff zum wahren Pragmatischen, ohne welches die Geschichte bloß ein Gegenstand der Neugier und ein Spiel der Einbildungskraft, wenigstens nicht nutzbar zur Bildung des Verstandes und Herzens, wird. Nur muß man wirklich aus der Geschichte durch fleissige Beobachtung lernen, nicht bloß unsre Meinungen oder Vorurtheile bestätigen zu wollen; man muß die gute und schlechte Seite der Dinge mit gleicher Sorgfalt beobachten. So wird sie uns ein lehrreicher Schauplatz der göttlichen Vorsehung, die auch das Schlecht- und Bösescheinende zu ihren Absichten braucht, eine Schule, wo man eben sowohl aus Andrer Fehlern als ihrem guten Betragen lernen kan.
|a413[!]| c√ Sehr
wenige haben die Kirchengeschichte eigentlich
pragmatisch erzählt.
Weismann in den Memorabilibus H. E. hat sie praktisch und zur Erbauung
|b145| anwendbar machen wollen.
Fleury und
Racine haben auf eben
dem Zweck
mit gearbeitet. Eigentlich pragmatisch aber, in dem
oben angegebnen Sinn, sind
nur die
spittlerischen und
krausischen Handbücher, und, unter den etwas
größern Werken, der
cramerische Bossuet
und die
schröckhische christliche Kirchengeschichte, auch zum Theil die
semlerischen Anmerkungen, wie in Absicht auf
einzelne Theile der Kirchengeschichte die oben (
§.
106 ††) genannten Werke.
Schade ists, daß man in diesen Büchern gemeiniglich das Pragmatische nicht in seinem ganzen Umfang, sondern nur nach gewissen Rücksichten, z. B.
in Absicht auf die Hierarchie, die freye Untersuchung unter den Christen u. d. gl.
genommen hat.
110.
Wer sich mit recht eigentlichem Fleiß auf die Kirchengeschichte legen wollte, müßte sich nicht
c√ auf
die Kirchengeschichte|c128| im Ganzen und
deren allgemeine Uebersicht einschränken, sondern auch die
einzelnen Theile
derselben besonders studieren. Denn
die Kirchengeschichte ist von einem so gar weitläufigen Umfang, daß man überaus viel Wichtiges gar nicht kennen lernt, wenn man sich bloß an die Universalkirchengeschichte hält, ja daß man diese nicht einmal recht gründlich, deutlich und pragmatisch machen
kan, ohne
c√ eine genauere Kenntniß jener
einzelnen Theile
c√. Daher werden in der allgemeinen Kirchengeschichte viele sehr wichtige
Sachen, (
z. B.
Geschichte der Leh
|a414[!]|ren und des mannichfaltigen Aberglaubens, Ge
|b146|schichte des
sich nach und nach gebildeten Jesuitismus
c√ und seines geheimen Einflusses
u. d. gl.
) ganz und gar nicht, oder nur sehr wenig berührt, oder nicht richtig und vollständig genug aufgeklärt; ja von manchen wichtigen Umständen weiß man die Zeit nicht genau, oder man betrachtet gewisse
Erscheinungen nur nach ihrem Ausbruch, nicht nach den lange
versteckten Vorarbeiten dazu †) ; oder die Geschichte merkwürdiger
Veränderungen, wird
bey der Abtheilung in gewisse Perioden so sehr zerstückelt, daß man sie wenigstens nicht so gut übersehen
kan, als wenn man die Geschichte der
einzelnen Lehren oder
Parteien besonders untersuchte.
†) So wird
z. B.
in den gewöhnlichen Abhandlungen der Kirchengeschichte die Lehre vom
heil. Abendmahl und von der Versöhnung Christi
, so verschiedne Vorstellungen es
auch darüber immer gab,
jene kaum vor dem Ursprung der
radbertschen Streitigkeiten im 9ten, diese kaum vor dem
Ursprung der antitrinitarischen
Aeusserungen im 16ten Jahrhundert,
berührt. Seit dem 7ten Jahrhundert verschwinden die Antitrinitarier fast ganz aus der Geschichte, und kommen erst im 16ten wieder zum Vorschein,
ohngeachtet nicht zu
leugnen ist, daß der Saame davon in Spanien, dem südlichen Frankreich und
Italien, immer geblie
|c129|ben, und nur erst spät öffentlich ausgebrochen ist. Ueberhaupt, wenn die
verschiednen Meinungen über eine Lehre keinen merklichen Einfluß in gewisse
große Revolutionen in der Kirche
geäussert haben: so herrscht in der
|b147| allgemeinen Kirchengeschichte, indem man bloß diese verfolgt, das
tiefeste Still
|a415[!]|schweigen von jenen unmerklichern Veränderungen. Daher selbst die entsetzlichen Lücken in der Geschichte der Lehren, wenn man diese bloß aus der allgemeinen Kirchengeschichte zusammengetragen hat, wie man sich
z. B.
aus
Priestley's Geschichte der Verfälschungen des Christenthums leicht durch den Augenschein überzeugen
kan.
c√
111.
Zu diesen besondern Haupttheilen der christlichen Kirchengeschichte gehört
zuerst die Geschichte der Schicksale des (wahren oder vermeintlichen) Christenthums, und, mit derselben,
der christlichen Kirche in der Welt,
d. i.
der Ausbreitung und Einschränkung, des Verfalls, oder gar des Aussterbens
beyder in gewissen Ländern.
Bey dieser Geschichte
müßte wohl untersucht werden: von woher die Werkzeuge dieser Ausbreitung
gekommen? unter welchem Einfluß sie
gestanden? was für ein Christenthum
sie ausgebreitet haben? was für eine Art der Religion sie in solchen Ländern
vorgefunden? wie weit sie sie ausgerottet, oder geschwächt, oder mit
ihrem Christenthum verschmelzt haben? wie weit sich in solchen Gegenden diese Fortpflanzung
erstrekt? ob über eine ganze Nation oder nicht? und über welchen Theil derselben? ob sie
das Christenthum mit Gewalt oder
auf welchem gelindern Wege ausgebreitet, und von welchen Ursachen der
größere oder geringere
|c130| Fortgang abgehan
|b148|gen? welche Wirkungen diese fortgepflanzte Erkenntniß auf die
Cultur solcher Länder gehabt,
|a416[!]| oder wie weit sie
c√ sie gehemmt und vermindert
habe? welche Veränderungen daraus in der ganzen Verfassung solcher Völker entstanden? besonders wie und wonach die Verfassung einer neuentstandenen Kirche gebildet worden
sey, und in welchem Verhältnisse sie in der Folge gegen die Staats- und übrige Verfassung gestanden habe? Auf eben diese Fragen müßte
ohngefähr auch
bey dem
äusserlichen Verfall und Untergang des Christenthums in gewissen Gegenden gesehen werden. –
Hiezu gehört eine sehr genaue Kenntniß der Völker- und Ländergeschichte und Verfassung zu verschiedenen
Zeiten; diese würde aber, wegen des
großen Einflusses der Religion, eben so sehr durch jene Untersuchungen aufgeklärt werden, als die Geschichte der innern Veränderungen der christlichen Kirche Licht aus diesen
äusserlichen Umständen bekommen
würde, in welchem unstreitig der Grund von vielen besondern Veränderungen und Einrichtungen gewisser Kirchen oder des Fortgangs und der Hindernisse derselben, gelegen
hat †) .
†) Z. B.
des Wachsthums oder der Schwächung der kirchlichen, sonderlich
päbstlichen Gewalt,
bey schwachen oder bessern Einrichtungen der Staatsverfassung; der sogenannten Orthodoxie oder Heterodoxie, und ihrer Schicksale nach der politischen Verfassung, oder den Umständen und Absichten eines Staats oder Regenten
u. d. gl.
