|c142| Erster Abschnitt.
Von den Fähigkeiten eines künftigen Lehrers der Religion.

94.

Wir nehmen hier diese Fähigkeiten im weitern Verstande, und rechnen dahin: – die natürlichen Kräfte zu diesem Beruf – die zu dessen würdiger Führung nöthigen Kenntnisse – und die Gemüthsfassung, welche erfordert wird, die dahin gehörigen Beschäftigungen gern und mit gewissenhaftem Fleiße zu treiben. Von dem zweiten Stück ist schon bisher geredet worden; von den beiden übrigen also hier das Weitere.Wir nehmen hier diese Fähigkeiten im weitern Verstande, und rechnen dahin: – die natürlichen Kräfte zu diesem Beruf – die zu dessen würdiger Führung nöthigen Kenntnisse – und die Gemüthsfassung, welche erfordert wird, die dahin gehörigen Beschäftigungen gern und mit gewissenhaftem Fleiße zu treiben. Von dem zweiten Stück ist schon bisher geredet worden; von den beiden übrigen also hier das Weitere.
Anm. Man könnte noch hierher auch äußerliche Umstände rechnen, auf die allerdings bei der Wahl einer Lebensart mit sollte gesehen werden, weil sie nicht nur auf das äußere Fortkommen und die größere Wahrscheinlichkeit, mit seinen Kräften und Kenntnissen recht nutzbar zu werden, sondern auch selbst auf die Entwickelung unserer Fähigkeiten einen großen Einfluß haben. Indessen sollten sie nur dann eine Regel seyn, wonach wir eine Lebensart wählten, und eine andere, wozu wir vorzüglich Fähigkeit und Neigung haben, fahren ließen, wenn es uns entweder durch die Umstände ganz unmöglich wird, diese letztere Lebensart zu ergrei|c143|fen, oder wenn diese Umstände die Uebernehmung der letztern oder die Zubereitung dazu gar zu sehr erschweren, und wir überzeugt sind, daß wir zu einer andern Lebensart eben so gut aufgelegt seyen, und nicht weniger Nutzen stiften können, als bei derjenigen, die wir sonst , nach sorgfältiger Prüfung unserer selbst, würden vorgezogen haben. Außer diesen beiden Fällen würde man sein Gewissen und seinen innerlichen Beruf einem zeitlichen Verluste oder Gewinn aufopfern. Selbst die größte Armuth sollte niemanden abschrecken, denjenigen Beruf zu wählen, wozu er sich am fähigsten, und, nach vernünftigen Gründen, am geneigtesten erkennt. Sie erschwert freilich dem, der sich den Wissenschaften weihen will, seinen Beruf auf mehr als Eine Art; aber sie giebt auch, wie alles Gefühl des Bedürfnisses, dem, der mit Verstand und redlichem Herzen gewählt hat, mehr Ermunterung zum angestrengten Fleiße; und es ist Unglaube und Verläugnung der Vorsehung Gottes, sich nur dadurch abschrecken zu lassen. Wer auch mit sehr mittelmäßigen Umständen zufrieden ist, sich gehörig einzuschränken versteht, und sich durch Tugenden Freunde zu machen weiß, wird, wenn er wahren innern Beruf zum Studieren hat, gewiß nicht verlassen werden.

95.

Die natürlichen Kräfte, welche hier in Anschlag kommen, sind: – Kräfte der Seele – (oder, wie es Einige nennen, der gute Kopf, oder das Genie, im Gegensatz gegen Fleiß) – Kräfte des Körpers – und, weil es hier auf Bildung eines Lehrers ankommt – die Kraft oder Gabe, sich wohl auszudrücken.Die natürlichen Kräfte, welche hier in Anschlag kommen, sind: – Kräfte der Seele – (oder, wie es Einige nennen, der gute Kopf, oder das Genie, im Gegensatz gegen Fleiß) – Kräfte des Körpers – und, weil es hier auf Bildung eines Lehrers ankommt – die Kraft oder Gabe, sich wohl auszudrücken.
Anm. Ueber die Geisteskräfte und deren Prüfung, siehe den trefflichen Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten in der Sammlung einiger Abhandlungen von Christian Garve, Leipzig 1779. 8. S. 8 f. Anm. Ueber die Geisteskräfte und deren Prüfung, siehe den trefflichen Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten in der Sammlung einiger Abhandlungen von Christian Garve, Leipzig 1779. 8. S. 8 f.
|c144| Es versteht sich von selbst, daß – da der Umkreis von Beschäftigungen, der einem Lehrer der Religion in seinem besondern Berufe angewiesen ist, größer und kleiner, einfacher und zusammengesetzter seyn kann, zu so verschiedenen Aemtern nicht immer außerordentliche Talente erfordert werden, ja selbst große Fähigkeiten in einem kleinen und beengten Kreise das Interesse an gewissen Beschäftigungen schwächen, und leicht verleiten, über das Ziel hinauszulaufen – daß, sag' ich, theils diese Fähigkeiten nicht bei allen in hohem Grade brauchen vorhanden zu seyn, theils ein jeder sich, nach der besondern Art der seinigen, derjenigen besondern Art von Beschäftigungen widmen müsse, die jenen am angemessensten ist, und hinwiederum nach seinem vorzüglichen Geschmack an gewissen Beschäftigungen des Lehramts sich prüfen, ob und wie weit er dazu die ihnen entsprechenden Fähigkeiten habe, oder erlangen könne.|c144| Es versteht sich von selbst, daß – da der Umkreis von Beschäftigungen, der einem Lehrer der Religion in seinem besondern Berufe angewiesen ist, größer und kleiner, einfacher und zusammengesetzter seyn kann, zu so verschiedenen Aemtern nicht immer außerordentliche Talente erfordert werden, ja selbst große Fähigkeiten in einem kleinen und beengten Kreise das Interesse an gewissen Beschäftigungen schwächen, und leicht verleiten, über das Ziel hinauszulaufen – daß, sag' ich, theils diese Fähigkeiten nicht bei allen in hohem Grade brauchen vorhanden zu seyn, theils ein jeder sich, nach der besondern Art der seinigen, derjenigen besondern Art von Beschäftigungen widmen müsse, die jenen am angemessensten ist, und hinwiederum nach seinem vorzüglichen Geschmack an gewissen Beschäftigungen des Lehramts sich prüfen, ob und wie weit er dazu die ihnen entsprechenden Fähigkeiten habe, oder erlangen könne.

96.

Wir empfinden, innerlich oder äußerlich, was wir uns als gegenwärtig vorstellen, oder was einen Eindruck auf uns macht, dessen wir uns bewußt sind; es sei, daß wir es selbst wahrnehmen, oder daß es uns von Andern mitgetheilt werde, in so fern wir es bloß auffassen, und zu unserer eigenen Vorstellung machen. Das Vermögen zu empfinden, verschafft uns alle Vorstellungen, die hernach erst die Seele vergleichen, bearbeiten und anwenden kann, und seine gute Beschaffenheit hat also einen Einfluß auf die Vollkommenheit desjenigen, was unsere übrigen Seelenkräfte hervorbringen. – Die Vollkommenheit des Empfindungsvermögens läßt sich am sichersten in folgenden Merkmalen erkennen: – 1) wenn jemand viel Wißbegierde hat; wenn ihm also alle Gelegenheit willkommen ist, wo er etwas lernen, und je|c145|der Vorfall, Umgang, jedes Buch u. dgl. um so weniger für ihn anziehend, je weniger er daraus etwas Neues, oder das Bisherige besser lernen kann; 2) wenn ihm die Art der Sache, und ob sie gut oder schlecht, brauchbar oder nicht sei, nicht gleichgültig ist, sondern seine Wißbegierde desto mehr erregt und unterhalten wird, je mehr er den Werth einer solchen Sache wahrnimmt; welches beweiset, daß ihn nicht Eitelkeit oder nur Liebe zu Veränderungen, sondern vernünftige Wißbegierde leite; 3) wenn er nicht unter vielerlei Dingen herumirrt, und Alles ergreift, was sich ihm darstellt, sondern bei besondern Eindrücken gern stehen bleibt, die Aufmerksamkeit fest daran heftet, sie genau aufzufassen sucht; weil dieses ein Zeichen der Thätigkeit und des Interesse für eine Sache ist; 4) wenn er weniger Vergnügen an übersinnlichen als an sinnlichen Vorstellungen hat, bei den ersten wenigstens immer geschäftig ist, sie sich durch Bilder und Beispiele zu versinnlichen; ein Beweis, wie thätig die Empfindungskraft sei, und wie wenig sich die Seele selbst Genüge thue, wenn sie nicht empfinden kann; 5) wenn eben deswegen jemand sich nicht mit Worten begnügt, ohne dabei etwas Bestimmtes zu denken, und wenigstens die Einbildungskraft arbeitet, um den Abgang der Empfindung oder deutliche Begriffe zu ersetzen; 6) wenn man sich desjenigen, was man ehedem empfunden hat, leicht genau wieder erinnern kann; ein Zeichen, daß man die Sache gut aufgefaßt habe; 7) wenn die Begierden, die aus gewissen Empfindungen entspringen, lebhaft, und noch mehr, wenn sie dauerhaft sind, und durch die Erinnerung des Empfundenen die Leidenschaft leicht wieder erregt wird; jenes, ein Zeichen von einer lebhaften, dieß ein Zeichen von einer tiefen Empfindung; – endlich, 8) wenn |c146| es uns leicht wird, uns in Anderer Lage zu versetzen, die uns gewisse Vorstellungen mittheilen, oder deren Ereignisse oder Handlungen uns erzählt werden. Obgleich dabei auch andere Seelenkräfte, so wie gute Kenntniß der Sprache, worin uns etwas vorgestellt wird, mitwirken; so beweiset es doch auch die Fähigkeit, leicht mit zu empfinden.Wir empfinden, innerlich oder äußerlich, was wir uns als gegenwärtig vorstellen, oder was einen Eindruck auf uns macht, dessen wir uns bewußt sind; es sei, daß wir es selbst wahrnehmen, oder daß es uns von Andern mitgetheilt werde, in so fern wir es bloß auffassen, und zu unserer eigenen Vorstellung machen. Das Vermögen zu empfinden, verschafft uns alle Vorstellungen, die hernach erst die Seele vergleichen, bearbeiten und anwenden kann, und seine gute Beschaffenheit hat also einen Einfluß auf die Vollkommenheit desjenigen, was unsere übrigen Seelenkräfte hervorbringen. – Die Vollkommenheit des Empfindungsvermögens läßt sich am sichersten in folgenden Merkmalen erkennen: – 1) wenn jemand viel Wißbegierde hat; wenn ihm also alle Gelegenheit willkommen ist, wo er etwas lernen, und je|c145|der Vorfall, Umgang, jedes Buch u. dgl. um so weniger für ihn anziehend, je weniger er daraus etwas Neues, oder das Bisherige besser lernen kann; 2) wenn ihm die Art der Sache, und ob sie gut oder schlecht, brauchbar oder nicht sei, nicht gleichgültig ist, sondern seine Wißbegierde desto mehr erregt und unterhalten wird, je mehr er den Werth einer solchen Sache wahrnimmt; welches beweiset, daß ihn nicht Eitelkeit oder nur Liebe zu Veränderungen, sondern vernünftige Wißbegierde leite; 3) wenn er nicht unter vielerlei Dingen herumirrt, und Alles ergreift, was sich ihm darstellt, sondern bei besondern Eindrücken gern stehen bleibt, die Aufmerksamkeit fest daran heftet, sie genau aufzufassen sucht; weil dieses ein Zeichen der Thätigkeit und des Interesse für eine Sache ist; 4) wenn er weniger Vergnügen an übersinnlichen als an sinnlichen Vorstellungen hat, bei den ersten wenigstens immer geschäftig ist, sie sich durch Bilder und Beispiele zu versinnlichen; ein Beweis, wie thätig die Empfindungskraft sei, und wie wenig sich die Seele selbst Genüge thue, wenn sie nicht empfinden kann; 5) wenn eben deswegen jemand sich nicht mit Worten begnügt, ohne dabei etwas Bestimmtes zu denken, und wenigstens die Einbildungskraft arbeitet, um den Abgang der Empfindung oder deutliche Begriffe zu ersetzen; 6) wenn man sich desjenigen, was man ehedem empfunden hat, leicht genau wieder erinnern kann; ein Zeichen, daß man die Sache gut aufgefaßt habe; 7) wenn die Begierden, die aus gewissen Empfindungen entspringen, lebhaft, und noch mehr, wenn sie dauerhaft sind, und durch die Erinnerung des Empfundenen die Leidenschaft leicht wieder erregt wird; jenes, ein Zeichen von einer lebhaften, dieß ein Zeichen von einer tiefen Empfindung; – endlich, 8) wenn |c146| es uns leicht wird, uns in Anderer Lage zu versetzen, die uns gewisse Vorstellungen mittheilen, oder deren Ereignisse oder Handlungen uns erzählt werden. Obgleich dabei auch andere Seelenkräfte, so wie gute Kenntniß der Sprache, worin uns etwas vorgestellt wird, mitwirken; so beweiset es doch auch die Fähigkeit, leicht mit zu empfinden.
Anm. Wie sehr uns ein solches glückliches Empfindungsvermögen, in Absicht auf Theologie, insbesondere bei allen Gegenständen der Erfahrung, wie es sie bei Auslegung der heiligen Schrift, bei dem Studium der Geschichte, wenn wir uns Anderer Vorstellungen und Meinungen bekannt zu machen haben, und sie gerecht beurtheilen wollen, bei dem Gefühl der Bedürfnisse unserer Zuhörer, bei Theilnehmung an ihren Umständen, bei einer anziehenden und lebhaften Darstellung für sie, zu Statten komme, bedarf kaum einer Erinnerung. Es läßt sich auch leicht absehen, zu welchen Theilen der Theologie ein Mensch von guter Empfindungskraft, wenn sonst Alles gleich ist, am meisten aufgelegt sei, und welche man vorzüglich studieren müsse, wenn man dieses Vermögen üben und verbessern wolle.

