Melchisedeck,Ebr. 5, 6. 7. 10. 11.
7, 1–21. (1
B.
Mos. 14, 18–20.Ps. 110, 4.)
Dieser merkwürdige Mann aus der ältesten Geschichte verdient wohl in einem
Wörterbuch dieser Art in einem besondern
Artickel kenntlicher gemacht zu werden. Aber man hat ihn auch
ef√ nur immer im Profil gesehen, nur der
Aussenseite nach kennen lernen, wenn man sich begnügt einzelne dunkle Worte und
Redarten in der von Paulus
angestellten Vergleichung zu
|f351| verstehen oder
andern verständlich zu machen. Paulus
selbst zeigt ihn nur im Schattenriß; er führt die Vergleichung seiner Person mit Christo
nicht aus, sondern entwirft sie nur; es sind alles mehr Winke, um den Schwächern unter den Judenchristen nicht anstößig zu werden und doch den denkendern Theil auf die Hauptsache aufmerksam zu machen; sie selbst läßt er mehr errathen. So scheint mirs wenigstens. Denn er zeigt auch nur immer, daß er größer gewesen sey denn
Aaron , größer denn
Abraham , seine Priesterwürde edler,
vortreflicher als die Aaronitische
, seine Priesterschaft von
ewiger Gültigkeit, (welches ich nachher erklären werde) und also auch Jesus
in dem
allen größer; ohne
nun auch deutlich zu sagen,
worinnsein priesterliches Amt bestanden, und was eigentlich ihn über denAbraham selbst erhobenhabe. War dieser nicht auch ein
Diener (
s.
Priester )
desallerhöchsten Gottes? Das ist mirs
nun eben; das war Abraham
nicht – nicht
Diener, in dem Umfange, in welchem es Mel
|c281||d346|chisedeck
war – nicht,
desallerhöchsten |e346|Gottes, wie Melchisedeck
ihn
kannte –
Hier war mehr denn Abraham
, wie Paulus
selbst gesteht, aber freylich nur andeutet. Das, dünkt mich, muß also von dem Ausleger erklärt werden, dem daran gelegen
ist die Einsicht in das wahre Christenthum zu erleichtern, und die Würde des Stifters desselben in Vergleichung mit dem Melchisedeck
festzusetzen. Der Uebersetzer und Erklärer einzelner Worte hat seine Pflicht gethan, wenn er dem Paulus
im Deutschen sagen läßt 7, 1. ein
Priester,d. i.
Diener des höchsten Gottes – 3.
ohne (levitischen
)
Va|f352|ter, ohne (levitische
) Mutter, ohne aus
levitischen Geschlecht zu seyn, ohne zu einer (durch Gesetze)
bestimmten Zeit sein priesterliches Leben (seine Amtsverrichtungen)
angefangen – geendiget zu haben – und sein Priesterthum ist von ewiger Gültigkeit – 6.
der, dessen Familie nicht in denlevitischen Geschlechtstafeln mit aufgeführt wordenu. s. w.
Dem Worterklärer mag
dieß genug seyn. Dem Ausleger der in einem dogmatischen Buche vorkommenden Ideen muß es auffallen, daß die Benennung eines Priesters des Höchsten, genau zu
reden, nur ein einzigesmal im
A. T.
vorkommt, und demjenigen, dem sie beygelegt wird,
so gar von dem Abraham
, diesem selbst so
edlen Mann der alten Welt, mit
f√ Ehrerbietung begegnet
wird; er wird also sichs zum Hauptgeschäfte machen nachzuforschen, welchen Begriff man in den damaligen Zeiten mit dieser Benennung verbunden habe;
und da ich in diesem Fall mich befunden, so will ich nun so kurz als möglich das meinen Lesern
|c282| |d347| mittheilen, was ich bey dieser Untersuchung herausgebracht habe.