Die Geschichte des
Arianismus und
Pelagianismus unter
|b149| verschiednen Herrschaften und in
verschiednen Zeiten
kan hier
c√ zum
Beyspiel dienen.
|a417| 112.
Ein
andrer,
aber auch wohl der wichtigste,
obgleich schwerste, und am wenigsten mit rechter Genauigkeit bear
|c131|beitete Theil der
Kirchengeschichte †) , ist die
Geschichte der christlichen Lehre, und überhaupt der Vorstellungen in der Religion. Diese Geschichte müßte
c√ 1)
sich nicht bloß auf die in der heiligen Schrift bekannt gemachten Lehren, sondern auf alle Meinungen erstrecken, die wenigstens
bey einem Theil der Christen geherrscht haben, sofern sie in die Religion schlagen, oder dahin gezogen worden sind, sie mögen zur natürlichen oder geoffenbarten Kenntniß der Religion gehören, es mögen davon vermeintliche Spuren in der Bibel aufgefunden, oder sie anderwärts her genommen seyn.
††) 2) Sie müßte nicht nur das Schicksal der Lehren der heiligen Schrift
selbst, unter den Christen, sondern auch der
verschiednen Vorstellungen
enthalten, die man sich unter
c√ Christen davon gemacht hat, und die Schicksale dieser
Vorstellungen. †††)
†) Mit so
großem Fleiß einige Stücke dieser Geschichte untersucht worden sind (
s.
die
Anweisung zur
theologischen Bücherkenntniß §.
392–402): so ist es doch meistens nur aus polemischen Absichten und zur Beantwortung der Frage über das Alterthum gewisser Lehren und Vorstellungen geschehen. Dieser Umstand hat nicht nur die
Un|b150|parteylichkeit bey dieser Untersuchung oft verhindert, und das, was Geschichte seyn sollte, in eine polemische Abhandlung verwandelt; sie hat auch verursacht, daß fast nur die Geschichte solcher Lehren untersucht worden,
|a418| über welche sich ganze
Parteyen unter den Christen getrennt
haben, (namentlich der zwischen der römischen
Kirche und andern
c√ streitigen
Lehren,) und daß die Geschichte der übrigen Lehren meistens unbearbeitet liegen geblieben ist. Daher ist auch die Geschichte einer Lehre in neuern Zeiten fast nie mitgenommen
worden; so wie man auch noch gar keine auch nur
einigermaßen ganze Geschichte der christlichen Lehre hat.
|c132| ††) Hieher gehört die ganze Geschichte philosophischer Hypothesen und des religiösen Aberglaubens unter den Christen, die aus dem Juden- oder Heidenthum in die Kirche übergingen; die ganze
Emanationslehre, die von der
Seelenwanderung, von den Schutzengeln, von den Wirkungen der bösen Geister, von Zauberern und Hexen, deren Gemeinschaft mit bösen Geistern, selbst dem Tanzen mit ihnen auf Bergen (wovon schon im vierten Jahrhundert Spuren in den Morgenländern sind)
u. d. gl.
†††) So hat es nicht nur
verschiedne Vorstellungen vom Verdienst Christi
und guten Werken, vom Gesetz und Evangelium, gegeben, sondern es ist auch eine dieser Lehren durch
übertriebnen Werth der andern, oft
vernachläßigt, und durch ganz fremde und unbiblische Vorstellungen verdunkelt, zu gewissen Zeiten und in gewissen
Parteyen darin gar nichts näher, oft wieder nur zu viel bestimmt worden.
|b151| 113.
Und, da die
verschiednen Vorstellungen von einer Lehre entweder aus
verschiednen Erklärungen der heiligen Schrift, oder aus
verschiednen Grundsätzen der Philosophie und deren
ver|a419|schiednen Anwendung, oder aus verschieden
angenommner Tradition, oder nach
verschiednem innern Gefühl, entstanden sind: so
würden 3) ferner
c√ die
verschiednen Meinungen über die Gültigkeit, den Werth und die rechte Anwendung dieser Quellen, und die Schicksale, welche diese Meinungen gehabt haben, mit in Anschlag kommen müssen; auch 4) die
verschiednen Vorstellungen von dem Werth gewisser Bestimmungen einer Lehre,
ihrem Einfluß in
andre Lehren, und der Nothwendigkeit, sie von einem Christen zu
fordern; mithin zugleich 5) der Ursprung und das Schicksal vorher unbekannter und ungewöhnlicher Meinungen, auf die man erst gefallen ist, um
andre Lehren oder
|c133| Vorstellungen zu
vertheidigen; 6) die neuen Erklärungen gewisser Schriftstellen und neue versuchte Beweise für gewisse Meinungen, so wie umgekehrt
der Verfall und die Verdächtigung andrer Erklärungen
darüber; 7) die eingeführte Terminologie und
der verschiedne oder
veränderte Sprachgebrauch in der Theologie, und
c√ 8)
alle Umstände, die zu solchen Vorstellungen, ihren Abwechselungen,
c√ behaupteten Nothwendigkeit,
c√ Beweisen
u. d. gl.
Gelegenheit gegeben haben.
Anm.
1. Einen merkwürdigen Beleg zum 4ten und den übrigen Stücken dieses §. giebt
z. B.
die
|b152| Lehre vom
heil. Abendmahl. Unstreitig
haben sowohl
die Kirchenväter, als alte
Liturgien, Stellen, die für die
Vorstellung von einer reellen Gegenwart, oder gar einer Verwandlung des
Brodts und Weins, zu
seyn scheinen,
so wie andere für
bloße Zeichen und Bilder. Erst im 7ten Jahr
|a420|hundert fing man in den Morgenländern an, die Ausdrücke,
σημειον,
συμβολον,
τυπος etc.
weniger, und dagegen jene
gröbere Vorstellungen und Ausdrücke zu brauchen, um den
wahren Körper Christi
, gegen
Manichäer und
Aphtartodoketen,
festzustellen. Nachdem
Karl der
Große (im 2ten Buch de cultu imag.
c.
27) den Ausdruck
Bild Christi verworfen hatte, um den
Beweis des
zweyten nicäischen Concilii für den Bilderdienst zu widerlegen, den dieses daher genommen hatte, daß
Brodt im
heil. Abendmahl ein Bild Christi
würde, auch der Mißverstand jener derbern Ausdrücke von Verwandlung
u. s. f.
dazu gekommen war, fing die Vorstellung von
Zeichen an, auch in der lateinischen Kirche zu sinken, und
Radbert konnte schon im 9ten Jahrhundert mit seiner Meinung einiges Glück machen, die, alles damaligen Widerspruchs
ohngeachtet, in der Mitte des 11ten Jahrhunderts schon so überhand genommen hatte, daß
Berenger die gegenseitige Meinung als eine
Ketzerey abschwören mußte. Und doch legte selbst
Pabst Gregor
7. noch keinen so
großen Werth auf die herrschende Meinung, daß er anfänglich
Berengers Beweis aus dem Alterthum für gültig erkannte, und hernach selbst mit seiner Erklärung zufrieden war. (
S.
Berengarii
Stelle in
Leßings Berengar.
|b153| Turonens.
S.
152
f.
und
Martene
nov. thesaur. anecdot.
Tom.
IV.
p.