97.

Das Gedächtniß, oder die Kraft der Seele, wodurch das Wahrgenommene erhalten wird, und wodurch wir uns der Vorstellungen eben so, wie ehedem, wieder bewußt werden, stellt entweder die Sachen wieder dar, ohne daß wir uns anzustrengen oder zu besinnen brauchen, oder es erfordert Anstrengung, um durch eine erweckte Vorstellung andere damit verbundene zu erwecken. Jenes könnte man das mechanische, dieses das intellectuelle nennen. – Ob man jenes habe, kann man daraus wissen, wenn wir leicht, selbst wörtlich, etwas auswendig lernen können, selbst das, wobei wir wenig oder nichts denken, oder was wenig |c147| oder nicht zusammenhängt, wenigstens mit dem, dessen wir uns zugleich erinnern, in keinem natürlichen Zusammenhange steht; auch zum Theil, wenn wir uns überhaupt aufgelegter und geneigter zum Lernen als zum Nachdenken finden. – Das Letztere aber, wenn es uns leicht wird, natürlich zusammenhängende Dinge zu behalten, und durch diesen Zusammenhang Vorstellungen wieder zu erwecken. – Da eigentlich das Gedächtniß die sonst gehabten Vorstellungen, wenigstens für die Erkenntniß, dauerhaft, und sie für die Zukunft brauchbar macht; da kein Fortschritt und Wachsthum in der Erkenntniß möglich ist, ohne wenn das in unserer Erkenntniß bleibt, was wir schon wissen, und wo wir etwas hinzu lernen; da die Schnelligkeit und zum Theil die Zuverlässigkeit im Denken davon abhängt, daß uns das Gedächtniß Alles, was und wenn wir es brauchen, wiedergiebt: so sieht man die Unentbehrlichkeit des guten Gedächtnisses.Das Gedächtniß, oder die Kraft der Seele, wodurch das Wahrgenommene erhalten wird, und wodurch wir uns der Vorstellungen eben so, wie ehedem, wieder bewußt werden, stellt entweder die Sachen wieder dar, ohne daß wir uns anzustrengen oder zu besinnen brauchen, oder es erfordert Anstrengung, um durch eine erweckte Vorstellung andere damit verbundene zu erwecken. Jenes könnte man das mechanische, dieses das intellectuelle nennen. – Ob man jenes habe, kann man daraus wissen, wenn wir leicht, selbst wörtlich, etwas auswendig lernen können, selbst das, wobei wir wenig oder nichts denken, oder was wenig |c147| oder nicht zusammenhängt, wenigstens mit dem, dessen wir uns zugleich erinnern, in keinem natürlichen Zusammenhange steht; auch zum Theil, wenn wir uns überhaupt aufgelegter und geneigter zum Lernen als zum Nachdenken finden. – Das Letztere aber, wenn es uns leicht wird, natürlich zusammenhängende Dinge zu behalten, und durch diesen Zusammenhang Vorstellungen wieder zu erwecken. – Da eigentlich das Gedächtniß die sonst gehabten Vorstellungen, wenigstens für die Erkenntniß, dauerhaft, und sie für die Zukunft brauchbar macht; da kein Fortschritt und Wachsthum in der Erkenntniß möglich ist, ohne wenn das in unserer Erkenntniß bleibt, was wir schon wissen, und wo wir etwas hinzu lernen; da die Schnelligkeit und zum Theil die Zuverlässigkeit im Denken davon abhängt, daß uns das Gedächtniß Alles, was und wenn wir es brauchen, wiedergiebt: so sieht man die Unentbehrlichkeit des guten Gedächtnisses.
Anm. 1) Es ist also thöricht, zu schließen, daß dem, der ein gutes Gedächtniß habe, ein desto kleineres Maaß vom Verstande müsse zu Theil geworden seyn; sich um so mehr vielen Verstand einzubilden, je schwächer unser Gedächtniß ist; zu glauben, daß Verstand den Abgang des Gedächtnisses hinlänglich ersetze; oder gleichgültig gegen die Erhaltung und Uebung des Gedächtnisses zu seyn. Jene Irrthümer oder Einbildungen rühren von Verwechselung der beiden angegebenen Arten des Gedächtnisses her, und werden durch die Beispiele so vieler trefflichen und geistvollen Gelehrten, die ein vorzüglich bewundernswürdiges Gedächtniß hatten, widerlegt.
2) Da Erinnerung gleichsam nur perennirende Empfindung ist, oder das Gedächtniß nur gemachte Wahrnehmungen aufbehält und wiedergiebt: so gilt, in Absicht auf beson|c148|dere Theile der Theologie, hier eben das, was in der Anmerkung zum vorigen §. von dem Vermögen zu empfinden gesagt wurde. Für den, dem es an mechanischem Gedächtniß fehlt, wird das Studium der angeblichen Gedächtnißwissenschaften doch sehr erleichtert, wenn ihre Theile nicht als abgerissene Stücke, sondern im Zusammenhange studiert werden, wenn die Geschichte bündig und pragmatisch, und eine Sprache nach allgemeinen Regeln und philosophisch studiert wird. Je gründlicher man eine jede Disciplin, und je mehr man sie im Zusammenhange studiert, desto leichter läßt sie sich auch behalten, und das Gelernte wieder erinnern. {Dagegen ist die Anwendung einer künstlichen Mnemonik oder Gedächtnißkunst ein ganz vergebliches Beginnen. (S. Niemeyer's Grundsätze der Erziehung, 1ster Theil, S. 489 der 2ten Ausgabe.)}

98.

Was man empfunden und was das Gedächtniß aufbehalten hat, das verarbeitet unsere Seele auf mehr als Eine Art. Zuvörderst durch Zusammenstellung solcher Dinge, die sie ehedem einzeln empfunden hat, oder deren Eindrücke, ohne daß sie sichs selbst bewußt ist, so zusammenfließen, daß sie dadurch neue Vorstellungen von vorher noch nicht erkannten Dingen bekommt, die Empfindungen zu seyn scheinen, weil und sofern sie sich die Art nicht angeben kann, wie sie dieselben zusammengesetzt hat. Man nennt diese Kraft der Seele, Einbildungskraft (Imagination). Sie ist also eine Kraft, theils Empfindungen zu erneuern, und dadurch tritt sie in die Stelle des Vermögens zu empfinden, theils sich neue Empfindungen zu verschaffen, die nicht, wie bei der Empfindungskraft, durch bloße einzelne Eindrücke, sondern durch deren Zusammenhang entstehen. Je richtiger sie jene wiedergiebt, und je |c149| richtiger, d. i. je mit einander verträglicher, sie die ehemals empfundenen Sachen zusammenstellt, desto zuverlässiger ist sie. Je mehr sie solche Verbindungen machen, oder je mehr sie Aehnlichkeiten und mit einander beisammen mögliche Dinge wahrnehmen kann, desto fruchtbarer ist sie. Je mehr sich den wiederholten Empfindungen besondere Umstände derselben, oder Wahrnehmungen des Nutzens von dem Empfundenen, beimischen, desto lebhafter ist sie.Was man empfunden und was das Gedächtniß aufbehalten hat, das verarbeitet unsere Seele auf mehr als Eine Art. Zuvörderst durch Zusammenstellung solcher Dinge, die sie ehedem einzeln empfunden hat, oder deren Eindrücke, ohne daß sie sichs selbst bewußt ist, so zusammenfließen, daß sie dadurch neue Vorstellungen von vorher noch nicht erkannten Dingen bekommt, die Empfindungen zu seyn scheinen, weil und sofern sie sich die Art nicht angeben kann, wie sie dieselben zusammengesetzt hat. Man nennt diese Kraft der Seele, Einbildungskraft (Imagination). Sie ist also eine Kraft, theils Empfindungen zu erneuern, und dadurch tritt sie in die Stelle des Vermögens zu empfinden, theils sich neue Empfindungen zu verschaffen, die nicht, wie bei der Empfindungskraft, durch bloße einzelne Eindrücke, sondern durch deren Zusammenhang entstehen. Je richtiger sie jene wiedergiebt, und je |c149| richtiger, d. i. je mit einander verträglicher, sie die ehemals empfundenen Sachen zusammenstellt, desto zuverlässiger ist sie. Je mehr sie solche Verbindungen machen, oder je mehr sie Aehnlichkeiten und mit einander beisammen mögliche Dinge wahrnehmen kann, desto fruchtbarer ist sie. Je mehr sich den wiederholten Empfindungen besondere Umstände derselben, oder Wahrnehmungen des Nutzens von dem Empfundenen, beimischen, desto lebhafter ist sie.

99.

Sie ist nicht nur eine sehr ergiebige und unerschöpfliche Quelle neuer Entdeckungen, sondern sie verstärkt auch die ehemaligen Empfindungen selbst; sie ist daher ein unschätzbares Mittel, die menschliche Erkenntniß vollkommner zu machen, und ihren Einfluß auf das Herz zu befördern. Sie bildet in allen Wissenschaften die Erfinder, sie bildet den klugen Mann und den Redner, oder jeden, der im Umgang oder durch seinen Vortrag auf Andere wirken soll. Wenn man diese Kraft oder deren größere Vollkommenheit glaubte in der Theologie entbehren zu können, weil man wähnte, daß die Natur der (geoffenbarten, oder durch kirchliche Willkür einmal festgesetzten) Theologie keine neuen Aussichten erlaubte: so sollte man doch ihre Nothwendigkeit bei dem erbaulichen oder wirklich eindrücklichen Vortrage und der ganzen Amtsführung eines Geistlichen anerkennen. Selbst die so leichten, ungeheuren, und für die ganze Religion gefährlichen Ausschweifungen der Einbildungskraft, machen es zur großen Pflicht, an der steten Verbesserung dieser unter allen Seelenkräften am meisten zu Ausschweifungen geneigten Kraft zu arbeiten.Sie ist nicht nur eine sehr ergiebige und unerschöpfliche Quelle neuer Entdeckungen, sondern sie verstärkt auch die ehemaligen Empfindungen selbst; sie ist daher ein unschätzbares Mittel, die menschliche Erkenntniß vollkommner zu machen, und ihren Einfluß auf das Herz zu befördern. Sie bildet in allen Wissenschaften die Erfinder, sie bildet den klugen Mann und den Redner, oder jeden, der im Umgang oder durch seinen Vortrag auf Andere wirken soll. Wenn man diese Kraft oder deren größere Vollkommenheit glaubte in der Theologie entbehren zu können, weil man wähnte, daß die Natur der (geoffenbarten, oder durch kirchliche Willkür einmal festgesetzten) Theologie keine neuen Aussichten erlaubte: so sollte man doch ihre Nothwendigkeit bei dem erbaulichen oder wirklich eindrücklichen Vortrage und der ganzen Amtsführung eines Geistlichen anerkennen. Selbst die so leichten, ungeheuren, und für die ganze Religion gefährlichen Ausschweifungen der Einbildungskraft, machen es zur großen Pflicht, an der steten Verbesserung dieser unter allen Seelenkräften am meisten zu Ausschweifungen geneigten Kraft zu arbeiten.

|c150| 100.

