|a596| |b18| |c17| Erster Abschnitt.
Homiletik und Katechetik.
13.
Nach dem Leichtsinn oder der Gleichgültigkeit zu urtheilen, mit der ein großer Theil wirklicher oder künftiger Prediger den Vortrag der Religion behandelt, scheint es, daß man das sogenannte Predigen, und die Erreichung seiner Absicht, für etwas sehr leichtes, oder den Fleiß, der auf den guten Vortrag gewendet werden soll, für sehr entbehrlich halte. Liegt nicht dabey Verachtung der Religion selbst, Gleichgültigkeit gegen das wahre Wohl andrer Menschen, oder Mangel der Ueberzeugung von dem großen Einfluß der Religion auf das Beste der Menschen, zum Grunde: so ist nicht abzusehen, wie es ohne jene Einbildung möglich wäre, daß man sich für reif zu einem solchen Vortrage, oder für berechtigt halten könnte – wenn man kaum mehr wie die ersten Schritte zur deutlichen Kenntniß und Ueberzeugung in der Religion gethan hat; noch eben so arm an Kenntniß des menschlichen Herzens als an mannichfaltigen Kenntnissen zu Befriedigung so vieler Bedürfnisse des Verstandes und Herzens andrer Menschen ist; noch so wenig |a597| sich selbst durch eigne Erfahrung und Uebung in der wahren Gottseligkeit gebildet |b19| hat – alsdann schon auf den Lehrstuhl zu eilen, und sich zum Lehrer Andrer, gewiß oft an Kenntnissen und Erfahrungen reicherer Zuhörer, auf|c18|zuwerfen. Es wäre unbegreiflich, wie viele Prediger diese Beschäftigung als bloßes c√ Tagewerk, ohne wahrhaftige Theilnehmung oder gar mit Verdruß treiben, alles, was und wie sie es sagen, für gut genug für ihre Zuhörer halten, sich mit der Vorstellung einwiegen könnten, daß Gottes Wort schon an sich kräftig genug sey Gutes zu wirken, ohne daß es einer sorgfältigen Auswahl der Sachen, eines eignen Fleisses im Ausdrucke bedürfte, oder daß diese Wahl und dieser Fleiß Mißtrauen gegen die göttlichen Lehren selbst voraussetzte, und gar dem Eindruck derselben hinderlich wäre. Es bliebe, ohne dies, eben so unerklärlich, wie manche Andre, unbekümmert um das, was sie lehren und einschärfen, fast den einzigen oder größesten Werth auf Einkleidung und auf das Aeusserliche des Vortrags setzen, anstatt Verstand und Herz reden zu laßen, nach allerley Künsten, den Vortrag auszuschmücken, haschen, und sich einbilden könnten, mit einem, ihrer Meinung nach, schönen und lebhaften Vortrag alles gethan zu haben, was man von dem Prediger erwarten dürfe.
14.
Sicherlich würde man nie auf diese Einbildungen und Ausschweifungen verfallen, oder sich
|a598| leichter von ihnen loswinden können, wenn man sich von der Wahrheit folgender Betrachtungen
|b20| recht lebhaft überzeugte, und sie stets gegenwärtig zu erhalten suchte, Betrachtungen, die der ernsthaftesten Untersuchung,
zumal eines jeden, der sich dem Beruf eines Lehrers der Religion
weyhen will, höchst würdig sind.
Zuförderst 1) beruht alle wahre wesentliche Glückseligkeit, so fern sie in
unsrer Gewalt ist, auf
Tugend, und, so fern sie nicht in unsern Händen
steht, auf
Zufrieden|c19|heit. Diese Glückseligkeit
kan nur
alsdann vollkommen seyn, wenigstens nähern wir uns dieser Vollkommenheit
c√ in dem Grade,
a) je weiter Tugend und Zufriedenheit reichen,
b) je mehr sie Ermunterung und Unterstützung haben, und
c) je dauerhafter sie sind. Aber es läßt sich kein Mittel denken, das in dieser
dreyfachen Absicht so weit reichte, als die
Religion.
15.
Sie giebt
a) der Tugend und Zufriedenheit den weitesten Umfang. Wer an einen Gott glaubt, der der Vater aller Geschöpfe
ist; wer alle Geschöpfe, und die Menschen insonderheit, als
Glieder Eines
großen Körpers ansieht; wer eine allweise und gütige Regierung des Ganzen erkennt, wo Alles als Mittel zu
Einem gemeinsamen Zweck, zur Glückseligkeit
Aller mitwirkt; wer also auch glaubt, daß kein Fleiß in dem Trachten nach dem, was wahr ist, ganz vergebens seyn könne, daß dies vielmehr die Ursach des
|a599| weitern Fortrückens in jeder Vollkommenheit seyn
müsse, daß endlich uns schlechterdings nichts begegnen könne ohne Gottes Willen, der immer das
|b21| erfolgen läßt, was für uns das Beste ist: wie sollte dem, der dieses mit Ueberzeugung und von Herzen glaubt, der sich über das Sichtbare zum Unsichtbaren erheben
kan, irgend etwas gleichgültig, von seiner Liebe und seinem Bestreben,
Andrer Bestes zu befördern, ausgeschlossen, irgend etwas, das ihm begegnet, niederschlagend, und nicht vielmehr Ermunterung zur Dankbarkeit seyn? –
b) Alsdann sind ihm alle Gesetze, als so viele Anzeigen der Quellen seines Glücks, wahre Wohlthaten, an welchen er um so mehr Antheil hat, je mehr er Gutes thut. Ihm sind alle seine Kräfte
|c20| c√ so viele Mittel glücklich zu werden; alle Erkenntniß des
wahren und alle Ausübung des Guten so viele Belohnungen; und von der unerschöpflichen Macht, Weisheit und Liebe Gottes
kan er, selbst
bey gefühlter Ohnmacht,
bey fehlgeschlagenen bestimmten Hoffnungen, sogar
bey Vergehungen, Unterstützung, Ersatz, Nachsicht und Lenkung dessen, was versehen ist, oder vergeblich scheint, zum Besten, erwarten. Wie dieses stete Ermunterung ist,
Gutes zu thun, und nie müde zu werden, weil der Gedanke, Gott ist Zeuge und Vergelter meiner Handlungen und Gesinnungen, überall und auch dahin reicht, wo es an andern Beweggründen fehlt, oder diese nicht wirksam genug sind: so ist es auch kräftiger Antrieb, seine Begierden zu mäßigen, und Verwahrungsmittel wider Eigennutz, Miß
|a600|muth und Neid. – Und da
c) weder die seligen Folgen der Tugend, ihrer Natur nach, ausbleiben können,
diejenige wenigstens nie, welche in
|b22| dem Wohlgefallen Gottes daran besteht, noch Gott sich in seinen
erwähnten Eigenschaften
verleugnen kan: so steht Tugend und Zufriedenheit auf einem
unerschütterlichem Grunde, so lange die Ueberzeugung von der Wahrheit und dem
Werth der Religion bleibt, und wir uns immer an dieselbe halten. – Die Religion müßte also die
wichtigste Angelegenheit des Menschen seyn.
16.
Diese
große Angelegenheit für die Menschen zu der zu machen, die sie seyn soll, ist 2)
(§. 14 ) der sogenannte
geistliche Stand ganz eigentlich errichtet. Man erwartet von denen, die sich ihm widmen, daß sie für Andere, welche zur Untersuchung der Religion nicht Fähigkeit, oder
|c21| Hülfsmittel, oder
Muße genug haben,
untersuchen, ihnen, nach ihren
c√ verschiedenen Fähigkeiten
und Bedürfnissen, Ueberzeugung von den Lehren der Religion und deren
großem Werth beybringen, ihnen diese durch Vorstellungen und Beyspiele
eindringlich machen, Zweifel benehmen, in Gewissensangelegenheiten rathen, sie mit Trost unterstützen, kurz, sie durch Religion leiten und beruhigen sollen. Man hat ihnen, um diesen Pflichten besser und ungestörter obliegen zu können, in der bürgerlichen Gesellschaft gewisse kleine Gesellschaften oder
Gemeinen angewiesen, auf die sie zu
|a601|nächst ihre Beschäftigungen einschränken sollen; man hat sie von manchen bürgerlichen Plichten und Lasten
befreyet; man hat sogar deswegen für ihren bequemen Unterhalt gesorgt. Man
rech|b23|net um so mehr
auf ihre Geschicklichkeit, Fleiß und Redlichkeit
, da sie eigentlich den einzigen Stand ausmachen, dem die Aufrechterhaltung und Beförderung der Religion selbst anvertraut ist. Wie verabscheuungswürdig muß derjenige seyn, der, in einer Sache von
der Wichtigkeit, einen Beruf übernimmt, von dem er nicht
weiß, ob er ihn würdig und nach den billigen Erwartungen der Gesellschaft erfüllen
kan, oder, wenn er ihn übernommen hat, der nicht, alles dies erfüllen zu wollen, willig, oder fleißig, oder redlich genug ist.
17.
Nun hat zwar 3) der,
wer den Unterricht und die Seelsorge für
Andre übernimmt, in dem
Privatumgang mit
ihnen, Gelegenheit genug, sich mit ihnen über die Religion zu unterhalten, und nach jedesmaligem Befinden der Umstände ihre rechte Anwendung und ihren
großen Einfluß auf Besserung und Beruhigung der Menschen zu zeigen.
|c22| Er
kan selbst da recht eigentlich für jeden
insbesondre mit Weisheit und mit dem glücklichsten
Erfolg arbeiten, gerade auf
die Art, wie dieser es am meisten braucht, und wie Religion am ersten
bey ihm Eingang findet; und wird er sonderlich selbst dazu aufgefordert durch einen solchen,
|a602| der in besondern Umständen,
z. B.
Krankheiten, fühlt, wie unentbehrlich ihm die Religion und die Aufklärung darüber und über seinen Gemüthszustand
sey: so
kan er sie mit desto mehrerer Wirksamkeit empfehlen. Aber es giebt
derer nicht
viel,
|b24| die den Umgang des Predigers deswegen suchen, oder gern sehen, um sich mit ihm über dergleichen geistige Angelegenheiten zu unterhalten: selbst die, welchen Religion unter bedrängten Umständen Bedürfniß wird, oder werden sollte, werden durch Sicherheit, Dünkel, Schüchternheit oder abergläubische Furcht abgehalten, den Prediger zu Rathe zu
ziehen; kennen sich selbst, ihre Verderbnisse und deren Quelle zu wenig, oder
verhehlen sie sich und
ihm; oder sind,
zumahl bey Krankheiten, so wenig zum Nachdenken fähig, aufgelegt und geneigt, als daß da die Unterredung des Predigers mit ihnen wirksam genug werden könnte. Und wäre dieses alles auch nicht: so ist selten viel auszurichten, wenn nicht schon vorher
bey solchen der Grund zu einer rechten Erkenntniß der Religion und zum Geschmack daran gelegt worden ist; wenigstens
kan der Prediger durch öffentlichen Vortrag weit Mehrern nutzbar werden, als durch den Privatumgang. Jener bleibt also doch immer die wichtigste Beschäftigung, von der
bey den meisten der ihm Anvertrauten, die selten
andre Quellen des Religionsunterrichts haben, und nutzen können, sowohl ihre ganze Bildung durch die Religion, als ihre Neigung
|c23| abhängt, sich auch in besondern Angelegenheiten seiner Leitung zu bedienen.
|a603| 18.
Aber hier kommt 4) überaus viel auf die Art an, wie dieser Vortrag eingerichtet ist, und die gute Wirkung desselben, so weit sie von dem |b25| Prediger selbst abhängt, beruht immer entweder auf dem Vertrauen, das er bey den Zuhörern hat, oder auf der guten Einrichtung seines Vortrags. Jenes Vertrauen kan freylich auch aus seiner anerkannten Geschicklichkeit, aus seiner Liebe gegen die Zuhörer, und der thätigen Theilnehmung an ihrem Besten, aus seinem ganzen exemplarischen und anziehenden Betragen, entspringen. Aber, so lange man ihn nach diesen Eigenschaften noch nicht kennt, muß er sich doch dieses Vertrauen erst durch den guten Vortrag erwerben; seinen Werth als Lehrer kan und pflegt man doch erst nach diesen zu schätzen; und das Vertrauen selbst ist nichts anders, als nur Mittel, nur Vorbereitung, das ihm den Weg bahnt, um gern gehört, und so erst durch den Vortrag den Zuhörern nutzbar zu werden.
19.
Der Vortrag hat doch ganz andre Wirkungen, wenn er die Aufmerksamkeit der Zuhörer fesselt, wenn er ihnen die vorgetragnen Sachen deutlich und einleuchtend macht, wenn er sie dafür einnimmt, und daher ihren Fähigkeiten und Neigungen, wenigstens ihren Bedürfnissen angemessen ist, als wenn es ihm an diesen oder einer |a[6]04| dieser Eigenschaften fehlt, oder wenn entweder gewisse Fehler desselben den Zuhörern die Sachen verleiden, oder der Vortrag, indem er ihren Leidenschaften oder ihrer Einbildungskraft |c24| schmeichelt, ganz sie von dem Zweck abführt, sie von der Religion zu überzeugen, und sie zur Befolgung |b26| derselben willig zu machen. – Selbst dieser Zweck und die Natur der Religion hat, wenigstens für die meisten Menschen, nichts Anziehendes. Es gehört schon manche Cultur der Seele, mindestens ein Gefühl, wie wenig uns sichtbare Dinge befriedigen, und eine gewisse Verlegenheit über unsern Gemüthszustand, dazu, wenn der Mensch nur erst Geschmack an Beschäftigung mit unsichtbaren Dingen finden soll; und die stete Beschäftigung mit sichtbaren Dingen, das Vergnügen, das aus ihrem Genuß entsteht, und die Gewöhntheit daran, nebst der Kunst, den Ueberdruß dieser Vergnügungen durch mannichfaltige Abwechselung zu verdrängen, läßt vollends jenen Geschmack selten aufkommen. Soll dann auch das, was zur Religion gehört, den Menschen nicht bloß unterhalten, sondern wirklich bessern: so muß er sich sehr bittre Wahrheiten gefallen laßen, ihnen gegen sich selbst und seine Eigenliebe recht geben, seinen Neigungen Gewalt anthun, gewohnte und fast unentbehrlich gewordne Vergnügungen aufopfern, beschwerliche Uebungen übernehmen; lauter Dinge, von welchen der Mensch nicht gern hören mag. Und wenn auch schon die Zuhörer, durch sonst erlangte Kenntniß der Religion, durch einigen Geschmack |a605| daran, durch manche Erfahrungen, wie übel sie bey dem Leichtsinn und c√ Ausschweifungen gefahren sind, vorbereitet scheinen mögen, das, was ihnen die Religion vorhält, williger anzunehmen: wie ganz etwas anders ist es, etwas gern zu hören, und es willig zu thun? welch ein großer|b27| Unterschied ist zwischen vorübergehenden Bewegungen und zwischen einem dauerhaften Eindruck, der in religiöse Gesinnung übergeht? also, wie unumgänglich nöthig, wenn |c25| die selige Absicht der Religion erreicht werden soll, sie nicht nur vorzutragen, sondern es so zu thun, daß wahrhaftige Willigkeit, sich nach ihr zu bilden, und bleibender Eindruck entstehe.
c√ So unverantwortlich
hienach der Prediger handelt, wenn er nicht den
äussersten möglichen Fleiß auf den Vortrag zu dieser Absicht
wendet: so sehr wird auch dadurch die Einbildung geschwächt: man müsse den Eindruck der Religion und des Christenthums
insbesondre ihrer
eignen Kraft zutrauen; Künste des Redners verhinderten ihn eher; und die heilige Schrift warne selbst
dafür 1 Cor. 1 und 2. 2 Tim. 4, 3. 4. –
Freylich macht der gute Vortrag jenen guten Eindruck,
zumal wenn er bleiben, und die ganze Gesinnung ändern soll,
allein nicht; auch hängt dieser heilsame Eindruck eigentlich von der Wahrheit und ihrem Werth selbst, und von den Umständen der Zuhörer ab, welcher sich Gott bedient, ihnen Eingang
bey diesen zu verschaffen. Aber zu diesen Umständen gehört der gute Vortrag mit; und die heilsamste
Arzeney ist unnütz, wenn der Kranke nicht an ihre Kraft glaubt,
und nicht bewogen werden
kan, sie zu nehmen. Eben
|a606| auf diese Kraft der Religion die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu ziehen, Glauben an ihre Wahrheit und an ihren Werth hervorzubringen, sie zu ihrem Gebrauch zu bewegen, dies,
|b28| dies soll die Absicht des guten Vortrags seyn. – Sonach
kan er auch ihrer Kraft keinen Eintrag thun.
Sogenannte Rednerkünste, wenn sie
den heilsamen Endzweck
haben, und dazu etwas
beytragen können, sind nicht verwerflicher, als jedes
andre in der Natur der Dinge liegende, und den menschlichen Bedürfnissen angemessene Mittel; sie
sind nur
alsdenn hier übel angebracht, und jener Absicht hinderlich, wenn sie bloß die Zuhörer angenehmer unterhalten
sollen, ohne auf jenen
wesentlichen Zweck zu arbeiten. –
Und diese falschen Künste mißbilligt die heilige Schrift
allein, wie auch schon
Christi
und seiner Apostel
Beyspiel|c26| beweiset, die selbst jene
bessern Künste nicht verschmähten, und
Allen
alles wurden, um doch überall Einige für die Religion zu gewinnen.
c√
20.
Aber zu
einen guten
Vortrag der Religion gehört 5) überaus viel, gewiß mehr, als sich
Mancher nur
– vorzustellen vermögend ist.
Gut nenne ich dergleichen Vortrag, wenn er durchaus der Absicht gemäß ist, die
bey denenjenigen, bey welchen man ihn braucht, erreicht werden soll. Diese muß seyn, ihnen
wahrhaftig die Religion und ihren Werth einleuchtend, und sie willig zu machen, ganz ihre Gesinnungen und Handlungen
danach einzurichten. Denn, daß
der Vortrag, wo es der Prediger bloß darauf anlegt, daß
Er|a607| selbst gefallen will, wo es ihm nur darum zu thun ist, seine Zuhörer zu unterhalten, und wo nicht das herzliche Verlangen zum Grunde liegt,
|b29| die Zuhörer wirklich zu
bessern, oder wo es ihm gar genügt, sein Tagewerk mechanisch gethan zu haben, daß
der Vortrag jenen Namen nicht verdiene, und dem
großen Zweck, worauf der Prediger durch Religion arbeiten soll,
bey weitem nicht entspreche, bedarf doch wohl keines Beweises. Aber
c√ eben
jener des Namens wahrhaftig
würdige Vortrag, daß der sehr schwer zu erreichen
sey, davon
kan man sich
einigermaßen überzeugen, wenn man folgende Schwierigkeiten wohl überlegt,
die – in der Natur der Sache
selbst und den daraus entstehenden
großen Erfordernissen auf Seiten des Predigers selbst
§. 21 –25 – in dem Mangel derselben bey dem Prediger oder in der Beschaffenheit der
Zuhörer §. 26 –28 – und zum Theil in
unsrer ganzen Erziehungsart und Verfassung
§. 29. 30 , liegen.
|c27| 21.
Zuerst in der Natur der Sache selbst, oder eines solchen Vortrags, der durch Nichts die abgezweckte Wirkung verhindern oder stören, sondern durchaus durch alle jedesmal mögliche Mittel sie befördern soll. Nothwendig muß der Prediger oder Katechet wissen, 1) woher er theils die vorgetragenen Sachen nehmen, theils wie er sie empfehlen soll. Zu jenem gehört ein gewisser Reichthum von recht praktischen Kenntnissen des ganzen Umfangs der |a608| Religion; zu diesem ein ansehnlicher Vorrath selbst von praktischen Kenntnissen aus der Philosophie, vornemlich der Psychologie und Logik, und aus den schö|b30|nen Wissenschaften, hauptsächlich aus der Rhetorik. Beyderley Kenntnisse, jene, die den Stoff, diese, welche die Form dem Vortrage geben, muß eigner Fleiß und Uebung erlangt und verarbeitet haben. Die Sache verdient eine etwas deutlichere Erläuterung.
22.
Erstlich sollte jede Erkenntniß, und vorzüglich
unsre Kenntniß der Religion, in dem oben (
Theil 2 §.
169 ) angegebenem Verstande,
praktisch seyn, daß wir nie bloß auf ihre
Wahrheit sähen, sondern eben so sehr auf ihren
Werth c√,
d. i.
ihren Nutzen und Einfluß in die menschliche Glückseligkeit, es mag dieser Einfluß mittelbar oder unmittelbar seyn (
ebendas.
Anmerk.
).