103.) Erst der Widerspruch der
Albigenser
etc.
etc.
gegen die nun immer mehr um sich greifende
Lehre von der
Brodtverwandlung bewog den
Pabst Innocenz
3. auf der
lateranensischen Kirchenversammlung im Jahr
1215 diese Lehre zur Lehre der Kirche zu machen, und die Verfolgung der anders
Denkenden, als
Ketzerey, zu gebieten. – Wer
Luthers Lehre über das
heil. Abendmahl in seinen vom
N. Test.
und von
dem babylonischen Gefängniß
1520 herausgegebnen Schriften mit den folgenden, nach
entstandnem
Streit
|a421| mit den Schweitzern, sein Benehmen
beym
Marpurger Religionsgespräch, wieder etwas anders
bey der
wittenbergischen Concordie, und wieder auf die erste Art seit
Erscheinung der
zwinglischen Werke im Jahr 1543, so wie das
Betragen einiger seiner Schüler seit der Erscheinung des Zürcher Consensus im Jahr
1549, und noch mehr
bey der
Concordienformel, nach
entstandnen
kryptocalvinischen Händeln in Sachsen, vergleicht, der wird sich sehr leicht diese Abwechselungen in den Vorstellungen vom
heil. Abendmahl, und den verschiedenen Werth, den man darauf gelegt hat, erklären können.
Anm.
2. Bey der 5ten
Anmerkung des §.
dienet die Lehre von der Concomitanz zum
Beyspiel, welche durch die von der Transsubstantiation veranlaßt worden ist, und wieder die von der Entbehrlichkeit des Kelchs im
heil. Abendmahl erzeugt hat, so wie man auf die
Lehre von der Ubiquität der Mensch
|b154|heit Christi
zuerst durch die Lehre von der wesentlichen Gegenwart des Leibes Christi
im
heil. Abendmahl geleitet wurde; –
bey der 6ten, die
Erklärung der Stelle Joh. 14, 28. von der
ἀγεννησια des
Vaters; Röm. 9. und
andrer gleichlautenden von der
augustinianischen
Prädestination; Ephes. 5, 32. von der Ehe als einem
Sacrament; Ebr. 2, 16. von
Vereinigung
beyder Naturen in Christo
; und die
Bedenklichkeit, Apgesch. 3, 21. durch quem oportuit coelo capi zu übersetzen, aus Furcht der Ubiquität zu nahe zu treten; –
Bey der 7ten die
verschiednen Bedeutungen der
ὁμοουσιας vor und nach dem ersten nicäischen Concilium,
desgl. der Wörter
ὑποστασις,
φυσις,
φυσικη ἑνωσις,
συγκρασις,
φθαρτον u. a.
bey den arianischen, nestorianischen und monophysitischen Streitigkeiten.
|a422| 114.
Schon der
große Umfang dieser Geschichte macht die Untersuchung derselben sehr schwer, und vielleicht ist
bey keinem Theil der Kirchenhistorie,
ausser den andern oben
angegebnen Wissenschaften (§.
104 flg.
) eine ausgebreitete Kenntniß der historischen Denkmahle und der Religionsschriften aller christlichen Völker und Zeiten, eine genaue Bekanntschaft mit dem mannichfaltigen kirchlichen Sprachgebrauch und der Geschichte der
Philosophie, nöthiger, fast
bey keinem ist auch strenge
Unparteylichkeit zu beobachten schwerer, als
bey diesem. Aber es belohnt sich auch der darauf gewandte Fleiß genug durch
große Vortheile, die
|b155| schon oben
bey dem Nutzen der Kirchengeschichte angegeben sind, und
die vorzüglich
können aus dieser Lehrgeschichte gezogen
werden. Unsre Einsichten in
die Religion bleiben immer sehr eingeschränkt, wenn man die
verschiednen Gestalten und Seiten nicht kennt, in und auf welchen sich eine Sache dem menschlichen Verstande darstellt. Man bleibt um so mehr auf seinen Meinungen ersessen, und taub gegen alle
bessre Einsichten, je weniger Seiten einer Sache, und je weniger man die Gründe kennt, die
Andre, an
|c136|ders zu urtheilen, oder sich
auszudrucken, bewogen haben. Nur alsdann
kan man dem Mißverstand und
c√ Wortstreitigkeiten vorbeugen, die so ganz alle richtige Entscheidung verhindern, Irrthümern und
Zweydeutigkeiten auf den Grund kommen, richtiger und billiger
|a423| von
Andrer Meinungen und ihrer Unschuld oder ihrem Werth urtheilen, und selbst bestimmter denken und sich
ausdrucken lernen, wenn man hinlänglich mit der Geschichte dieser Lehren und der
verschiednen Vorstellungen davon bekannt ist.
c√ Der Eifer, mit dem
Nestorius und die Morgenländer sich dem Ausdruck
Mutter Gottes (Θεοτόκος)
widersetzten, hingegen auf stete Unterscheidung der
beyden Naturen in Christo
drangen, und umgekehrt des
Cyrillus Eifer für jenen und wider diese, gründete sich
bey jenen auf die Furcht
für den
Apollinarismus, der in Syrien, und
bey diesem auf den Eifer gegen den
Arianismus, der in Aegypten mehr herrschte. Dieses
Beyspiel, so wie
|b156|
Jovinians Satz: omnia peccata paria
esse; der dem
Johannes Philoponus Schuld
gegebne Tritheismus;
Joh. Agricola und der
Antinomer Eifer wider das
Gesetz; der
Streit über den Satz: ob gute Werke zur Seligkeit nöthig sind? und tausend
andre Beyspiele, erläutern das hier Gesagte.
⌇⌇c Vergl.
J. A. Ernesti Opuscula theologica, 13te
Abhandl. und
J. W. F. Walch Gedanken von der Geschichte der Glaubenslehre,
zweyte Ausgabe, Göttingen 1764.
8.
115.
Unter den Quellen der christlichen Lehrgeschichte haben die Schriften dererjenigen den ausgebreitetsten Nutzen, welche über christliche Lehren geschrieben haben, es sey daß sie ihre eigne Gedanken darüber äusserten, oder verschiedne Meinungen darüber, oder wenigstens eine Er|c137|klärung und einen bestimmten Sinn einer christlichen Lehre erwähnten. Durch sie wird |a424| man nicht nur mit mehrern Vorstellungen über einen Lehrpunct, man wird auch zum Theil mit den Gründen bekannt, wodurch man jene unterstützt hat, oder mit den Meinungen, die auf jene geführt, oder ihr ein gewisses Ansehn verschafft haben; welchen Nutzen andre Denkmahle, selbst öffentliche Bekenntnißschriften, nicht leisten, wenn sie nicht zugleich Schutz- und Vertheidigungsschriften sind. Diejenigen christlichen Schriftsteller, welche bey der in gewissen christlichen Ländern herrschenden Lehrpartey ein vorzügliches Ansehn erlangt haben, |b157| entweder als Zeugen und treue Fortpflanzer derjenigen Vorstellung von einer Lehre, die dergleichen Partey für die richtigste hält, oder als solche, welche die richtige Vorstellung getroffen haben, sind in so fern die wichtigsten, als ihr Ansehen bey solchen Parteyen die Kraft eines Beweises erlangt hat, und man aus ihrer Geschichte sieht, wie und warum sie, wenigstens in gewisser Absicht, dieses Ansehen erhalten haben. In diesem Ansehen stehen die sogenannten Kirchenväter (Patres) bey allen den Parteyen, welche eine historische Lehrtradition als verbindlich zum Glauben ansehen, bey andern aber als Zeugen der Vorstellungen, die in den herrschenden Kirchen für die richtigsten gehalten worden sind, oder wenigstens jetzt gehalten werden.
Anm.