Kennzeichen, daß es jemandem an Einbildungskraft nicht fehle, sind schon zum Theil die Eigenschaften, welche oben (§. 96. ) bei dem Vermögen zu empfinden angegeben sind, weil und so fern die Einbildungskraft ehemaliger Empfindungen wieder erneuert; z. B. Abgeneigtheit von trockenen, übersinnlichen, und Streben nach bildlichen Vorstellungen. So fern sich aber diese Kraft im Zusammenhange zeigt, dient Folgendes, diese Fähigkeit bei sich zu entdecken. 1) Schon der starke Reitz, den das Neue für uns hat, wenn nämlich dieses Neue nicht in bisher uns ganz unbekannten Dingen, sondern in der Gestalt und Darstellung auch des sonst Bekannten (nicht in der Materie, sondern in der Form) liegt. 2) Vergnügen an Aufsätzen, die sich durch schöne Darstellung und durch das Unterhaltende des Vortrags empfehlen. 3) Theilnehmung an Allem, was Leidenschaften erregt und unterhält, und überhaupt an dem, was auf das Herz wirkt. 4) Oeftere Wahrnehmung solcher Gemüthsbewegungen bei sich, die sich aus unsern gegenwärtigen Empfindungen nicht erklären lassen. – Die Gabe, Andern wahre oder erdichtete Begebenheiten gut und darstellend zu erzählen, oder Personen auf diese Art zu charakterisiren. 5) Die Hinlänglichkeit eines bloßen Winks, oder einer bloßen Andeutung und Veranlassung, um auf eine detaillirte Vorstellung einer Sache und ihres Ganges gebracht zu werden, und die an uns gemachte Bemerkung der Gabe, in den Wissenschaften bisweilen durch glückliche Sprünge auf Entdeckungen zu kommen, oder auch sonst aus einer Menge von erkannten Umständen augenblicklich den Erfolg abzunehmen, ohne sich in beiden Fällen |c151| seines Schlusses bewußt zu seyn; überhaupt die Gabe, eine ganze Reihe von Vorstellungen mit Einem Blick zu übersehen.Kennzeichen, daß es jemandem an Einbildungskraft nicht fehle, sind schon zum Theil die Eigenschaften, welche oben (§. 96. ) bei dem Vermögen zu empfinden angegeben sind, weil und so fern die Einbildungskraft ehemaliger Empfindungen wieder erneuert; z. B. Abgeneigtheit von trockenen, übersinnlichen, und Streben nach bildlichen Vorstellungen. So fern sich aber diese Kraft im Zusammenhange zeigt, dient Folgendes, diese Fähigkeit bei sich zu entdecken. 1) Schon der starke Reitz, den das Neue für uns hat, wenn nämlich dieses Neue nicht in bisher uns ganz unbekannten Dingen, sondern in der Gestalt und Darstellung auch des sonst Bekannten (nicht in der Materie, sondern in der Form) liegt. 2) Vergnügen an Aufsätzen, die sich durch schöne Darstellung und durch das Unterhaltende des Vortrags empfehlen. 3) Theilnehmung an Allem, was Leidenschaften erregt und unterhält, und überhaupt an dem, was auf das Herz wirkt. 4) Oeftere Wahrnehmung solcher Gemüthsbewegungen bei sich, die sich aus unsern gegenwärtigen Empfindungen nicht erklären lassen. – Die Gabe, Andern wahre oder erdichtete Begebenheiten gut und darstellend zu erzählen, oder Personen auf diese Art zu charakterisiren. 5) Die Hinlänglichkeit eines bloßen Winks, oder einer bloßen Andeutung und Veranlassung, um auf eine detaillirte Vorstellung einer Sache und ihres Ganges gebracht zu werden, und die an uns gemachte Bemerkung der Gabe, in den Wissenschaften bisweilen durch glückliche Sprünge auf Entdeckungen zu kommen, oder auch sonst aus einer Menge von erkannten Umständen augenblicklich den Erfolg abzunehmen, ohne sich in beiden Fällen |c151| seines Schlusses bewußt zu seyn; überhaupt die Gabe, eine ganze Reihe von Vorstellungen mit Einem Blick zu übersehen.

101.

Die Richtigkeit oder Regelmäßigkeit unserer Einbildungskraft können wir aber danach erproben: wenn wir 1) bei dem in einzelnen Fällen von ihr genommenen Gange das Wahrscheinliche von dem Unwahrscheinlichen, das Schickliche von dem Unschicklichen, das mit einander Verträgliche von dem Unzusammenhängenden wohl und schnell zu unterscheiden wissen; wenn wir 2) etwas mit seinen Umständen so gut zu erzählen verstehen, daß Andere es, auf diese Art erzählt, wahrscheinlich und begreiflich finden, oder wenn Andere durch unsere gemachte Beschreibung von gewissen Personen oder Handlungen beide völlig als dieselben wieder erkennen; wenn 3) das, was wir nach gewissen vorausgesetzten Umständen vorhersehen, genau eintrifft, oder wir doch, bei genauerer Prüfung, einsehen, daß es so würde eingetroffen seyn, wenn nicht manche veränderte besondere Umstände dem Laufe der Sache eine andere Richtung gegeben hätten; und überhaupt, 4) wenn das, was ein Werk unserer Imagination ist, in deutliche Begriffe aufgelöset, denkbar erscheint, und dessen Theile, mit einander verglichen, wohl zusammenhängend gefunden werden.Die Richtigkeit oder Regelmäßigkeit unserer Einbildungskraft können wir aber danach erproben: wenn wir 1) bei dem in einzelnen Fällen von ihr genommenen Gange das Wahrscheinliche von dem Unwahrscheinlichen, das Schickliche von dem Unschicklichen, das mit einander Verträgliche von dem Unzusammenhängenden wohl und schnell zu unterscheiden wissen; wenn wir 2) etwas mit seinen Umständen so gut zu erzählen verstehen, daß Andere es, auf diese Art erzählt, wahrscheinlich und begreiflich finden, oder wenn Andere durch unsere gemachte Beschreibung von gewissen Personen oder Handlungen beide völlig als dieselben wieder erkennen; wenn 3) das, was wir nach gewissen vorausgesetzten Umständen vorhersehen, genau eintrifft, oder wir doch, bei genauerer Prüfung, einsehen, daß es so würde eingetroffen seyn, wenn nicht manche veränderte besondere Umstände dem Laufe der Sache eine andere Richtung gegeben hätten; und überhaupt, 4) wenn das, was ein Werk unserer Imagination ist, in deutliche Begriffe aufgelöset, denkbar erscheint, und dessen Theile, mit einander verglichen, wohl zusammenhängend gefunden werden.

102.

Diese Beurtheilung ist ein Werk des Verstandes, oder des Vermögens zu deutlichen Vorstellungen, dem also die Scheidung der empfundenen Dinge und ihrer Theile zukommt, so wie der Einbildungskraft ihre Zusammensetzung; |c152| der auch, indem er verschiedene Dinge vergleicht, das Aehnliche und Verschiedene derselben entdeckt, und das, was sie mit einander gemein haben, von dem, wodurch sie sich von einander unterscheiden, absondern, und dieses Gemeinschaftliche in einen allgemeinen Begriff vereinigen kann, wobei also ganz von den Dingen selbst abgesehen wird, und nur die ihnen gemeinsamen Eigenschaften als Eins betrachtet werden. Freilich nimmt auch die Einbildungskraft, welche einzelne Empfindungen zusammensetzt, dieses Aehnliche und Verschiedene einzelner Dinge wahr, aber nur undeutlich, und so, daß sie das Aehnliche oder das Gemeinschaftliche anders nicht, als mit den Dingen zugleich und in denselben, vorstellt. Daher hat man dieses Vermögen der Seele, sich dieses Gemeinschaftliche undeutlich und unabgesondert von den Dingen vorzustellen, den praktischen Verstand genannt (§. 77. ), in so fern sie eben das, nämlich die Wahrnehmungen dessen, was mehrere Dinge gemein haben, durch die Einbildungskraft, in Absicht auf undeutliche Vorstellungen, verrichtet, was sie durch den Verstand, vermittelst deutlicher Vorstellungen, vermag; hingegen hat man das Vermögen der Seele, sich dieses deutlich vorzustellen, mit dem Namen des theoretischen oder speculativen Verstandes belegt.Diese Beurtheilung ist ein Werk des Verstandes, oder des Vermögens zu deutlichen Vorstellungen, dem also die Scheidung der empfundenen Dinge und ihrer Theile zukommt, so wie der Einbildungskraft ihre Zusammensetzung; |c152| der auch, indem er verschiedene Dinge vergleicht, das Aehnliche und Verschiedene derselben entdeckt, und das, was sie mit einander gemein haben, von dem, wodurch sie sich von einander unterscheiden, absondern, und dieses Gemeinschaftliche in einen allgemeinen Begriff vereinigen kann, wobei also ganz von den Dingen selbst abgesehen wird, und nur die ihnen gemeinsamen Eigenschaften als Eins betrachtet werden. Freilich nimmt auch die Einbildungskraft, welche einzelne Empfindungen zusammensetzt, dieses Aehnliche und Verschiedene einzelner Dinge wahr, aber nur undeutlich, und so, daß sie das Aehnliche oder das Gemeinschaftliche anders nicht, als mit den Dingen zugleich und in denselben, vorstellt. Daher hat man dieses Vermögen der Seele, sich dieses Gemeinschaftliche undeutlich und unabgesondert von den Dingen vorzustellen, den praktischen Verstand genannt (§. 77. ), in so fern sie eben das, nämlich die Wahrnehmungen dessen, was mehrere Dinge gemein haben, durch die Einbildungskraft, in Absicht auf undeutliche Vorstellungen, verrichtet, was sie durch den Verstand, vermittelst deutlicher Vorstellungen, vermag; hingegen hat man das Vermögen der Seele, sich dieses deutlich vorzustellen, mit dem Namen des theoretischen oder speculativen Verstandes belegt.
Anm. Praktisch nennt man jenen Verstand, weil in Geschäften (Praxi) des Lebens undeutliche Wahrnehmung des Aehnlichen und Unähnlichen der Dinge zureicht; und, obgleich derselbe mit der Einbildungskraft einerlei ist, so fern diese auf die Bemerkung des Aehnlichen oder Unähnlichen bei einzelnen Dingen angewendet wird, so hat doch dieselbe uneigentlich den Namen des Verstandes wohl deswegen erhalten, weil der Verstand sich mit deutlichen Begriffen beschäftigt, also das Unterschiedene in den einzel|c153|nen Dingen von einander, mithin auch die Eigenschaften der Dinge von den Dingen selbst, trennt.

103.

Wenn die Seele nicht bloß einzelne Dinge, sondern ihre Uebereinstimmung oder das Gegentheil, kurz, ihre Verhältnisse, folglich auch nicht bloß das Einzelne, sondern auch das Gemeinschaftliche und Allgemeinere, wahrnehmen kann: so könnte man dieses Vermögen Verstand nennen; er möchte es deutlich oder undeutlich wahrnehmen, abgesondert von den Dingen selbst, oder mit ihnen, und so ist, wie gesagt, abzusehen, warum man diese Wahrnehmung, die, so fern sie undeutlich ist, der Einbildungskraft zukommt, praktischen Verstand genannt hat. – Ein Kennzeichen des Verstandes überhaupt – im Unterschiede von dem Vermögen zu empfinden, oder wieder zu empfinden, oder bloß zusammen zu setzen, ohne auf das Allgemeine zu merken – ist es: wenn man bei sich Trieb und Fähigkeit findet, nicht bloß Kenntnisse zu empfangen, oder Andern nachzuempfinden, nachzuglauben und nachzusprechen, sondern zu prüfen, ob sie wahr und gut sind, und warum sie es sind; selbst zu untersuchen, und ausfindig zu machen; sich nicht mit Kenntnissen einzelner Dinge zu begnügen, sondern sie im Zusammenhange zu betrachten und darein zu bringen; nicht bei dem Einzelnen stehen zu bleiben, sondern das Allgemeine abzuziehen, und wieder in ähnlichen Fällen anzuwenden. Wer nur Wißbegierde, und nicht auch Wahrheitsliebe besitzt; wer leicht glaubt, und eigene Untersuchung scheut; wer in Sprachen, in der Geschichte, in den schönen, und überhaupt in Wissenschaften, mit historischen Kenntnissen zufrieden ist, oder sich mit dem Mechanischen |c154| begnügt, ohne Alles ins Allgemeine zu führen, sich Grundsätze, Regeln oder Maximen aus den Beobachtungen abzuziehen, und ihre Anwendung in ähnlichen Fällen zu denken: der kann auf Verstand gewiß wenig oder gar keinen Anspruch machen.Wenn die Seele nicht bloß einzelne Dinge, sondern ihre Uebereinstimmung oder das Gegentheil, kurz, ihre Verhältnisse, folglich auch nicht bloß das Einzelne, sondern auch das Gemeinschaftliche und Allgemeinere, wahrnehmen kann: so könnte man dieses Vermögen Verstand nennen; er möchte es deutlich oder undeutlich wahrnehmen, abgesondert von den Dingen selbst, oder mit ihnen, und so ist, wie gesagt, abzusehen, warum man diese Wahrnehmung, die, so fern sie undeutlich ist, der Einbildungskraft zukommt, praktischen Verstand genannt hat. – Ein Kennzeichen des Verstandes überhaupt – im Unterschiede von dem Vermögen zu empfinden, oder wieder zu empfinden, oder bloß zusammen zu setzen, ohne auf das Allgemeine zu merken – ist es: wenn man bei sich Trieb und Fähigkeit findet, nicht bloß Kenntnisse zu empfangen, oder Andern nachzuempfinden, nachzuglauben und nachzusprechen, sondern zu prüfen, ob sie wahr und gut sind, und warum sie es sind; selbst zu untersuchen, und ausfindig zu machen; sich nicht mit Kenntnissen einzelner Dinge zu begnügen, sondern sie im Zusammenhange zu betrachten und darein zu bringen; nicht bei dem Einzelnen stehen zu bleiben, sondern das Allgemeine abzuziehen, und wieder in ähnlichen Fällen anzuwenden. Wer nur Wißbegierde, und nicht auch Wahrheitsliebe besitzt; wer leicht glaubt, und eigene Untersuchung scheut; wer in Sprachen, in der Geschichte, in den schönen, und überhaupt in Wissenschaften, mit historischen Kenntnissen zufrieden ist, oder sich mit dem Mechanischen |c154| begnügt, ohne Alles ins Allgemeine zu führen, sich Grundsätze, Regeln oder Maximen aus den Beobachtungen abzuziehen, und ihre Anwendung in ähnlichen Fällen zu denken: der kann auf Verstand gewiß wenig oder gar keinen Anspruch machen.