Wozu weiß oder lernt man sonst?
vornemlich, wie
kan der die Absicht der Religion und seines Berufs erfüllen, wer auch die richtigsten Sätze derselben nicht zu
Andrer Besten anzuwenden
weiß. – Aber es giebt
ausser dem noch eine weit mehr verkannte praktische Erkenntniß, die darum so
heissen könnte, weil die
Art, wie man sie erlangt hat und
|c28| wieder anwendet,
praktisch ist. Wer als ein vernünftiger, wirklich
freyer Mensch, gewissenhaft lernen, und so wieder mittheilen will, der muß nicht bloß von
Andern Sachen, Beweise und deren Anwendung lernen, oder dies ihnen
|a609| nachsagen; er muß nicht bloß wiedergeben was er empfangen hat, und es von Hand in Hand
fortpflanzen. Er muß vielmehr – in Absicht auf
Erkenntniß –
eigenthümliche Begriffe und
|b31| Ueberzeugung davon erlangt,
d. i.
sich es nach
seiner Art
vorgestellt, und klar gemacht, mit
seinen übrigen Begriffen vereinigt
haben; er muß, so viel er
kan, durch
eigne Beobachtung und
eignes Nachdenken versuchen, sie deutlich und einleuchtend zu machen,
vornehmlich, was er erkennt, in so vielen Beziehungen auf menschliche Glückseligkeit zu
denken; und fleißig
insbesondre auf den Einfluß Acht geben, den dies auf seine Gewißheit, auf seine Gesinnung und auf alle Handlungen hat, daß ihm
einzelne Lehren der Religion zu seiner und Anderer Besserung und Beruhigung immer brauchbarer werden. Und, in eben dem
Maaß, wie diese seine Erkenntniß wächset, muß er – in Absicht auf
Anwendung derselben – immer mehr
eignen Antheil daran nehmen, sich wirklich
dabey beruhigen, wirklich darnach handeln, sich immer mehr darüber freuen lernen, und den Trieb unterhalten, Andern auf eben die Spur zu helfen,
bey ihnen die
nemliche Ueberzeugung, Gesinnung, Freude und Art zu handeln, zu befördern. – Sonach muß er Anderer mündlichen oder schriftlichen Vortrag mehr als
Veranlaßung zum
eignen Denken, mehr als Winke, als
Eröfnung weitrer Aussichten brauchen, die
ihm aufmerksam machen, ihm zu
eignen Gedanken helfen sollen, ihnen mehr die
Art, selbst Erfahrungen anzustellen, darüber nachzu
|a610|denken, und sie nutzbar zu machen, ablernen,
|c29| als die
Kenntnisse selbst von ihnen annehmen. – Durch diesen
eignen Fleiß,
eigne Beobachtungen oder benutzte Erfahrungen,
eignes Nach
|b32|denken,
eigne Anwendung, wird seine Erkenntniß, Gesinnung und Handlungsart ihm eigenthümlich und wahrhaftig gewissenhaft.
c√ Um sich dieses deutlicher zu machen,
erwege man nur, wie wir es
bey Anhörung des
Vortrages eines Andern oder der Lesung seiner Schriften machen, und welch ein
großer Unterschied es
sey, bloß da dem
Andern zu folgen, und im Gegentheil das Buch
bey Seite zu legen,
sich selbst zu fragen, ob man das nicht bloß verstehe, sondern Ueberzeugung fühle? was man sonst davon wisse? und wie man dies damit verbinden, dadurch bestätigen,
eins durch das
andre berichtigen, wie und wozu man es brauchen könne? wie es in der Anwendung zu Hebung von Zweifeln,
zur Entdeckung neuer Vorstellungen, zu neuer Ermunterung im Guten diene
u. s. f.
23.
Es ist kein Zweifel, daß, wer
so die Religion erkennt, daß der auch mehr dadurch selbst gebildet werde, sie klärer und anschauender erkenne, mehr von ihrer Wahrheit und
Werth überzeugt, mehr dafür eingenommen
sey; daß er weit kräftigern Antrieb habe, sie Andern mitzutheilen; mit mehr Deutlichkeit, und, so zu sagen, Herzlichkeit davon spreche; mehr aus
eigner Erfahrung wisse, sie Andern wirksam
beyzubringen; folglich
|a611| auch auf
Andre weit kräftiger
wirke; daß dies also, dieses
Praktische der Erkenntniß in der Religion, in
beyderley Sinn (§.
22 ) genommen,
|b33| die Hauptsache
sey, wenn ein Lehrer der Religion wahrhaftig sie Andern recht nutzbar machen will. Sehr schwer ist es immer, zu dieser praktischen Erkenntiß zu gelangen, und angestellte Versuche werden es jeden lehren, der es im Ernst darauf
|c30| anlegt. Beständige
Aufmerksamkeit, viel und ein eben so ruhiger als
c√ geschäftiger
Beobachtungsgeist, Gewohnheit, eine Sache auf mehrern Seiten anzusehen, und über den Einfluß eines
Satzes auf
Andre sowohl als auf den Verstand und das Herz des Menschen
nachzudenken, Kenntniß dessen, worauf man
bey einer solchen Untersuchung Acht zu geben, woraus man die Kenntnisse zu schöpfen
hat, gute Hülfsmittel,
fleissige Uebung, selbst hinlängliche Zeit
dazu – dieses alles erfordert viele Fähigkeiten, Kenntnisse, Geschmack an solchen Betrachtungen, Fleiß und glückliche Umstände. – Gemeiniglich schöpft der angehende Prediger oder Katechet seine Kenntnisse aus dem Unterricht auf Schulen und Universitäten, und aus Büchern.
Daraus zu lernen, macht ihn, wie schon gesagt,
allein nicht zu
seinen Beruf tüchtig. Gesetzt auch, daß er in der Wahl oder
bey dem Zufall, der ihn auf diese Anweisung führte, nicht unglücklich gewesen, durch diesen genossenen Unterricht nicht verstimmt worden
sey, also nicht erst noch zu lernen habe, wie viel er gar nicht, wie viel er vergebens gelernt habe, wie viel er also erst wieder verlernen müsse; gesetzt daß er auch
|a612| selbst den besten, zu seinem künftigen besondern
Beruf, zweckmäßigsten Unterricht erhalten, daß er ihn mit der gehörigen Aufmerksamkeit
benützt|b34| habe – Fälle, die
äusserst selten
sind –: so
kan ihm zwar dieser Unterricht sehr nützlich, ja in so fern unentbehrlich seyn, daß er
alles kürzer, bestimmter, zu einer allgemein zusammenhängenden Uebersicht der Religion brauchbarer,
lernt, daß er auf das aufmerksam gemacht wird, was und wie er es lernen, untersuchen, anwenden, auch wohl wie er das Gelernte praktisch machen soll. Aber es ist doch alles dieses mehr ein Faden, woran er seine
eignen erworbenen Kenntnisse an
|c31|reihen, eine Grundlage, worauf er erst selbst weiter fortbauen, ein angewiesenes Fachwerk, worin er erst noch viel zusammentragen und ordnen soll. Und wenn er selbst dem Lehrer die gute Methode abgelernt hat, selbst von ihm in praktischer Behandlung des Gelernten geübt worden ist: so sind dieses doch nur Muster in wenigen
Beyspielen, so wie der allgemeinere Unterricht nur Entwurf im Ganzen, den er selbst, nach den künftigen besondern Umständen und Bedürfnissen seiner
eignen Zuhörer, erst ausführen muß. Kurz, er wird nur mit vorläufigen allgemeinen Kenntnissen, mit einer allgemeinen Instruction, wie er sich zu benehmen habe, mit einigen Handgriffen und Uebungen ausgerüstet, in die Welt geschickt, und es wird ihm nun, da er unmöglich auf Alles vorbereitet werden
kan, was er für sich und
Andre nöthig haben wird, ihm nun selbst
überlaßen, sich weiter zu bilden, seine Kenntnisse zu vermehren, und immer neue Anwendung zu machen.
|a613| Anm.
Demnach lerne er von seinem Lehrer oder dem guten Schriftsteller, den er lieset, nicht nur die
|b35| Lehren der Religion, ihre genaue Bestimmung, ihre Gründe und ihre Anwendung. Er lerne ihm auch die
Art ab, wie man untersuchen, sich überzeugen, Mißverstand und falsche Vorstellungen absondern,
alles praktisch machen müsse. Er gewöhne sich aber, gleich zu
der Zeit schon, wo er noch Verständigere befragen, seine Ideen durch sie berichtigen, sich in unternommenen
eignen Uebungen leiten
laßen kan, zu
eignen Fleiß und
Uebung, und arbeite eben so eifrig an der Besserung seines Herzens, an dem Geschmack an allem Guten, an der Erweiterung und Befestigung seiner guten Gesinnung, an der steten Anwendung alles Gelernten und Entdeckten zur wahren Gottseligkeit, als an Aufklärung seines Verstandes. Ohne diesen
erworbnen Schatz, der sicherlich nicht leicht zu erwer
|c32|ben ist, wird er niemals selbst nur recht brauchbaren
Stof erlangen, den er
verarbeiten, und Andern wieder aufs nützlichste mittheilen
kan.
24.
Was bisher eigentlich nur
darüber gesagt worden ist,
woher man die vorzutragenden Sachen
nehmen soll, gilt auch in seiner Art von dem,
wodurch man sie Andern
empfehlen soll (§.
21 ). Man hat schon
Vieles gewonnen, wenn man seine
eigne Kenntniß der Religion praktisch gemacht hat. Sie
für Andere eben so
c√ zu machen, die gemeiniglich weniger Fähigkeiten, weniger Geschmack an Religion, weniger Kenntniß derselben, und weniger Uebung in praktischer Kennt
|b36|niß der Religion haben, ist nicht
|a614| nur nöthig, aus den oben (§.
21 ) angegebenen Wissenschaften und aus
eigner fleißigen Beobachtung und Nachdenken die beste Art zu lernen, wie man
jemandem Sachen interessant, deutlich und eindrücklich machen könne, sondern auch fleißig mit
Anderen, zumal Leuten von geringeren Fähigkeiten, in der Absicht umzugehen, um ihre Fähigkeiten, Kenntnisse, Gesinnungen und Bedürfnisse
auszustudieren, und
c√ die wirksamste Art
ausfündig zu
machen, wie man ihnen am besten
beykommen könne. Daß dieses keine leichte Sache
sey, braucht kaum erinnert zu werden.
25.
Ausser dem
Auffinden desjenigen, was und wie man es am wirksamsten in dem Vortrage der Religion vorstellen soll, trägt 2) (§.
21 ) die
Ordnung, in welcher die Gedanken gestellt werden, der
Ausdruck, worein man sie kleidet, und das
Aeusserliche bey Ablegung des Vortrags (die
Action) ungemein viel zur Wirksamkeit des
|c33| Vortrags
bey. – Wenn die Unordnung in Stellung der Gedanken auch nicht so groß ist, daß sie Undeutlichkeit der Begriffe und Verwirrung
in Vorstellungen hervorbringt, den Vortrag widerlich, und das Gesagte zu behalten unmöglich
macht, oder erschwert: so unterhält doch lichtvolle Ordnung und natürliche Folge der Gedanken die Aufmerksamkeit; jeder Gedanke giebt dem andern Licht und Stärke,
und bereitet den Zuhörer auf das Folgende; der natür
|a615|liche Zusammenhang giebt
|b37| eine angenehmere Unterhaltung, eine zusammenhängendere Uebersicht des Ganzen, und macht die Eindrücke dauerhafter, weil der Vortrag
behältlicher ist, indem eine Idee die
andre, wegen ihres Zusammenhangs, leichter wieder ins Gemüth bringt. –
a√ Wie viel der gute Ausdruck, der den Sachen und ihrer Würde angemessen ist, zur Empfehlung der Sache selbst thue, ist schon
oben im ersten Theile c√ berührt worden
a√. – Und daß
a√ der den Sachen selbst entsprechende, und nach ihrer Verschiedenheit abgeänderte Ton der Stimme, die ganze natürliche Gebärdensprache, der ganze
äusserliche Anstand, mit
einem Wort, das ganze
äusserliche Benehmen, in welchem sich die anschauliche Ueberzeugung von den vorgetragenen Sachen und ihrem
Werth, die wahrhaftige Theilnehmung daran und an dem Wohl der Zuhörer, abdrückt,
großen Einfluß auf diese habe, weiß ein jeder, der einiges Gefühl hat. – Aber daß dieses alles, was den Vortrag so sehr empfiehlt, zu erlangen, die rechte
Mittelstraße zwischen der ungebildeten Natur und der Kunst
dabey zu treffen, den Einfluß der oft unbemerkten Naturfehler und
üblen Gewohnheiten auf einer, und der
Ziererey oder der unnatürlichen Nachahmung auf der andern, abzuwehren, auch sehr schwer
sey, lehren die seltenen
Beyspiele genug, wenn man auch nicht wüßte, wie viel
dabey|c34| natürliche Talente, ein
durch viele Uebung aufgeräumter Kopf, genaue Bekanntschaft mit den Sachen, ein für alles Gute warmes und wohlwollendes
|a616| Herz, Reichthum der Sprache und Gewalt über
|b38| sie, ein feines Gefühl des
Schicklichen, und ein sehr gebildeter
Geschmack, vermögen.
26.
Zu diesen Schwierigkeiten, die in der
Natur des Vortrags und dessen Theilen liegen (§.
21 ), kommen noch mehrere andere, die mehr von gewissen
Mängeln des Predigers selbst und den
Bedürfnissen der Zuhörer abhängen, denen er
c√ nicht gewachsen ist (§.
20 ). – Jeder hat nicht nur seine
eigne Grundsätze, er hat auch seine eigne Art, Begriffe und Sätze zu verbinden, zu ordnen, zu bestätigen und
auszudrucken; deswegen ist das, was
uns verständlich, deutlich, überzeugend und eindrücklich ist, nicht
Andern eben so. Es ist schon nichts Leichtes, zu empfinden, daß man sich oft selbst nicht recht verstehe, selbst nicht deutlich denke, sich mehr überedet als
überzeuget habe; wie
käm' es sonst, daß man seine Ausdrücke, zumal wenn man in Bildern und Tropen spricht, nicht in deutlichere einkleiden, seine Gedanken nicht weiter
auseinander setzen oder zusammenziehen
kan, seine Ueberzeugung oder Rührung oft zerstört sieht, wenn man die Ordnung oder Einkleidung der Gedanken geändert hat? Wie viel schwerer muß es seyn, sich in
Anderer Lage nur vorerst
hinein zu denken, um zu erkennen, was ihnen verständlich, überzeugend und anziehend seyn möchte, um deswegen den Grad ihrer Fas
|a617|sungskraft, ihre Vorurtheile und vermuthlichen Kenntnisse, ihre Neigungen,
|b39| ihre Bedürfnisse, an welches
alles man den
weitern Unterricht und dessen
|c35| Anordnung
anschließen soll, und die beste Art zu kennen, wie man ihrem Verstande und Herzen
beykommen kan? Wie noch viel schwerer, sich in Anderer Lage
hinein zu versetzen,
d. i.
seine
eigne Art zu denken, sich in Bewegung zu setzen, und sich
auszudrucken, in
diejenige gleichsam umzuschmelzen, die ihnen eigen ist? Wie
viele feine Menschenkenntniß gehört dazu? wie viel Beugsamkeit des Verstandes und Herzens? welche Mannichfaltigkeit und
c√ Reichthum von Gedanken, Worten und Wendungen?
c√ Wahr ists, es giebt gewisse Begriffe, die alle Menschen für wahr
halten, gewisse Neigungen, wodurch alle gelenkt werden
können; jene sind das, was man unter dem
gemeinen Wahrheitssinn, diese, was man, wenn sie auf
freye Handlungen
gehn, unter
moralischem Gefühle, beydes zusammen vielleicht, was man unter
Gemeinsinn (sensus communis) zu begreifen pflegt. Dem, sagt man, dürfe man nur
alles anschließen, so könne man mit dem Menschen machen was man wolle.
– ⌇⌇c Aber 1) eben dieses
Anschließen und das so lange fortgesetzte Herumwenden aller Begriffe, bis sie sich
jedes Begriffen und Neigungen
anschließen, dies ist eben, was so schwer, ohne die am Ende
unsers Textes erwehnte Eigenschaften, und ohne lange Uebung unerreichbar ist. 2) Vieles, dasjenige wenigstens,
wobey irgend historische Kenntnisse, wie
bey Erklärung der
heil. Schrift und
bey der in ihr vorkommenden Geschichte, oder eine genauere Kennt
|b40|niß der Natur der Dinge, zum Grunde gelegt werden
müssen, wie
bey|a618| manchen zwar oft gemeinen, aber sehr verwickelten Zweifeln und sehr gewöhnlichem Mißverstande, läßt sich durch diesen Gemeinsinn allein, nicht zur Ueberzeugung oder
Entschließung bringen. Und wenn vollends 3) vieles zu diesem Gemeinsinn gezogen würde, was dahin nicht gehörte, oder dieser durch Vorurtheile und
Schwärmerey verdorben wäre; kostete es da nicht viel Mühe, den so
Verdorbnen zu überzeugen, daß er sich täuschte,
|c36| daß sein Sinn zerrüttet wäre? und könnte man ihn wohl eben durch diesen Sinn dahin bringen, daß er empfände, er habe keine Empfindung, oder empfände nicht recht? Wie diese Ueberzeugung durch ganz etwas
Anders, als durch den
bloßen Gemeinsinn, bewirkt werden muß: so hat 4) jeder Mensch,
ausser dem, worin seine Begriffe und Neigungen mit
Andrer ihren übereinstimmen, noch viele
besondre Vorstellungen, die
bey ihm Ueberzeugung wirken, noch sein
eignes Interesse, National- und
Zeitvorurtheile, z. B.
die aus seinem besondern Temperament, seiner Lebensart, seiner besondern Art zu denken, zu
schließen, zu erklären
u. s. f.
entspringen; und gerade das wirkt auf ihn am meisten, was sich
daran schließt. Ists denn also weniger nöthig, oder weniger schwer,
daran sich zu halten, wenn man ihn
wofür oder
wowider einnehmen will? – Man hat Jesum
als ein Muster des populären und eindringlichen Vortrags dargestellt, und man hat es mit dem
größesten Recht gethan. Aber eben seine ganze so vollkommen weise Lehrart zeigt,
|b41| daß er sich
bey denen, die er bekehren oder bessern wollte, keineswegs bloß an den Gemeinsinn
hielte, sondern gewiß auch das
andere, was hier berührt worden ist,
vornehmlich das zuletzt genannte
Eigne seiner Zuhörer, zu Hülfe nahm.
c√
|a619| 27.
Und gerade der
natürlich schöne Vortrag, der allen Arten von Zuhörern gefällt, weil er für
Alle nicht nur verständlich, sondern auch unterhaltend ist, der eben so wenig
künstlich als
kunstlos ist, ob er gleich das
Letztre zu seyn scheint; der so einnimmt, daß jeder sagen muß:
so stellen sich die Sachen in ihrer natürlichen Einfalt dar; von dem jeder glauben
kan,
der koste die wenigste Anstren
|c37|gung – gerade der ist am
allerschweresten zu erreichen, weit schwerer als der,
wobey man die Anstrengung des Verstandes oder der Einbildungskraft, oder gar das ängstliche Bestreben, etwas Schönes und Auffallendes zu sagen, wahrnimmt. Woher käm' es sonst, daß wir so
äusserst wenige Muster desselben fänden? woher sonst so
große Schwierigkeiten, wenn man, was man selbst gedacht, sich es selbst ganz deutlich gemacht, sich es ganz zu seiner eigenen Zufriedenheit
ausgedruckt hat, in eine ganz
andre Form für anders Denkende
gießen soll? woher,
bey einer nicht geringen Anzahl recht guter Prediger, so ungleich weniger recht gute Katecheten? Es ist wahr, ein solcher Vortrag gelingt nur in solchen Stunden, wo die
|b42| Seele ruhig,
d. i.
von keinem andern Gegenstande gestört, wo sie ganz heiter, ganz von
dem Gegenstande eingenommen, voll von ihm, aber nicht überladen ist.
Allein er wird da nur
geboren oder empfangen, und lange gebildet ist er schon vorher; oder, um ohne Bilder zu reden,
|a620| er könnte da nicht gelingen, wenn nicht ein reicher Schatz von praktischen Kenntnissen in der Seele läge, die sich gerade zu rechter Zeit darstellten, um
dieser Sache Licht und Wärme zu geben; wenn
er nicht von vielen feinen Kenntnissen der Menschen und ihrer hier in Anschlag kommenden Umstände unterstützt würde; wenn
die Seele nicht viele Regeln kennte, die man zur Gewinnung des menschlichen Verstandes und Herzens befolgen muß; wenn sie sich nicht durch viele Uebung die Fertigkeit erworben hätte, Sachen von vielen Seiten zu denken, mannichfaltig
auszudrucken, und sich gleichsam in
mancherley Formen zu
gießen; nur daß zu der Zeit zwar die Vorstellung von den
Sachen lebhaft in der Seele ist, aber die
Art sie zu sagen, nicht ganz deutlich gedacht wird,
|c38| sondern mehr im Verborgnen wirkt, und jene Kenntnisse von Menschen, jene Regeln und Fertigkeiten
sich mehr unvermerkt in den Vortrag
ergießen. Es muß jedem einleuchten, wie viel mehr dazu der ehemalige Erwerb aller jener Kenntnisse und Fertigkeiten, als die Stimmung der Seele in einer solchen Stunde selbst,
beytrage, und wie schwer es
sey, sich erst jenes zu erwerben, wenn man sich Hoffnung machen solle, daß ein solcher Vortrag gelingen werde.
|b43| 28.