|e347| Ich lege den
Porphyr zum Grunde, welcher in der Abhandlung
von derEnthaltung
vom
Fleischeßen 2, §. 49. nicht nur den Ausdruck
Priester desallerhöchsten Gottes, einigemal braucht, sondern ihn auch erklärt, und unter andern sagt: „Der Philosoph
und Priester des höchsten Gottes enthält sich alles Fleischessens um sich in
vollkommnerinnerer Reinigkeit Gott zu nahen – Wie der Priester einer
Particulairgottheit, die ihr
zukommendeGebräuche, Reinigungen
u. dergl. kennet, so weiß
|f353| auch der Priester des
höchsten Gottes genau,
worinn die Reinigung bestehe, durch welche man in Gemeinschaft mit Gott tritt – – Und wenn die Priester geringerer Gottheiten sich und andern eine genaue äußerliche Reinigkeit zur Pflicht machen,
sollte der Priester des allerhöchsten Gottes sich selbst zu einer Gruft von Leichnamen machen, vollinnrerUnreinigkeiten (die er nemlich nach den vorhergehenden Bemerkungen des Porphyrs
durch die mit seiner Substanz vermischten Theilgen der Thiere in sich gezogen)
nach der Gemeinschaft mit dem Vollkommensten streben?“
Ebendaselbst
§. 34. sagt er von den Opfern – „dem höchsten Gott muß man nichts cörperliches darbringen – man verehrt ihn, wenn man sich richtige Vorstellungen von ihm macht. Wir müssen uns selbst ihm zum Opfer darbringen durch ihm ähnliche Gesinnungen; und §. 61. ein reines Herz und eine von Leidenschaften freye Seele ist Gott das Angenehmste.“ So braucht nun
|c283| |d348| auch
ef√
Jamblichus ef√ zwar
den Ausdruck |e348| selbst
nicht, es gehört doch aber ohnstreitig hieher, wenn er im 18. und 20.
k.
de mysteriis den vernünftigen Gottesverehrer so beschreibt, daß er besonders im Geiste Gott diene ohne alle materielle und cörperliche Zurüstungen, welches denn das
höchste Priesterthum und daher auch nur
wenigen gegeben sey.
Man kann nun wohl nicht sagen Porphyr
und Jamblich
wären zu
neu, um für das ein Zeugniß ablegen zu können, was man sich in den
frühsten Zeiten bey einem Priester des Al
|f354|lerhöchsten gedacht
hat. Sie haben doch gewiß aus derselben Quelle der ältesten orientalischen Philosophie die Erklärung geschöpft, aus welcher Porphyr
die Benennung selbst beybehalten, wenn auch gleich die Canäle, durch welche sie von
ihrem Ursprung an bis auf
ihre Zeiten fortgeleitet worden,
nicht weiter bekannt sind. Man stößt doch immer wieder auf dieselbe Denkungsart in allen Ueberbleibseln der orientalischen Philosophie, zum Beweise einer allgemeinen Quelle. So sagt
Philo vom
Melchisedeck im 3.
B.
der
Allegorien; er hatte
erhabnewürdige Vorstellungen von Gott (wie Porphyr
seinen eigentlichen Priester Gottes richtige Vorstellungen zuschreibt
) und im 4.
B.
der vermischten Schriften (Tapeten) §. 25. stellt er den wahren Priester Gottes als den vor,
der reines Herzens und Wandels ist, ganz wie Porphyr
und Jamblich
. –
Vergleicht man nun hiermit den
Melchisedeck , so erscheint derselbe in einem hellern Lichte. Er hat würdige Vorstellungen von dem wahren Gott,
|c284| |d349| daß er nicht nur
sein sondern auch
desAbra|e349|hams Gott sey, ob er gleich zu einem andern Volke gehörte, und
daß er über alle Völker seine Segnungen verbreite; er ist voll menschenfreundlicher Gesinnungen, indem er nicht nur dem Abraham
mit Freundschaftsbezeugungen zuvorkömmt (welches man auch zum Theil für eine Folge der damals üblichen Gastfreyheit halten könnte), sondern auch mit lebhafter Freude
ef√ an dem Siege desselben Theil nimmt; war eben so friedliebend und machte sich nichts mit
|f355| den blutigen Zänkereyen der benachbarten Fürsten zu schaffen; nahm zwar den Zehnden
vomAbraham
, aber forderte
ihn nicht eigennützig; scheint endlich nichts mit
f√ Opfern
f√ zu thun gehabt zu haben, wenn gleich Philo
in der zuerst angeführten Stelle
ohne allen Beweis ihm
f√ ein
Siegsopfer darbringen
läßt; oder vielmehr er hat gewiß nichts damit zu thun gehabt, wenn man den Wink des Apostels,
er bleibt ein Priester in Ewigkeit, so
versteht: sein Gottesdienst ist für alle Zeiten und Völker, und zu jeder Zeit und in jedem Volke, der Gott angenehmste, vor ihm allein gültige.