104.

Da der praktische Verstand eigentlich eine Art der Einbildungskraft ist (§. 102. ), so sind die Merkmahle, woraus man diese abnehmen kann (§. 100. ), auch Merkmahle von jenem, doch nur alsdann, wenn zugleich die Merkmahle des Verstandes überhaupt (§. 103. ) damit verbunden sind. Man kann ihn am besten in Geschäften, wo es auf das Schickliche, auf Wahrscheinlichkeit, Klugheit, Wohlstand und Unterhaltung ankommt, wo auf besondere Umstände Rücksicht zu nehmen ist, wo es einer schnellen Uebersicht vieler, auch kleinen Umstände, und einer schnellen Entschließung bedarf, und in solchen Wissenschaften, bemerken, die dergleichen nicht im strengsten Verstande sind, und mehr besondere als allgemeine Dinge zum Gegenstand haben, – da kann man ihn eigentlich kennen lernen, und auch da ist er am unentbehrlichsten.Da der praktische Verstand eigentlich eine Art der Einbildungskraft ist (§. 102. ), so sind die Merkmahle, woraus man diese abnehmen kann (§. 100. ), auch Merkmahle von jenem, doch nur alsdann, wenn zugleich die Merkmahle des Verstandes überhaupt (§. 103. ) damit verbunden sind. Man kann ihn am besten in Geschäften, wo es auf das Schickliche, auf Wahrscheinlichkeit, Klugheit, Wohlstand und Unterhaltung ankommt, wo auf besondere Umstände Rücksicht zu nehmen ist, wo es einer schnellen Uebersicht vieler, auch kleinen Umstände, und einer schnellen Entschließung bedarf, und in solchen Wissenschaften, bemerken, die dergleichen nicht im strengsten Verstande sind, und mehr besondere als allgemeine Dinge zum Gegenstand haben, – da kann man ihn eigentlich kennen lernen, und auch da ist er am unentbehrlichsten.

105.

Hingegen zeigt sich der eigentliche oder theoretische Verstand (§. 102. ), der vornehmlich bei Wissenschaften nothwendig ist, an dem Trieb und Bestreben, Alles sich zu verdeutlichen; nicht nach dem Ob? nicht sowohl nach dem Wie? als nach dem Warum? zu fragen; die Gedanken nicht nach einer oder mehrern Seiten zu betrachten, sondern alle Seiten aufzusuchen und zu erwägen; die Gründe |c155| für Alles bedächtig und langsam abzuwägen; überall gemessene Ordnung, Methode zu beobachten und zu classificiren; an der Liebe, mehr zur bestimmten und gründlichen, als lebhaften Erkenntniß; und an der Fähigkeit, allgemeine Dinge und Sätze als abgesonderte Gegenstände der Betrachtung, oder sie ohne Bilder und Beispiele, zu denken und zu behandeln.Hingegen zeigt sich der eigentliche oder theoretische Verstand (§. 102. ), der vornehmlich bei Wissenschaften nothwendig ist, an dem Trieb und Bestreben, Alles sich zu verdeutlichen; nicht nach dem Ob? nicht sowohl nach dem Wie? als nach dem Warum? zu fragen; die Gedanken nicht nach einer oder mehrern Seiten zu betrachten, sondern alle Seiten aufzusuchen und zu erwägen; die Gründe |c155| für Alles bedächtig und langsam abzuwägen; überall gemessene Ordnung, Methode zu beobachten und zu classificiren; an der Liebe, mehr zur bestimmten und gründlichen, als lebhaften Erkenntniß; und an der Fähigkeit, allgemeine Dinge und Sätze als abgesonderte Gegenstände der Betrachtung, oder sie ohne Bilder und Beispiele, zu denken und zu behandeln.
Anm. Es wäre überflüssig, die vorzügliche Nothwendigkeit des Verstandes bei dem Studium und der Anwendung der Theologie darzuthun, oder diejenigen Theile derselben, wo er besonders sich zeigen muß, anzugeben. – Es scheint eben so überflüssig, von dem Witz, Scharfsinn, Geschmack und Genie, oder der Nothwendigkeit dieser Fähigkeiten, besonders zu reden. Denn Witz (im weitern Verstande) oder das Vermögen, die Aehnlichkeit, und Scharfsinn, oder das Vermögen, die Verschiedenheit der Dinge, sinnlich oder deutlich zu erkennen, erfordert eben sowohl Einbildungskraft als Verstand; der Witz mehr jene, der Scharfsinn mehr diese. Hiernach und durch Vergleichung dessen, was bisher von den Kennzeichen der Einbildungskraft und des Verstandes gesagt worden, kann man bald von selbst finden, ob und wie weit uns gedachte Fähigkeiten zu Theil geworden sind. – Eben dieß gilt in seiner Art von dem Geschmack und dem Genie im engern Verstande . Das Letztere bildet den eigentlichen Erfinder. Weil aber unter mehrern Fähigkeiten doch bei jedem, der sie besitzt, eine am meisten hervorsticht, und diese von den übrigen nur unterstützt wird, auch jeder, unter den verschiedenen Gegenständen der Wissenschaften, zu Einem mehr aufgelegt und geneigt ist, sich damit zu beschäftigen, als mit einem Andern; so entstehen daher verschiedene Arten des Genie's: ein dichterisches z. B., ein historisches, ein speculatives, praktisches u. dgl., die ein jeder, wer Genie hat, bald an sich erkennen, und sehen wird, welche Arten von Wissenschaften er vorzüglich trei|c156|ben sollte. – S. mit mehrern den Versuch über den Geschmack, von Alexander Gerard (übersetzt), Breslau 1766. 8., und Ebendesselben Versuch über das Genie (übersetzt), Leipzig 1766. 8.
{Die neuen Psychologen weichen zwar in dem Audruck, und selbst den Erklärungen mehrerer in den nächst vorhergehenden §§. erörterten Begriffe von den Seelenvermögen ab; indeß harmoniren sie doch in der Hauptsache, und eine Vergleichung der Ansichten würde theils zu weit führen, theils außer dem Plan dieser Schrift liegen, die vielleicht hier schon selbst zu sehr in ein fremdes Feld übergegangen ist.
A. d. H.}

106.

Es ist schon oben gesagt (§. 95. Anm.), daß von denen, die sich der Theologie widmen, nicht gleich Vieles könne gefordert werden; der besondere Beruf, den man hierbei wählen oder ergreifen will, muß es entscheiden, was vorzüglich von solchen Fähigkeiten nöthig sei, und ob der innere Beruf, auf den es am meisten ankommt, dem äußern entspreche. – Ist jemand zum bloßen Volkslehrer bestimmt: so ist – außer den hernach anzugebenden Eigenschaften des Charakters – genug, wenn er mittelmäßige Fähigkeiten besitzt, falls er nur zugleich das Gefühl einer ihm unerreichbaren Vollkommenheit hat, um nicht mit verschnittenen Flügeln nach der Sonne fliegen zu wollen, und sich aus dem Kreise zu entfernen, den ihm die Natur und sein äußerlicher Beruf vorgezeichnet hat. Es ist genug, wenn er guten schlichten Menschenverstand hat, der das Schickliche von dem Ungereimten zu unterscheiden weiß; wenn er leicht in den Sinn desjenigen, was er hört, lieset und sieht, eindringen kann; wenn er ein treues oder durch die Uebung leicht zu schärfendes Gedächtniß besitzt; wenn es |c157| ihm an der Gabe des populären Vortrags, und an Klugheit nicht fehlt, um seine Kenntnisse nach den wirklichen Bedürfnissen Anderer wohl anzuwenden. Mag es ihm an eigentlicher Gelehrsamkeit fehlen; wenn er nur das eigentlich Praktische in der Religion versteht, und die zu seiner eigenen Ueberzeugung und gewissenhaften Führung seines Berufs nothwendigen Kenntnisse derselben und der menschlichen Angelegenheiten hat, besonders der Angelegenheiten seiner Zeit, der Bedürfnisse derer, die ihm empfohlen sind, und desjenigen, was ihn, diese zu beurtheilen und ihnen gewachsen zu seyn, in den Stand setzt; endlich die Kenntniß der nöthigen Hülfsmittel, wodurch er sich bei vorkommenden außerordentlichen Fällen zu helfen weiß. Daß zu allen diesem noch eine fleißige Uebung kommen, und er nie glauben müsse, völlig genug gelernt zu haben, sondern sich zu seinem Beruf immer reifer machen, wird ohnehin vorausgesetzt.Es ist schon oben gesagt (§. 95. Anm.), daß von denen, die sich der Theologie widmen, nicht gleich Vieles könne gefordert werden; der besondere Beruf, den man hierbei wählen oder ergreifen will, muß es entscheiden, was vorzüglich von solchen Fähigkeiten nöthig sei, und ob der innere Beruf, auf den es am meisten ankommt, dem äußern entspreche. – Ist jemand zum bloßen Volkslehrer bestimmt: so ist – außer den hernach anzugebenden Eigenschaften des Charakters – genug, wenn er mittelmäßige Fähigkeiten besitzt, falls er nur zugleich das Gefühl einer ihm unerreichbaren Vollkommenheit hat, um nicht mit verschnittenen Flügeln nach der Sonne fliegen zu wollen, und sich aus dem Kreise zu entfernen, den ihm die Natur und sein äußerlicher Beruf vorgezeichnet hat. Es ist genug, wenn er guten schlichten Menschenverstand hat, der das Schickliche von dem Ungereimten zu unterscheiden weiß; wenn er leicht in den Sinn desjenigen, was er hört, lieset und sieht, eindringen kann; wenn er ein treues oder durch die Uebung leicht zu schärfendes Gedächtniß besitzt; wenn es |c157| ihm an der Gabe des populären Vortrags, und an Klugheit nicht fehlt, um seine Kenntnisse nach den wirklichen Bedürfnissen Anderer wohl anzuwenden. Mag es ihm an eigentlicher Gelehrsamkeit fehlen; wenn er nur das eigentlich Praktische in der Religion versteht, und die zu seiner eigenen Ueberzeugung und gewissenhaften Führung seines Berufs nothwendigen Kenntnisse derselben und der menschlichen Angelegenheiten hat, besonders der Angelegenheiten seiner Zeit, der Bedürfnisse derer, die ihm empfohlen sind, und desjenigen, was ihn, diese zu beurtheilen und ihnen gewachsen zu seyn, in den Stand setzt; endlich die Kenntniß der nöthigen Hülfsmittel, wodurch er sich bei vorkommenden außerordentlichen Fällen zu helfen weiß. Daß zu allen diesem noch eine fleißige Uebung kommen, und er nie glauben müsse, völlig genug gelernt zu haben, sondern sich zu seinem Beruf immer reifer machen, wird ohnehin vorausgesetzt.
Anm. Hat er mehr Fähigkeiten oder Kenntnisse, als er gerade in seinem engern Kreise gebraucht, so nutze er sie so gut als er kann; nur nicht mit Vernachlässigung und zum Nachtheil der Pflichten seines besondern Berufs. Er vergesse insbesondere nie, sich mit den Hülfsmitteln und besonders Schriften bekannt zu machen, wodurch er, wenn er in einen weitumfassendern Kreis versetzt wird, das nachholen könne, was ihm, diesen würdig zu bestreiten, nöthig seyn möchte.
{Die Zweifel, ob man nicht von dem praktischen Religionslehrer viel zu viel fordere, fällt weg, sobald man ihn nur in seiner doppelten Qualität betrachtet, 1) als Volkslehrer, wozu er in der That weit weniger nöthig hat, als er auf Universitäten lernt und treibt, und 2) als Mitglied des Gelehrtenstandes. Als solchem liegen ihm doch die theologischen und angränzenden Kenntnisse am nächsten, |c158| und er gewinnt an Achtung in dem geselligen Kreise, und, was noch viel wichtiger ist, er gewinnt an Selbstgenuß, wenn er ein viel ausgebreiteteres Wissen hat, als er gerade für das Amt nöthig hätte. Dasselbe ist ja auch der Fall bei andern Geschäftsmännern, die für das bloße Geschäft mit sehr Wenigem ausreichen könnten, aber die man um so höher achtet, je mehr sie über das Nothwendige hinaus wissen, und nicht bloß handwerksmäßige Routiniers sind.
A. d. H.}

107.