1. Bekanntlich ist der
Begrif von
Kirchenvätern sehr schwankend, und muß es, nach dem bisher Gesagten, seyn. Denn da es 1) mehrere herrschende
Parteyen giebt, worunter sich
|a425| jede für die rechtgläubigste hält, und jede in ihren Meinungen,
zumal in denen, worin sie sich von andern unterscheidet, von gewissen Schriftstellern gestimmt worden ist: so hat
mancher in einer den ehrwürdigen Namen eines Vaters bekommen, der in der andern als Ketzer
|c138| angesehen, oder nicht geachtet wird; wie
Theodor von Mopsveste in der chaldäischen,
Cyrill von Alexandrien in der
jacobitischen,
Ambrosius , Hieronymus , Augustin , Pabst Leo 3. und
Gregor der Große in der lateinischen Kirche
etc.
2) Manche,
Tertullian z. B.
und
Origenes ,
|b158| haben, durch irgend eine Ursach, entweder kein entscheidendes dogmatisches
Ansehn erlangt oder es
verlohren, und werden nur als Zeugen oder Erhalter der Tradition geachtet. 3) In einer herrschenden Kirche ist nicht immer eine Vorstellung die herrschende,
z. B.
die
augustinianische Vorstellung von Prädestination, den
Kräften des Menschen und der Gnade, die
Lehre von der
Brodtverwandlung und der
Kelchsverweigerung; daher
(der sehr pelagianisirende)
Hilarius von Poitiers und
Cassian lange nicht das
Ansehn erlangt oder erhalten haben, das sich
Augustin erwarb.
Ueberhaupt, so wie durch
besondre Zufälle und Zeitumstände gewisse Vorstellungen herrschend, und durch Kirchengesetze bestätigt, folglich die
Freyheit im Glauben gehemmt worden; so wie herrschende Kirchen sich von andern herrschenden Kirchen getrennt haben, jede sich auf Tradition berufen, und jede gesehen hat, mit welchen Schriftstellern
ihr Lehrbegriff am meisten einstimmte, oder von ihnen am deutlichsten war vorgetragen worden: so hat sie diese erhoben,
zumal wenn sie von
ihrer Kirche waren, und die andern sinken oder liegen
laßen. So gelten,
ausser den
erwähnten, der
heilige
Bernhard und
Thomas von Aquino in der lateinischen Kirche überhaupt mehr, als
Clemens von Alexandrien und
Johann von Da|a426|mascus , Hieronymus mehr als
Origenes , Ambrosius mehr als
Basilius , so sehr auch
Hieronymus und
Ambrosius die
beyden andern ausgeschrieben haben.
Anm.
2. So wie das dogmatische
Ansehn der Kirchenschriftsteller den
Begriff der
Kirchenväter|b159| sehr schwankend macht: so auch die Gewohnheit, diesen Namen nur auf Schriftsteller einer
gewissen Zeit einzuschränken. Manche
|c139| rechnen dahin nur Schriftsteller der
sechs ersten Jahrhunderte; andre dehnen den Namen bis auf den
Ursprung der
Scholastiker, oder vielmehr bis auf die Zeit aus, wo im
12ten Jahrhundert
Peter der Lombarde in der lateinischen Kirche angefangen hat, ein theologisches System aus den Aussprüchen der Kirchenväter
zusammenzusetzen; noch andre geben diesen Namen auch
andern bis gegen die Zeiten der Reformation. Vielleicht rührt der
erste gewöhnlichste
Begriff daher, daß seit dem
7ten Jahrhundert
Isidorus von Seville und nach ihm
mehrere in der lateinischen Kirche angefangen, die Sentenzen vorhergehender Schriftsteller unter gewisse Rubriken zusammenzutragen, so wie es Johann von Damascus
im 8ten in der griechischen Kirche that, und daß seit
dem
Synodo Trullana im Jahr 692, noch mehr aber seit der
Trennung der
Päbste von der griechischen Herrschaft, und des griechischen und abendländischen Kaiserthums im 8ten Jahrhundert, und vollends der
griechischen und lateinischen Kirche im 9ten, jede Kirche ihre Tradition und Kirchengesetze vor sich gehabt, also keine Schriftsteller mehr von da an ein dogmatisches Ansehen,
ausser ihrer besondern Kirche, bekommen haben,
zumal da seitdem
theils in
beyden Kirchen fast alle Schriftsteller die vorhergehenden ausgeschrieben, und sich selbst dadurch das Ansehen der Orthodoxie zu geben gesucht,
theils|a427| die römischen Bischöfe eine
beynahe ausschließende|b160| gesetzgebende Gewalt erlangt haben. Die
zweyte Bedeutung, die der lateinischen Kirche eigen ist, rührt ohne Zweifel vom Ursprung der compilirten Sentenzen
Peters des Lombarden
her, die seitdem das allgemeine Lehrbuch wurden, und von der gedachten
entscheidenden Gewalt der
Päbste in allen Streitigkeiten über noch nicht bestimmte Lehrfragen. Die
dritte ist die ungewöhnlichste, und hat einigen wenigen Schriftstellern, als dem
heil. Thomas
,
Gerson
u. a.
bloß wegen ihres
großen Ansehens diesen Namen zuwege gebracht.
|c140| 116.
Nach dem Namen der
Kirchenväter (Patrum) nennt man die Erklärungen derselben über die christlichen Lehren zusammengenommen, oder den
Inbegrif ihrer Vorstellungen von dem, was zur christlichen Lehre gerechnet wird,
Patristik im engern Verstande, oder besser
patristische Theologie, auch wohl historische Theologie im engsten Sinn. Im
weitern Verstande aber begreift man unter
Patristik nicht nur dieses, sondern auch zugleich mit alle Kenntnisse, die zur Verständlichkeit und zum Gebrauch ihrer Schriften nöthig sind. Nun
ist der
Begrif, der mit dem Namen der
Kirchenväter verbunden wird, vieldeutig (§.
115 Anm.
2), und Protestanten
c√ erkennen kein
dogmatisches, sondern bloß
historisches Ansehen derselben, welches die Kirchenväter mit jedem christlichen Schriftsteller gemein haben. Daher könnte man Patristik, wie patri
|a428|stische Theo
|b161|logie, auch
in dem weitesten Verstande, von der Bekanntschaft mit den Umständen und dem
Lehrbegrif christlicher Schriftsteller nehmen. Wenigstens gilt das, was im Folgenden davon gesagt wird, von allen Schriftstellern über christliche Lehre, obwohl
insbesondre von denen, deren entscheidendes dogmatisches Ansehn in
denenjenigen Kirchen anerkannt wird, welche sich an eine gewisse dogmatische Tradition, als Erkenntnißgrund der rechten
christlichen Lehre, halten.
c√ Diese Kenntnisse machen also einen Theil der Kirchengeschichte aus, und, wenn Patristik im engern Sinn genommen wird, einen Theil der Geschichte christlicher Lehre.
|c141| 117.
Wer diese Kenntnisse besitzen will, der muß nicht nur die Schriftsteller selbst, wenigstens die merkwürdigern, kennen, die sich über die christliche Lehre entweder selbst erklärt, oder Erklärung Anderer darüber erwähnt haben; er muß auch wissen, was sie darüber für Schriften bekannt gemacht haben? ob diese Schriften und die dahin gehörigen Stellen und Lesearten wirklich ihnen, oder wem sie sonst angehören? und welchen Werth oder wenigstens Ansehen sie und ihre Schriften erlangt, besonders was c√ für Veränderungen sie dadurch in der Kirche hervorgebracht haben?
118.