Wenn der Prediger immer eine Versammlung von Zuhörern vor sich hätte, die wahres
|a621| Interesse für die Religion, und für ihre wahre geistige Wohlfahrt, einen reichen Vorrath von praktischen Kenntnissen der Religion, und
heisse Lernbegierde mitbrächten,
c√ die zum Denken über ernsthafte und unsichtbare Dinge, zur gewissenhaften Anwendung des Erlernten gewöhnt
wären; die sich nicht bloß führen
ließen, sondern, an der Hand des Lehrers, über das Vorgetragene selbst dächten, und es auf ihren besondern Zustand
anwendeten: so würde
c√ sich
der Prediger bey seinen Vortrag sehr erleichtert, und dieser sicherlich mehr Eingang finden. So sind und handeln aber die wenigsten Zuhörer; selbst der aufgeklärtere und der frömmere Theil denkt gemeiniglich, jener zu wenig an die Anwendung, dieser zu wenig an die Läuterung und feste Gründung der
Religionserkenntniß. Noch dazu ist fast immer die Versammlung ein vermischter Haufe; wo, was dem Einen verständlich, dem Andern schaal und wässerig, und was
diesen unterhält, jenem undeutlich und zu hoch ist; wo die Fähigkeiten, Kenntnisse, Geschmack und Interesse so
verschieden sind, daß es sehr schwer wird, sich ganz zu dem einen Theil herabzulassen, und ihn zu sich hinaufzuheben,
dem andern hinlängliche Unterhaltung zu geben,
|c39| durchaus aber
Allen Alles zu werden. –
Dies und das Unvermögen des Predigers, sich in die Um|b44|stände der Zuhörer zu schicken, ist
also die
zweyte Hauptursach (§.
20 ) der
großen Schwierigkeiten
bey einem guten
Vortrag.
|a622| 29.
Indessen würden sie sehr vermindert werden, und der Prediger
oder Katechet würde sie weit leichter überwinden können, wenn ihm – welches das
dritte war (§.
20 und
26 ) – nicht manche
Einrichtungen unter uns im Wege stünden, und
a√ Anstalten dazu mehr angelegt wären, worin
Christen und worin vornehmlich Lehrer der Religion sollen gebildet werden. – Es versteht sich von selbst
, und die Geschichte bestätigt es, daß, wenn Wißbegierde, Aufklärung in der Religion, Interesse für sie und für geistige Angelegenheiten, allgemeiner würde, ein
großer Theil der Schwierigkeiten wegfallen müßte, welcher von
Beschaffenheit des Predigers selbst und der Zuhörer
herrührt. Und, wenn gleich
alsdann immer noch eine
große Verschiedenheit der
Lehrer und Zuhörer bliebe: so würde doch auch die den Vortrag weniger erschweren, wenn, wenigstens öfters,
besondre Vorträge für die
verschiednen Arten der Zuhörer, bloß für Kinder,
c√ für Landleute, für Gelehrtere
u. s. w.
gehalten würden, und wenn man in Besetzung der Lehrstellen mit mehr Weisheit und Gewissenhaftigkeit verführe, um jeden Lehrer an
den Ort, unter
die Art von Zuhörern zu versetzen,
c√ ihm
die Art des Vortrags anzuweisen, die seinen Fähigkeiten am angemessensten wäre.
c√
|b45| 30.
Eigentlich aber ziele ich hier auf die Anstalten zur Bildung
unsrer Christen und ihrer
|a623| Lehrer. Diese sind entweder
Schulen oder
Universitäten, und, wenn man will, besondere Pflanzschulen für die
Lehrer. – In
Schulen wird gemeiniglich die Jugend fast bloß zu Gelehrten, oder bloß zum gemeinen Leben und den Nahrungsstand erzogen,
bey jenen die Bildung zu recht praktischen Kenntnissen in den Wissenschaften, und besonders in der Religion,
bey diesen die Kenntniß und das Nachdenken über unsichtbare Dinge,
bey beyden moralische Bildung und Gewöhnung zu
eignem Fleiß zu sehr
vernachläßigt.
– Auf
Universitäten, wo der künftige Lehrer
nothwendig muß zu gelehrten Kenntnissen
angeführet werden
c√, führt die Natur der Wissenschaften, worin
c√ vorzüglich
c√ Bestimmtheit und Gründlichkeit
herrschen muß, und der Vortrag, wodurch nicht das Volk, sondern Lehrer
sollen gebildet werden
c√, auf eine gewisse einförmige und gelehrte Art zu denken, worüber gemeiniglich die praktische Art, die Religion zu behandeln,
versäumet wird, und der künftige Lehrer eine Art zu denken und sich
auszudrucken annimmt, die es ihm hernach sehr schwer macht, sich zu Ungelehrten
herabzulaßen, und mit ihnen nach ihren Bedürfnissen zu reden.
– Ueberhaupt aber werden in
beyderley Anstalten zu sehr die Uebungen im guten, besonders praktischen und
populären, Vortrag vernachläßigt, und immer
seltner, Uebungen, zu welchen man frühzeitig, vorzüglich auf Schu
|b46|len, sollte angehalten werden. Denn
da ist nicht nur die meiste Zeit
|c41| dazu;
da könnte auch die Leitung und Kritik eines
|a624| verständigen Lehrers die Aufmerksamkeit des jungen Lehrlings gerade auf das richten, was eigentlich
zum guten
Vortrag gehört, ihm die Quellen, woraus er schöpfen sollte, anweisen, oder ihm selbst zu den nöthigen Gedanken helfen, und
alles durch nöthige Erinnerungen
verbessern; da kan man noch an Achtsamkeit auf
klein scheinende Umstände, die auf den Vortrag so
großen Einfluß haben, gewöhnt werden, weil das Gemüth noch nicht durch die Aufmerksamkeit auf nöthigere Dinge abgelenkt, und der Geschmack noch nicht durch sogenannte reelle Kenntnisse verwöhnt ist;
da läßt sich auch noch die Flüchtigkeit des jungen Kopfs durch stete Uebung und einen heilsamen Zwang einschränken. – Sind aber diese Uebungen versäumt
worden; ist der Geschmack nicht frühzeitig zum Gefühl der wahren natürlichen Schönheit des Vortrags
gebildet; kommt noch eine unvorsichtige Lectüre dazu, und der Trieb, mehr sein Vergnügen dadurch zu befriedigen, oder höchstens Kenntnisse
einzusammlen, als den zweckmäßigen Vortrag der Religion zu bilden: so muß es, wie auch die Erfahrung
lehret, unbeschreiblich schwer werden, hinterher erst einen solchen Vortrag, wie er bisher beschrieben ist, in seine Gewalt zu bekommen.
31.
Worauf käme es nun eigentlich an, wenn der Vortrag der Religion, – er
sey aneinan
|a625||b47|derhangend, oder mehr Unterredung mit
Anderen, – so seyn sollte, daß die Absicht, Andere durch Religion glücklich zu machen, erreicht werden könnte?
– Willigkeit sie anzunehmen und zu befolgen,
kan anders nicht, als durch erweckte Vorstellungen entstehen, die uns das, was zur Religion gehört, als wahr und als
|c42| gut zeigen. Wenn also der Vortrag jene Absicht befördern
soll: so muß
er: – bey den Zuhörern Vorstellungen
erwecken – die von ihnen als
wahr,
d. i.
als der Sache selbst, oder dem Grunde, worauf sie beruhen, gemäß erkannt
werden – und deren
Werth ihnen in Rücksicht auf ihr Bestes einleuchtet. In der ersten Absicht ist der Vortrag
belehrend (unterrichtend); in der
zweyten überzeugend; in der dritten
rührend (im
weitern Verstande
; s. unten §. 43. )
†) . Diese
drey Eigenschaften
kan man unter dem Namen der
Erbaulichkeit zusammenfassen, und der Vortrag ist
erbaulich, wenn er so eingerichtet ist, daß er
– die Erkenntniß
– der göttlichen Wahrheit
– zur Gottseligkeit
– befördern
kan; wiewohl er auch von Manchen schon so genannt wird, wenn er auch nur
Eine dieser Eigenschaften, vornehmlich wenn er die
dritte, hat.
c√
†) Anm.
1. In dem gedachten ersten
Fall wirkt der Vortrag auf die
bloße Vorstellungskraft,
erweitert die Erkenntniß, und verbannt die
Unwissenheit oder
Unbedachtsamkeit; im
zweyten wirkt er auf den
Verstand,
berichtigt die Erkenntniß, und vertreibt
Vorurtheile und
Irrthümer; im dritten
|b48| wirkt er aufs
Herz, oder auf
|a626| den Willen, macht die Erkenntniß
lebendig, und hebt die
Gleichgültigkeit.
Anm.
2. Das Folgende soll
c√ weder eine
Anweisung zum Predigen, noch zum
Katechisiren seyn. Es soll nur auf die Hauptsache
bey dem
erbaulichen Vortrage aufmerksam machen, und zeigen, wie viel dazu gehöre, wenn ein solcher Vortrag seiner wahren Absicht entsprechen soll. Einzelne Regeln lassen sich hernach leicht daraus ableiten.
c√
32.
Belehrung, wodurch die Kenntniß des Zuhörers immer mehr erweitert, und er zum Besinnen und Denken ge
|c44|bracht wird, ist die
erste unentbehrliche Eigenschaft eines guten
Vortrags, und
c√ in dem Grade
kan dieser nützlich seyn, in welchem er diese Eigenschaft hat. – Denn wie
kan man etwas für wahr
und gut halten, was man nicht kennt? woher anders, als daraus, können Gründe genommen werden, wodurch man sich überzeugt, und wonach man etwas begehrt oder verabscheut? oder wie
kan der
Beyfall, den man einem
Satz giebt, und die Willigkeit, mit der man ihn befolgt, gewissenhaft seyn,
d. i.
wie
kan man sich selbst Rechenschaft geben, daß man etwas für wahr annehmen und wollen müsse, ohne durch die Kenntniß, die man von einer solchen Sache hat? Immer rührt auch alle Gleichgültigkeit gegen das, was wahr und gut ist, und alle Verwerfung desselben da
|b49|her, daß man es entweder nicht kennt, oder zu der Zeit nicht daran denkt, oder sichs nicht lebhaft genug vorstellt; und diesem allen
kan|a627| nur rechte Belehrung abhelfen. – Das Bekannte verliert, weil man dessen gewohnt wird, nach und nach den Eindruck, und
kan nur dadurch aufgefrischt werden, daß man immer Mehreres hinzu lernt, wodurch das Bekannte in uns in neuen Verbindungen erscheint, und uns neue Aussichten
eröfnet werden, welche die Beschäftigung mit bekannten Sachen unterhaltender machen. – Was nicht wirklich belehrt,
wobey man nichts Bestimmtes denkt, was bloß die Phantasie in Bewegung, und das Gemüth in Affekt setzt, das geht wie ein Rausch vorüber, und
kan keine
dauerhafte Eindrücke
hinterlaßen. Je mehreres man hingegen von einer Sache
weiß; je mehr erzeugt Eines das Andere, weckt Eins das
Andre wieder auf, wirkt Eins wenn das
Andre unwirksam schläft, verstärkt das Eine die Wirkungen des Andern. – Wenn nun vollends der Re
|c45|ligionsunterricht in den früheren Jahren, es
sey aus Schuld des Lehrers oder der Unfähigkeit und Flüchtigkeit des Alters, bloß auf das Gedächtniß gewirkt hat; wenn aus der Denkungsart und aus anderweitigen
angenommnen Vorurtheilen eines Menschen sich Vorstellungen in seine Religionskenntnisse eingeschlichen haben, die, so denkbar sie sonst seyn mögen, in der Religion undenkbar sind; wenn sein Gemüth durch
angefangne Zweifel oder verführerische, zumal den Leidenschaften des Men
|b50|schen schmeichelnde, Gedanken verwirrt, oder von der Achtung und Liebe zur Religion abgezogen worden ist; wenn ohnehin mit den Jah
|a628|ren der Unmündigkeit der jugendliche Religionsunterricht aufhört; wenn die sich nun selbst
Ueberlaßenen keines aneinanderhängenden förmlichen Unterrichts in derselben mehr
genießen, und sich entweder gar nicht mehr um Unterricht in der Religion und dessen Erweiterung bekümmern, oder sich selbst nach mangelhaften und
willkührlichen Begriffen eine Religion bilden: was bleibt dann, diesem Uebel abzuhelfen, noch übrig, als daß durch öffentliche Vorträge der Religion diese Belehrung entweder erst ertheilt, oder unbestimmten, halbwahren und unrecht angewendeten Vorstellungen eine
andre Richtung gegeben
werde.
33.
Soll der Vortrag
belehrend seyn: so muß er nicht nur Dinge bekannt machen, die der Zuhörer vorhin nicht wußte, oder an die er nicht dachte; er muß auch
bey ihm wirklich Begriffe, und zwar bestimmte
Begriffe davon hervorbringen können. – Er muß ihm 1) etwas zu denken geben, sowohl in Absicht auf
Sachen als auf
Worte. – – Auf
Sachen. Und hier sollte aus dem Vortrage
|c46| alles entfernt werden, was entweder an sich undenkbar ist, oder doch, so fern es von Gott und in der Religion gebraucht wird, sich nicht denken läßt, oder, weil die ganze Religion praktisch seyn
muß (Theil 2. §. |b51| 169 ), was überhaupt oder
bey denenjenigen Zuhörern, mit welchen man zu thun hat, weder zu ihrer
|a629| Besserung, noch zu ihrer Beruhigung brauchbar vorgetragen werden
kann.
†) Was sich hingegen denkbar und praktisch machen läßt, müßte man so sehr an die Begriffe, die man
bey den Zuhörern voraussetzen
kan, anknüpfen, durch Gegensätze, durch Erfahrungen,
Beyspiele und Beschreibungen so erläutern, und, wenn man Stellen der heiligen Schrift braucht, diese durch faßlichere Gedanken und Umschreibungen so klar und anschauend machen, daß aller nachtheilige Mißverstand verhütet, und der Gedanke ihnen so
anschaulich, als möglich gemacht würde. – In Absicht auf
Worte aber müßte man sich aller Ausdrücke enthalten, die den Zuhörern unverständlich sind, sie mögen übrigens sonst so gut, und durch den Gebrauch so gangbar gemacht und geheiligt seyn, als sie
wollen; man müßte
wenigstens nichts unerklärt
laßen, wobey man
wüßte, daß sie nichts oder leicht etwas Falsches zu denken gewohnt
wären;
und alles müßte in so faßliche, darstellende und edle Ausdrücke eingekleidet werden, als man
irgend, der Natur der Sachen
angemessen finden könnte.
†) Undenkbar
an sich ist
z. B.
die
c√
Lehre von Christi
Allwissenheit, der er sich in besondern Fällen soll
entäussert haben. Undenkbar
in der Religion sind die gemeinen
groben Begriffe von dem
erzürnten und erst durch Christum
besänftigten Gott, von Vergebung der Sünden, als einer Aufhebung aller
|b52| nachtheiligen Folgen
unsrer Vergehungen, von Strafen Gottes als
bloßen Uebeln
u. d. gl.
Undenkbar
im praktischen Verstan|c47|de, die Lehre von der
Höllenfahrt Christi im eigentlichen
Verstande, die von einer
eigentlichen Zurech
|a630|nung des Falls Adams
u. a.
–
Beyspiele zu den übrigen Theilen des §., sonderlich von unverständlichen, gemißdeuteten, theils vieldeutigen, theils uneigentlichen Ausdrücken, als: wesentlicher Leib Christi
, Glaube,
Buße, Gnade, Wiedergeburt
u. d. gl. werden jedem leicht
beyfallen.
34.
Doch dieses allein würde zur rechten Belehrung nicht dienen, wenn der Vortrag nicht auch so eingerichtet wäre, daß er 2) bestimmte Begriffe erwecken könnte. Wer diese Eigenschaft seinen Vortrag mittheilen, und verhindern wollte, daß dieser nicht entweder Irrthümer erzeugte, welchen doch die Belehrung eben mit vorbeugen will, oder daß der Vortrag den Zweck nicht erreichte, den er doch haben soll, Belehrung zu geben: der müßte sich durchaus solcher Ausdrücke bedienen, wobey er voraussehen könnte, der Zuhörer werde, nach dem ihm bekannten Sprachgebrauch, gerade das denken, was der Lehrer ihm dadurch sagen will. Er müßte sich aller zweydeutigen und schwankenden Ausdrücke enthalten, die nach dem Sprachgebrauch entweder mehr oder weniger Vorstellungen, als der Lehrer wirklich mittheilen will, oder gar fremde Vorstellungen, erregen könnten. Wäre dieses aber zu besorgen, |b53| und wären entweder keine Ausdrücke in der Sprache vorhanden, die diese Fehler nicht hätten, oder gäbe es zwar bestimmtere, aber denen Zuhörern, vor denen man redete, nicht verständliche Ausdrü|a631|cke, so müßte durch deutliche und faßliche Erklärungen und Erläuterungen, auf die im vorigen §. erwähnte Art, diesem Mißverstande abgeholfen werden.
|c48| c√ Man sieht
c√ aus diesen
zwey §§
- 1. Wie ausnehmend viel auf die Klugheit des Lehrers in der Wahl der vorzutragenden Sachen und Worte ankomme, und worauf er bey dieser Wahl zu sehen habe. Die wahren Bedürfnisse und Kenntnisse der Zuhörer, die er belehren will, müssen der Maaßstab seyn, wonach er sich in seiner Wahl, aufs gewissenhafteste und schonendste, richten muß.
- 2. Wie höchst nöthig es sey, daß ein Lehrer seine Zuhörer, wenigstens überhaupt nach ihrer Fähigkeit, c√ Kenntnissen, herrschender Denkungsart, Geschmack und Sitten kenne; mit den gewöhnlichen Begriffen, Vorurtheilen, moralischen Grundsätzen, und selbst der Sprache des Volks, alles besonders in Absicht auf Religion, bekannt sey; und nicht nur die Wahrheit, sondern auch den wahren praktischen Werth und c√ Wichtigkeit der Lehren zu schätzen wisse; und
- 3. wie sehr ein wahrer Volkslehrer nach Menschenkenntniß, und nach ausgebreiteter, bestimmter und fruchtbarer Kenntniß der Religion, der Moral, des guten Vortrags und der Sprachen, wenigsten|b54| der Sprache, worin er seine Vorträge hält, und nach der gehörigen Fertigkeit darin, durch öftere und fleissige Uebung streben sollte.
35.
Durch die Belehrung lernt der Zuhörer die Sachen recht kennen; soll er aber
dabey nicht
|a632| gleichgültig bleiben, sondern sie zu seinem Besten
benutzen; so muß er einsehen lernen, daß dasjenige, was er gehört hat,
wahr sey,
d. i.
er muß es, so fern es seine Kenntniß angeht,
glauben, und, so fern es seinen Willen betrifft, für seine
Pflicht ansehen, und sich, es zu thun oder zu
laßen, für verbunden achten. Ein Vortrag, der dies bewirken
kan, ist
überzeugend; welches die
zweyte Eigenschaft
war (§.
31 ). Die Einsicht der Wahrheit beruht auf Gründen, die den
|c49| Zuhörer nöthigen, eine Lehre für wahr zu halten; er wird aber diesen keine hinlängliche Aufmerksamkeit schenken, wenn er die Lehre nicht in Beziehung auf sein Bestes ansieht,
d. i.
wenn sie nichts Anziehendes für ihn hat, wenn sie ihm nicht
interessant ist; und
dies kan sie für ihn, wenn sie praktisch ist, nicht seyn, falls er nicht einsieht, daß sie in der Anwendung möglich
sey,
und daß er ihr gemäß handeln könne. Hieraus entstehen
drey Eigenschaften des
überzeugenden Vortrags. Er muß darauf eingerichtet seyn, daß die
Zuhörer, die Lehren
– für
gegründet,
– für
interessant und
– für
ausführbar erkennen.
|b55| 36.
Um den
ersten Zweck zu erreichen, ist
1) die
bloße Wärme oder
c√ Eifer im Vortrag nicht hinlänglich;
sie beweiset nur, daß der Lehrer für das, was er sagt, eingenommen
sey. Der
Affekt läßt sich nicht immer den Zuhörern
mittheilen. Er wirkt nur da, wo der Zuhörer schon durch seine Denkungsart, durch seine Grundsätze, durch seine
Neigungen, dazu gestimmt ist, aber nicht da,
wo er eben am
nöthigsten wäre; ich meine, wo gerade alles dieses nach den Lehren, und durch sie, sollte verbessert
werden. Es wird
so gar der Affekt da, wo die Zuhörer nicht blindlings zu folgen gewohnt sind – und
dies sollte der Lehrer nicht einmal wünschen, wenn ihm Gewissenhaftigkeit der Zuhörer lieb
wäre – er wird
bey nüchternen, selbstdenkenden, gewissenhaften, oder gegen eine Lehre
eingenommnen Zuhörern vielmehr das Vorurtheil einer übeln Sache, oder doch wenigstens der Unfähigkeit des Lehrers,
Andre zu überzeugen,
hervorbringen; weil jeder glauben muß, daß der Lehrer den einzigen Weg zur wahren Ueberzeugung, |c50| die nur durch Gründe bewirkt wird, gehen würde, wenn er wirkliche Gründe hätte, und nicht den Abgang der Gründe durch sinnliche Betäubung der Zuhörer ersetzen wollte. – 2) Scharfsinnige und
gelehrte Beweise wirken eben so wenig, weil sie die Wenigsten fassen können, und die Meisten ohnehin gelehrte Angaben auf das bloße Wort des Lehrers annehmen müssen. – Man führe hingegen
alles,
|b56| wovon man überzeugen will, so viel man immer
kan, auf den gemeinen Menschenverstand und auf das moralische
Gefühl; auf Sätze, die man
bey den Zuhörern, als wahr erkannt, gewiß voraussetzen
kan; auf bekannte Erfahrungen, deutliche Gleichnisse
, einleuchtende
Beyspiele, auf Vergleichung mit offenbar ähnlichen unbezweifelten Sätzen und
Fällen; auf ganz klare oder leicht klar zu machende Stellen der heiligen Schrift zurück. Man nehme
bey moralischen Sätzen die natürliche Billigkeit und die augenscheinlichen oder leicht abzusehenden Folgen der Handlungen zu Hülfe.
|a634| Man mache, zumal wenn uns die bisher erwähnten Mittel abgehen, die Lehren praktisch, und zeige, wie viel besser man, in Absicht auf Beförderung des Guten und
unsre Beruhigung, als
bey dem Gegentheil, fahre. Man hüte sich insbesondere
für unbestimmten Behauptungen, die man nicht ganz wahr machen, und
wobey der Zuhörer leicht Ausflüchte finden
kan, und
für übertriebnen Sätzen und Forderungen, welchen er leicht gegenseitige Erfahrungen oder die Unmöglichkeit entgegensetzen
könnte. Man zeige vielmehr, wie weit jemand, der anders denken möchte,
recht habe, und
laße selbst der Schwachheit und den Fehlern Gerechtigkeit
wiederfahren. Man hüte sich endlich, keine Zweifel zu erwähnen, oder zu bestreiten, wenn sie nicht jedem von selbst aufzustoßen schei
|c51|nen, oder als sehr gangbar bekannt sind; man richte vielmehr den Vortrag so behutsam, bestimmt und discret ein, daß dadurch selbst die Zweifel verhindert werden, oder der ir
|b57|gend nachdenkende Zuhörer schon in dem
Vorgetragnen selbst hinlängliche Auflösung der etwa entstehenden Zweifel finde.