Ist er hingegen zum Lehrer der Theologie oder der damit verbundenen Wissenschaften, überhaupt zu Bildung künftiger Lehrer, oder zur Regierung und Aufsicht der Volkslehrer, oder an einer Gemeinde angestellt, die aus gelehrtern oder doch gebildetern Zuhörern besteht: so muß er freilich höhere Fähigkeiten haben, und in den für sein Fach bestimmten Wissenschaften ausgebreitetere, feinere und gründlichere Kenntnisse besitzen. Alsdann bedarf er auch weniger einer näheren Anweisung, und was er dann können und verstehen, wenigstens wornach er trachten müsse: dazu möchten die bisher in dieser Schrift geschehenen Vorschläge nicht undienlich seyn, da es besonders auch in Rücksicht auf diese Klasse künftiger Religionslehrer abgefaßt ist.Ist er hingegen zum Lehrer der Theologie oder der damit verbundenen Wissenschaften, überhaupt zu Bildung künftiger Lehrer, oder zur Regierung und Aufsicht der Volkslehrer, oder an einer Gemeinde angestellt, die aus gelehrtern oder doch gebildetern Zuhörern besteht: so muß er freilich höhere Fähigkeiten haben, und in den für sein Fach bestimmten Wissenschaften ausgebreitetere, feinere und gründlichere Kenntnisse besitzen. Alsdann bedarf er auch weniger einer näheren Anweisung, und was er dann können und verstehen, wenigstens wornach er trachten müsse: dazu möchten die bisher in dieser Schrift geschehenen Vorschläge nicht undienlich seyn, da es besonders auch in Rücksicht auf diese Klasse künftiger Religionslehrer abgefaßt ist.

108.

Daß bei der Ergreifung des theologischen Studiums auch die Kräfte des Körpers (§. 95. ) mit in Anschlag kommen müssen, bedarf kaum einer Erinnerung; da die natürliche Beschaffenheit und die Veränderungen desselben einen so großen Einfluß in die Beschaffenheit und den Gebrauch der Seelenkräfte haben; Anstrengung des Geistes, |c159| eine sitzende Lebensart, und andere Umstände bei Studierenden die Gesundheit merklich zerrütten; und bei dem Lehrer im äußerlichen Vortrage so viel von der Stimme, von der freien Brust, selbst vom körperlichen Ansehen und Bildung, so wie, bei der ganzen Führung seines Amts, von einer dauerhaften Gesundheit, Abhärtung des Körpers, und ähnlichen Umständen abhängt. Was uns hier möglich sei oder abgehe, ist noch viel leichter, als die Beschaffenheit unserer Seelenkräfte, zu erkennen.Daß bei der Ergreifung des theologischen Studiums auch die Kräfte des Körpers (§. 95. ) mit in Anschlag kommen müssen, bedarf kaum einer Erinnerung; da die natürliche Beschaffenheit und die Veränderungen desselben einen so großen Einfluß in die Beschaffenheit und den Gebrauch der Seelenkräfte haben; Anstrengung des Geistes, |c159| eine sitzende Lebensart, und andere Umstände bei Studierenden die Gesundheit merklich zerrütten; und bei dem Lehrer im äußerlichen Vortrage so viel von der Stimme, von der freien Brust, selbst vom körperlichen Ansehen und Bildung, so wie, bei der ganzen Führung seines Amts, von einer dauerhaften Gesundheit, Abhärtung des Körpers, und ähnlichen Umständen abhängt. Was uns hier möglich sei oder abgehe, ist noch viel leichter, als die Beschaffenheit unserer Seelenkräfte, zu erkennen.
Anm. Tissot von der Gesundheit der Gelehrten, (übersetzt), Zürich, und in einer andern Uebersetzung, Leipzig 1768. 8., und auszugsweise in Tissot's medicinisch-praktischem Handbuche, Leipzig 1785. 8. (im ersten Theile); Ueber die Krankheiten der Gelehrten von J. C. G. Ackermann, Nürnberg 1777. gr. 8.; und der Arzt der Gottesgelehrten (von J. G. F. Franz), zweite Aufl., Leipzig 1770. 8., J. H. Förders über die menschliche Natur – zur Beherzigung junger Studierenden, 2 Bände, Leipzig 1797., sind Bücher, deren Empfehlung hier gewiß nicht überflüssig ist.

109.

Von der Nothwendigkeit der Gabe sich wohl auszudrücken (§. 95. ), ist schon oben, bei der Abhandlung von den Sprachen (Theil 1. §. 59. f.) und im ersten Abschnitt des dritten Theils geredet worden. Da die Sprache der Abdruck unserer Ideen ist, und jeder Verständige so gute Mittel gebraucht, um sein Ziel zu erreichen, als in seiner Gewalt sind; so kann man sicher schließen: wie der natürliche Vortrag eines Menschen ist, so sind seine Begriffe und Ueberzeugung von den Sachen selbst. Kann man sicher seyn, daß jemand nicht eitel sei, um nur sich selbst gern zu hören oder zu lesen, oder Andern bloß zu gefallen, |c160| und daß er nicht so arm an Verstande und Menschenkenntniß sei, um zu glauben, wenn nur das gut sei, was er sagt, so sei es gleichviel, wie er es sage: so kann man selbst schließen: wie sorgfältig er in seinem Vortrag ist, so viel hat er Interesse für die Sachen, die er vorträgt, und so viel Eifer, mit seinen Kenntnissen bei Andern Gutes zu stiften. – Um sich über die Gabe des Vortrags zu prüfen, gebe man nur Acht, ob und warum uns wohlgeschriebene Schriften, oder warum uns Vorträge, die auch im Ausdruck vorzüglich sind, gefallen? ob uns beide um so mehr anziehen, je faßlicher, deutlicher, ordentlicher, zusammenhängender, bestimmter u. s. f. sie sind? oder ob uns alle, oder einige, und welche, Eigenschaften des Vortrags, uns gleichgültig sind? Man mache selbst Versuche, anfänglich eines Andern guten mündlichen oder schriftlichen Vortrag über eine Sache, nachher, was man überhaupt von Andern ausgeführt gelesen hat, im Zusammenhange frei, nach seiner eigenen Art, zu wiederholen, d. i. fremde Gedanken in seine eigenen umzukleiden, und bemerke, wie weit es uns gelinge, unsern Mustern nachzukommen. Man mache zuletzt öfters Versuche, was man selbst gedacht und untersucht hat, über eine Sache ordentlich aufzuschreiben, oder Andern mündlich, genau vorbereitet oder nicht, vorzutragen. Man lasse sich von Kennern beurtheilen, und genau nach der strengsten Kritik sagen, worin unser Vortrag gut oder fehlerhaft sei, und gewisse Vollkommenheiten uns, nach vielen Versuchen, erreichbar seien oder nicht? – alsdann wird man wohl finden, welche Art des Vortrags uns möglich, wenigstens durch fleißige anhaltende Uebung zu erlangen sei.Von der Nothwendigkeit der Gabe sich wohl auszudrücken (§. 95. ), ist schon oben, bei der Abhandlung von den Sprachen (Theil 1. §. 59. f.) und im ersten Abschnitt des dritten Theils geredet worden. Da die Sprache der Abdruck unserer Ideen ist, und jeder Verständige so gute Mittel gebraucht, um sein Ziel zu erreichen, als in seiner Gewalt sind; so kann man sicher schließen: wie der natürliche Vortrag eines Menschen ist, so sind seine Begriffe und Ueberzeugung von den Sachen selbst. Kann man sicher seyn, daß jemand nicht eitel sei, um nur sich selbst gern zu hören oder zu lesen, oder Andern bloß zu gefallen, |c160| und daß er nicht so arm an Verstande und Menschenkenntniß sei, um zu glauben, wenn nur das gut sei, was er sagt, so sei es gleichviel, wie er es sage: so kann man selbst schließen: wie sorgfältig er in seinem Vortrag ist, so viel hat er Interesse für die Sachen, die er vorträgt, und so viel Eifer, mit seinen Kenntnissen bei Andern Gutes zu stiften. – Um sich über die Gabe des Vortrags zu prüfen, gebe man nur Acht, ob und warum uns wohlgeschriebene Schriften, oder warum uns Vorträge, die auch im Ausdruck vorzüglich sind, gefallen? ob uns beide um so mehr anziehen, je faßlicher, deutlicher, ordentlicher, zusammenhängender, bestimmter u. s. f. sie sind? oder ob uns alle, oder einige, und welche, Eigenschaften des Vortrags, uns gleichgültig sind? Man mache selbst Versuche, anfänglich eines Andern guten mündlichen oder schriftlichen Vortrag über eine Sache, nachher, was man überhaupt von Andern ausgeführt gelesen hat, im Zusammenhange frei, nach seiner eigenen Art, zu wiederholen, d. i. fremde Gedanken in seine eigenen umzukleiden, und bemerke, wie weit es uns gelinge, unsern Mustern nachzukommen. Man mache zuletzt öfters Versuche, was man selbst gedacht und untersucht hat, über eine Sache ordentlich aufzuschreiben, oder Andern mündlich, genau vorbereitet oder nicht, vorzutragen. Man lasse sich von Kennern beurtheilen, und genau nach der strengsten Kritik sagen, worin unser Vortrag gut oder fehlerhaft sei, und gewisse Vollkommenheiten uns, nach vielen Versuchen, erreichbar seien oder nicht? – alsdann wird man wohl finden, welche Art des Vortrags uns möglich, wenigstens durch fleißige anhaltende Uebung zu erlangen sei.

|c161| 110.