Die Mühe, welche man auf das Studium der Schriften der eigentlichen Kirchenväter (im
|a429| |b162| gewöhnlichsten und engsten Verstande) wendet, belohnt sich zwar sehr wenig durch wirkliche Aufklärung der christlichen
Erkenntniß oder durch wahre Erbauung, weil es den Meisten unter ihnen an gründlicher Kenntniß des Sprachgebrauchs der heiligen Schrift und an gesunder Philosophie fehlte, sie sich unglaublich viel
willkührliche Einfälle zu gute hielten, und sie
meistens, – die wenigstens, welche eben das meiste Ansehen der Rechtgläubigkeit erlangt
haben, – die
hergebrachte Lehrvorstellung fortpflanzten, oder derselben ihre Erklärungen anpaßten. Auch waren sie so wenig unfehlbar, als
a√ der ältern Vorstellungen von den christlichen Lehren unter Christen
und des wahren Sinnes
derselben hinlänglich kundig, noch uneingenommen genug für und wider die Wahrheit dieser Vorstellungen, als daß sie nicht
hätten, mehr nach dem Herkommen, als nach reinen Gründen, Wahrheit und
Aechtheit der Tradition entscheiden sollen. Sie können daher für
|c142| uns, die wir diese Fehler an ihnen erkennen, und den Widerspruch sehen, in welchen sie theils oft mit sich selbst, theils mit andern eben so angesehenen, wenigstens eben so achtungswürdigen, Kirchenvätern
stehn, keine Quelle der Erkenntniß wahrer christlichen Lehre seyn.
c√ S.
die in der
Anweisung zur Kenntniß der Bücher in der Theologie §.
28 und
389 angeführten Schriften, nebst den daselbst §.
393 bis
402 erwähnten protestantischen Schriftstellern über die Geschichte der christlichen Lehre.
|a430| |b163| 119.
Dennoch hat auch dieses Studium, und überhaupt die Bekanntschaft mit denen, welche über die christliche Lehre geschrieben haben,
sonderlich wenn sie im Ruf der vorzüglichen Richtigkeit christlicher Erkenntniß stehn, seinen
großen Nutzen. 1) Je weniger entfernt diese Kirchenväter von den Zeiten der Apostel waren,
c√ oder je mehr sie in ihrem Vortrag
einzelne Ausdrücke und Redensarten der heiligen Schrift in einem deutlichern Zusammenhang brauchen, oder statt derselben deutlichere setzen, oder je mehr sie Volksmeinungen
erwähnen, auf welche auch in der heiligen Schrift angespielt wird:
je brauchbarer sind sie zur Kenntniß des eigentlichen Sprachgebrauchs und Sinnes der Bibel; so wie sie 2) dadurch, daß sie uns so viele Stellen der heiligen Schrift aufbehalten haben, zur Kritik des Textes des neuen Testaments unentbehrlich bleiben. 3) Sind es wirklich selbst denkende, und wenigstens da, wo sie nicht durch hergebrachte kirchliche Vorstellungen oder Meinungen ihrer besondern Philosophie gehindert wurden, untersuchende Männer: so führen sie uns auf manche nützliche Aussichten und Entdeckungen, auf die wir selbst,
bey einem gewissen gewohnten
Gesichtskreis, nicht gerathen seyn würden, und tragen in so fern viel wenigstens zur Erweiterung
unsrer Erkenntniß der christlichen
|c143| Lehre
bey; verhindern wenigstens, daß wir nicht so leicht in die gewöhnlichen Fehler
dererjenigen, die nur
vor sich untersuchen,
d. i.
auf ein
|a431|seitige
|b164| Vorstellungen und auf die Einbildung, daß unsre Zeiten allein aufgeklärt sind, verfallen. Hauptsächlich aber sind sie 4) die vornehmsten Quellen
bey allen Theilen der Kirchengeschichte, vornehmlich
bey Geschichte der christlichen Lehre, aus welchen wir nicht nur die Kenntniß der Veränderungen in der Kirche und Lehre, nebst deren Ursachen und Folgen, sondern auch die Kenntniß der kirchlichen Sprache schöpfen können; und
so fern gewähren sie auch 5) den Nutzen, der oben der Kirchengeschichte in Absicht auf die systematische Theologie
beygelegt wurde. Finden sich 6) in ihnen
Aeusserungen, die von den jetzt herrschenden Vorstellungen in der Kirche
abgehn, so dienen deren Kenntnisse uns
alsdann wenigstens zur Schutzwehr gegen unglimpfliche Beurtheilungen oder Verketzerungen, und machen doch eher harte Richter in Glaubenssachen geneigt, Meinungen, die von den hergebrachten abgehen, mit mehrerer Mäßigung
anzusehn, oder erst zu untersuchen.
c√
120.
Wer
Muße genug und Neigung hätte, die Kirchenväter und Kirchenschriftsteller zu studieren, würde doch 1) wegen ihrer
großen Menge, und weil so viele einander ausgeschrieben, oder doch wenig oder nichts Eignes haben, was
|c144| man nicht in Andern schon besser fände, eine vorsichtige Wahl unter ihnen beobachten, und die vorzüglich ausheben müssen, welche
theils für Andre
|a432| den Ton angegeben, und durch ihr erlangtes
Ansehn |b165| Andre nach sich gezogen,
theils gewisse
Lehrpuncte oder Theile der Kirchengeschichte am deutlichsten und ausführlichsten abgehandelt haben; 2) eben daher, und um sie recht verstehen zu können, sich vorher wohl von ihren Umständen und Schriften vorläufig unterrichten, und sowohl alle oben (§.
104 ) angegebene Hülfsmittel mitbringen, als die daselbst bemerkten Regeln beobachten; und 3) um den Hauptnutzen zu erreichen, den man aus dieser Lectüre in Absicht auf die Kirchengeschichte und den Ursprung und Fortgang der
verschiednen Vorstellungen von der christlichen Lehre ziehen
kan, die Kirchenschriftsteller nach der Zeitordnung, ihre
einzelne Schriften aber nach ihren
verschiednen Arten oder
Classen, lesen, und
dabey die correctesten und mit den zweckmäßigsten Erläuterungen versehenen Ausgaben zu gebrauchen suchen, unter welchen sich die, welche die
Benedictiner von der
Congregation des heiligen Maurus besorgt haben, besonders auszeichnen.
c√ Wer sich
aber diesem Studium nicht mit
besondern Fleiß widmen könnte, thäte wenigstens wohl, die
trefliche
rößlerische Bibliothek der Kirchenväter in Uebersetzungen und Auszügen
(Leipzig 1776–86
in 10
Theilen in gr. 8.) zu studieren, aus
der auch die, welche weiter gehen wollen, das lernen können, worauf sie vornehmlich
bey Lesung dieser Schriftsteller ihre Aufmerksamkeit zu richten haben.
⌇⌇c Die
c√ hier nöthigen Schriften
s.
in der
Anweisung etc.
§. 409
flgg.
|a433| |b166| |c145| 121.
Zunächst mit der Geschichte der Lehre ist die Geschichte der theologischen Wissenschaften verbunden, die man, auch wie jene, Historiam doctrinae (der Gelehrsamkeit) genannt hat; denn von der Versäumniß oder der Aufklärung gewisser Arten der Kenntnisse, der Sprachkunde, Kritik, Philosophie, Geschichte und der schönen Wissenschaften, mußte freylich die Gestalt der theologischen Wissenschaften und somit auch der Vorstellungen von christlichen Lehren abhängen. Doch kan diese Geschichte eben sowohl für einen Theil der Literar- als der Kirchengeschichte angesehen werden. Sie müßte zeigen: wie die theologischen und die dazu diensamen Wissenschaften, oder doch Kenntnisse, von Zeit zu Zeit und in verschiedenen Gegenden, unter den Christen beschaffen gewesen, und wodurch sie zu- oder abgenommen? wer, wie weit und wodurch, auf diesen Fortgang oder Verfall Einfluß gehabt habe? Dadurch würden alle Theile der Kirchengeschichte gewinnen, und man würde auf manche oft verkannte oder nicht genug erkannte Hindernisse und Hülfsmittel derselben aufmerksam gemacht werden.
c√ Man denke nur an die aus dem
Judenthum und der Hieroglyphik
andrer Völker ins Christenthum
übergangne Allegoriesucht; an die aus der morgenländischen, griechischen und neuplatonischen Philosophie
herübergeleitete Principien; an den
Einfluß der theologischen Streitigkeiten seit dem 4ten Jahrhundert, und das
dabey emporgekommene Anse
|b167|hen menschlicher ge
|a434|setzmäßig
gemachter Entscheidungen; an die
Wirkungen des ausgebreiteten Mönchsgeistes auf die Cultur; an den
Einfluß des Origenes
,
Chrysostomus
,
Augustins
,
Gregorius des
Großen , der
Scholastiker etc.
der sogenannten
Pietisten,
c√ auf Andre. – Einige Versuche in dieser Geschichte sind in der
Anweisung etc.