37.
Wenn wir uns eine Sache – es
sey ein allgemeiner Satz oder ein
besondrer Fall – in Beziehung auf
uns vorstellen, und
ihren vortheilhaften Einfluß c√ auf uns
bemerken, oder ahnden, so ist sie
anziehend für uns, oder
in|a635|teressant, (sie
nimmt uns ein, wir
nehmen daran Theil, bleiben dagegen
nicht gleichgültig) †) ; und ein Vortrag ist
anziehend, wenn er diese Wirkung hervorbringt. Diese
zweyte Eigenschaft
(§. 35 ) kan entweder in den Sachen selbst liegen, die man vorträgt,
oder in der Art, wie sie vorgetragen werden, wodurch das einen Reiz bekommen
kan, was für uns sonst gar keinen, oder, weil es uns schon geläufig war, nicht mehr den starken Reiz, wie vorhin, hatte. – Ein solcher Vortrag erregt und fesselt
unsre Aufmerksamkeit. Er überzeugt,
d. i.
er macht, daß wir etwas für wahr und gegründet erkennen, weil wir es, in solcher Beziehung, mit
unserm Zustand, unserer Denkungsart oder sonstigen Kenntnissen und Neigungen, übereinstimmend finden; er verstärkt wenigstens
unsre Ueberzeugung, oder vertritt doch ihre Stelle, wenn wir einsehen, daß wir, ohne dieses als wahr vorauszusetzen, uns gewisse für wahr erkannte Dinge nicht erklären, oder ein gefühltes Bedürfniß nicht befriedigen
|b58| können. Und überhaupt
kan ein Vortrag
|c52| nicht den geringsten Eindruck auf uns machen, und also auch nicht erbauen (§.
31 ), wenn er für uns gar nichts Anziehendes hat.
†) Es scheint, daß das Interessante c√ nicht immer in
einerley Sinn genommen
werde. Wir
nennen schon alles interessirend, was wir uns in Beziehung auf unsern Zustand denken, es mag ihm eine angenehme Veränderung versprechen, oder eine unangenehme drohen; wir bleiben
bey diesem so wenig gleichgültig als
bey jenem. Aber oft nennen wir nur das
|a636| anziehend oder interessant, was wir uns
gern vorstellen
; wir wenden uns vom Unangenehmen weg, und es hat nur einen Reiz für uns, so fern es mit etwas Angenehmen verbunden ist,
z. B.
mit der Vorstellung von moralischer Stärke der leidenden Menschheit, von
Mitteln, dem Unangenehmen abzuhelfen
u. d. gl.
Man könnte jenes
interessant im weitern,
dieses, im engern Verstande nennen. In dem letztern ist es hier genommen.
38.
Nach dem bisher erläuterten Begriff wird es überhaupt auf
zwey Stücke ankommen, wenn der Vortrag
anziehend werden soll. –
Zuerst,
– weil die Zuhörer das, was gesagt wird, auf
sich ziehen, für ihre Angelegenheit erkennen sollen,
– daß man
alles vermeide, was sie auf den Gedanken bringen könnte, als redete der Lehrer bloß Amts
halben, hörte sich selbst gern, suchte seine Talente oder Kenntnisse zu zeigen, wollte über
|b59| das Gewissen der Zuhörer herrschen, oder sie durch Vorwürfe kränken, kurz,
seinetwegen reden; hingegen den Vortrag so einrichte, daß die Zuhörer merken können, er sage alles bloß
ihretwegen, und mache ihre Angelegenheit zu der seinigen. –
Hernach, – weil nur das interessirt, was einen Einfluß
|c53| auf unser
Bestes hat,
– daß der Vortrag nichts enthalte, als was
praktisch ist (
Theil 2. §.
169 ), und
so dargestellt werden
kan.
|a637| 39.
Dieses doppelte Interesse
kan man dem
Vortrag 1) durch die
Sachen selbst geben (§.
37 ). Es giebt gewisse Sachen, die jeden Menschen, der nicht ganz unempfindlich ist,
andre, die gewisse
Classen von Menschen, oder die sie unter gewissen Umständen vorzüglich interessiren, weil sie mit ihrer besondern Denkungsart, Beschäftigungen, Bedürfnissen und Wünschen zusammenhängen. Davon hören sie gern sprechen, darüber wünschen sie weitere Belehrung, an deren Gewißheit liegt ihnen, und dagegen sind ihnen Zweifel, oder Verlegenheit darüber, peinlich; was
da hinein schlägt, ihnen darüber Licht, Gewißheit und Auskunft giebt, findet allezeit willig Gehör; und wer
selbst solche Sachen, die ihnen gleichgültig sind, daran zu knüpfen versteht, wird
sogar, durch jener Hülfe, auch für diese einnehmen. Man mache ihnen also nur, was man sagt, durch ihre
eignen erlangten oder leicht zu erlangenden Erfahrungen
begreiflich; zeige ihnen über
|b60|all, wozu und wie sie das Gesagte brauchen, wie sie Gottes nie entbehren, aber
bey ihm immer Rath und Hülfe finden können, wie die Gottseligkeit zu allen Dingen und in allen und
allerley Angelegenheiten nütze
sey, und was alle Arten des Bösen für schädliche Folgen haben; man bleibe nie bloß
bey dem Allgemeinen stehen, wovon sie die Beziehung auf sich nicht absehen, oder sich einbilden möchten, es gehe sie nicht
an †) ; sondern
man gehe mehr ins Einzelne,
|a638| und
laße sich zu den besondern Angelegenheiten der Zuhörer
herab: so wird man
|c54| sie gewiß anziehen, so weit es durch die Natur der Sache selbst möglich ist.
†) Man dringe
z. B.
nicht bloß auf Besserung oder Glauben, sondern zeige zugleich, auf die §.
36 erwähnte Art, was und wie viel dazu gehöre, nebst den Hindernissen und den
Mitteln sie zu überwinden; man bestreite vornehmlich praktische Vorurtheile und schädliche Mißverständnisse, und mache ihren Schaden klar. Man zeige, wenn von besondern Tugenden oder Lastern und Sünden die Rede ist, die Gränzen, wo Recht und Unrecht aufhört, ziehe die feinern unerkannten
Vergehungen, (
z. B.
beym Diebstahl, die Verfertigung schlechter Arbeit, die Verwendung zu vieler Zeit darauf, das Beziehen eines unbilligen Preises, die Benutzung öffentlicher Bedürfnisse und deren Seltenheit zur Uebertheurung Anderer
u. d. gl.
) ans Licht, mache das darin liegende Unrecht, mit aller Billigkeit und Schonung, begreiflich. Eben so
bey der
|b61| Beurtheilung sogenannter
unschuldigen Vergnügungen, des falschen Vertrauens auf Gott
u. s. f.
40.
Denn es
kann der Vortrag 2) auch durch die
Art anziehend gemacht werden, wie man die Sachen darstellt. Je natürlich schöner und dem guten
Geschmacke gemäßer der Vortrag ist; je mehr er Erguß des von dem Werth der Sachen und von Liebe zu den Zuhörern vollen Herzens ist; je mehr er den
Reiz des Neuen hat,
|a639| d. i.
nicht des Paradoxen oder überhaupt Auffallenden, sondern so, daß der Zuhörer auf das bisher Unbemerkte, oder, wenn es gefunden ist, sich durch seine Einfalt und Werth so leicht Empfehlende aufmerksam gemacht wird; je natürlicher Eines sich aus dem Andern ergiebt; je leichter man es dem Zuhörer macht,
selbst Entdeckungen zu machen, und das Ge
|c55|sagte
selbst anzuwenden; je vertraulicher und
herablaßender der Lehrer mit ihnen spricht; je natürlicher selbst der Ton seiner Stimme und der ganzen
Aktion ist: je mehr Wirkung
kan er thun. – Wie nöthig es zu allem bisher Erwähnten
sey: seine
Zuhörer, nach ihren Fähigkeiten, Beschäftigungen, allgemeinen und besondern Bedürfnissen, herrschenden Vorurtheilen, Meinungen und Sitten zu kennen; eine recht ausgebreitete praktische Kenntniß der Religion, besonders nach
ihren Werth und Einfluß aufs Herz und Glückseligkeit der Menschen; viele Uebung, diese Lehren
|b62| darauf anzuwenden; viele vertraute Bekanntschaft mit dem menschlichen Herzen, denen darin liegenden Hindernissen des Guten, der mannichfaltigen besten Art ihm
beyzukommen, der Geschichte und dem gemeinen Leben, endlich der schönen Wissenschaften, zu haben – das bedarf kaum einer Erinnerung.
41.
Und eben dieses ist nöthig, um das Gesagte
drittens (§.
35 )
ausführbar darzustellen. Denn,
|a640| wenn der Zuhörer in der Einbildung steht, daß das, was ihm empfohlen wird, unmöglich, oder über seine Kräfte
sey, oder wenigstens nicht weiß, wie er es anfangen solle: so
kan es
bey ihm keine Frucht
schaffen. Ihm jene Einbildung zu benehmen, zu zeigen wie er der werde, der er seyn soll, wie er das
Empfohlne in Ausübung bringen, wie er die
vorgeschlagnen Mittel wirklich anwenden
könne, dies kan ohne jene
eigne Kenntnisse des Lehrers nicht geschehen.
†) Bloße Vermahnungen und Gewissensrügen, oder
bloße Verweisungen auf Gott, ohne Aufmunterung zu
eignem Fleiß, helfen nicht. Der Lehrer gewinnt schon viel,
|c56| wenn er den Zuhörern die Vorurtheile benehmen
kan, worauf jene Einbildungen beruhen. Er verhindert oder schwächt die Ausflüchte, wenn er seine Forderungen nicht überspannt, wenn er nichts Unmögliches und das Schwere nicht auf
einmal fordert. Noch mehr, wen er an ähnlichen Fällen des menschlichen Lebens die Möglichkeit der Ausführung und die Art zeigt, wie es
|b63| anzufangen
sey.
– Je mehr er die Selbstliebe der Zuhörer in Bewegung zu setzen, und es ihnen einleuchtend zu machen weiß, was für selige Folgen der Fleiß habe, das Gute auszuüben, und wenigstens öftere Versuche zu machen, und wie unglücklich der Mensch werde oder bleibe, wenn er es nicht
thue: je mehr wird er ihre Trägheit besiegen, welche die
größeste, oft die einzige, Ursache ist, warum sie den Lehren nicht folgen, und sich von ihrer Wahrheit oder Werth oft nicht
einmahl überzeugen
laßen.
|a641| †) Es ist
z. B.
eben so
vergeblich, als
leicht, gesagt: daß man Zweifel, Gram und Sorgen wegwerfen solle. Man
laße dagegen auch diesen Gerechtigkeit
wiederfahren; mache sie nicht geradezu und durchaus zur
Sünde, nehme wirklich mitleidigen
Antheil; warne nur
für dem bloß sinnlichen
Nachhängen, oder der Verfolgung trauriger Gedanken,
für den süßen Gift, das sie mit sich führen, besonders
dafür, daß die Leidenden sich nicht diese
Verfolgung trüber Gedanken zur Gewissenspflicht
machen; benehme, durch heilsame Aufklärung ihrer Religionsbegriffe, allem schädlichen Wahne die
Nahrung; suche sie durch wahrhaftig tröstende Vorstellungen und
heitre Aussichten, auch Verdeutlichung der, ohne unser Verdienst und Denken, überall, selbst
bey Leiden, väterlich sorgenden Güte und Weisheit Gottes, auf angenehme Umstände zu lenken, ihnen wirklich
ihren Zweifel aufzulösen, oder, wo sie,
|c57| den Umständen nach, zu
beyden noch nicht fähig sind, sie nützlich zu zerstreuen
u. d. gl.
|b64| 42.
Der
dritte Zweck des erbaulichen Vortrags (§.
31 und 35 ) muß auf das Herz und die Neigungen der Zuhörer gerichtet seyn, und dahin gehen, die Erkenntniß lebendig zu machen, oder
bey ihnen wirksame
Entschließungen hervorzubringen, dem zu folgen, was man als wahr und gut erkannt hat. Ein Vortrag, der so eingerichtet ist, daß er diese Wirkung hervorbringen
kan, ist ein
rührender Vortrag (§.
31 ) – Ohne diese Eigenschaft desselben würde alle noch so verbesserte Kenntniß das Beste
|a642| des Menschen nicht wirklich
befördern; ohne zugleich mit auf das Herz zu arbeiten, würde nicht
einmal die Aufmerksamkeit des Zuhörers an das, was zu seiner Belehrung gesagt wird, genug gefesselt, noch die Ueberzeugung vollendet werden, wenn sich Neigungen und Gewohnheiten gegen die Ueberzeugung
streubten.
43.
Nun hängt alle wahre Glückseligkeit der Menschen davon ab, daß sie
theils, in Absicht auf diejenige, die in ihrer Gewalt steht, und von ihrem Willen abhängt, immer recht handeln, und daher stets mit
sich zufrieden seyn können;
theils, in Absicht auf die, welche nicht in ihren Händen ist, aber ihnen von der stets weisesten und gütigsten Regierung Gottes
zugetheilet wird, immer das für ihr wahres Beste halten, was diese über sie fügt, und sich
dabey, zufrieden mit
|b65| Gott, beruhigen.
Folglich entspricht ein Vortrag der Religion nur
alsdann seinem wirklichen
Zweck,|c58| die Menschen glücklich zu machen, wenn er so eingerichtet ist, daß er die Menschen wirklich
– bessern – und
beruhigen kan. In jener
Absicht, könnte man ihn
rührend, oder bessernd,
im engern Verstande, in
dieser, ihn
beruhigend nennen.
Anm.
Es scheint wegen des Folgenden, und um allen Mißverstand zu verhüten, nöthig, zu bemerken, daß, was wir hier
rührend nennen, keinesweges mit dem
Interessanten (§. 37 ) einerley sey. Alles Rührende muß interessant
seyn, aber es
kan etwas interessiren, ohne mich zu rühren. Schon
alles, was
ich denken kan, interessirt mich, weil es meine Vorstellungen bereichert, oder meine Thätigkeit beschäftigt: ich habe dann immer eine, wenn gleich oft nur dunkle, Vorstellung von einer Beziehung, in der das Erkannte auf mich steht. Je näher diese Beziehung ist, oder je stärker ich sie mir
denke: je lebhafter
kan das Vergnügen über die Betrachtung dieser Sache, und
je stärker das Interesse werden. – Aber deswegen
begehre ich die Sache noch nicht. Ich
kan durch einen Satz oder durch eine Handlung in einer wahren oder erdichteten Geschichte sehr angezogen werden, und mit großem Vergnügen
dabey verweilen, ohne jenem folgen, oder so werden zu wollen; wie dieses der Fall
bey allen Sätzen und Handlungen ist, die
Anstrengung und
Aufopferung erfordern,
z. B.
bey dem
Satz, daß ich durchaus auf Gott
|b66| vertrauen, daß ich nicht Böses mit
Bösen vergelten
soll, u. d. gl.
und
bey dem
erhabnen Beyspiel eines
vernünftigen Märtyrers
c√. Soll ich also nicht bloß bewundern, hochachten, lieben, mich woran vergnügen, es auch wohl zu besitzen wünschen, sondern
wirklich, so zu werden und zu
handeln, begehren: so muß ich die Sache ohne Zweifel in einer noch näheren Beziehung auf mich ansehen,
theils in sofern sie
mir möglich, und meine
Anstrengung nicht vergeblich,
theils in sofern sie werth ist, daß
ich ein
andres Gut darüber
verleugne,
|c59| und lieber ein Uebel übernehme, als diese erkannte Sache entbehre. Jenes, daß ichs als
mir möglich ansehe, scheint noch zur
Ueberzeugung zu gehören, zu der ich oben
(§. 41 ) das Ausführbare gerechnet habe, denn ohne diese Einsicht ist
für mich die Sache nicht wahr oder gut. Dieses aber, der erkannte
|a644| so
große Werth der Sache, der mir Aufopferung abdringt, dieses, sag' ich, scheint eigentlich das zu seyn, was mich nöthigt, es wirklich zu
wollen, meine
Gesinnungen und
Handlungen danach abzuändern.
Dies ist doch offenbar mehr, als wenn ich bloß sage, daß mich eine Sache
interessire. Ein solches wirkliches
Wollen und
Begehren im
eigentlichsten Verstande beruht ohne Zweifel auf der
Vergleichung mehrerer Güter der Welt mit einander, und auf der lebhaften Vorstellung, daß, was ich begehre, weit mehr für mich gut und nothwendig ist, als das, was ich darüber
verleugnen muß.
In so fern nun der Vortrag
dieses Wollen hervorbringt, nenne ich ihn
rührend; und sollte es
|b67| scheinen, daß ich mich hierin von dem gewöhnlichen Sprachgebrauch
entfernte: so wird man mir diese Abweichung in
eine Sache zu gute halten, wo die Verschiedenheit der Begriffe bisher noch nicht genug mit
angemeßnen Worten bestimmt zu seyn scheint.
c√
44.
Wenn nun durch den rührenden Vortrag nicht bloß
Wohlgefallen am Guten und Mißfallen am Bösen soll hervorgebracht werden, sondern auch
Willigkeit, jenes zu
thun, und dieses zu
laßen, oder eigentlich Gewohnheit,
|c60| immer so zu handeln: so muß ein solcher Vortrag so eingerichtet seyn, daß 1) der Zuhörer durch die gemachten Vorstellungen genöthigt werde, das Erkannte, welches für ihn anziehend ist (ihn interessirt),
auf sich ziehe, zu
seiner Angelegenheit mache,
d. i.
einsehe,
so|a645| müsse er
werden, und das Gegentheil
ablegen, jenes sich
an- und dieses sich abgewöhnen, jenes
thun und befördern, dieses
laßen und verhüten.
Dies würde sogleich, nach der Natur der menschlichen Seele, von selbst erfolgen,
so bald nur der Vortrag ihn, auf die oben beschriebene Art, überzeugte, interessirte, und ihm die
Möglichkeit es
auszuführen einleuchtend machte, wenn nicht in dem Menschen selbst Hindernisse lägen, welche diese
Entschließung zurückhielten. Diese liegen unstreitig in der
Gewohnheit, Böses, und in der
Ungewohnheit, Gutes zu thun,
d. i.
weil ihm die Vorstellungen von dem mit dem Bösen
|b68| vermischten Nutzen oder Vergnügen, und von den mit Ausübung des Guten verknüpften Uebeln oder Mißvergnügen geläufig, hingegen die Vorstellungen des aus dem Bösen für ihn entspringenden
Schadens, und der mit Ausübung des Guten verbundenen
Seligkeit, ihm nicht geläufig sind, folglich die dadurch geleiteten Neigungen ihn vom Guten
ab- und zum Bösen
hinziehen; kurz, es liegt die Schuld an dem
Geschmack und
Hang zum Bösen, und an dem
Mangel des Geschmacks und Hanges zum Guten. Soll also der Vortrag rühren,
d. i.
wirklich Besserung
hervorbringen: so müssen 2)
bey den Zuhörern a) die reitzenden Einbildungen von dem Bösen und die davon abhängende Lust dazu geschwächt; hingegen die Vorstellungen von dessen traurigen Folgen mit der daraus entstehenden Unlust gestärkt; und eben so b) in Absicht auf das Gute, die bessern Vorstellungen von dessen
|c61| seli
|a646|gen Folgen, nebst der dadurch gewirkten Neigung dazu, immer mehr erweckt und vermehrt, im Gegentheil die Einbildungen oder
übertriebnen Vorstellungen von
dem mit dem
Guten verknüpften Uebeln und Schwierigkeiten, nebst der daher entstehenden Abneigung vom
Guten geschwächt werden.
Anm.
1. S.
Mehreres über die hier
geäusserten Grundsätze in
meinem Buch über den Werth der Moral etc.
2te
Auflage
S.
76
f.
Anm.
2. Aus dem ersten Stück des §. erhellt, warum es,
ausser dem was oben über die Besserung der Erkenntniß gesagt ist, keiner besondern Bemü
|b69|hung bedürfe, den Zuhörer zu bewegen, daß er das so Erkannte auch wirklich
wolle, und daß
alles nur darauf ankomme, die
Hindernisse des Wollens zu heben. Gleichergestalt werden die
Neigungen somit schon gebessert, als die falschen Vorstellungen vom Werth des Guten und Bösen verbessert, und die bessern Vorstellungen lebhafter als jene gemacht werden.