Wenn alle bisher erwähnte Fähigkeiten wohl angewendet, selbst, wenn sie gehörig gebildet werden sollen, so erfordern sie eine gewisse Gemüthsfassung, oder gewisse Eigenschaft des Charakters (§. 94. ), über die man sich wohl prüfen sollte, ehe man sich zur Wahl des theologischen Studiums entschlösse. Auf folgende Tugenden möchte es hier vornehmlich ankommen. – Zuerst, auf Liebe zur Wahrheit, wo man diese auch immer finden sollte. Veränderungen in der Seele eines Andern kann man nur durch Vorstellungen hervorbringen, wenn diese der von ihnen erkannten Natur der Sache, oder andern schon für wahr erkannten Vorstellungen gemäß sind; und dieß setzt voraus, daß man sie selbst als wahr erkannt habe. Wem also Wahrheit gleichgültig ist, dem liegt entweder nichts daran, Andere zu belehren und zu bewegen, oder er kann nicht sicher darauf rechnen, daß er seinen Zweck erreichen werde; vielweniger wird er sich selbst bemühen, hinter die rechte Wahrheit zu kommen. Je inniger bei jemandem die Liebe zur genauesten Wahrheit ist, um so mehr wird er selbst die Wahrheit finden können, so weit sie ihm erreichbar ist; um so mehr wird er dafür und für ihren Werth eingenommen seyn; um so mehr auf Andere wohlthätig wirken, wenigstens mehr sich darum bemühen, und es mit mehr Hoffnung eines glücklichern Erfolgs unternehmen. Der allgemeine Prüfstein dieser unparteiischen Wahrheitsliebe ist: wenn wir es uns bewußt sind, oder es bei der strengsten Prüfung finden, daß unsere Neigungen und Abneigungen keinen Einfluß in die Annehmung oder Verwerfung einer Sache haben. Wäre – so frage sich jeder selbst – mir eine Sache auch noch so theuer, schiene sie mir unzertrennlich von mei|c162|nem Wohl, und entbehrte ich sie höchst ungern, läge sie mir selbst, als meine Erfindung, sehr am Herzen: würde ich gleichwohl, auch bei dem geringsten Anlaß zum Zweifel, mich nicht scheuen, sie aufs neue zu prüfen, sie dennoch aufopfern, wenn ich sie bei der Prüfung ungegründet fände? Bin ich geneigter, die Wahrheit nach den mir schädlich oder nützlich scheinenden Folgen derselben, oder unabhängig von dieser Rücksicht, zu beurtheilen? Kommt bei mir, wenn ich für oder wider einen Streitpunkt entscheide, dieß in Anschlag, ob die, so ich liebe oder achte, oder die, so ich hasse und verachte, eben das behaupten? Kann ich Widerspruch vertragen, wenn er mit Gründen geschieht, sehe ich ihn selbst gern, und fordere Andere dazu auf, als ein Mittel, mich zum weitern Nachdenken zu bringen? Wenn ich auch diesen Widerspruch für ungegründet erkenne, benutze ich gleichwohl alsdann doch auch das wenige Wahre, was darin liegt, meine Erkenntniß immer mehr zu berichtigen, und durch nähere Bestimmungen zu mehrerer Genauigkeit zu bringen? Ist mir's gleichgültig, auch unbekannt zu bleiben, wenn nur das, was ich gesagt, oder gar erfunden habe, für wahr erkannt wird? Sehe ich es gern, wenn Andere auf mein Ansehen oder mir zu Gefallen, etwas für wahr annehmen? Legte ich es wohl gar darauf an, bloß durch mein Ansehen zu wirken? – Dieß sind die Merkmahle, woran jeder erkennen kann, ob er wirklich Liebe zur Wahrheit habe, oder nicht.Wenn alle bisher erwähnte Fähigkeiten wohl angewendet, selbst, wenn sie gehörig gebildet werden sollen, so erfordern sie eine gewisse Gemüthsfassung, oder gewisse Eigenschaft des Charakters (§. 94. ), über die man sich wohl prüfen sollte, ehe man sich zur Wahl des theologischen Studiums entschlösse. Auf folgende Tugenden möchte es hier vornehmlich ankommen. – Zuerst, auf Liebe zur Wahrheit, wo man diese auch immer finden sollte. Veränderungen in der Seele eines Andern kann man nur durch Vorstellungen hervorbringen, wenn diese der von ihnen erkannten Natur der Sache, oder andern schon für wahr erkannten Vorstellungen gemäß sind; und dieß setzt voraus, daß man sie selbst als wahr erkannt habe. Wem also Wahrheit gleichgültig ist, dem liegt entweder nichts daran, Andere zu belehren und zu bewegen, oder er kann nicht sicher darauf rechnen, daß er seinen Zweck erreichen werde; vielweniger wird er sich selbst bemühen, hinter die rechte Wahrheit zu kommen. Je inniger bei jemandem die Liebe zur genauesten Wahrheit ist, um so mehr wird er selbst die Wahrheit finden können, so weit sie ihm erreichbar ist; um so mehr wird er dafür und für ihren Werth eingenommen seyn; um so mehr auf Andere wohlthätig wirken, wenigstens mehr sich darum bemühen, und es mit mehr Hoffnung eines glücklichern Erfolgs unternehmen. Der allgemeine Prüfstein dieser unparteiischen Wahrheitsliebe ist: wenn wir es uns bewußt sind, oder es bei der strengsten Prüfung finden, daß unsere Neigungen und Abneigungen keinen Einfluß in die Annehmung oder Verwerfung einer Sache haben. Wäre – so frage sich jeder selbst – mir eine Sache auch noch so theuer, schiene sie mir unzertrennlich von mei|c162|nem Wohl, und entbehrte ich sie höchst ungern, läge sie mir selbst, als meine Erfindung, sehr am Herzen: würde ich gleichwohl, auch bei dem geringsten Anlaß zum Zweifel, mich nicht scheuen, sie aufs neue zu prüfen, sie dennoch aufopfern, wenn ich sie bei der Prüfung ungegründet fände? Bin ich geneigter, die Wahrheit nach den mir schädlich oder nützlich scheinenden Folgen derselben, oder unabhängig von dieser Rücksicht, zu beurtheilen? Kommt bei mir, wenn ich für oder wider einen Streitpunkt entscheide, dieß in Anschlag, ob die, so ich liebe oder achte, oder die, so ich hasse und verachte, eben das behaupten? Kann ich Widerspruch vertragen, wenn er mit Gründen geschieht, sehe ich ihn selbst gern, und fordere Andere dazu auf, als ein Mittel, mich zum weitern Nachdenken zu bringen? Wenn ich auch diesen Widerspruch für ungegründet erkenne, benutze ich gleichwohl alsdann doch auch das wenige Wahre, was darin liegt, meine Erkenntniß immer mehr zu berichtigen, und durch nähere Bestimmungen zu mehrerer Genauigkeit zu bringen? Ist mir's gleichgültig, auch unbekannt zu bleiben, wenn nur das, was ich gesagt, oder gar erfunden habe, für wahr erkannt wird? Sehe ich es gern, wenn Andere auf mein Ansehen oder mir zu Gefallen, etwas für wahr annehmen? Legte ich es wohl gar darauf an, bloß durch mein Ansehen zu wirken? – Dieß sind die Merkmahle, woran jeder erkennen kann, ob er wirklich Liebe zur Wahrheit habe, oder nicht.
Anm. Eine kurze aber treffliche Betrachtung von Fichte: Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesse an Wahrheit, findet man in den Horen. Nachdem er den Begriff selbst tief begründet und klar dargestellt, schließt er mit folgenden Worten, die hier wohl eine Stelle ver|c163|dienen, da der Aufsatz nicht so leicht bei der Hand seyn möchte, und die Sache vorzüglich auch für den Religionslehrer, dessen ganzes Leben ein Forschen nach Wahrheit seyn soll, von so hoher Wichtigkeit ist.Anm. Eine kurze aber treffliche Betrachtung von Fichte: Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesse an Wahrheit, findet man in den Horen. Nachdem er den Begriff selbst tief begründet und klar dargestellt, schließt er mit folgenden Worten, die hier wohl eine Stelle ver|c163|dienen, da der Aufsatz nicht so leicht bei der Hand seyn möchte, und die Sache vorzüglich auch für den Religionslehrer, dessen ganzes Leben ein Forschen nach Wahrheit seyn soll, von so hoher Wichtigkeit ist.
„Mit dieser sichern Ueberzeugung, stets einig mit sich selbst zu seyn, geht der entschiedene Freund der Wahrheit auf dem Wege der Untersuchung ruhig fort; er geht muthig Allem entgegen, was ihm auf demselben aufstoßen möchte. Es ist für denjenigen, der mit sich selbst noch nicht recht Eins geworden ist, was er denn eigentlich suche und wolle, äußerst beängstigend, wenn er auf seinem Wege auf Sätze stößt, die allen seinen bisherigen Meinungen und den Meinungen seiner Zeitgenossen und der Vorwelt widersprechen: und gewiß ist diese Aengstlichkeit eine der Hauptursachen, warum die Menschheit auf dem Wege zur Wahrheit so langsame Fortschritte gemacht hat. Von ihr ist derjenige, der die Wahrheit um ihrer selbst willen sucht, völlig frei. Er blickt jeder noch so befremdenden Folgerung kühn in das Gesicht. Ob sie ein befremdendes, oder bekanntes Aussehen habe, ob sie seiner und aller bisherigen Meinung widerspreche, oder nicht, davon war nicht die Frage. Die Frage war: ob sie, seinem besten Wissen nach, mit den Gesetzen des Denkens übereinstimme, oder nicht, und das wird er untersuchen. Wird sich finden, daß sie damit übereinstimme, so wird er sie als heilige ehrwürdige Wahrheit aufnehmen; wird sie nicht damit übereinstimmen, so wird er sie als Irrthum verwerfen, nicht weil sie der gemeinen Meinung, sondern weil sie, seinem besten Wissen nach, den Gesetzen des Denkens widerspricht. Bis dahin ist er völlig gleichgültig gegen sie; über ihren Inhalt hat er die Frage nicht erhoben; derselbe ist ihm bekannt; ihre Form hat er noch zu untersuchen.“„Mit dieser sichern Ueberzeugung, stets einig mit sich selbst zu seyn, geht der entschiedene Freund der Wahrheit auf dem Wege der Untersuchung ruhig fort; er geht muthig Allem entgegen, was ihm auf demselben aufstoßen möchte. Es ist für denjenigen, der mit sich selbst noch nicht recht Eins geworden ist, was er denn eigentlich suche und wolle, äußerst beängstigend, wenn er auf seinem Wege auf Sätze stößt, die allen seinen bisherigen Meinungen und den Meinungen seiner Zeitgenossen und der Vorwelt widersprechen: und gewiß ist diese Aengstlichkeit eine der Hauptursachen, warum die Menschheit auf dem Wege zur Wahrheit so langsame Fortschritte gemacht hat. Von ihr ist derjenige, der die Wahrheit um ihrer selbst willen sucht, völlig frei. Er blickt jeder noch so befremdenden Folgerung kühn in das Gesicht. Ob sie ein befremdendes, oder bekanntes Aussehen habe, ob sie seiner und aller bisherigen Meinung widerspreche, oder nicht, davon war nicht die Frage. Die Frage war: ob sie, seinem besten Wissen nach, mit den Gesetzen des Denkens übereinstimme, oder nicht, und das wird er untersuchen. Wird sich finden, daß sie damit übereinstimme, so wird er sie als heilige ehrwürdige Wahrheit aufnehmen; wird sie nicht damit übereinstimmen, so wird er sie als Irrthum verwerfen, nicht weil sie der gemeinen Meinung, sondern weil sie, seinem besten Wissen nach, den Gesetzen des Denkens widerspricht. Bis dahin ist er völlig gleichgültig gegen sie; über ihren Inhalt hat er die Frage nicht erhoben; derselbe ist ihm bekannt; ihre Form hat er noch zu untersuchen.“
„Mit dieser kalten Ruhe und festen Entschlossenheit, blickt er hinein in das Gewühl der menschlichen Meinungen überhaupt und seiner eigenen Einfälle und Zweifel. Es wirbelt und stürmt um ihn herum, aber nicht in ihm; er selbst sieht aus seiner unerreichbaren Burg ru|c164|hig dem Sturme zu. Er wird ihm zu seiner Zeit gebieten, und eine Welle nach der andern wird sich legen. – Er will nur Harmonie mit sich selbst, und er bringt sie hervor, so weit er bis jetzt gekommen ist. Dort ist noch Verwirrung in seinen Meinungen; das ist nicht seine Schuld, denn bis dahin hat er noch nicht kommen können. Er wird auch dahin kommen, und dann wird jene Unordnung in die schönste Ordnung sich auflösen.“„Mit dieser kalten Ruhe und festen Entschlossenheit, blickt er hinein in das Gewühl der menschlichen Meinungen überhaupt und seiner eigenen Einfälle und Zweifel. Es wirbelt und stürmt um ihn herum, aber nicht in ihm; er selbst sieht aus seiner unerreichbaren Burg ru|c164|hig dem Sturme zu. Er wird ihm zu seiner Zeit gebieten, und eine Welle nach der andern wird sich legen. – Er will nur Harmonie mit sich selbst, und er bringt sie hervor, so weit er bis jetzt gekommen ist. Dort ist noch Verwirrung in seinen Meinungen; das ist nicht seine Schuld, denn bis dahin hat er noch nicht kommen können. Er wird auch dahin kommen, und dann wird jene Unordnung in die schönste Ordnung sich auflösen.“
„Was wäre denn wohl endlich das Härteste, was ihm begegnen könnte? Gesetzt er fände, entweder weil die Schranken der endlichen Vernunft überhaupt, welches unmöglich ist, oder weil die Schranken seines Individuums solches mit sich bringen, als letztes Resultat seines Strebens nach Wahrheit, daß es überhaupt gar keine Wahrheit und keine Gewißheit gebe. Er würde auch diesem Schicksale, dem härtesten, das ihn treffen könnte, sich unterwerfen; denn er ist zwar unglücklich, aber schuldlos; er ist seines redlichen Forschens sich bewußt, und das ist statt alles Glücks, dessen er nun noch theilhaftig werden kann.“„Was wäre denn wohl endlich das Härteste, was ihm begegnen könnte? Gesetzt er fände, entweder weil die Schranken der endlichen Vernunft überhaupt, welches unmöglich ist, oder weil die Schranken seines Individuums solches mit sich bringen, als letztes Resultat seines Strebens nach Wahrheit, daß es überhaupt gar keine Wahrheit und keine Gewißheit gebe. Er würde auch diesem Schicksale, dem härtesten, das ihn treffen könnte, sich unterwerfen; denn er ist zwar unglücklich, aber schuldlos; er ist seines redlichen Forschens sich bewußt, und das ist statt alles Glücks, dessen er nun noch theilhaftig werden kann.“
„Eben so ruhig – wenn dieser Umstand der Erwähnung werth ist – bleibt der entschiedene Freund der Wahrheit darüber, was Andere zunächst zu seinen Ueberzeugungen sagen werden, wenn er in der Lage seyn sollte, sie mittheilen zu müssen; und der Gelehrte ist immer in dieser Lage, da er nicht bloß für sich selbst, sondern zugleich für Andere forscht. Die Frage ist ja gar nicht, ob wir mit Andern, sondern ob wir mit uns selbst übereinstimmend denken. Ist das Letztere, so können wir des Erstern ohne unser Zuthun, und ohne erst die Stimmen zu sammeln, bei allen denen gewiß seyn, die mit sich selbst in Uebereinstimmung stehen; denn das Wesen der Vernunft ist in allen vernünftigen Wesen Eins, und eben dasselbe. Wie Andere denken, wissen wir nicht, und wir können davon nicht ausgehen. Wie wir denken sollen, wenn wir vernünftig denken wollen, können wir finden; und so, wie wir denken sollen, sollen alle vernünftige Wesen denken. Alle Untersuchung muß von innen heraus, nicht von außen herein, geschehen. Ich soll nicht denken, wie Andere denken; sondern wie ich denken soll, so, soll ich annehmen, denken auch Andere. – Mit denen übereinzustim|c165|mend zu seyn, die es mit sich selbst nicht sind, wäre das wohl ein würdiges Ziel für ein vernünftiges Wesen?“
A. d. H.
„Eben so ruhig – wenn dieser Umstand der Erwähnung werth ist – bleibt der entschiedene Freund der Wahrheit darüber, was Andere zunächst zu seinen Ueberzeugungen sagen werden, wenn er in der Lage seyn sollte, sie mittheilen zu müssen; und der Gelehrte ist immer in dieser Lage, da er nicht bloß für sich selbst, sondern zugleich für Andere forscht. Die Frage ist ja gar nicht, ob wir mit Andern, sondern ob wir mit uns selbst übereinstimmend denken. Ist das Letztere, so können wir des Erstern ohne unser Zuthun, und ohne erst die Stimmen zu sammeln, bei allen denen gewiß seyn, die mit sich selbst in Uebereinstimmung stehen; denn das Wesen der Vernunft ist in allen vernünftigen Wesen Eins, und eben dasselbe. Wie Andere denken, wissen wir nicht, und wir können davon nicht ausgehen. Wie wir denken sollen, wenn wir vernünftig denken wollen, können wir finden; und so, wie wir denken sollen, sollen alle vernünftige Wesen denken. Alle Untersuchung muß von innen heraus, nicht von außen herein, geschehen. Ich soll nicht denken, wie Andere denken; sondern wie ich denken soll, so, soll ich annehmen, denken auch Andere. – Mit denen übereinzustim|c165|mend zu seyn, die es mit sich selbst nicht sind, wäre das wohl ein würdiges Ziel für ein vernünftiges Wesen?“
A. d. H.