§.
389 angezeigt.
|c146| 122.
Wenn die Verschiedenheit der Vorstellungen über gewisse
Lehren oder der daher entstandenen Einrichtungen und
Gebräuche für so wichtig angesehen wurde, daß man, wenigstens von der
Einen Seite †) , glaubte, nicht mehr mit den hier anders Denkenden oder Handelnden
äusserliche Kirchengemeinschaft unterhalten zu dürfen: so
entstanden besondre Gesellschaften oder
Religionsparteyen, in welchen, durch eine
entstandne eben so beurtheilte Verschiedenheit, wieder neue erzeugt wurden. Aller Nutzen, den die Geschichte der Lehre haben
kan, findet auch
bey der
Geschichte der Religionsparteyen statt, ja der Nutzen dieser letztern ist
gewissermassen noch
größer, und diese Geschichte unterhaltender und lehrreicher, weil sie
große Revolutionen, die in der Kirche
durch solche Trennung entstanden sind, und keine
bloße Gegenstände der Speculation, sondern
Handlungen mit ihren Ursachen und
Folgen, darstellt.
†) Denn meistens lag die Schuld der Trennung nicht an denen, die etwas Neues oder von den
|a435| herrschen
|b168|den Meinungen und Einrichtungen Abgehendes einzuführen schienen, sondern an der herrschenden
Partey, die dergleichen
nicht dulden wollte, und die
anders Denkenden ausstieß. So wollten sich weder die
Pelagianer noch
Jansenisten von der Kirche trennen; selbst,
ausgestoßen durch Anathemen, haben sie keinen abgesonderten Gottesdienst oder andre Einrichtungen eingeführt,
und wo es
gewissermassen, wie
bei den
holländischen Jansenisten, geschehen müssen, haben sie doch immer sich für Glieder der Kirche erklärt, die sie
ausgestoßen hatte. Blieb die Verschiedenheit nur in
Meinungen: so entstand keine
besondre äusserliche Partey, wie man
bey den Streitigkeiten in unsrer Kirche, den
synkretistischen
,
pietistischen
u. d. gl.
sieht; wohl aber, wenn die Verschiedenheit
äusserlicher Einrichtungen dazu
|c147| kam, oder die Verschiedenheit in Meinungen keine
äusserliche Gemeinschaft
zuzulaßen schien, wie
bey den
Trennungen der Taufgesinnten.
123.
In einer solchen Geschichte müßte der Ursprung und Fortgang einer solchen Partey; ihr eigentlicher Unterschied von der Partey, von der sie getrennt worden, und von Andern, sowohl in Lehren und Lehrvorstellungen, als auch in äusserlichen Einrichtungen; besonders müßten die genauern Bestimmungen in der Lehre, die sie entweder eingeführt, wenigstens mehr und als erheblicher hervorgezogen, oder nicht hatte zulaßen, noch jedermann aufgedrungen wissen wollen, sowohl nach den Erklärungen, die sie selbst, als |b169| die ihnen ihre Gegner gegeben, nebst der Wich|a436|tigkeit, die beyde auf den Unterschied gelegt hätten; desgleichen ihre Bekenntnißschriften und deren genau bestimmte Absicht, und weiter oder enger ausgedehnte Verbindlichkeit; die wieder in dieser Partey entstandnen verschiednen Erklärungen eben derselben gemeinschaftlichen Lehre; die dadurch erzeugten Zwistigkeiten, oder gar Trennungen; und, auf eben die gedachte Art, die Geschichte, die Lehrvorstellungen und Einrichtungen dieser neuen Abtheilungen der Partey; endlich die Annäherung an andre Parteyen, oder Zusammenschmelzung mit denselben, wenigstens die zu einer solchen Vereinigung gemachten Versuche, deutlich aus einander gesetzt, und alles so zusammenhängend vorgelegt werden, daß man die Mittel sich auszubreiten oder zu erhalten, die Ursachen und Folgen aller ihrer Meinungen, Unternehmungen und Einrichtungen einsehen könnte.
|c148| 124.
Vorzüglich verdient diese Geschichte c√ eine recht genaue Bearbeitung; sie ist aber auch sehr schwer, – weil sie eine ungemein ausgebreitete Kenntniß, selbst von der politischen und Literargeschichte, selbst von vielen kleinen, an Oertern, wo man sie nicht sucht, zerstreuten Nachrichten erfordert; – weil, zumahl von unterdruckten oder ausgestorbnen Parteyen, entweder wenig Nachrichten bekannt, oder diese unterdruckt worden, oder diese Parteyen sich nicht deutlich er|b170|klärt, oder ihre Gegner die Vorstellungen sol|a437|cher Parteyen zu sehr nach ihren eignen Vorstellungen genommen haben; – nirgends aber der Parteygeist mehr als hier die Sachen verstellt hat, entweder eigne Fehler zu bedecken und unsichtbar zu machen, oder die Fehler der Andern in einem gehässigem Lichte vorzustellen. – Auf ein genaues und unparteyisches Zeugenverhör, das den Werth und die Beschaffenheit der Nachrichten bis auf seine kleinsten Falten entwickelt, kommt hier das Meiste an; aber oft fehlt es an Zeugen, oder sie widersprechen einander, oder sind sonst verdächtig; und daher ist die Aufspürung und wahrscheinliche Zusammensetzung kleiner Spuren, dergleichen mit der Denkungs- und Handlungsart der Menschen überhaupt, noch mehr aber der dabey Interessirten, durch Spuren in ihren c√ sonst bekannten Umständen, oder doch aus den Sitten der Zeit, des Landes und der Gesellschaft c√, eben so nothwendig.
c√
|c419[!]| c√ Die bisherigen Versuche in diesem Fache
s.
in der
Anweisung etc.
§. 472
flgg.
Noch ist
C. W. F. Walchs Entwurf einer vollständigen Historie der
Ketzereyen etc.
Leipz. 1762–1785
in 11
Theilen in gr.
8. das musterhafteste Werk dieser Art, wenigstens in Absicht auf das Zeugenverhör, hauptsächlich vom 5ten Theil an. Aber wer giebt uns eine eben so gute Fortsetzung über die
folgende größtentheils noch dürftigere oder verwirrtere Geschichte solcher
Parteyen? In Absicht auf einen Theil der Geschichte der evangelisch-lutherischen
|b171| Kirche
wird es die
(Plankische ) Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung des protestantischen
Lehrbegriffs, werden, wovon bisher erst 3 Bände,
der dritte in 2 Theilen, Leipz. 1781, 83, 88 und 89
in gr.
8, auch vom erstern eine zweyte verbesserte Auflage 1791,
erschienen sind.
|a438| 125.