45.
Erstlich in Absicht auf das
Böse, woran der Mensch hängt, und
wobey er seine Rechnung zu finden glaubt, würde ihm zu zeigen
seyn: 1) wie falsch die Vorstellungen
seyen, die er sich
theils von seinem Glücke
dabey,
theils von seiner vermeinten guten Gemüthsbeschaffenheit und Verhalten macht; – wie nichtig also, wie unbefriedigend und verbittert, wie vergänglich das
sey, was er für sein Glück halte; – und wenn es auch wahre Güter sind, wonach er trachtet,
|a647| wie wenig gleichwohl es immer von
ihm abhänge, dieses Glück zu erlangen, wie
viele unverantwortliche Handlungen er sich dieserwegen erlauben müsse; wie und
wodurch er sich selbst den Zugang zu solchem Glück
ver|c62|schließe, oder sich wieder darum bringe; wie sehr er sich durch seine Gesinnung und Betragen
ausser Stand setze, es recht zu
genießen, und damit zufrieden zu seyn; wie gar keine, oder armselige, oder unbeständige Tugenden das
seyn, worauf er sich verläßt, oder wie so ohne Grund er sich wirkliche Tugenden einbilde. – 2) Wie traurig die Folgen
|b70| seyen, die er sich durch seine Gemüthsbeschaffenheit und Verhalten zugezogen habe, oder zuziehen müsse,
d. i.
– wie und wodurch er sich, es
sey aus Unachtsamkeit, oder falschen Vorstellungen, oder Trägheit, oder
Leidenschaften, oder
üblen Gewohnheiten, selbst unglücklich mache, und wie groß das daraus entstehende Elend
sey; – wie er eben dadurch, auch wenn sein Unglück unverschuldet
sey, es vermehre, oder sich
ausser Stand
setze es zu ertragen, oder zu seinem Besten anzuwenden; und, wenn er auch auf einer Seite einsehe, in welches Unglück er sich stürze, und er das Böse
gerne laßen möchte, um diesem zu entgehen, auf der andern aber, wie wohl ihm seyn würde,
wenn er besser wäre und handelte,
und, wenn er es deswegen auch gern möchte, wie ohnmächtig er gleichwohl und wie stark sein Hang zum Bösen und die Macht der Gewohnheit
sey.
|a648| 46.
Eben so müßten ihm, in Absicht auf das Gute, 1) die seligen und weitreichenden Folgen deutlich gemacht werden, welche aus wahrer Tugend und Gottseligkeit entspringen; – wie recht man alsdann erst alles Gute, was uns begegnet, schätzen und genießen, es weit herzlicher und dankbarer empfinden, und zu seinem wahren Besten anwenden lerne; – wie sehr selbst unverschuldete Leiden uns dadurch erträglich, wie diese die beste Schule, im Guten zu |c63| wachsen, eine Quelle von vielem erst hinterher sich zeigenden Glück, |b71| eine nähere Vorbereitung auf die Glückseligkeit einer bessern Welt, werden; – wie sehr wir uns dadurch die Herrschaft über unsre Neigungen, wie viele Verdienste um Andere, wie viel Vertrauen und Liebe von andern Menschen erwerben, wie zufrieden und dankbar gegen Gott, und ihm immer ähnlicher werden. 2) Allein die meisten Menschen haben sehr falsche Begriffe von Besserung und Tugend. Sie machen sich entweder die Tugend zu leicht a√, und ziehen sie sehr ins Kleine zusammen. Sie setzen sie in bloße fromme Empfindung oder äusserliche, zumal gottesdienstliche, Handlungen, oder bloße Ehrbarkeit, Gerechtigkeit, Menschenliebe, bürgerliche und gesellschaftliche Tugenden. Oder sie stellen sie sich als einen unnatürlichen Zwang und lästige Einschränkung vor, die den Geist seiner Heiterkeit, das Leben seiner Freuden beraube, und den Menschen zur menschlichen Gesellschaft, und Beobachtug seiner natürlichen und |a649| bürgerlichen Pflichten unfähig mache. Oder sie sind aus überspannten Begriffen, Gefühl ihrer Ohnmacht, und Erinnerung oft mißlungener Versuche der Besserung, muthlos. Daher muß zwar jenen falschen Begriffen, die nur auf eine oberflächige Besserung zielen, beständig entgegen gearbeitet, es muß ihnen keine Schwierigkeit verheelt oder verkleinert, und der große Umfang wahrer Tugend, die durchaus auf alles Gute gehen, und in wahrhaftiger Besserung der Gesinnung bestehen müsse, einleuchtend dargestellt werden. Aber man muß ihnen auch eben so sehr die trübseligen Begriffe von Frömmigkeit be|b72|nehmen, und ihnen eines Theils den großen Werth der Gottseligkeit in aller Absicht, und des Zeugnisses eines guten Gewissens, immer fühlbarer, andern Theils ihnen, durch Vorstellung, |c64| wie Vieles thätiger, ausharrender Fleiß, fortgesetzte Uebung und gewissenhafte Treue, unter Gottes uns nie entstehendem Beystande, vermöge, immer guten Muth machen.
47.
Bey dem Vortrag dieser Sachen, wenn er wirklich für die Zuhörer rührend werden soll, kommt es hauptsächlich darauf an: 1) sie auf ihren Gemüthszustand, besonders auf ihre eigenthümlichen und am meisten eingewurzelten, oder durch ihr Temperament und ihre besondern Umstände am meisten begünstigten Fehler aufmerksam zu machen; weil, ohne dieses zu erkennen, keine Reue und wahre Besserung mög|a650|lich ist, und gerade diese von einem jeden am meisten übersehen, oder am wenigsten als Fehler erkannt werden; 2) nicht nur das daraus entstehende Elend, sondern auch das ihnen begreiflich zu machen, daß und wie sie selbst daran Schuld sind, und wie viel auf sie selbst ankomme, um besser und glücklicher zu werden; und 3) daß und wie ihnen nur durch Besserung und durch die Religion könne geholfen werden. – Es giebt keinen Menschen, der nicht die Eitelkeit und das Leere sündlicher Vergnügungen, die üblen Folgen der Ausschweifungen, und selbst die wohlthätigen |b73| Wirkungen der Tugend, wenigstens dann und wann, sollte erfahren haben. Auch der schlechteste Mensch hat doch manchmal etwas Gutes gethan, und weiß, wie wohl ihm dabey gewesen ist, wenn er nach seinem Gewissen gehandelt, zumal sich selbst überwunden hat; er sieht doch, wie heiter und zufrieden rechtschaffne Menschen, auch bey traurigen Umständen, sind, und wie bald sie sich zu finden wissen, wenn sie nur recht und mit Ueberlegung verfahren wollen; er weiß, wie gut es ihm thut, wenn |c65| jemand sich gegen ihn rechtschaffen beträgt, und ist leicht zu überzeugen, welche Hölle aus der menschlichen Gesellschaft werden würde, wenn sich alle Menschen erlaubten, schlecht, oder, ohne sich einzuschränken, nur nach ihren Lüsten zu handeln. Er fühlt dies am meisten, wenn er die Folgen seines Leichtsinns und seiner Ausschweifungen erlebt; fühlt, was er ohne gutes Gewissen und Religion ist, wenn er in Gefahr oder Verlegenheit kommt; wird doch durch besondere Wohlthaten, die ihm |a651| wiederfahren, manchmal gerührt, und zu der Zeit geschmeidiger gemacht. Zu solchen Zeiten ihn anfassen, ihn an seinen erwähnten Erfahrungen fest halten, und dann ihm den großen Werth der Tugend und Religion lebhaft vorstellen, dies kan doch schwerlich ohne alle gute Eindrücke bleiben, die ihn zu rechter Zeit verfolgen werden. – Nur arbeite man nicht bloß auf seine Sinnlichkeit, und wenn man es thut, welches sehr nützlich werden kan, und oft unentbehrlich ist, so geschehe es mehr, um gute Eindrücke zu verstärken, als hervorzubringen.
|b74| c√ Es versteht sich von
selbst: daß man von Ausschweifungen nie so reden müsse, daß der Mensch erst solche dadurch lerne, die er vorher nicht kannte, und also auch nicht beging; daß alle Erbitterung der Zuhörer verhütet, und eben so sehr alle
Veranlaßung vermieden werde, sie muthlos zu machen, oder sie zu verleiten, daß sie denken, es treffe
sie etwas nicht; wohin alle
übertriebne Vorstellungen vom moralischen Verderben und alle zu allgemeine Behauptungen gehören.
Unerkannte Sünden und feinere,
unschuldig scheinende, oder
unschuldige, aber zu leicht dem
Mißbrauch unterworfne Ausschweifungen, sollten am meisten hervorgezogen werden. – Im Privatumgange und
bey besondern Vorfällen,
|c66| Krankheiten
u. d. gl.
kan der Lehrer mehr Gutes stiften als
bey öffentlichen Vorträgen. –
Bey letztern wird die Geschichte noch viel zu wenig benutzt. Wie viel recht eigentlich Rührendes
ließe sich über die
Geschichte vom
verlohrnen Sohn, vom
Falle Petri
, von der
Versuchung Christi
, über dessen Leidensgeschichte, selbst über die Geschichte des alten Testaments – mit discreter Anwen
|a652|dung auf die Umstände und Bedürfnisse
unsrer Zuhörer – sagen, wie sehr
sich dadurch der Vortrag unterhaltender, anschauender, individueller machen!
48.
Bey allen
denjenigen Veränderungen des menschlichen Lebens, die wir nicht nach Belieben und Ueberlegung hervorbringen, oder
verhindern, oder lenken können, und
bey dem Gefühl alles
|b75| desjenigen, was wir ohne unser Zuthun sind, bleibt uns nichts weiter übrig, als uns zu
unterwerfen; und – da das Gefühl der Leiden sich mit den Vorstellungen
unsrer doch möglichen Glückseligkeit nicht verträgt, und wir in so
ferne unglücklich sind, auch der Mensch zu selbstthätig ist, als daß er selbst dann, wenn er sich nur leidentlich verhalten zu können scheint, nicht wenigstens Etwas sollte zu seinem Besten thun können –
unsre Vorstellungen von unserm
Zustand zu berichtigen, oder unangenehmere durch
andre angenehmere zu verdrängen, oder das unangenehme Gefühl dieses Zustandes zu mildern, mit
einem Wort: uns vernünftig zu
beruhigen (§.
43 ). Alle Unruhe, Gram und Sorgen scheinen nur in den
drey Fällen zu entstehen: 1) wenn wir zu bemerken glauben, daß wir glücklicher seyn würden, wenn wir
frey von einem Uebel oder dessen
Gefühle, oder im Besitz und Genusse eines gewissen Gutes
wären; 2) wenn wir uns gewisser
|c67| Vergehungen bewußt sind, deren Andenken wir nicht vertilgen können, und deren Folgen
|a653| wir nicht abwenden zu können glauben; und 3) wenn wir,
bey allem Wunsch und Vorsatz uns zu bessern,
unsre Ohnmacht und die unüberwindliche Gewalt der bösen Gewohnheit fühlen. Uns vernünftig zu
beruhigen, ist daher zu
unsrer Glückseligkeit eben so unentbehrlich nothwendig,
als, uns zu
bessern.
Darauf in dem Vortrage der Religion zu arbeiten, ist also eine unumgängliche
Pflicht, und wer das wollte, müßte suchen, jenen
drey Ursachen der Gemüthsunruhe entgegen zu arbeiten.
|b76| 49.
Der
ersten Ursach. – Wenn wir unglücklich, oder nicht glücklich genug zu seyn glauben, und der Grund
beyder Uebel liegt
a) in unserm eignen freyen Verhalten, das wir abändern
können: so ist uns ohne wahrhafte Besserung unsers Herzens und Lebens schlechterdings nicht zu helfen. Was der Lehrer in Absicht auf die Beruhigung
solcher Zuhörer thun müsse, und um
diese Ursach ihres Mißvergnügens zu heben, das zeigen die obigen Regeln, wonach an der Besserung der Menschen zu arbeiten
ist (§.
44 bis
47 ). – Rührt aber das Elend, das wir empfinden, und das versagte Glück, das wir mit Schmerzen entbehren,
b) gar nicht, so viel wir wenigstens zu sehen vermögen,
gar nicht von unsrer Schuld her; läßt sich wenigstens auch durch
unsre Besserung jenes nicht verhüten oder wegschaffen, und dieses nicht erwerben: so steht
|a654| es doch unter der höchst weisen und gütigen Aufsicht der Regierung Gottes, der es über uns nie anders,
|c68| als wie ein höchst wohlthätiges und unentbehrliches Mittel zu unserm Besten, verhängt
hat; und
dies wird es in der Hand seiner Vorsehung gewiß, wenn wir uns unter diese demüthigen, und Ihn allein walten
laßen; ohne diese
wohlthätige Wirkungen durch
unsre Beschwerden und ängstliche Sorgen zu stören, und uns dadurch um unser von ihm
dabey bezieltes Glück, wenigstens um die ruhige Heiterkeit der
Seele, zu bringen, die aus dem stillen Zusehen, wie sich
|b77| nach und nach
alles so schön, so zu
unsrer Beruhigung, entwickelt und aufklärt, und aus der schon vorläufig dankbaren Erwartung des besten Ausgangs, entspringen würde.
50.
Ein Lehrer, der diese Gesinnung und deswegen richtigere und eindrücklichere Vorstellungen von der wahren Beschaffenheit der Uebel und ihrem Verhältniß gegen unser Bestes, unter der väterlichen Regierung Gottes, befördern wollte, müßte folgende und ähnliche Betrachtungen, durch öftere, mannichfaltige und einleuchtende Darstellung aus der ähnlichen, eigenen, wirklichen, oder leicht zu
erhaltenden, Erfahrung der Zuhörer, mit steter Rücksicht auf ihre
besondre Umstände und Bedürfnisse, anschaulich zu machen suchen. – Wie sehr sorgt Gott überall, sowohl durch die Mannichfaltigkeit der Dinge und ihrer
|a655| Eigenschaften, als durch das in uns gelegte Gefühl für ihre Reitze, nicht bloß für
unsre Nothdurft, sondern auch für
unsre Bequemlichkeit, Vergnügen und Ueberfluß?
– Wie viel hat jeder Mensch
insbesondre vor unzählichen Andern voraus, und, wo ihm Etwas abgeht, durch wie viel
andres, gerade für
ihn zuträglicheres, Gute wird
dies ersetzt?
–|c69| Wie viele ganz unerwartete, uns ohne unser Zuthun
wiederfahrne, oder, wenn auch dieses mitwirken muß, durch die schon zum voraus
gemachte Anlagen unsers Geistes und
unsrer Umstände, in welchen der Keim
unsrer künfti
|b78|gen Glückseligkeit und der Grund seiner
Entwicklung liegt, veranstaltete und erleichterte, oder ganz
wider den sichtbaren Gang der Dinge
ausgefallne, so sehr unverdiente Wohlthaten, erzeigt er uns? hilft uns aus so vieler Gefahr und Verlegenheit?
– Wie unendlich viele
unerkannte Wohlthaten
wiederfahren uns durch Abwendung unsers möglichen Unglücks, oder solcher Umstände, die es uns unvermeidlich bereiten würden, an welche zu denken und sie
bey Würdigung
unsrer Glückseligkeit mit in Anschlag zu bringen, uns, wegen Gottes
verborgner Wirkungen, nicht einmal in den Sinn kommt, und deren dereinstige Entdeckung uns überaus angenehm unterhalten, das Gefühl der wirklich genossenen Wohlthaten unendlich erheben, uns bis zur innigsten Rührung beschämen, und
unsre Dankbarkeit gegen Ihn erhöhen wird?
– Wie viele und
große Uebel sind mit vorzüglichen Fähigkeiten, Glücksumständen, Ansehen, weitläuftigen Verhältnissen
u. s. f.
verbunden, deren wir
|a656| überhoben sind, wenn uns nur ein eingeschränktes Glück zu Theil worden ist?
– Und
überhaupt leiden wir wirklich Mangel oder Verlust, wenn uns Etwas versagt ist oder entrissen wird? hatt' es den Werth, den wir darauf legten? würd' es den Werth für uns behalten haben? würd' es uns nicht an einem andern
größern Glück hinderlich
worden seyn?
51.
Und das Unglück, ist es nicht eine Quelle eines sonst nicht erhaltenen Glücks?
– Diente es
|b79| nicht, unserm Glück
|c70| beygemischt, die angenehme Empfindung dieses letztern zu erhöhen?
– Ists,
bey aller seiner Bitterkeit, nicht herzstärkende
Arzeney, wahre Schule der Genügsamkeit, der Vorsichtigkeit, der Klugheit, des gänzlichen
Anschließens an
Gott, ohne und
ausser dem doch
alles eitel ist, und aller Tugenden, wozu es uns sonst an
Veranlaßung und Uebung fehlt; ohne welches wir nie eifrig genug vorwärts zur wahren Vollkommenheit streben würden?
– Bey mißlungener Ausführung
unsrer guten Absichten,
bey mißrathenen Mitteln,
bey unerwarteter Richtung, die
unsre gutgemeinten Anstalten
nehmen, und selbst Uebel erzeugen, die wir nicht vorhersehen, oder denen wir entgegenarbeiten, von welchen wir gerade das Gegentheil befördern wollten, – ist da durchaus Alles verloren?
Haben wir, wenn gleich nicht
Alles, doch
Etwas, wenn gleich nicht
Dieses, doch etwas
Andres Gute, wenn gleich nicht vor der Hand, doch auf die Zu
|a657|kunft, wenn gleich nicht
bey Andern, doch
bey uns und durch
eigne Uebung im Guten, gestiftet?
Was
kan dieser ausgestreute,
verlohren scheinende, Saame, unter Gottes Pflege und Segen, hie und da, früh oder spät, für eine reiche und selige
Aerndte geben, von der uns jetzt noch gar nichts
träumet.
– Und,
bey dem,
ausser jenem
mißlungnen Guten, für jeden guten
Menschen, gerade schmerzhaftesten Unglück, das wir empfinden, wenn
unsre guten Absichten verkannt, nachtheilig gedeutet, oder wir durch ungerechte Bedrückungen gemißhandelt werden: sind wir denn
|b80| Gott nicht auch Opfer, aus Dankbarkeit auch
grosse Aufopferungen, ihm auch darin Nachahmung schuldig, daß wir Versündigungen Anderer gegen uns dulden?
– Ist es nicht gegen Gott Dankes werth, wenn er uns dadurch von der Eitelkeit, Selbstsucht und
c√ Anhängen von Meinungen
|c71| und Willen der
Menschen, abzieht, und uns aus Pflicht, um Seinetwillen, zu handeln gewöhnt? Erhebt nicht eben diese Gesinnung und Art zu handeln,
wobey es uns nur darum zu thun ist,
recht zu handeln, und unser höchster Wunsch,
Ihm werth zu seyn,
unsre Seele recht eigentlich zu der höchsten Würde des Menschen?
– Können wir nicht eben darum auf desto größre Vergeltung und darauf desto gewisser rechnen, je weniger wir durch irgend etwas Vergängliches belohnt waren; und muß sie uns nicht desto
angenehmer fallen, da sie nicht
bloßer Zufall, sondern Belohnung, Belohnung von dem ist, der allein höchst gerecht richtet?
|a658| c√ Es versteht sich, daß alles in diesen
beyden §§. Gesagte nur Hinweisung
sey auf gewisse Gesichtspunkte, woraus man die Leiden vorstellen müsse; die jedesmalige Gelegenheit muß es einem verständigen Lehrer zeigen, aus welchem am wirksamsten könne Beruhigung geschöpft werden. Diese Punkte recht anschaulich und eindrücklich zu machen, ist
freylich sehr
schwer, es scheint selbst – aus mehrern Gründen, die sich hier nicht erklären
laßen – weit
schwerer, jemanden
wahrhaftig durch Vorstellungen zu
beruhigen als zu
bessern. Erregte
|b81| Aufmerksamkeit auf den Lauf der Dinge in der Welt thut
bey Leidenden sehr
viel; aber ohne feste innige Ueberzeugung von Gottes Vorsehung und von der
Ewigkeit wird sie immer wenig zur Beruhigung wirken, oder Leidende nur gleichgültig und leichtsinnig machen. Kurze, fruchtbare Sentenzen, zumal wenn sie den Zuhörern
geläufig, und von ihnen oft zu
ihren Trost gebraucht sind, zu rechter Zeit angebracht (
z. B.
Jonä 4, 10. 11. Matth. 18, 11
f.
1 Tim. 1, 15.
16 u. d. gl.
) – nebst dem Ansehen und Vertrauen, das der Lehrer, zumal
bey fleißiger Hausbesuchung der Elenden, sich als ein gesetzter,
erfahrner und mitleidender Mann erworben hat, wirken in solchen Fäl
|c72|len mehr als die bündigsten Predigten. Man
kan daher junge Lehrer nicht genug auf Vorsichtigkeit und Mäßigung im
Umgang mit Leidenden aufmerksam machen, und sie warnen, nicht zu viel von der
schönen Welt, von der
Freude, wozu der Mensch geschaffen ist, von
milzsüchtigen Klagen u. s. f.
zu
reden. Junge Lehrer haben ohnehin schon das Vorurtheil einer noch nicht genug reifen Erfahrung, jugendlicher Flüchtigkeit, und, weil sie noch in
wenigen entweder die zarte Empfindung nährenden oder sehr drückenden Verbindungen stehen, nicht genugsamer
|a659| Theilnehmung, gegen
sich, – Röm. 12, 15. 1 Tim. 5, 1. 2.
52.