111.

Eine andere Tugend ist die Bescheidenheit. – Je weniger man selbst weiß, oder es recht und mit Ueberzeugung versteht; je weniger man den großen Umfang desjenigen kennt, was zur rechten Wissenschaft einer Sache und zur wahren Ueberzeugung gehört; je weniger man die Schwierigkeiten bei einer jeden Untersuchung, die Schranken der menschlichen Erkenntniß überhaupt, und die großen Lücken seiner eigenen Erkenntniß, nebst dem eingeschränkten Maaß seiner Fähigkeiten, insbesondere, wahrnimmt: desto eingenommener ist man von sich selbst, und desto mehr verachtet man Andere. Dieser Dünkel hält uns selbst von Einsicht dieser Fehler, und von weitern Fortschritten in der Erkenntniß und der wahren Besserung überhaupt zurück; macht uns ungeschickt, von Andern zu lernen; erstickt den eigenen Fleiß, der von dem mehrern oder mindern Gefühl dieses Bedürfnisses abhängt, und macht uns abgeneigt, die Wahrheit überall, wo wir sie finden, anzunehmen. – Demnach sind alle Kennzeichen der Wahrheitsliebe (§. 110. ) auch Kennzeichen der Bescheidenheit. Wer lieber schlecht als vortheilhaft von Andern denkt, und Anderer Erklärungen oder Entschuldigungen nicht gern hört, oder gelten läßt; wer nicht von Andern Erinnerungen über sich annimmt; wer sich schämt, gegen Andere unrecht zu haben; wer, ohne anhaltende bedächtige Prüfung, gleich zu entscheiden geneigt ist; wer, anstatt Andern Gründe vorzulegen, sich Machtsprüche, oder Spöttereien, oder Hohn erlaubt; wer schon Sachen zu verstehen und durchzuschauen glaubt, und An|c166|dere zu belehren sucht, ehe er noch im Stande ist, sie Andern deutlich und mit Gründen vorzutragen; wer nicht noch lieber lernt als lehrt, und wenn er von einem lehrreichen, zumal mit gründlichen Untersuchungen beschäftigten Umgange, oder von einem Buche der Art zurückkommt, ohne sich an seine Brust zu schlagen, und das Bekenntniß tief zu fühlen: O wie viel ists, was ich noch nicht weiß! – da ist er von dieser Bescheidenheit noch weit entfernt.Eine andere Tugend ist die Bescheidenheit. – Je weniger man selbst weiß, oder es recht und mit Ueberzeugung versteht; je weniger man den großen Umfang desjenigen kennt, was zur rechten Wissenschaft einer Sache und zur wahren Ueberzeugung gehört; je weniger man die Schwierigkeiten bei einer jeden Untersuchung, die Schranken der menschlichen Erkenntniß überhaupt, und die großen Lücken seiner eigenen Erkenntniß, nebst dem eingeschränkten Maaß seiner Fähigkeiten, insbesondere, wahrnimmt: desto eingenommener ist man von sich selbst, und desto mehr verachtet man Andere. Dieser Dünkel hält uns selbst von Einsicht dieser Fehler, und von weitern Fortschritten in der Erkenntniß und der wahren Besserung überhaupt zurück; macht uns ungeschickt, von Andern zu lernen; erstickt den eigenen Fleiß, der von dem mehrern oder mindern Gefühl dieses Bedürfnisses abhängt, und macht uns abgeneigt, die Wahrheit überall, wo wir sie finden, anzunehmen. – Demnach sind alle Kennzeichen der Wahrheitsliebe (§. 110. ) auch Kennzeichen der Bescheidenheit. Wer lieber schlecht als vortheilhaft von Andern denkt, und Anderer Erklärungen oder Entschuldigungen nicht gern hört, oder gelten läßt; wer nicht von Andern Erinnerungen über sich annimmt; wer sich schämt, gegen Andere unrecht zu haben; wer, ohne anhaltende bedächtige Prüfung, gleich zu entscheiden geneigt ist; wer, anstatt Andern Gründe vorzulegen, sich Machtsprüche, oder Spöttereien, oder Hohn erlaubt; wer schon Sachen zu verstehen und durchzuschauen glaubt, und An|c166|dere zu belehren sucht, ehe er noch im Stande ist, sie Andern deutlich und mit Gründen vorzutragen; wer nicht noch lieber lernt als lehrt, und wenn er von einem lehrreichen, zumal mit gründlichen Untersuchungen beschäftigten Umgange, oder von einem Buche der Art zurückkommt, ohne sich an seine Brust zu schlagen, und das Bekenntniß tief zu fühlen: O wie viel ists, was ich noch nicht weiß! – da ist er von dieser Bescheidenheit noch weit entfernt.

112.

Fleiß ist eine dritte Tugend, und besteht in einer angestrengten Wirksamkeit, die verschiedentlich betrachtet werden kann, daher auch die verschiedenen Bedeutungen des Wortes entstanden sind, die selbst durch besondere Namen bezeichnet werden. Wird diese Wirksamkeit mehr in Rücksicht auf die Menge der Beschäftigungen, – oder auf dabei beobachtete Genauigkeit und Sorgfalt, – oder auf die anhaltende, selbst durch die Schwierigkeiten oder den langsamen Fortgang nicht ermüdete Anstrengung genommen: so ist der Fleiß im ersten Fall Arbeitsamkeit; – im zweiten, Fleiß im engern Verstande (man sagt z. B. ein Kunstwerk sei mit Fleiß gemacht), oder genauer Fleiß oder Industrie (wiewohl dieses Letztere gemeiniglich anders, als das lateinische Industria, für Betriebsamkeit oder immer auf Erweiterung einer Kunst gerichtete Beschäftigung genommen wird); – im dritten Falle aber Unverdrossenheit. Oder kürzer, die erste scheint mehr extensive, die zweite mehr intensive, die dritte mehr protensive Geschäftigkeit zu seyn.Fleiß ist eine dritte Tugend, und besteht in einer angestrengten Wirksamkeit, die verschiedentlich betrachtet werden kann, daher auch die verschiedenen Bedeutungen des Wortes entstanden sind, die selbst durch besondere Namen bezeichnet werden. Wird diese Wirksamkeit mehr in Rücksicht auf die Menge der Beschäftigungen, – oder auf dabei beobachtete Genauigkeit und Sorgfalt, – oder auf die anhaltende, selbst durch die Schwierigkeiten oder den langsamen Fortgang nicht ermüdete Anstrengung genommen: so ist der Fleiß im ersten Fall Arbeitsamkeit; – im zweiten, Fleiß im engern Verstande (man sagt z. B. ein Kunstwerk sei mit Fleiß gemacht), oder genauer Fleiß oder Industrie (wiewohl dieses Letztere gemeiniglich anders, als das lateinische Industria, für Betriebsamkeit oder immer auf Erweiterung einer Kunst gerichtete Beschäftigung genommen wird); – im dritten Falle aber Unverdrossenheit. Oder kürzer, die erste scheint mehr extensive, die zweite mehr intensive, die dritte mehr protensive Geschäftigkeit zu seyn.

|c167| 113.

Es ist ein sehr leidiges Vorurtheil, daß sich Fleiß mit Genie nicht vertrage. Wahr ist es, Leute von Genie, und, noch mehr, Leute, die sich Genie zu haben einbilden, sind selten eigentlich fleißig, weil sie sich zu sehr auf ihre Kräfte verlassen, und zu ungeduldig sind, lange bei einer Sache zu beharren. Wahr ists auch, daß dem Genie Alles leichter wird, und daß ohne dasselbe durch bloßen Fleiß keine Werke von vorzüglicher Vollkommenheit entstehen. Aber, Fleiß kann doch den Abgang des Genies einigermaßen ersetzen, so wie die Kunst, die immer Fleiß erfordert, der Natur nachhelfen, und sie verbessern kann. Alle Fähigkeiten des Geistes bleiben unbrauchbar, oder werden nicht in dem Grade nützlich, als sie es könnten, wenn nicht theils mannichfaltige und genaue Kenntnisse hinzukommen, ohne welche das Genie nichts hat, was es verarbeiten kann, theils viele, genaue und anhaltende Uebungen in einer Sache angestellt werden, wodurch erst Fertigkeiten entstehen. Und so sehr auch dem bloßen Genie oft ein vollkommenes Werk gelingt, so können doch weder Ausschweifungen desselben verhütet, noch dessen Erfindungen gehörig geprüft, berichtigt, und in dem Grade vollkommen werden, als wenn noch anhaltender und bedächtiger Fleiß dazu kommt. – Es ist beinahe unnöthig, Kennzeichen des Fleißes anzugeben. Man darf sich nur aufrichtig prüfen, ob uns nichts gleichgültig sei, was uns irgend der Vollkommenheit näher bringen kann, – ob es uns genug sei, daß etwas gemacht werde, unbekümmert wie es geschehe; – ob wir sehr die Veränderungen lieben, und uns durch Schwierigkeiten abschrecken lassen: so werden wir bald davon urtheilen können.Es ist ein sehr leidiges Vorurtheil, daß sich Fleiß mit Genie nicht vertrage. Wahr ist es, Leute von Genie, und, noch mehr, Leute, die sich Genie zu haben einbilden, sind selten eigentlich fleißig, weil sie sich zu sehr auf ihre Kräfte verlassen, und zu ungeduldig sind, lange bei einer Sache zu beharren. Wahr ists auch, daß dem Genie Alles leichter wird, und daß ohne dasselbe durch bloßen Fleiß keine Werke von vorzüglicher Vollkommenheit entstehen. Aber, Fleiß kann doch den Abgang des Genies einigermaßen ersetzen, so wie die Kunst, die immer Fleiß erfordert, der Natur nachhelfen, und sie verbessern kann. Alle Fähigkeiten des Geistes bleiben unbrauchbar, oder werden nicht in dem Grade nützlich, als sie es könnten, wenn nicht theils mannichfaltige und genaue Kenntnisse hinzukommen, ohne welche das Genie nichts hat, was es verarbeiten kann, theils viele, genaue und anhaltende Uebungen in einer Sache angestellt werden, wodurch erst Fertigkeiten entstehen. Und so sehr auch dem bloßen Genie oft ein vollkommenes Werk gelingt, so können doch weder Ausschweifungen desselben verhütet, noch dessen Erfindungen gehörig geprüft, berichtigt, und in dem Grade vollkommen werden, als wenn noch anhaltender und bedächtiger Fleiß dazu kommt. – Es ist beinahe unnöthig, Kennzeichen des Fleißes anzugeben. Man darf sich nur aufrichtig prüfen, ob uns nichts gleichgültig sei, was uns irgend der Vollkommenheit näher bringen kann, – ob es uns genug sei, daß etwas gemacht werde, unbekümmert wie es geschehe; – ob wir sehr die Veränderungen lieben, und uns durch Schwierigkeiten abschrecken lassen: so werden wir bald davon urtheilen können.

|c168| 114.

Zu diesem Fleiß muß sich Liebe zur Ordnung gesellen. – Unordnung in dem Gange unserer Gedanken und Geschäfte, verräth und erzeugt Verwirrungen und Mangel des Zusammenhangs in Begriffen; erschwert auch das Denken, die Untersuchung und die Ausführung der Sachen. – Wenn man bei sich bemerkt, – daß man leicht von Einem auf das Andere falle, wenn Beschwerlichkeiten uns von einem angefangenen Werk leicht abschrecken, und erwartete Vergnügungen oder Erleichterungen uns leicht zu andern Unternehmungen hinziehen; – wenn man ungewohnt ist, sich bei dem, was man nach einander vornimmt, Grund anzugeben, warum man so und nicht anders handle, das Eine früher und das Andere später thue; – und wenn man Sachen zu unternehmen pflegt, ohne sich vorher um das zu bekümmern, was dabei vorausgesetzt werden muß: so kann man mit Recht fürchten, daß es uns an dieser Liebe zur Ordnung fehle.Zu diesem Fleiß muß sich Liebe zur Ordnung gesellen. – Unordnung in dem Gange unserer Gedanken und Geschäfte, verräth und erzeugt Verwirrungen und Mangel des Zusammenhangs in Begriffen; erschwert auch das Denken, die Untersuchung und die Ausführung der Sachen. – Wenn man bei sich bemerkt, – daß man leicht von Einem auf das Andere falle, wenn Beschwerlichkeiten uns von einem angefangenen Werk leicht abschrecken, und erwartete Vergnügungen oder Erleichterungen uns leicht zu andern Unternehmungen hinziehen; – wenn man ungewohnt ist, sich bei dem, was man nach einander vornimmt, Grund anzugeben, warum man so und nicht anders handle, das Eine früher und das Andere später thue; – und wenn man Sachen zu unternehmen pflegt, ohne sich vorher um das zu bekümmern, was dabei vorausgesetzt werden muß: so kann man mit Recht fürchten, daß es uns an dieser Liebe zur Ordnung fehle.

115.