Nun will ich,
eh ich zum Schluß komme, noch kurz sagen, wie ich mir die Gedankenreyhe des Paulus
bey der Vergleichung
Christus mit Melchisedeck
vorstelle. Ich halte mich überzeugt, daß alles, was der Apostel im Briefe an die
Ebräer von dem Tode Christi
als einem
Sündopfer sagt, eine Idee sey, durch die er sich nach der Opfersucht, so zu reden, der jüdischgesinnten
Christen immittelst gefügt, bis er sie zu würdigern Begriffen vom Christenthum erheben
könte – zur
Vollkommenheit, – wie er es nennt
|c285| |d350| |e350|6, 1. (
s.
dieVorerinn. zur dritten Auflage ). Da mußte er
sich nun auch auf eine Vergleichung des Aaronitischen
Priesterthums mit dem Priesterthum Christi
f√ einlassen. Aber er thut es ungern, er fühlt die Schwierigkeit, er will sie so unschädlich machen als möglich und doch immer die Hauptsache, daß Jesus
die
edelste beste Gottesverehrung unter den Menschen habe
|f356| ausbreiten sollen – der vollkommenste Lehrer und das vollkommenste Muster derselben gewesen sey – diese Hauptsache will er doch auch immer durchscheinen lassen und dem
Gedankencreyß der Leser zugleich
darstellen. Daher hat er kaum jene Vergleichung eingeleitet, kaum mit einem Worte des Aaron
gedacht (4,
14–16.5, 1–4.) so schaltet er die würdigere, auf sicherern Aehnlichkeitsgründen beruhende Vergleichung mit dem Melchisedeck
ein, fühlt aber auch
bald, wie übel man mit Menschen
dran ist, die in der Religion an lauter
Sinnlichkeiten kleben und die man doch gern zu mehr geistigen Begriffen erheben möchte, beklagt sich mit Wärme über solche Geistlosigkeit und ermahnt sie feyerlich zu einer ernsthaften Gemüthserhebung in mehrern Perioden (5, 11 – 6,
1–20); und so sich den Weg zu ihrem Herzen
gebahnt, hebet er die Vergleichung mit Melchisedeck
an
(k.
7.) giebt aber, wie
gesagt nur Winke für die
Verständigern, und lenkt endlich für die Schwächern wieder auf das Aaronitische
Priesterthum ein. Aber diese Winke waren auch
zureichend. Denn indem er so offenbar dieses dem Melchisedeckischen
nachsetzt, ja es fast heruntersetzt, und die Amtswürde Christi
der Melchisedeckischen
ganz gleich
|e351|macht; was
|c286| |d351| war nun Jesus
als der oberste Priester
des allerhöchsten Gottes? was sollte er seyn und was wollte er seyn? Ganz was er selbst sagt,
der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit, einer vernünftigen, herzlichen, thätigen Gottesverehrung, Vorgänger(6,
20.), dessen Nachfolger wie er in das
inwendige des Vorhangs hineingehen könnten,
|f357| ohne Furcht mit Freudigkeit sich im Geist Gott nähern; der in geistiger Vollkommenheit erkannte, Opfer und Gaben wären nicht das, was Gott
gefalle, (es möge sie bringen wer da
wolle) sondern Gehorsam seines Willens ihm angenehm; der
freylich sein Leben ließ für dieSchafe, wenn es
drauf ankam, daß sie nicht zerstreut und von dem kaum angefangenen reinern Gottesdienst wieder zurückgeschreckt würden; freylich
für seine damaligen Schüler und Bekenner sein Leben dahin gab, daß sie selbst amtstüchtiger würden, und
füralle seine Freunde nach ihnen, daß das Werk Gottes und des höhern Priesterthums auch dadurch gefördert
würde (Joh. 17,19).
So ist nun auch jeder weise und rechtschaffene Gottesverehrer in dem Maaße, in welchem er es ist, ein
Priester des Höchsten nach der OrdnungMelchisedeck , ein Diener Gottes, und
was ich weiter
davonam Schluß des Artikels Priester gesagt habe.
War nun endlich das Abraham
? Ich sage, nein! Denn einmal hatte doch auch er für einen solchen reinen Gottesdienst immer noch
zuviel mit Opfern, äußerlicher
Beschneidung, zu thun, und sein Gott, war zwar der Höchste, wie
|e352|Mel
|c287||d352|chisedecks
, aber er
ward nicht so von ihm, wie vom Melchisedeck
, als der Gott und Vater
Aller gedacht.