Wird jemand durch das Andenken seiner Vergehungen, auch wohl wissentlicher und grö
|b82|berer Verbrechen, oder der selbst unvertilgbar scheinenden Folgen derselben
bey sich oder Andern, beunruhigt – welches das
zweyte war (§.
48 ): – so müßte ihm der Lehrer 1)
den eigentlichen Inhalt des Evangeliums, das ganz eigentlich zur Absicht hat, diese Bekümmernisse zu heben, fleißig und einleuchtend vorstellen; vorzüglich, wie Gott seine Gnade auch dem Unwürdigsten (dem, der es
sogar nicht
verdient,) zugedacht,
wie unser Heiland sich nicht für einen Arzt der Gesunden, sondern der Kranken erklärt habe, nicht nur keinen
hinausstossen wolle
wer zu ihm kommt, sondern auch gekommen
sey, aufzusuchen, was sich
verlohren habe,
u. d. gl.
2) Und wenn ein solcher zweifelte, ob jene
göttliche Verheissungen ihm zukämen: so müßte er ihm diese Besorgniß dadurch benehmen, daß er
ihm darauf führte: – schon
dies sey ein Zeichen, wie ihn Gott nicht
verlaßen habe, daß er nicht fühllos
sey gegen das Andenken seiner Vergehungen, noch gleichgültig gegen Gottes Gesinnungen gegen
|c73| ihn: – er würde bis zu dieser Unruhe des Gewissens nicht einmal gekommen seyn, ohne
besondre Umstände, die dieses Gewissen aufweckten, und die ja alle unter der väterlichen Regierung Gottes
|a660| standen;
– und Gott
veranstaltete keine Mittel wozu, wenn er nicht auch die Absicht wolle, worauf diese abzielen. Er müßte ihm 3) zeigen, wie sehr Gott
bey allen solchen Hülflosen auf den
Glauben dringe, und wie
dies – gerade wie
bey dem Verhältniß des Arztes und des Kranken, des Vaters und des
Kindes, – das Bil
|b83|ligste
sey, was Gott fordern, und das
Leichteste was ein Hülfloser leisten könne, sich an
den Gott zu halten, und
dem ganz zu
überlaßen, der unerschöpflich, wie an Güte, so an Mitteln ist, dem Menschen zu helfen, und von dem er ja
ohne dies in aller möglichen Rücksicht abhänge; daß es auch 4) der erste Schritt zur wahren Besserung
sey, dadurch
gerecht zu seyn gegen Gott und gegen sich selbst, daß man geduldig die natürlichen Folgen trage, die man sich selbst zugezogen habe, und es Gott zutraue, daß er uns auch dadurch wolle zur Besserung leiten. Er müßte endlich 5), so viel es immer die Fähigkeiten und Kenntnisse
der Bekümmerten erlauben, ihnen, besonders durch ihre
eigne Erfahrungen, begreiflich
machen: wie sehr es Gott in seiner Gewalt habe,
selbst schädliche Folgen böser Handlungen durch die unter seiner Regierung stehenden dazwischenkommenden Umstände abzuwenden; auch das, was auf
unsrer Seite unrecht ist, zu Mitteln zu machen, die viel Gutes stiften, welches ohne jenes nicht würde erfolgt seyn; auch dadurch,
– daß er uns diese Wendung, die
unsre Vergehungen nehmen, dereinst wird erkennen
laßen, und durch unsere auf
unsre wahre Besserung und an
|a661|gestrengtern Fleiß zum Guten erfolgte
größere|c74| Glückseligkeit und deren lebhafte Empfindung, – das schmerzhafte Andenken an
unsre Vergehungen und deren Folgen zu schwächen, oder ganz auszulöschen, oder dadurch die Empfindung
unsrer Seligkeit zu erhöhen, so daß wir begreifen, wie wir
dahin nicht würden gekommen seyn,
|b84| wenn Gott nicht, indem er uns tief fallen ließ, unsern Fleiß und Eifer im Guten erhoben hätte.
53.
Endlich in dem
dritten Fall (§.
48 ), wenn jemand durch das Gefühl seiner Ohnmacht, der Macht böser Gewohnheiten, nicht merklicher Fortschritte im Guten, oder durch Wahrnehmung so oft gescheiterter und nicht ausgeführter guten
Vorsätze, niedergeschlagen
würde: müßte der Lehrer 1) allen Fleiß anwenden, um, mit der möglichsten Sanftmuth, Theilnehmung und Schonung seiner Schwachheit, ihm die Vorurtheile zu benehmen, die
hauptsächlich dergleichen Muthlosigkeit
hervorbringen oder
c√ unterhalten
†) . – Und wenn er weiß oder merkt, daß diese zu tief eingewurzelt, und so mit den guten Kenntnissen und Gesinnungen desselben verschlungen sind, daß zu besorgen ist, diese möchten darunter leiden, wenn man jene angriffe, oder der Versuch, jene auszurotten, möchte ihn gegen den Lehrer einnehmen: – so mache er ihn aufmerksam darauf, wie oft die besten Gedanken und Grundsätze uns zu weit führen können, und wie nöthig er habe,
|a662| auf seiner Hut zu seyn, um nicht durch gänzliche Unthätigkeit sicher, durch
unterlaßenen Gebrauch auch geringer Kräfte, die ihm Gott giebt, und ermunternder Umstände, untreu und undankbar gegen ihn zu werden, oder Gott durch zu weit getriebene Forde
|c75|rungen und Erwartungen zu versuchen.
– Er suche ihn wenigstens dahin zu brin
|b85|gen, die Gelegenheit, immer mehr sich selbst und Gottes Willen erkennen zu lernen, jede Aufmunterung zum Guten, besonders zum Fleiß und zum Vertrauen auf Gott, und den Umgang mit redlichen, heitern und solchen Christen zu benutzen, die sich aus ihren Erfahrungen einen Schatz von wahrer Klugheit
gesammlet haben, und die Fähigkeit besitzen, sich theils zu Anderer Bedürfnissen und Schwächen
herabzulaßen, theils vernünftige Rechenschaft von ihrem Rath und Belehrung zu geben. 2) Er suche ihm besonders durch sehr klare Grundsätze,
vornemlich aus der Bibel, durch
Beyspiele Andrer, die mit ihm in gleichen Umständen waren, und durch die
nemliche Erfahrungen, die er selbst müsse gehabt haben, einleuchtend zu machen: wie
herablaßend und billig Gott
sey, der mehr nicht
fordert als der Mensch
vermag, nicht ärndten will wo er nicht gesäet, oder den Saamen dazu gegeben hat; wie
Gott so oft durch
c√ Umwege und anhaltende Prüfungen den Menschen zum Ziel
führe, und recht reif zum Guten mache; wie die wahre Besserung nie anders als allmählig, nach vielem Fallen und
Wiederaufstehn, erfolge, und in dem Grade fortrücke, gründlicher und merkbarer wer
|a663|de, in welchem der Mensch auch mit wenigen Kräften treu umgeht; und wie durch
jedes auch
geringe Fortrücken in der Besserung, was uns schwer oder unmöglich schien, immer leichter werde. 3) Er stelle das, was der Mensch an seinem Theile thun muß, immer mehr auf der angenehmen Seite und nach den
großen Vortheilen
|b86| vor, die jeden redlichen Fleiß gewiß belohnen, je nachdem er weiß, daß die Vorstellung dieses oder
jenes Vortheils
bey dem Bekümmerten den meisten Eindruck mache. 4) Er begnüge sich endlich nicht mit
bloßen Ver
|c76|mahnungen und Aufmunterungen, sondern zeige dem
Unentschlossenen und Muthlosen, wie er seine Pflichten ausüben, oder sich deren Ausübung erleichtern könne.
†) Dergleichen sind: daß Gott die Seligkeit oder Verdammniß der Menschen und die Mittheilung wirksamer Kräfte, nach bloßem Willkühr bestimme; daß die Besserung des Menschen allein von Gott abhänge, und man durch eigne Thätigkeit sein Werk störe und hindre; daß die Tugenden und guten Handlungen der Menschen (nicht etwa nur immer unvollkommen seyn, sondern) gar keinen Werth vor Gott haben; daß der gute und schlechte Zustand des Menschen nach sinnlichen, freudigen oder traurigen Gefühlen müsse entschieden werden; daß alle Theilnehmung an sinnlichen Vergnügungen, die sehr leichten Mißbrauch unterworfen sind, sündlich sey; nebst so manchen Mißverständnissen vom allein seligmachenden Glauben. Sehr oft, vornemlich bey dem Unterricht der Kinder, kan der Lehrer schon viele dieser falschen Vorstellungen verhüten, zumal wenn er vorsichtig genug bey dem Vortrage der Lehre |a664| vom natürlichen Verderben des Menschen ist; und hiebey, so wie bey Wegräumung solcher schädlichen Vorurtheile überhaupt, wird ihm eine gehörig bestimmte Kenntniß der Religion, ein vorsichtiger Gebrauch gemachter |b87| Erfahrungen, behutsame Entfernung mystischer und ähnlichen Schriften aus den Händen seiner Zuhörer, und Empfehlung solcher Schriften, die nicht sowohl jene Vorurtheile bestreiten, als vielmehr gleich reinere Begriffe vom praktischen Christenthum geben, sehr zu Statten kommen. c√
|c77| 54.
Alle auf die bisher beschriebene Art gemachten guten Eindrücke würden doch dem
großen Zweck des erbaulichen Vortrags nicht völlig entsprechen, wenn sie nicht
dauerhaft würden, und in feste
Grundsätze und
Gesinnungen übergingen. Dieses zu bewirken, möchten folgende Mittel am dienlichsten seyn.
Zuerst, daß aller Vortrag so eingerichtet werde,
daß ihn die Zuhörer leicht übersehen, und sich dessen wieder erinnern können.
Hiezu würde 1) schon vieles thun, wenn der Vortrag nicht zu lang, nicht verwirrt wäre, nicht zu viele Abtheilungen, und nicht zu
vielerley Sachen enthielte, hingegen wohl zusammenhinge,
c√ so daß ein Gedanke leicht und natürlich auf den andern führte, auch die Hauptsachen
umständlich aus einandergesetzt, und auf
mannichfaltige Art erläutert und eindringlich gemacht
würden †) . 2)
wenn der Prediger die Kunst verstünde, die Aufmerksamkeit der Zuhörer durch eine gewisse wirklich nutzbare Neuig
|a665|keit der Sachen und des Vortrags zu fesseln; weil eben das Neue besonders die Aufmerksamkeit reitzt, und man es gern wiederholt, es sich
|b88| einzudrucken, geläufig zu
machen, und anzuwenden sucht.
††) 3)
wenn er sich
vornemlich an einige kurze Kernsprüche hielte, die den Zuhörern bekannt oder leicht zu behalten wären, und sie, nicht bloß durch öftere Wiederholung, sondern
vornemlich durch die möglichste Verdeutlichung, und Zurückführung oder Anwendung auf besondere Fälle, anschaulich und interessant zu machen suchte; und 4) auch darin
das Beyspiel des
größesten Musters, Jesu
, nachahmte, daß er
alles, was er den Zuhörern nützlich oder nöthig findet, mehr gelegentlich,
d. i.
bey einzelnen vorkommenden Fällen, wo die Umstände des
z. B.
|c78| kranken,
niedergeschlagnen etc.
Zuhörers es
veranlaßen, und was oder wie es den Zeitumständen und Bedürfnissen des Zuhörers am
gemäßesten ist, vortrüge.
†) Anm.
1. Je mehr sich der Lehrer gewöhnt,
alles, was er sagen will, vorher wohl
durchzudenken, und je mehr er Achtung gegen die Sachen, wie gegen seine Zuhörer und deren Bestes hat: je mehr wird er diese erste Regel beobachten. – Hätten die vor Haltung des Vortrags gedruckten
Predigtentwürfe
nicht manche
andre Unbequemlichkeiten, und wären sie gut – mit Rücksicht auf das in dem §. selbst
erwähnte, – eingerichtet: so könnten sie die vorläufige Aufmerksamkeit auf die Predigten und die Wiederholung des Gepredigten sehr befördern. Selbst die Gewohnheit,
bey dem Unterricht in der Religion, ein besonderes gut zusammenhängen
|a666|des und mit bestimmter Kürze
|b89| geschriebnes Buch, und
bey Predigten einen
Text, zum Grunde zu legen, erleichtert das Behalten desjenigen, was gesagt ist.
Anm.
2. Die sogenannte
synthetische Methode
bey dem Vortrag der Religion hat
freylich auch ihre Vortheile.
Vollständiger und zum Theil
bestimmter laßen sich
dabey die Sachen ausführen, und, hätte man lauter oder meistens solche Zuhörer, die hauptsächlich weiter aufgeklärt zu werden wünschten, und gewohnt wären, immer im Zusammenhange zu denken: so wäre sie
dann die schicklichste, wenigstens die zwangloseste
Methode. Aber die
analytische, die einen biblischen Text zum Grunde legt, und sich überall an diesen hält,
– befördert doch das bessere Behalten, und giebt dem Zuhörer ein gutes Mittel, durch dessen Hülfe er sich an das Gesagte besser wieder erinnern
kan; – sie gewöhnt ihn mehr an die Bibel, deren kurze, edel und anschaulich
ausgedruckte Kernsprüche mehr wirken als allgemeine Sätze, und Ausführung derselben, die im Allgemeinen stehen bleibt; (man weiß ja, was Sprüchwörter, Verse, Fabeln, Geschichten thun, wie leicht sie
|c79| sich dem Gedächtniß und der Einbildungskraft wieder darstellen, wie sie sich an alle Vorfälle des Lebens anschlingen, wie leicht in Grundsätze und Gesinnungen
übergehn); – und, was das Vornehmste ist, sie lehrt und gewöhnt ihn, seine Bibel nun selbst fleißig zu lesen, sie besser zu verstehen, und, wie er es nach und nach
seinen Lehrer abgelernt hat, sie in beständiger
Anwendung auf sich zu
brauchen, wodurch er die
|b90| Erbauung fortsetzen, und sich selbst erbauen
lernt; ohne welche Uebung selbst der beste Vortrag wenig
dauerhafte Eindrücke machen, und die Andacht des Zuhörers nur an Gelegenheiten binden, nie aus ihr etwas
|a667| Ganzes machen wird. Je
seltner die Bekanntschaft mit der Bibel, ihrem wahren Verstande und ihrem so weit greifenden höchst fruchtbaren Inhalte wird; je mehr die Gewohnheit abnimmt, über sie und ihren unerschöpflichen Reichthum wahrhaftig praktischer Ideen nachzudenken, und sie auf alle Angelegenheiten des Herzens anzuwenden; je mehr die Einbildung überhand nimmt, daß man
alles am besten aus sich selbst herauswickeln könne, und der Wahn, daß es ein Zeichen eines
größern und gründlichern Kopfes
sey, alles von
vorne her und aus der Natur der Sache zu erkennen, und im Zusammenhange zu denken; je herrschender der Geschmack an
bloßer Aufklärung wird, und je mehr die Anwendung der bessern Kenntnisse auf wirkliche Besserung des Herzens
vernachläßigt wird:
je weniger ists zu verwundern, daß analytische Predigten immer seltner werden. Wiewohl die synthetischen auch leichter sind. Man braucht dazu (wie sie wenigstens gemeiniglich sind) nur wenige, allgemeine
Sätze; bedarf wenig oder gar keiner exegetischen Kenntnisse, keines mühsamen Studiums der Erfahrung, keines feinern Studiums des, nach den individuellen Umständen, so
äusserst verschiednen menschlichen Herzens, und der besondersten Bedürfnisse desselben, keiner vielfältigen Uebungen, den Vortrag diesen
anzuschmiegen, und, je dürftiger man an Kenntnissen und unreifer zu
|b91| einem wahren Religionslehrer
|c80| ist,
je besser kommen dem Geistesarmen die allgemeinen und unter gewisse Hauptpunkte geschichteten Belehrungen von Universitäten her, zu Statten. Aber ob es für den
Zuhörer mehr frommt? –
Anm.
3. Es ist hier nicht die Rede von Befriedigung
bloßer Wißbegierde oder Neugier über
ausserordentliche und unbegreifliche Sachen,
|a668| oder über Fragen, die eben jedesmal zu einer gewissen Zeit die Aufmerksamkeit des Publikums beschäftigen, und dessen Meinungen
theilen; noch von parodoxen Behauptungen oder raschen und auffallenden
Aeusserungen, die der Zuhörer wenigstens in
dem Zusammenhang nicht erwartet. Denn alles
dies ist dem
Zweck des Religionsvortrags, der Erbauung, so wenig, als eigentliche Gelehrsamkeit, gemäß; oder zerstreut die Zuhörer mehr, zieht
wenigstens ihre Aufmerksamkeit von wichtigern Hauptsachen ab; und schadet oft, weil es fremdartig und
vielen anstößig ist, dem Vertrauen auf die Weisheit und Andacht des Lehrers. – Ich meine nicht einmal Predigten über die sichtbare Natur, über Aberglauben und
andre besondre Ausschweifungen des gemeinen Lebens, über bürgerliche Pflichten und Gegenstände, oder irgend etwas Nützliches, das doch nicht eigentlich zur Religion gehört. Hängt es irgend mit der Religion
zusammen: so verdient
es, sowohl als Religion selbst, gepredigt, wenigstens zur Beförderung der wahren Religion und
Erbauung benutzt zu
werden; sofern es den Kenntnissen und Bedürfnissen der Zuhörer gemäß ist,
|b92| oder gemacht werden
kan; und sofern es mit Mäßigung und Würde geschieht, nicht den Vortrag der Religion selbst verdrängt, der doch die öffentlichen Vorträge eigentlich gewidmet sind, und nur so selten geschieht, daß der Geschmack der Zuhörer nicht verwöhnt, und von den eigentlichen Religionsvorträgen abgezogen wird. –
Neuigkeit verstehe ich
hier wirklich im eigentlichen erbaulichen Vortrage der Religion. 1)
Schon von den dahin
|c81| gehörigen
Sachen selbst kan vieles neu seyn. Der gewöhnliche Religionsunterricht in Schulen und Lehrbüchern ist noch sehr eingeschränkt, ist eigentlich nur Grundlage des weitern Unterrichts, durch den ein Christ immer mehr auch
|a669| in der Erkenntniß wachsen soll. Von vielen wichtigen Sachen (
z. B.
dem richtigen
praktischen Begriff des
Glaubens, und was
wir thun
können ihn hervorzubringen und zu nähren, von
Genügsamkeit, von
wahrer Ehrliebe, von
Standhaftigkeit gegen herrschende unschuldig scheinende Gewohnheiten, und dem weisen Kampf dagegen, von der Pflicht,
alles was man, auch in seinem Beruf, thut,
gut zu machen, von vielen
unerkannten Sünden und Wohlthaten Gottes, und tausend andern Sachen) wird auf den Kanzeln und
bey Katechisationen wenig oder gar nicht geredet. Auch
bey bekannten und oft zu wiederholen nöthigen Lehren und Anstalten
Gottes, ließe sich viel Lehrreiches über Gottes Absichten
dabey sagen,
es ließen sich viele unerkannte Pflichten und Tröstungen daraus herleiten
u. d. gl.
Und
kan wenigstens der Lehrer nicht, gleich durch die Anwendung der Lehren
und durch die Situationen, in die er
|b93| die Zuhörer
dagegen bringt, viel Neues sagen, das immer den Zuhörer unterhält, woran dieser schwerlich selbst gedacht hätte, und sich doch immer getroffen, immer das auf diese Art
Gesagte, für sich brauchbar
findet? Eben so
kan 2) in den
Vortrag Neues gebracht, es können bekannte Sachen durch neue Beweise, durch neue Anwendung der biblischen Texte, durch neue Motive unterstützt, durch dazu gewählte Geschichten und
Beyspiele aus der Bibel, durch
besondre Fälle aus dem gemeinen Leben
u. d. gl.
anschauender und lehrreicher gemacht werden. (Wie wenig mag
z. B.
Marc. 9, 38
f.
auf die Duldung und billige Beurtheilung derer, die
anders, als
wir, in der Religion denken, 1 Kor. 7,
23. auf die Pflicht des Kampfs gegen Mode und
Beyspiele,
Kap.
8, 1
f.
auf den Mißbrauch der Aufklärung
etc.
angewendet worden seyn?
und wie viel Lehrreiches liegt noch in der Geschichte der Apostel und in an
|c82|dern biblischen
Geschichten? nicht nur
|a670| in den Sätzen, sondern auch in der ganzen Stellung und Verbindung derselben in der Bibel?) – Wer sich
gewöhnt über
alles, und besonders über den Inhalt der Bibel und des menschlichen
Lebens, nachzudenken, und
beydes täglich zu studieren, fleißig selbst an seiner
eignen Erbauung zu arbeiten, die Religion überall anzuwenden, und
allenfalls sich, nicht gemeine Bemerkungen, die irgend etwas Neues lehren, oder ein neues Licht worauf werfen, aufzuzeichnen, um sie gelegentlich
bey seinen Zuhörern zu
brauchen: dem wird, viel Neues zweckmäßig zu sagen, so schwer nicht seyn können.
c√
|b94| 55.
Sehr viel
tragen zur Befestigung guter Eindrücke
auch 2) (§.