Wer an einer gewissen Art von Beschäftigung keinen solchen Geschmack findet, daß ihm diese mehr Vergnügen macht, und ihn mehr anzieht als andere Arten von Beschäftigungen: der wird es weder darin jemals zu einer rechten Vollkommenheit bringen, noch auch nur den schuldigen Fleiß darauf wenden, wenn er sich ihr vorzüglich zu widmen beschlossen hat; er wird noch weniger sich Mühe geben, Andern damit aufs möglichste nutzbar zu werden. Man kann daher von dem, der das Studium und die Empfehlung der Religion zu seinem eigenthümlichen Beruf machen will, mit Recht fordern, daß er sich wohl prüfe, ob |c169| bei ihm der Geschmack an dieser Wissenschaft und den damit verbundenen Beschäftigungen über alles Andere gehe; um so mehr, da diese überwiegende Neigung ein sicheres Kennzeichen ist, daß er dazu die meiste natürliche verhältnißmäßige Fähigkeit habe (d. i. die meiste Fähigkeit wenigstens zu den Theilen der Beschäftigung, die ihn eigentlich interessiren). – Diesen vorzüglichen Geschmack kann man sich leicht abmerken. Beschäftige ich mich – so darf man sich nur fragen – wirklich am liebsten damit? Ist mir Alles interssant, was dahin einschlägt? Beziehe ich Alles, was ich außer dieser Wissenschaft lese, oder sonst vorfinde, darauf, um es zur Verbesserung meiner Erkenntniß, zur Nahrung meiner Gesinnung, in Absicht auf die Religion, zu benutzen? Ist mir kein Schicksal der Religion, und überhaupt nichts gleichgültig, was sie und ihren Eindruck bei Andern fördern oder hindern kann? Würd' ich auch bereit seyn, wenn es nicht anders seyn könnte, ansehnlichere Einkünfte, größeres Ansehen, und andere äußerliche Vortheile zu entbehren, oder aufzuopfern, wenn ich, falls ich diese erhalten wollte, mich weniger mit der Religion und dem zu ihrer Anwendung bei Andern nöthigen Geschäfte abgeben müßte? Finde ich einen unüberwindlichen Trieb bei mir, Andern meine verbesserten Einsichten in der Religion und meine darüber gemachten Bemerkungen mitzutheilen, ihnen ihre Zweifel darin zu benehmen, sie selbst ihnen werth zu machen, sie bei allen Angelegenheiten Anderer aufs weiseste und nützlichste anzuwenden? Dieß wären ungefähr die sichersten Kennzeichen eines solchen überwiegenden Geschmacks daran.Wer an einer gewissen Art von Beschäftigung keinen solchen Geschmack findet, daß ihm diese mehr Vergnügen macht, und ihn mehr anzieht als andere Arten von Beschäftigungen: der wird es weder darin jemals zu einer rechten Vollkommenheit bringen, noch auch nur den schuldigen Fleiß darauf wenden, wenn er sich ihr vorzüglich zu widmen beschlossen hat; er wird noch weniger sich Mühe geben, Andern damit aufs möglichste nutzbar zu werden. Man kann daher von dem, der das Studium und die Empfehlung der Religion zu seinem eigenthümlichen Beruf machen will, mit Recht fordern, daß er sich wohl prüfe, ob |c169| bei ihm der Geschmack an dieser Wissenschaft und den damit verbundenen Beschäftigungen über alles Andere gehe; um so mehr, da diese überwiegende Neigung ein sicheres Kennzeichen ist, daß er dazu die meiste natürliche verhältnißmäßige Fähigkeit habe (d. i. die meiste Fähigkeit wenigstens zu den Theilen der Beschäftigung, die ihn eigentlich interessiren). – Diesen vorzüglichen Geschmack kann man sich leicht abmerken. Beschäftige ich mich – so darf man sich nur fragen – wirklich am liebsten damit? Ist mir Alles interssant, was dahin einschlägt? Beziehe ich Alles, was ich außer dieser Wissenschaft lese, oder sonst vorfinde, darauf, um es zur Verbesserung meiner Erkenntniß, zur Nahrung meiner Gesinnung, in Absicht auf die Religion, zu benutzen? Ist mir kein Schicksal der Religion, und überhaupt nichts gleichgültig, was sie und ihren Eindruck bei Andern fördern oder hindern kann? Würd' ich auch bereit seyn, wenn es nicht anders seyn könnte, ansehnlichere Einkünfte, größeres Ansehen, und andere äußerliche Vortheile zu entbehren, oder aufzuopfern, wenn ich, falls ich diese erhalten wollte, mich weniger mit der Religion und dem zu ihrer Anwendung bei Andern nöthigen Geschäfte abgeben müßte? Finde ich einen unüberwindlichen Trieb bei mir, Andern meine verbesserten Einsichten in der Religion und meine darüber gemachten Bemerkungen mitzutheilen, ihnen ihre Zweifel darin zu benehmen, sie selbst ihnen werth zu machen, sie bei allen Angelegenheiten Anderer aufs weiseste und nützlichste anzuwenden? Dieß wären ungefähr die sichersten Kennzeichen eines solchen überwiegenden Geschmacks daran.

|c170| 116.

Wie dürfte aber endlich dem, der sich ganz und vorzüglich zum Lehrer der Religion bilden will, Liebe zur Tugend überhaupt und wahre Frömmigkeit fehlen, oder nicht gerade für die nothwendigste Eigenschaft gehalten werden? – Die Religion ist durchaus praktisch, und hat ja eben ganz unmittelbar die Absicht, die Menschen durch Tugend glücklich zu machen, sie ganz an Gott zu binden, durch die Vorstellung Gottes und seines Willens Tugend und wahre Beruhigung zu befördern. Wie könnte uns die Beschäftigung damit, die uns immer an unsere Pflichten, an unsere Fehler und Vergehungen, und an deren unausbleibliche Folgen erinnert, wie könnte die uns wahrhaftig werth seyn, wenn es uns gleichgültig wäre, dahin zu streben, daß wir ihr immer gleichgesinnter würden und gleichförmiger lebten? Wie, könnten wir sie zu unserer vornehmsten Beschäftigung machen, ohne uns selbst, wegen unserer Unredlichkeit, Vorwürfe zu erregen, oder uns auf eine unnatürliche Art dagegen zu betäuben? Wie könnten wir, wenn wir dieses unentbehrliche Mittel zu unserm eigenen Besten nicht anwendeten, geneigt seyn, für Andere dadurch zu sorgen? Wie sie Andern mit angestrengtem Fleiß, Wärme und eigener Freudigkeit empfehlen, wenn sie uns selbst nicht an Herzen läge? Wie, sogar nicht fürchten, durch unsern Wandel das wieder zu zerstören, was wir mit Mühe durch Unterricht gebauet hätten, oder, wie sie mit Ernst empfehlen, ohne es zugleich durch das noch viel stärker, als alle bloße Vorstellungen, wirkende eigene gute Beispiel, und durch die auf uns selbst so wirksame Kraft der Religion zu thun? Wie, nicht der so starken Versuchung un|c171|terliegen, selbst die Religion zum Mittel sträflicher Absichten und Leidenschaften zu mißbrauchen? – Auch hängen alle zur treuen und gewissenhaften Führung unsers Amts nöthigen Tugenden so sehr von dem Einfluß der Frömmigkeit und von dem Gedanken ab: Es ist Gottes Sache, die wir bei den Menschen befördern sollen; wir sind Schuld, daß Seine Ehre unter ihnen leidet, wenn wir Ihn nicht auch durch unsere ganze Gesinnung und Wandel ehren; unsere Rechenschaft ist desto schwerer, je Mehreres und je etwas Wichtigeres uns anvertrauet ist: – von diesen uns stets vorschwebenden Gedanken hängen alle andere Tugenden so sehr ab, und werden dadurch so sehr ermuntert und verstärkt, daß wir ohne wahre Frömmigkeit uns nie eines solchen Berufs würdig betragen können. – Es ist nicht schwer zu erkennen, ob wir wahrhaftig diese Liebe zur Tugend und Frömmigkeit haben, wenn wir nur wissen, was diese ist, und die im vorigen §§. angegebenen Kennzeichen auch hier, in ihrer Art, anwenden. Je früher wir nach dieser wahren Frömmigkeit getrachtet haben, desto leichter und unverdächtiger wird uns diese Beurtheilung werden.Wie dürfte aber endlich dem, der sich ganz und vorzüglich zum Lehrer der Religion bilden will, Liebe zur Tugend überhaupt und wahre Frömmigkeit fehlen, oder nicht gerade für die nothwendigste Eigenschaft gehalten werden? – Die Religion ist durchaus praktisch, und hat ja eben ganz unmittelbar die Absicht, die Menschen durch Tugend glücklich zu machen, sie ganz an Gott zu binden, durch die Vorstellung Gottes und seines Willens Tugend und wahre Beruhigung zu befördern. Wie könnte uns die Beschäftigung damit, die uns immer an unsere Pflichten, an unsere Fehler und Vergehungen, und an deren unausbleibliche Folgen erinnert, wie könnte die uns wahrhaftig werth seyn, wenn es uns gleichgültig wäre, dahin zu streben, daß wir ihr immer gleichgesinnter würden und gleichförmiger lebten? Wie, könnten wir sie zu unserer vornehmsten Beschäftigung machen, ohne uns selbst, wegen unserer Unredlichkeit, Vorwürfe zu erregen, oder uns auf eine unnatürliche Art dagegen zu betäuben? Wie könnten wir, wenn wir dieses unentbehrliche Mittel zu unserm eigenen Besten nicht anwendeten, geneigt seyn, für Andere dadurch zu sorgen? Wie sie Andern mit angestrengtem Fleiß, Wärme und eigener Freudigkeit empfehlen, wenn sie uns selbst nicht an Herzen läge? Wie, sogar nicht fürchten, durch unsern Wandel das wieder zu zerstören, was wir mit Mühe durch Unterricht gebauet hätten, oder, wie sie mit Ernst empfehlen, ohne es zugleich durch das noch viel stärker, als alle bloße Vorstellungen, wirkende eigene gute Beispiel, und durch die auf uns selbst so wirksame Kraft der Religion zu thun? Wie, nicht der so starken Versuchung un|c171|terliegen, selbst die Religion zum Mittel sträflicher Absichten und Leidenschaften zu mißbrauchen? – Auch hängen alle zur treuen und gewissenhaften Führung unsers Amts nöthigen Tugenden so sehr von dem Einfluß der Frömmigkeit und von dem Gedanken ab: Es ist Gottes Sache, die wir bei den Menschen befördern sollen; wir sind Schuld, daß Seine Ehre unter ihnen leidet, wenn wir Ihn nicht auch durch unsere ganze Gesinnung und Wandel ehren; unsere Rechenschaft ist desto schwerer, je Mehreres und je etwas Wichtigeres uns anvertrauet ist: – von diesen uns stets vorschwebenden Gedanken hängen alle andere Tugenden so sehr ab, und werden dadurch so sehr ermuntert und verstärkt, daß wir ohne wahre Frömmigkeit uns nie eines solchen Berufs würdig betragen können. – Es ist nicht schwer zu erkennen, ob wir wahrhaftig diese Liebe zur Tugend und Frömmigkeit haben, wenn wir nur wissen, was diese ist, und die im vorigen §§. angegebenen Kennzeichen auch hier, in ihrer Art, anwenden. Je früher wir nach dieser wahren Frömmigkeit getrachtet haben, desto leichter und unverdächtiger wird uns diese Beurtheilung werden.
Anm. Wenn es auf der einen Seite allerdings scheint, daß niemand mehr Antrieb zum Guten, und namentlich zu einem religiösen Sinn habe, als gerade der Prediger, da er sich beständig mit Gegenständen dieser Art beschäftige, und gleichsam in dem Element der Religion lebe, so ist doch daneben nicht zu übersehen, daß, weil er die Religion, ihr Lehren und Verwalten als ein Geschäft, als ein Amt treibt, dieß auch Veranlassung werden könne, daß sie, – da Alles, was gewohnheitsmäßig wird, leicht in etwas Mechanisches oder Bewußtloses übergeht, – dieß auch hier der Fall seyn könne. Es wird daher wenigstens diese |c172| Bemerkung die Urtheile über den Prediger billig machen, wenn er nicht stets mit gleichem Eifer, in gleicher höherer Stimmung der Seele seine Amtsgeschäfte verrichtet, und das, was z. B. bei der Verwaltung der heiligen Gebräuche anfangs ihn mächtig ergriffen hat, nach und nach ihm schon gewohnter wird und kälter läßt. Aber sie muß zugleich den Prediger aufmerksam darauf machen, wie leicht er in diese Gefahr kommen kann, und doppelt antreiben, das Interesse stets aufs neue in sich zu erwecken und zu beleben.
A. d. H.
„Wie sehr, sagt Zollikofer in seiner Predigt über das christliche Lehramt (in den Predigten über die Würde des Menschen, 2ter Theil, S. 474), wie sehr müssen wir nicht über uns selbst wachen. – Eben dadurch, daß wir uns so oft, und auch wohl zu solchen Zeiten, wo wir keinen besonderen Antrieb dazu haben und weniger aufgelegt sind, mit den Lehren der Religion beschäftigen müssen, können sie in Absicht auf uns viel von ihrer Kraft verlieren. Diese Gedanken werden uns durch die öftere Wiederholung leicht allzu geläufig, und Andachtsübungen selbst verlieren durch den häufigen Genuß viel von ihrer Lebhaftigkeit.“
A. d. H.