Man kan nicht sagen, daß man eine Gesellschaft kenne, wenn man nicht die Absicht kennt wozu sie zusammengetreten ist, oder vereinigt bleibt, und wenn man der Einrichtungen unkundig ist, die zur Beförderung und Erhaltung dieser Absicht gemacht worden sind; ja selbst darum ist die Kenntniß ihrer Geschichte nothwendig, um solche Absichten und die deswegen eingeführten Anstalten nebst deren Abänderungen zu begreifen. Diese Anstalten und Einrichtungen zusammengenommen nennt man die Verfassung einer solchen Gesellschaft, dergleichen auch bey der christlichen Kirche, als einer Gesellschaft betrachtet, statt finden muß; und so fällt in die Augen, daß ihre Kenntniß eben so nothwendig sey als die Kenntniß der christlichen Kirchengeschichte, wiewohl sie auf einander ein wohlthätiges Licht werfen. Billig sollte man also diese Kenntniß der christlichen Kirchenverfassung von der christlichen Kirchengeschichte selbst absondern, ohngefähr so, wie man |c150| die Statistik von der Staatengeschichte getrennt hat. Weil aber dieses noch nicht, wenigstens nicht nach dem ganzen Umfang |b172| dieser Verfassung, geschehen ist, und doch die Kenntniß der einen von der andern abhängt: so nehmen wir sie hier als einen Theil der christlichen Kirchengeschichte.
|a439| 126.
In ihrem ganzen Umfang müßte diese Geschichte vorstellen: 1) den
äusserlichen Unterschied der Christen,
d. i.
anfänglich nur zwischen Unterrichtenden und Zuhörern, mit gleichen Rechten
bey öffentlichen
Angelegenheiten; hernach in schon geordneten
Gemeinen, bey zunehmenden Vorzügen der an eine
Gemeine gebundenen Lehrer, zwischen Klerikern und Laikern, so wie unter jenen, zwischen Bischöfen, Aeltesten, Diakonen und den niedrigern Kirchendienern, nebst allen erst nach und nach
entstandnen Abtheilungen dieser Arten, unter diesen aber zwischen
Katechumenen, Gläubigen und
Gefallnen, mit Einschluß der Mönche und Orden, als einer Mittelgattung, seit dem 4ten
Jahrhundert – den Unterschied zwischen
einzelnen Gemeinen und nach und nach
entstandnen engern und weitern
Diökesen – die eingeführte Kirchenzucht und
nachwärts aufgekommene, sehr
mannichfaltig abgeänderte,
Gerichtsbarkeit – die
verschiednen Arten von
bloßen Lehranstalten, Synoden oder Concilien von sehr
verschiednem Umfang und
Ansehn, Kirchengesetze und Kirchenordnungen, als Mittel, den Wohlstand der
Gemeinen, und nachher die Gerichtsbarkeit, zu
erhalten – die
bey dem Gottesdienst
|b173| und kirchlichen Handlungen eingeführten Gebräuche, und darüber gemachte Ordnungen in
Liturgien,
Pönitentialbüchern
u. d. gl.
2) Alles
|c151| dieses in seiner ganzen Verschiedenheit in
verschiednen Kirchen und Ländern sowohl als Zeiten,
|a440| und 3)
bey entstandnen verschiednen, keine Kirchengemeinschaft mehr mit den andern unterhaltenden,
Kirchenparteyen; 4) das
hienach sehr
verschiedne Verhältniß der Kirchen gegen nicht
christliche, und hernach gegen christliche Obrigkeiten, der
Gemeinen und Diökesen gegen einander, und eben so der
verschiednen Kirchenparteyen gegen einander (
z. B.
in Absicht auf Wiedertaufe der
Uebergetretnen); endlich 5) die jedesmaligen Ursachen und Folgen des Aufkommens oder der
verschiednen Einrichtungen aller solcher Anstalten, besonders in Absicht auf die mannichfaltige Gestalt und den dadurch sehr verschieden gebildeten
Character der Christen.
127.
Hier ist ein in der That noch sehr unbebautes Feld, das
Wenige ausgenommen, was hierüber in den Kirchengeschichten sehr im Allgemeinen gesagt wird, oder in Absicht auf
besondre Theile dieser Verfassung in einigen gelehrten Werken geschehen ist. Zwar hat man daraus unter dem Namen der
christlichen Alterthümer eine besondere Wissenschaft zu machen
gesucht, (
s.
die
Anweisung zur theol.
Bücherkenntniß §. 435
f.
) aber in den meisten allgemeinern Werken dieser
|b174| Art, dem
Bingham z. B.
und seinen Ausschreibern, wird man fast durchaus die so sehr
verschiednen Zeiten und Kirchen in
verschiednen Gegenden unter einander geworfen, und Einrichtungen der ältern christlichen Kirche
beygelegt finden,
|a441| die nur
hie und da oder dann und wann üblich
waren; sie gehen
bey weitem nicht über die ganze Kirche,
zumahl der neuern Zeiten,
a√ gemeiniglich nicht über das
vierte und sechste Jahrhundert hinaus;
|c152| zeigen meistens nur gewisse
vorhandne Einrichtungen an, ohne ihren Ursprung, Absicht und Fortgang zu
untersuchen, und erstrecken sich nur auf Einrichtungen der herrschenden Kirche, unbekümmert um die Einrichtung der verschiedenen
Parteyen.
128.
Gleichwohl ist die Kenntniß dieser Verfassung theils unentbehrlich, theils wenigstens sehr nützlich, 1) weil weder die
Denkmahle, noch die Schriften, worauf sich die Kenntniß der Kirchengeschichte gründet, noch irgend ein Theil der Kirchengeschichte selbst, ohne diese Kenntniß verstanden werden
kan. – Denn, so wie falsche Meinungen oder Mißverstand richtiger Lehren Gelegenheit zu gewissen Kircheneinrichtungen gegeben
haben: so, umgekehrt, wurden diese wieder eine Veranlassung zu
Irrthümern †) . Aeusserliche Einrichtungen gaben eben sowohl Gelegenheit zu Spaltungen und besondern
Parteyen, als der Unterschied in Lehren und Vorstellungen.
*) – Ausbreitung des Christenthums wurde immer
|b175| mehr Ausbreitung der Kirche, und der kirchlichen
mehr als der christlichen
Lehren ††) . – Und überhaupt läßt sich schlechterdings nicht erklären, wie gewisse Lehren, Vorstellungen oder Ge
|a442|wohnheit herrschend
worden sind, und mit den wesentlichen Lehren des Christenthums
einerley Rang oder gar Vorrang bekommen haben; wie das
sanfte und leichte Joch Christi
in das eiserne Joch der Kirche verwandelt, das innere Christenthum durch das
äusserliche verdrängt worden, der Geist des Christenthums, der nur durch Ueberzeugung und Liebe wirken soll, in Zwang und Unterdrückung ausgeartet, aus einer Gesellschaft, wo wir alle Brüder, und nur Einer, Christus
, unser Herr seyn soll, ein geist
|c153|licher Staat entstanden
sey, als aus der nach und nach entsprungenen und umgebildeten Verfassung der
Kirche †††) .
†) So gab die Einbildung vom Fegfeuer oder Reinigung nach dem Tode und die
übertriebne Achtung gegen Heilige und Märtyrer, Gelegenheit zu Einführung der Seelmessen, zur
Kanonisation und Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien, den Wallfahrten nach heiligen
Oertern u. d. gl.
; und umgekehrt, veranlaßten Kircheneinrichtungen,
z. B.
die ungebührliche Erhebung der Geistlichen über die Laien, daß der
Gebrauch des
Brodts im
heil. Abendmahl allein Dogma der Kirche wurde; die Einführung der Beichte und der von Priestern
geweihten Dinge, daß die Lehre von den sieben
Sacramenten, und von der Kraft aufkam, die sie erst von dem Priester bekommen; unbestimmte und
|b176| grob
verstandne Kirchenformeln,
z. B.