54 ) die dem Vortrag eingedruckten Spuren der eignen Ueberzeugung des Lehrers von der vorgetragenenen Wahrheit und ihrem Werthe
c√, und
seines Interesse für das Wohl der
Zuhörer, bey. Theilnehmung
wirket wieder Theilnehmung, und wenn wir merken, daß jemand angelegentlich zu unserm Besten arbeitet, so giebt unser
eignes Interesse, und die Vorstellung von dem Lehrer, als unserm
Freunde, einen mächtigen Reitz, seine Gedanken weiter zu
verfolgen; zumal, wenn uns die Sache ohnehin schon anzieht, und die durch den Vortrag durchscheinende Ueberzeugung des Lehrers
unsre Meinung von der Wahrheit und Wichtigkeit des Gehörten bestätigt. Selbst die Wärme und noch vielmehr die ruhige Heiterkeit des Geistes, die den Verdacht des Gesuchten und Künstlichen ausschließt,
|c83| fesselt die Aufmerksamkeit, und macht
|a671| uns geneigt, den ersten angenehmen Eindruck zu wiederholen, und darüber weiter nachzudenken. Wer es dahin
bey dem Zuhörer bringen will, muß selbst von dem, was er sagt, und
vornemlich von dessen Werth, lebendig überzeugt seyn, die Sache wohl und praktisch durchdacht haben, und in dem Augenblick, wo er sie vorträgt, ganz
dabey, und von ihr eingenommen seyn.
Dies und ein wohlwollendes Herz sind die Haupterfordernisse
dabey; lebhafte Einbildungskraft und Reichthum der Sprache, den er in
seine Gewalt
|b95| hat, unterstützen es. Das
Aeussere giebt sich alsdann von selbst. Etwas
kan auch dazu
beytragen, wenn man das Gemüth vorher in die gehörige Ruhe setzt, und durch Lesung
körniger Stellen aus der heiligen Schrift, oder ähnlicher Schriften, seinem Geiste Nahrung giebt.
c√ Die hier
beschriebne Eigenschaft des Vortrages ist
ohngefehr das, was die Franzosen mit dem mystischen Namen der
Salbung belegen. Die Kraft, welche dauerhafte Eindrücke hervorbringen soll, liegt in der vorgetragenen Sache selbst, und muß von dem Lehrer hervorgezogen oder entwickelt werden. Ist jenes
nicht, und geschieht
dieses nicht; wirkt der Vortrag bloß auf die
Sinne, oder Einbildungskraft der Zuhörer: so mag er betäuben und
hinreissen, dauerhafte Eindrücke wird er nie machen.
c√
56.
Auch der lebhafteste Eindruck verliert
in die Länge seine Kraft, und wird durch
andre neue und lebhaftere Vorstellungen geschwächt oder ver
|a672|drängt. Man
kan ihn nur dadurch befestigen, daß man ihn gleich, wenn das Gemüth noch ganz davon eingenommen ist, in Ausübung
bringt; daß man, wenn
dies nicht gleich geschehen
kan, ihn mit seinen Gedanken verfolgt, ihn sich dadurch geläufig macht, und ihn in Empfindung verwandelt
; daß man ihn endlich
öfters, durch
alles, was die Andacht unterhält, wieder auffrischt. Alles dieses zu befördern, wäre also das
3te (§.
54. 55 ), was der Lehrer zur Erhal
|b96|tung des guten Eindrucks thun müßte. Er bewege den Zuhörer, gute Vorsätze (
z. B.
sich mit seinen Feinden auszusöhnen, Almosen zu geben, seine Angelegenheiten Gott zu
empfehlen), ohne Aufschub zu vollziehen. Er suche durch
a√ Gebet, durch wohlgewählten Gesang, durch den Genuß des heiligen
Abendsmahls u. d. gl.
die guten Eindrücke
bey den Zuhörern zu befestigen. Er empfehle ihnen durch sein
Beyspiel religiöse Uebungen, Lesung der heiligen und anderer, ihren Fähigkeiten
angemeßnen, Schriften, Besuchung des öffentlichen Gottesdienstes, frommen Umgang, Nachdenken über alles Gehörte oder Gelesene, in beständiger Beziehung auf sie
|c85| und die Bedürfnisse ihres Geistes und Herzens; erbiete sich gegen sie zu weiterer
Belehrung; und nehme Gelegenheit,
bey schicklichen
Veranlaßungen sich mit ihnen über das, was ihre
besondre geistliche Wohlfahrt
betrift, näher zu unterhalten.
|a673| 57.
Wer die Pflichten eines guten christlichen Volkslehrers, nach dem bisher Gesagten, erfüllen wollte, müßte – ein Mann von gesundem Verstande; – von gutem Geschmacke, oder richtigem Gefühl des Schicklichen und Unschicklichen; – selbst klarer Begriffe fähig, und gewohnt seyn, klar und ordentlich zu denken; – eine ausgebreitete, richtige, bestimmte, anschauende und praktische Erkenntniß der Religion; – vornemlich Interesse für Wahrheit, besonders |b97| in der Religion, und für alles Gute; – die Gabe sich gut auszudrucken, und daher auch hinlänglichen Reichthum der Sprache, besitzen; – selbst von Herzen fromm seyn, und die eigentliche Absicht haben, auch andre Menschen dahin zu bringen; – endlich, so viel als möglich, die Fähigkeiten und Bedürfnisse seiner Zuhörer kennen, – und nach diesen seinen Vortrag einzurichten verstehen. – Alsdann könnte er allenfalls eines besondern Unterrichts der Homiletik und Katechetik, so wie guter Beyspiele im Vortrage, entbehren, und eigne Uebung würde diesen Abgang ersetzen können; ohne welche und ohne jene Eigenschaften, bloße Anweisung und Beyspiele ihn nicht zum guten Lehrer des Volks machen können. Aber, – wenn auch jene Eigenschaften nicht so selten, und nicht noch seltner beysammen wären: – so bedürfen sie doch einer mehrern Ausbildung durch den Unterricht, Rath und Beyspiel|c86| Anderer, die mehr Geschicklichkeit, Kenntniß und Erfahrung haben; – und ein besondrer|a674| Unterricht über die Einrichtung des guten Vortrags kan, wie bey allen Wissenschaften, das Studium desjenigen, was dazu erfordert wird, sehr erleichtern. – Selbst, wenn ein junger Mann sich bloß nach guten Beyspielen bilden wollte, müßte er, – um nicht in seiner Wahl zu irren, und gute Eigenschaften der Predigten, oder ihre Fehler, zu übersehen, jene zu vernachläßigen und diese anzunehmen, – doch erst auf beyde überhaupt aufmerksam gemacht worden seyn. – Vornemlich giebt es so viele Vorurtheile darüber, |b98| die auf Unwissenheit, verdorbnen Geschmack, und der so allgewaltig wirkenden Mode beruhen, daß es schon deswegen nöthig ist, frühzeitig sich um gesunde und feste Grundsätze von der wahren Vollkommenheit des Religionsvortrages zu bewerben.
c√ Gut eingerichtete Vorlesungen über die
Homiletik von einem Lehrer, der ein eben so guter Theoretiker als Praktiker wäre,
der nicht bloß zur Wohlredenheit, sondern zu wahrer nützlicher Beredtsamkeit, oder vielmehr zu rechter Einrichtung des
erbaulichen, zusammenhängenden oder Gesprächsvortrags der Religion, Anweisung gäbe,
der nicht sowohl Kunst als Befolgung der Natur, auch in diesem Stücke,
lehrte; gute Grundsätze durch wohlgewählte
Beyspiele deutlich und anschaulich
machte; auch, wenn es seyn
könnte, die nöthigen Uebungen der Zuhörer unter seiner Aufsicht, damit verbände – nebst dem
Umgang mit erfahrnen und in dieser Art bewährten Predigern – würden hier am diensamsten seyn.
Gute Anweisungen dazu findet man vorzüglich in den Grundsätzen zur Bildung künftiger Volkslehrer, Prediger, Katecheten und
Pädagogen, von Georg Frie|a675|drich Seiler ,
2te Auflage, Erlangen, 1786.
gr.
8.; und in ⌇c Aug. Herm. Niemeyers Handbuch für christliche Religionslehrer, zweyter Theil,
(auch unter dem Titel: Homiletik, Pastoralanweisung und Liturgik,) Halle 1790
in 8. c√ ⌇⌇c Unter den rhetorischen
Vorlesungen, die wenigstens zur
feinern Bildung des Predigers dienen, verdienen
Hugo Blair's Vorlesungen über Rhetorik und schöne Wissenschaften, (aus dem Englischen übersetzt von
|b99| K. G. Schreiter ,
Liegnitz, 1785 bis
1788
in 3
Theilen,
gr.
8.)
vornemlich studieret zu werden.
c√
58.
Eben so
großen und vielleicht noch
mehrern Nutzen, als Anweisungen zum erbaulichen Vortrag, haben gute
Muster von
Predigten und
Katechisationen; weil es dem Anfänger schwerer fällt, gute Grundsätze und Regeln wohl anzuwenden, als sie zu
verstehen, oder überzeugend einzusehen; weil es den
meisten leichter wird, sich nach
Beyspielen als nach Grundsätzen zu bilden; und weil gute
Beyspiele mehr Lust zur Nachahmung machen, und den Fleiß in ähnlichen Versuchen ermuntern. Manches,
z. B.
|c88| die Kunst, den Vortrag concret zu machen,
d. i.
allgemeine Sätze auf besondere Umstände und Bedürfnisse der Zuhörer zurück zu führen, läßt sich auch nicht durch Regeln, wohl aber aus
Beyspielen lernen. Man müßte nur
bey dem Gebrauch derselben 1) in der Wahl vorsichtig seyn. – Es giebt Predigten, die eher gelehrte oder scharfsinnige Untersuchungen, eher Meisterstücke der Kunst, als Predigten sind, die also,
|a676| wenn es uns um
eigne Belehrung, Ueberzeugung und Erbauung überhaupt, oder um Fortschritte in den schönen
Wissenschaften, zu thun wäre,
für uns unterhaltender und nützlicher seyn
mögen; die es aber deswegen nicht sind, sofern wir unsern Vortrag zu
Anderer Erbauung darnach bilden wollen. Oft täuscht auch der berühmte
|b100| Name; denn selbst die musterhaftesten Prediger sind es nur in gewisser
Absicht; sie sind es auch nicht in allen ihren Arbeiten, und ihre früheren Versuche kommen selten ihren spätern und reifern Früchten
bey. Und sehr oft verursacht die Mode und herrschende Gewohnheit, welche auf manche gute Eigenschaften einer Predigt einen zu
großen Werth legt, nebst der Neigung zu dem, was uns leichter wird, oder mehr nach unserm Geschmack und
c√ Fähigkeiten ist, daß man sich nur an Eine
Art, (populärer
Predigten z. B.
die oft sehr arm an Sachen, richtigen und bestimmten Gedanken, und um so reicher an Worten
sind), hält, und
andre, aus welchen man mehr
lernen könnte und sollte,
vernachläßigt. Man müßte also, wenn es uns wirklich Ernst wäre, in aller Absicht,
c√ auch als
Prediger, vollkommen zu werden,
mehrere Arten von nachahmungswürdigen Predigten oder Katechisationen, nach den oben beschriebenen Eigenschaften, studieren,
vornemlich die, welche nach unserm besondern Beruf, und der Art der Zuhö
|c89|rer, mit welchen wir zu thun haben, uns am nöthigsten sind, und die sich durch solche Eigenschaften auszeichnen, an welchen es uns noch mehr als
a√ andern fehlt.
|a677| 59.
Aber man müßte sie 2) nicht eigentlich
c√ nachahmen,
d[.] i.
seine Art zu denken, zu empfinden, und sich
auszudrucken, nicht nach Andern stimmen, nicht Natur mit Kunst vertauschen wollen. Denn –
ausser dem, daß eine solche
|b101| Begierde nachzuahmen, gemeiniglich auf das
Eigenthümliche c√ eines Predigers fällt, welches sich ohne unnatürlichen Zwang nicht nachahmen läßt, und
Vieles, was selbst fehlerhaft ist, den kleidet, dem es natürlich ist,
bey Andern aber lächerlich wird, wenn man ihnen die Mühe ansieht, die sie sich geben, unnatürlich zu handeln: – so hemmt es die
Freyheit des Geistes, und verhindert das Gute zu stiften, das jeder nach
seiner Art gerade am meisten stiften könnte. Der Vortrag verliert das
natürlich Schöne, und, wenn ich so reden darf, das Herzliche, welches eben daraus entsteht, daß, was man sagt, aus
eigner Ueberzeugung und Empfindung, aus wahrer Theilnehmung an der
Sache, wie sie sich
uns darstellt, fließt, daß es natürlicher Ausbruch des von ihr ganz
eingenommnen, durch keine fremden Rücksichten zerstreuten, Verstandes und Herzens ist, und, weil es vom Herzen kommt, auch wieder zu Herzen geht. – Vielmehr müßte man 3) erst, nach
eigner Empfindung des Nützlichen und nach bewährten Grundsätzen einer vernünftigen Homiletik, wohl untersuchen,
was an gewissen Mustern wirklich nachahmungswürdig
sey? und, wenn
|a678| man bemerkte, daß man es selbst noch nicht, oder nicht genug, in seiner Gewalt hätte,
|c90| 4) alsdann, ob man danach trachten
könnte?
d. i.
die Fähigkeit hätte, zwar durch Fleiß und Uebung, aber nicht mit Zwang, eben dieses zu erreichen; welches zu entdecken nicht gar schwer werden
kan, wenn man nur aufrichtig sein
Gefühl, und, um weniger zu irren, die Urtheile
|b102| anderer Verständigern befragt. Hernach 5) ob man es auch
dürfe?
d. i.
ob
unser Beruf, nebst den Fähigkeiten, Kenntnissen und Bedürfnissen
unsrer Zuhörer, diese Eigenschaften des Vortrags ertragen, oder gar fordern. Wäre man von allem diesen
überzeugt: so müßte man 6) wahre Muster sorgfältig in ihre Theile zerlegen, um zu sehen, wie der Andere seine Hauptgedanken erklärt, ausgeführt, sie und ihre Erläuterungen geordnet und
ausgedruckt, auch untersuchen,
warum er es lieber so, als anders, dargestellt, und was er für Mittel dazu gebraucht hätte?
Anm.
1. Gute Regeln und Grundsätze der Homiletik, nebst frühzeitigen Uebungen, einen Autor recht zu studieren und auszulegen, kommen uns hier sehr zu
Statten. Wird es uns im Anfange zu schwer, oder traut man seinem
eignen Urtheil
nicht: so nehme man, wo möglich, den Verfasser selbst, oder
andre gültige
Richter, zu Hülfe. Wenn man sein so durchstudiertes Muster auf eine geraume Zeit zurücklegt, um die Lebhaftigkeit der Eindrücke, die es
bey uns gemacht hat, sich setzen zu
laßen, darauf den Versuch macht, eben dasselbe nach
unsrer Art auszuführen, und alsdann
|a679| mit dem Muster zu vergleichen: so wird man bald sehen, ob man im Stande
sey, das Gute demselben wirklich abzulernen, und sich eigen zu machen. Doch
dies gehört mehr zu den
eignen Uebungen.
Anm.
2. Vorzügliche
hieher gehörige Predigten und Katechisationen sind in der
Anweisung zur Kennt
|b103|niß der besten allgemeinern Bücher in der Theologie, §. 561
f.
genannt, deren Verzeichniß sich aus der neuesten Zeit noch vermehren läßt.
Als Katechisationen verdienen zum Theil die
Unterhaltungen für Kinder und Kinderfreunde (von C. G. Salzmann ,) Leipzig, 1778
folgg.
in 9 Bändchen in 8; das
Handbuch für Kinder und Kinderlehrer über den Katechismus Lutheri , von J. R. G. Beyer , Leipzig, 1785−1787.
in 7 Bändchen in 8; Katechetisches Magazin, herausgegeben von G. H. Lang , Nördlingen, 1781–1784
in drey, und
dessen Fortsetzung, oder Neues katechetisches Magazin, Erlangen, 1785−1789
bisher in drey Bänden und einem Stück des 4ten in 8. vor andern studiert zu werden.
60.
Zu allem diesen muß noch eigne Uebung in beyderley Vortrag kommen, ohne welche man sich weder das Andern abgelernte Gute zu eigen machen, noch jemals eine Fertigkeit im guten Vortrage erhalten kan. Sie dient auch zur eignen Demüthigung und Gründung der so nöthigen Bescheidenheit, wenn man, bey angestellten eignen Versuchen, sieht, – das Ideal vorausgesetzt, das wir oben entworfen haben, – wie so schwer es sey, ein recht guter Prediger oder |a680| Katechet zu werden. Mangel c√ dieser Tugend, – der immer voraussetzt, daß man entweder für die Wichtigkeit der Sache kein Gefühl habe, oder nicht wisse, wie viel zum guten Vortrag gehöre, oder sich selbst nicht kenne, – macht blind gegen |b104| eigne Fehler, halsstarrig gegen Andrer Erinnerungen, und verhindert, wie den Wachsthum in der Vollkommenheit, so besonders die Biegsamkeit der Seele, die so nöthig ist, um sich nach den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Zuhörer zu richten. |c92| Auf der andern Seite hilft die Uebung wieder der Blödigkeit auf, und macht guten Muth, weil man seine Kräfte und ihren Wachsthum fühlen lernt.
61.
Bey diesen eignen Uebungen kan man 1) nicht oft und dringend genug dem Prediger an den Zweck erinnern, wozu er predigen soll. Du redest – in Gottes Namen; sollst, als sein Werkzeug, seinen Willen und seine Gesinnung verkündigen; bist eigentlich dazu da, die wichtigste Angelegenheit der Menschen zu besorgen, sie durch Religion zu wahren, ihre Würde fühlenden, und ihr gemäß handelnden, wahrhaftig glücklichen Menschen zu machen, ihr Lehrer, ihr Rathgeber, ihr Erinnerer, ihr Tröster, bey allen Angelegenheiten zu seyn, die ihr Gewissen und ihre Gemüthsruhe betreffen. Aber du bist kein Orakel; und, wenn auch Gott unmittelbar durch dich redete, so kannst du ihnen doch weder Glauben, noch Gehorsam, noch Zufrie|a681|denheit abzwingen; sie dürfen nicht nur, sie müssen auch prüfen, ob Gott durch dich redet, und dann erst dir folgen. Du mußt also als Mensch mit vernünftigen Menschen reden, die anders nicht gewonnen werden können, als durch |b105| Vorstellungen, welche es ihnen, nach ihren Fähigkeiten, Begriffen und Bedürfnissen, klar machen, daß, was du sagest, wahr und gut, und ihnen nothwendig sey, und welchen der Zugang zu eben der Quelle, aus der du schöpfest, zur Vernunft, zur heiligen Schrift und zur Erfahrung, eben so wie dir, offen steht. – Wer diese Zwecke nicht stets vor Augen behält, und nicht alles Ernstes darauf arbeiten will, dessen Vortrag mag übri|c93|gens vortreflich seyn; erbaulicher Vortrag, gute Predigt, gute Katechisation, ist er nicht.
62.
Schon
dies kan a√ 2)
vor einer Menge höchst verderblicher Fehler bewahren, die sich hier nicht alle nennen
laßen. – Wer immer bedächte, daß er in Gottes Namen die Menschen zur Seligkeit weisen sollte, wie könnte der sichs erlauben, fremdartige Dinge, die nicht Religion zum Gegenstande haben, oder sich nicht durch Religionsgründe unterstützen
laßen, in den gottesdienstlichen Vortrag zu bringen?
†) wie
der predigen,
c√ um sich
bloß hören zu
laßen, und seiner Eitelkeit ein Opfer zu bringen? sich bloß im
Predigen, oder gar in Declamation, zu
üben ††) ? glänzen, oder sich überhaupt empfehlen
zu wollen? oder auf der andern Seite, sei
|a682|ner Würde vergessen, und sich unanständige
Aeusserungen, niedrige oder pöbelhafte Ausdrücke,
Action eines Comödianten, oder ähnliche
Ausschweifungen, zu gute halten, oder gar affectiren? wie
der, die Zuhörer
nur angenehm
c√ unterhalten, oder den gelehrten
|b106| und tiefdenkenden Untersucher spielen, oder den Abgang kräftiger Gedanken, heilsamer Vermahnungen und guter
Gesinnungen durch schöne Redensarten und Bilder ersetzen wollen? – Wie
wird der,
wer da weiß, wie Menschen
müssen vernünftig behandelt und gewissenhaft geleitet
werden, wie wird der jeden Vortrag gut genug für seine Zuhörer
halten? anstatt die
Bedürfnisse derselben zu studieren und zu befriedigen, das predigen, was
ihm das Leichteste wird, oder
ihm das Wichtigste scheint, oder zur Unzeit und ohne Schonung aufklären
wollen? oder, statt der Gründe dreiste Versicherungen, Betheurungen oder Wehklagen brauchen? oder
c√ auf die Sinne und Ein
|c94|bildungskraft arbeiten, und den Verstand der Zuhörer unbeschäftigt, ihr Herz leer und kalt
laßen? mehr die
Kunst, als seine praktischen Einsichten und sein
Herz um Rath fragen?
Anm.
1. †) Was diese Gewohnheit, die seit einiger Zeit Mode zu werden anfängt, für erhebliche Bedenklichkeiten gegen sich habe, würde hier aus einander zu
setzen, zu weitläufig fallen. Die Frage
kan nicht
seyn: ob nicht die Religion
müsse auch auf das gemeine Leben und auf die besondern Umstände der Zuhörer angewendet, die Zuhörer
also, auch durch
Predigten, gewöhnt werden
c√, sie überall anzuwen
|a683|den?
(Dies sollte ja ein Hauptzweck aller Predigten und Katechisationen
seyn). Es leidet auch keinen vernünftigen
Zweifel: ob nicht die sichtbare Schöpfung und deren weise Einrichtungen, falls sie den Zuhörern
können deutlich
gemacht, und
|b107| mit Anständigkeit gebraucht werden
c√, und ob nicht die besondern Erfahrungen und irdische Beschäftigungen der Zuhörer mit zu Hülfe
dürfen genommen werden
c√, um Lehren der Religion faßlich, einleuchtend und anschaulich zu machen? Sondern die Frage ist: ob Sachen, die entweder nicht zur Religion oder zur Erweckung und Unterhaltung
rechtschaffner Gesinnungen gehören, oder wenigstens nicht durch Gründe aus der Religion dargethan und empfohlen werden können, ob
z. B.
Verbesserungen im bürgerlichen und häuslichen Leben,
c√ zum Zweck der Predigten oder Katechisationen gemacht werden dürfen? Versteht sich der Prediger darauf, und findet er es
zuträglich; so breite er Belehrungen oder Empfehlungen
solcher Sachen im Umgange oder in besondern dazu ausgesetzten Stunden,
ausser dem Gottesdienste, aus.
c√
Anm.
2. ††) Nur vom
Halten der Predigten ist hier die Rede, und wenn es
dabey zum vornehmsten oder gar einzigen Zweck gemacht wird,
sich zu üben, anstatt
Andere zu erbauen; nicht von
Entwerfung oder
Ausarbeitung einer Predigt. Wie am rechten Orte würde hier eine Bitte an Vorgesetzte stehen, nur mit der
äussersten Vorsicht die Erlaubniß zu
öffentlichen Vorträgen, zumal vor ansehnlichen christlichen Versammlungen, zu geben, und eine eben so dringende Bitte an Studierende, sie nicht, ohne vorhergehenden reiflich überlegten Rath und genaue Prüfung von verständigen und gewissenhaften Kennern, zu
suchen! – wenn mein Zweck
sie hier auszu
|a684|führen er
|b108|laubte. Man ist sich zu üben schuldig; aber man ist noch
Mehr einer christlichen
Gemeine schuldig; und nichts verdirbt, oft auf immer, einen jungen Prädicanten mehr, als das frühzeitige Predigen – und, was noch schlimmer ist, unverständige
Bewunderung, – Matth. 9, 36. 1 Tim. 4, 12. Röm. 2,
24!
63.
Ueberhaupt sollte es 3) niemand wagen, predigen zu wollen, wer sich nicht nach der strengsten und gewissenhaftesten Selbstprüfung
diese zwey sich vorgelegte Fragen befriedigend beantworten könnte: – Bist du mit der Sache wirklich bekannt, wovon du reden willst,
so bekannt, wie es der Zweck erfordert, zu dem du reden sollst? und – wie steht es um dein Herz und deine Gesinnung gegen diese Sache? – Was
kan aus einer Predigt werden, die nicht aus diesen
a√ Quellen fließt? Wer noch gar keinen nur etwas reichen Vorrath von Kenntnissen
der Sache, der
|c96| praktischen Kenntniß derselben,
d. i.
ihrer verschiedentlichen Beziehung auf Wohl und Weh des Menschen, auf Besserung und Gemüthsruhe,
hat; wer sie nicht wenigstens unmittelbar vorher wohl durchdacht, und auf mehreren Seiten
angesehen, wer, wenn er sie auch erst von Andern lernen muß, nicht wenigstens sie
selbst gedacht, sie zu seinem wirklichen
Eigenthum gemacht, sie sich nach
seiner Art und von seinem
Eignen viel dazu gedacht hat: was
kan dessen Predigt anders seyn, als
bloßer Wiederhall, oder
|a685| schale, unfrucht
|b109|bare Rede, die dem Zuhörer weder zu Verstand noch zu Herzen dringt? wofür Er sich selbst nicht interessirt,
wobey es ihm gleichgültig ist, ob sich die Zuhörer dafür interessiren, wenn Er nur sein Tagewerk gethan hat, allenfalls Sie nur mit
Ihm zufrieden sind, mag die Wirkung der
Predigt so gering oder schlecht seyn als sie wolle. – Und wie
kan er daran Theil nehmen, wenn er selbst noch nie, oder nicht mit allem Ernst, daran gedacht hat,
der zu werden, wozu er seine Zuhörer machen will, noch nie selbst die wohlthätigen dauerhaften Wirkungen dieser Lehren erfahren hat?
Ach des großen Segens frühzeitiger Frömmigkeit, auch in dieser Absicht! – Lieber junger Freund! Wenn dir das Interesse für das, was irgend in Absicht auf Religion und Tugend praktisch ist, nicht über alles andre Interesse geht; wenn du über das Wahre und Gute dieser Art noch nie verlegen und unruhig worden bist; Religion noch nie an deine Bedürfnisse geknüpft, sie nicht zu deinem täglichen Geschäfte gemacht hast; wenn du noch keinen Trieb fühlst, Andern in diesen Angelegenheiten nach deinem besten Vermögen zu rathen und zu helfen: so hast du noch keinen Beruf zum Predigen. Schone dann wenigstens Andrer, und entweyhe das Heiligthum Gottes nicht!
|c97| 64.
Dies vorausgesetzt, wäre es
bey eignen Uebungen 4) immer rathsam, wenn man es
|a686| haben könnte,
eher sie nicht
c√ zu unternehmen, als
|b110| bis man die Grundsätze und Regeln des guten Vortrags sich wohl bekannt gemacht hätte, und den Anfang der Uebungen mit genauer Zergliederung musterhafter Predigten von Andern zu machen. Man lernt dadurch erst recht einsehen, was und wie viel zu einer guten Predigt und der
Ausführung einer Lehre gehört; man gewöhnt sich an Ordnung, die Seele alles guten Vortrags, an Verdeutlichung der Sache, an gehörige Darstellung derselben, an bedächtigere Ueberlegung.
†) – 5)
Wegen des Ausdrucks – so wird sich zwar
der meistens von selbst bilden, wenn nur das
Beyde da ist, was nach dem vorigen §. voraus zu setzen war. Ausdruck und Vorstellungen hängen so innig zusammen, daß, wer sich ordentlich, deutlich und bestimmt zu denken gewöhnt, sich gewiß auch so
ausdrucken, und selbst eindrücklich sprechen wird, wenn er nur spricht, wie es ihm ums Herz ist. Auch selbst Fehler im Ausdruck, falls sie nur nicht
zu auffallend sind, mißfallen nicht, wenigstens nicht lange, wenn sie nur dem Redenden
eigenthümlich sind; Fehler der Natur sind erträglicher als Schönheit und Kunst, der man den Zwang und die Mühe ansieht. Aber
freylich gehört auch Gewandtheit in der Sprache dazu, ohne welche man selbst nicht recht gut denken
wird, und deswegen ist fleißige frühzeitige Uebung im guten Ausdruck in derjenigen Sprache nöthig,
worinn der Prediger dereinst reden soll. Nun giebts in jeder gebildetern Sprache
verschiedne Arten des Ausdrucks: eine gemeinere und
a√ feinere, letztere mit mehr oder weniger Ge
|a687|schmack gebildet,
na|b111|türlich schön oder geziert. Selbst der Sprachgebrauch hat ge
|c98|wisse Ausdrücke nur gewissen Gegenständen gewidmet, nur in gewissen Arten des Vortrags gebilligt, so daß sie deswegen,
anderswo gebraucht, für unnatürlich gehalten werden. Der Hauptcharakter der religiösen Sprache ist
Würde. Diese Sprache leidet daher gewisse
feyerliche Ausdrücke, die in der gewöhnlichen, selbst feinern, Sprache nicht üblich, oder abgekommen sind; von
gemeinen Ausdrücken verträgt sie nur die, welche nicht bloß der gemeinen Sprache eigen sind; und aus der
feinern Sprache nur die, welche sich durch Würde empfehlen, und nicht bloß in der Büchersprache gewöhnlich sind.
††) Doch leidet auch die religiöse Sprache von Zeit zu Zeit Veränderungen. Sie ist selbst in
verschiednen Gegenden und
verschiednen Classen von Lesern verschieden, die oft dergestalt ihre Vorstellungen und Empfindungen in der Religion an sie binden, daß durch
andre Arten des Ausdrucks ihre Andacht gestört, wenigstens nicht so, wie durch die ihnen geläufige Religionssprache, befördert und unterhalten, ja selbst die Sache ihnen verleidet, und der Lehrer, der sich nicht nach ihrer religiösen Sprache richtet, anstößig wird.
†††) Man sollte also mehr den Charakter der religiösen Sprache studieren, sich
für aller Verderbung derselben
sowohl aus der
gemeinen, als aus der feinern Sprache hüten, und sich die besonders bekannt machen, an welche die besondere Art der Zuhörer gewöhnt ist, mit der man zu thun hat, und auch
darinn sich nach ihren Bedürfnissen bequemen.
|a688| |b112| †) Anm.
1. Es versteht sich, daß hier von keiner ängstlichen, steifen Methode die Rede
sey. Im Vortrage
kan sehr viele natürliche Ordnung herrschen, die der Zuhörer wohl fühlt, ohne daß man sie ihm vorzuzeichnen braucht. Nur da, wo nicht
eines aus dem
andern, beym ordentlichen Denken natürlich folgt, scheint es, wenigstens zur Beför
|c99|derung der Aufmerksamkeit und zum bessern Behalten, nöthig zu seyn, daß der Prediger durch Worte oder durch Zahlen, angebe, wo eine neue Vorstellung anfange. Uebrigens tritt hier, nach angestellter Zergliederung fremder Arbeiten, noch die Uebung ein, die schon oben §.
59. Anm.
1.
erwähnt worden ist.
††) Anm.
2. Hiernach, dünkt mich, müßte das bestimmt werden, was, in Absicht auf das
Anständige des Ausdrucks, dem Religionsvortrage geziemt. Von je her hat man unter gebildetern Nationen, da, wo etwas mit einem gewissen Ansehen
würken sollte, in der Poesie,
bey feyerlichen Urkunden und Gesetzen, in der Religion insbesondere, eine dergleichen Vorträgen eigenthümliche Sprache gebraucht. Man wird alsdann, selbst durch die
Art der Wörter, an die
Würde der Sachen
erinnert, und wo ist
dies nöthiger, als
bey der Religion? Man
kan nicht würdig genug von Gott und den höchsten Angelegenheiten des Menschen denken, und
geweyhte Ausdrücke halten dem Hange der Menschen, zu gering oder zu menschlich von Gott zu denken,
einigermaßen das Gleichgewicht.
Ueberdies hängen den Ausdrücken, die
|b113| man aus dem
gemeinen Leben
hernehmen, und auf Gegenstände der Religion anwenden mußte, oft so viele Nebenbegriffe an, die selbst Irrthümer oder doch niedrige Vorstellungen in der Religion erwecken;
und eben so sind die Wörter der
feinern Gesellschaftssprache
a√ mehr zur angeneh
|a689|mern und gefälligern, als zur ernsthaftern Unterhaltung erfunden, und arten daher leicht in leere und täuschende Wörter aus; sie sind mehr fein als stark, mehr witzig oder höflich als edel; und die
gelehrtere Sprache neigt sich mehr zum Trocknen als Lebhaften, ist ganz für den Verstand, nicht fürs Herz gemacht, befördert mehr die deutliche und bestimmte als die anschauliche Erkenntniß: daß alle diese Spracharten nicht ganz dürfen im
Vortrag der Religion nachgeahmt werden, wenn dieser nicht seine Würde und die so nöthige Wirkung aufs Herz verlieren soll.
|c100| Anm.
3. Wenn die
Bibel auch nicht schon das unter Christen allgemein gebräuchlichste Religionsbuch wäre, woran sich also
unsre Religionsbegriffe und Empfindungen fast unzertrennlich knüpfen, und
ihre Sprache zu der eigentlich
geweyhten Religionssprache
machen: so verdiente sie das Muster zu seyn, nach der sich diese ganz bilden sollte. Auch der gereinigtste Geschmack, wenn er die Natur religiöser Empfindungen und Würde zu Rathe zieht,
kan keine edlere, kraftvollere, von Trockenheit und Schwulst gleich weit entferntere, eben so deutliche und einfältige als herzliche, der vernünftigen Andacht
angemessnere Sprache, erfinden, als
die in der Bibel da herrscht, wo sie
|b114| Lehren darstellt, oder religiöse Empfindung
ausdruckt – und glücklicher Weise ist davon in keiner Uebersetzung weniger verloren
gegangen als in der
Lutherschen . Auch in
dieser Absicht sollte jeder Prediger die Bibel, und namentlich
c√ Luthers
Uebersetzung, zu seinem täglichen Handbuch machen, und nicht glauben, daß er irgend woher eine
bessere Religionssprache leiten könnte. Es versteht sich,
wo sie verständlich, und
wo in
Luthers Uebersetzung der Sinn nicht verfehlt ist. Verliert die Sprache der Bibel
|a690| nichts an Kraft des Ausdrucks, wenn man sie in deutlichere Worte
umkleidet: so wähle man letztere, um nicht für die meisten Zuhörer leere Worte einzuführen, oder Mißverstand zu
veranlaßen. Und eben
dies mag erlaubt seyn, wo morgenländische Vorstellungen, Ort- und
Zeitideen der Vorwelt,
bey der biblischen Sprache und Bildern zum Grunde liegen, wenn dieses, und daß sie unsern richtigern Begriffen nicht gemäß sind, erweislich ist.
Ausserdem, und wenn man nur dem
Volk, in Schulen zumal, die
ebräischartigen und ähnlichen Ausdrücke und Bilder recht erklärte, daß es
dabey das denken lernte, was sie sagen
sollen: wäre es rathsamer, selbst die eigenthümliche Sprache der Bibel, wegen der vorhin angeführten Ursachen, überall
beyzubehalten.
c√
†††) Anm.
4. Die Religionssprache, und die
besondre an einem Ort oder
bey gewissen Zuhörern übliche
Art sich
darin auszudrucken, richtet sich nach den Erbauungsbüchern und Gesängen, die von ihnen gewöhnlich gebraucht werden, und ist daher
|b115| biblisch, mystisch, wissenschaftlich
u. s. f.
,
je nachdem es jene sind. Je mehr sich der Ton der Bücher, die man lieset, von der
Würde der Religion
entfernt; je mehr verdirbt man sich durch Lesung solcher Bücher zum guten Vortrag der Religion. Eine Hauptursache des immer mehr überhand
nehmenden schön oder philosophisch seyn sollenden, für jeden, der wahre
Erbauung liebt, und auf
Würde in der Religion sieht, unerträglichen Tons, der unzeitigen
Aufklärungssucht, und des Vortrags ganz
andrer Sachen als der Religion und des Christenthums, in Predigten,
ist, die
bey vielen
beynahe ausschließliche und schwelgerische Lectüre der Zeitschriften und Lesebücher, die gemeiniglich eben so sehr den Geschmack vieler künftigen Prediger, als ihren Verstand und ihr
Herz, verdirbt.
|a631[!]| |c102| 65.
Vorzüglich sollte man sich 6) in Predigten über historische Texte und Parabeln der Bibel, und überhaupt in Homilien, üben. Denn sie sind dem, der es versucht, schwerer, als eigentliche Lehrvorträge. Bey diesen glaubt man sich, ohne viel gelernt zu haben, mit seinem Nachdenken und mit dem genossenen allgemeinern Unterricht in der Religion helfen zu können; bey jenen wird mehr eigner Fleiß, mehr Bekanntschaft mit dem Sinn der heiligen Schrift, mit dem Herzen und Leben der Menschen, mehr praktischer Verstand, mehr Biegsamkeit und Gewandtheit der Seele, erfordert; und gute Muster hat man in dieser |b116| Art weniger, als bey dem Lehrvortrag. Sie sind auch für den Zuhörer faßlicher, anziehender und praktischer.
c√ S.
oben §.
54 in der 2ten Anmerkung, und einige schöne Erinnerungen darüber in
(Herders )
Briefen, das
Studium der Religion betreffend, 4ter Theil, im 40sten und
c√ folgenden Briefen.
c√
66.
Anfänglich ist es 7) zu rathen, daß man seine Aufsätze
ganz ausarbeite, und
wörtlich niederschreibe; denn da ist strenge Aufmerksamkeit auf den
ganzen Vortrag, und Genauigkeit
nöthig. Bey zugenommener Fertigkeit, und wenn erst die guten Eigenschaften des Vortrags uns geläufig
worden sind,
kan man,
ausserordentliche|c103| Fälle ausgenommen, oder wenn man ausgesuch
|a692|tere Zuhörer vor sich hat, sich mit einen guten Entwurf begnügen, wenn man ihn nur ganz durchdenkt. – Aber man hüte sich ja
für dem
Ablesen bey dem Vortrag selbst.
Gut ablesen, können ohnehin nur
Wenige. Die Lebhaftigkeit des Vortrags leidet
bey dem Ablesen. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer wird weit mehr durch den eigentlichen Vortrag unterhalten.
Bey diesem fällt dem Prediger viel Gutes und Dringendes erst ein, und wird durch die Umstände oder durch den Eindruck, den man
bey den Zuhörern gemacht zu haben glaubt, veranlaßt. Und wer öfters und bisweilen ohne viele Vorbereitung predigen muß, würde oft in
große, selbst dem Vor
|b117|trage
nachtheilige, Verlegenheit kommen. Man gewöhne sich also frühzeitig, ganz aufgeschriebene Vorträge nicht wörtlich, sondern durch wiederholtes bedächtiges
Durchlesen, sich
einzudrucken, immer aber, nach dem gemachten Entwurfe, das, was man darüber sagen will, ausführlich und deutlich durchzudenken. – 8) Eine
besondre Uebung im sogenannten
Declamiren ist meistens sehr entbehrlich, wenn man nicht Fehler der Natur und der Gewohnheit durch Uebung zu überwinden hat. Prediger sollen ja keine
eigentliche Redner,
noch weniger Schauspieler seyn. Wer voll von der Sache ist, die er empfehlen
will, wer aus wahrer Ueberzeugung, und mit dem ernsten Willen, seine Zuhörer zu bessern,
spricht, wer gegenwärtiges Geistes ist, und wer sich nicht an wörtliches Auswendiglernen gewöhnt
hat, dem wird es nicht schwer werden, auch
äus|a693|serlich gut vorzutragen. Aber die frühzeitige Uebung, gut zu
lesen oder
auszusprechen,
d. i.
die Stimme so abzuändern, wie es die Natur der Sache erfordert, oder dem Ausdruck der Begriffe, auf die man am meisten aufmerksam machen
|c104| will, dem Affect, der Verhütung des Mißverstandes
u. d. gl.
angemessen ist –
kan man nie genug empfehlen
†) .
†)
S.
Gesammlete Schulschriften von
Friedrich Gedike S.
368
f.
67.
Hierbey und bey aller dieser eignen Uebung, muß man sich aber 9) nie auf sein Urtheil allein |b118| verlaßen, sondern das Urtheil der Verständigeren zu Rathe ziehen; weil oft Gewohnheit unsre Fehler schön macht; ein Anfänger, wenn er auch die guten Eigenschaften und Fehler des erbaulichen Vortrags kennte, doch noch nicht schon auf alles dieses aufmerksam ist; und es bey dem Vortrage nicht in Anschlag kommt, was uns, sondern was Andern gut oder fehlerhaft scheint, bey Ihnen, nicht bey uns, gewisse Wirkungen hervorbringt. – Am besten arbeitet man unter der Aufsicht, wenigstens unter der Kritik, eines Kenners. Kan man diese nicht haben: so gebe man auf die Urtheile acht, die man etwa von den Zuhörern über den abgelegten Vortrag fällen hört, oder auf die Wirkungen, die unser Vortrag bey den Zuhörern, in Absicht auf Erkenntniß und Besserung, gethan hat; vorausgesetzt, daß man versichert seyn kan, die Ursache, warum und wie fern er gefallen oder mißgefallen hat, liege nicht in gewis|a694|sen zufälligen Umständen, die, anstatt des Vortrags selbst, die Urtheile gestimmt, oder die und die Wirkungen verursacht haben, – |c105| und arbeite danach immer mehr an der Besserung des Vortrags.
c√ Unbestimmte Urtheile ohne Anzeige desjenigen,
was eigentlich den Zuhörern gefiel oder mißfiel, und – wenn dieses Urtheil nicht von selbst klar ist – ohne Anzeige des Grundes,
warum? können hier gar nichts
helfen; und dem muß es wenig um
eigne Verbesserung zu thun seyn, dem ein solches Lob gefallen, und
ihm blenden
kan.
–|b119| Unter den Urtheilen derer, die nicht eigentliche
Kenner der Erfordernisse eines guten erbaulichen Vortrags sind, verdienen die Urtheile oder Anzeigen
dererjenigen den Vorzug,
bey welchen sich Wirkungen auf ihre
Erkenntniß der vorgetragnen Sachen oder auf ihre Besserung äussern. Bey Katechisationen
z. B.
und Wiederholungen der Predigten, zeigt schon die Verlegenheit solcher Kinder oder Zuhörer, die sonst wegen ihrer Fähigkeiten, Kenntnisse, und Gabe sich
auszudrucken, bekannt sind, oder Mißverstand, den sie in ihren Antworten
äussern, daß ein Fehler in dem Vortrage des Lehrers liegen müsse; und die
Aeusserung guter, zumal nicht durch Wissenschaften
gebildeter Christen, daß sie dieses und jenes
beniemte nicht recht verstanden, oder daß sie es zur Befestigung in der und der Ueberzeugung und
c√ Vorsatz dienlich, in der und der Absicht sich gedemüthigt oder ermuntert befunden haben, – ist mehr werth und lehrreicher, als alle
andre Urtheile.
c√