Meßkanon, daß die Lehre vom Meßopfer, der
Brodtverwandlung u. s. f.
entstand.
*) Wie die Geschichte der
Montanisten,
Novatianer,
Meletianer,
Quartodecimaner,
Luciferianer, der
Gegner der chalcedonischen Kirchenversammlung, der
Trennung der griechischen
|a443| von der lateinischen Kirche seit dem 9ten Jahrhundert, der
Bogomilen, der
Hussiten u. a.
von der römischen Kirche, lehrt.
††) Geschichte der
Bekehrung der Angelsachsen im
6ten, der
Deutschen und Sachsen durch Bonifacius
u. a.
im 8ten, der
Bulgarn im 9ten Jahrhundert.
†††) Die ganze Geschichte der Concilien, der Patriarchen, Metropolitanen und Bischöfe, und ihrer Streitigkeiten unter einander, sonderlich der Päbste und des Pabstthums, ist ein Commentar hierüber.
129.
Und sonach
kan ohne diese Kenntniß 2) kein Lehrsatz, der,
ausser den klaren Sätzen der Vernunft und den ausdrücklichen Aussprüchen der heiligen Schrift, in die Theo
|c154|logie aufgenommen worden, gründlich, und für die, welche kirchliche Tradition als Quelle der christlichen Wahrheit annehmen, überzeugend beurtheilt, noch die Unverbindlichkeit
besondrer Vorstellungen von einer christlichen Lehre für jeden Christen, deutlich dargethan, noch
3), zur Aufrechterhaltung der christlichen
Freyheit, hinlänglich gezeigt werden, daß gewisse positive Kirchenrechte uns gar nicht
ver|b177|binden †) . Sehr nützlich ist endlich diese
Kenntniß 4) um den Ursprung und die Absichten solcher Einrichtungen kennen zu lernen, die wir noch in unsern Kirchen haben, wohin sie aus dem frühern oder spätern Alterthum ge
|a444|kommen sind, und danach ihren wahren Werth oder Verbindlichkeit zu
beurtheilen ††) .
†) Z. B.
alles das, was auf der angeblich göttlichen Einführung der bischöflichen Würde und dem sogenannten
Primat des römischen Bischofs beruht.
S.
das unschätzbare Werk
de la Primauté en l'Eglise, par D.
Blondel, und
andre in der
Anweisung etc.
§.
453. genannte Werke.
††) So hat der Exorcismus in der Taufe, wenn er ja schon zu
Cyprians Zeit im dritten Jahrhundert in
Afrika üblich war, (wie man aus dessen
76sten Brief
S.
157. nach Baluze
Ausgabe, geschlossen
hat,) sicherlich aus der
Einbildung, (die
Tertullian de
anima c.
39 und 57
erwehnt,) daß der Satan in den
Heidenkindern wohnte, und durch die Anrufung der Götzen
bey der Niederkunft der Weiber eingeladen würde, solche Kinder zu bewohnen, oder aus einer ähnlichen Grille, seinen Ursprung. – Der unter uns noch herrschende unbiblische, und gewiß aus der spätern römischen Kirche herübergeleitete
Begriff von
Consecration des heiligen Abendmahls, wodurch
Brodt und Wein der Leib und das Blut Christi
werden, und die Kraft desselben bekommen sollen, ist ganz gegen den Sprachgebrauch der ältesten christlichen Kirche (
s.
Pfaffs Disp. de consecr.
Euchar. vet. in
s.
Syntagm. Diss.
|b178| p.
407 sq.
und
Ernesti Antimur.
p.
24
sq.
), die das Wort nicht anders als 1 Tim. 4, 5. nahm. – So ist der Gebrauch
|c155| unsrer evangelischen und
epistolischen Texte (Pericopen), die man billig mit meistens weit lehrreichern Stellen der Bibel vertauschen sollte, lange nicht so
alt als man sich gemeiniglich einbildet, wie man sich aus dem
alten römischen Calen
|a445|dario in
Martene und
Durand thesauro novo anecdot.
Tom.
V.
p.
65
seq.
leicht überzeugen
kan. – Und der in unsern Formeln
bey der Taufe der
Kinder übliche (selbst gegen die
Apolog. Aug. Confess.
p.
51 laufende) Ausdruck: „was ihm von Adam
angebohren ist, und
er selbst dazu gethan hat,“ war in alten Agenden nur auf
dem Rande gesetzt, als ein Ausdruck, der
bey der Taufe
erwachsener Personen sollte hinzugefügt werden, und ist aus Unverstand oder Irrthum hernach in den Text gezogen, und allgemein gemacht worden. (
S.
Hartknochs preußische
Kirchenhistorie S.
637.)
130.
Die Ursachen sowohl der Einführung als der Veränderungen solcher besondern Einrichtungen in gewissen Kirchen zu entdecken, ist, ausser den andern allgemeinern Hülfsmitteln und Kenntnissen bey der Kirchengeschichte, vorzüglich nöthig, die bürgerlichen Verfassungen zu der Zeit und an dem Ort, wo sie entstanden, die Beschaffenheit des Klima, die Volksmeinungen sowohl, als die unter den Gelehrtern herrschende philosophischen Hypo|b179|thesen, auch Kirchentheologie, und überhaupt die Meinungen, Gebräuche und andre Einrichtungen, die unter Juden und Heiden, da, wo Kirchen gepflanzt worden, üblich gewesen, und wonach man sich bey den Einrichtungen der Kirchen sehr gerichtet hat, nebst den Verbindungen zu kennen, in welchen solche Kirchen mit andern gestanden, und was in diesen für Einrichtungen getroffen worden.
|a446| |c156| 131.
Einige Theile dieser Verfassung, oder die Geschichte
besondrer Arten von kirchlichen Einrichtungen, sind schon einzeln bearbeitet worden, als: die
Hierarchie, die
religiösen Orden, die
Kirchengesetze allerley Art, die
Kirchenversammlungen, und was zur
Liturgie gehört, wenigstens fehlt es nicht an Hülfsmitteln
dazu †) , in welchen noch
große Schätze unbearbeitet liegen. Es wäre, nach dem, was bisher schon gesagt worden,
überflüssig, den Nutzen des Studiums dieser besondern Theile, oder die Art, wie sie studiert werden
müßten, anzugeben. Ob jemand diese Theile? welche? und in welcher Rücksicht? er sie besonders zu treiben habe, muß jeden sein
eignes Bedürfniß lehren. Für den künftigen Lehrer der Religion unter
uns möchte das
besondre Studium der Geschichte der Hierarchie überhaupt, und besonders der
Päbste und des
Pabstthums ††) , so wie unsrer evangelisch-lutherischen Kircheneinrichtungen, sie mögen erst durch die Reformation eingeführt, oder aus der Kirche vor der Refor
|b180|mation genommen seyn, die meiste Wichtigkeit haben.
†) S.
Anweisung zur Kenntniß der Bücher
etc.
§.
423–447 und 451–469.
††) Pabstthum heißt manchmal der Inbegrif derjenigen Lehren, die durch das Ansehen der römischen Bischöfe eingeführt worden sind; und so wäre dessen Geschichte ein Theil der Geschichte christlicher Lehre. Bisweilen aber begreift man |a447| darunter den ganzen Umfang der päbstlichen Macht, oder der angeblichen Rechte der römischen Bischöfe, und ihren Einfluß auf die Veränderungen der Lehre und der Kirche; und die Geschichte desselben würde den Ursprung, Fortgang und Abfall dieser Macht, nebst den Ursachen derselben, oder den dazu gebrauchten Mitteln, und die dadurch entstandnen Wirkungen, in sich fassen müssen.
Abkürzungsauflösung von "d. i.": das ist