Die Zufriedenheit erwächset aus dem Bewußtseyn des Uebergewichts
cd√ der Vollkommenheiten
|d10| unsres gesamten Zustandes über die
d√ Unvollkommenheiten desselben, besonders in Beziehung auf die Zukunft. Diese Erklärung ist ausnehmend fruchtbar, und
verdient die sorgfältigste
Aufmerksamkeit und
weitere Entwickelung. Zuvörderst stimmet sie mit dem allgemeinen
Sprachgebrauch überein. Man frage einen Mann, der ein Amt
bekleidet, ob er mit seiner Lage zufrieden sey? Er wird sogleich die Annehmlichkeiten und die Unannehmlichkeiten seiner
Verhältnisse zu berechnen anfangen, und
z. B.
uns
sagen: ich habe zwar viele Arbeit, sie wird mir aber sehr reichlich belohnt;
oder ich habe zwar viele Mühe und Verdruß, auch nur geringe Einnahmen bey meinem jetzigen
Amt, dabey aber die
sichre Erwartung, durch meinen Fleiß in
demselben eine der ansehnlichsten Versorgungen in kurzem zu verdienen, und
dis veranlasset mich, mit meiner Lage zufrieden zu seyn.
Hieraus erhellet, daß zum Zufriedenseyn nicht der Inbegrif alles einem Geiste möglichen Guten, sondern nur die Vorstellung des Uebergewichts des vorhandnen Guten über die bösen Bestimmungen unsres Zustandes gehöre. Unzufriedenheit entstehet dagegen, wenn wir mehr auf die Unvollkommenheiten unsres Zustandes sehen, und insonderheit, wenn wir schlechte Hofnungen für die Zukunft
|b12| |c12| darinnen wahrnehmen. Hieraus folget nun zunächst, daß es eine
wahre, gegründete und eine
eitle, vorübergehende Zufriedenheit geben müsse.
Unsere Zufriedenheit ist gegründet, wenn in unserm Zustande das Uebergewicht
des Guten über das Böse wirklich so und in dem Grade vor
|a11|handen ist, wie wir uns solches
vorstellen; und sie ist dagegen
vorübergehend, wenn wir uns
übertriebene Begriffe von dem
Uebergewicht der Vollkommenheiten unsres Zustandes bilden, und uns mit
eiteln Erwartungen in Absicht der Zukunft schmeicheln. Ferner
fliesset hieraus, daß je mehr
die Vollkommenheiten unsres Zustandes die Unvollkommenheiten desselben
überwiegen, desto
grössere und reinere Zufriedenheit des Gemüths auf eine gegründete Art
statt finden könne; daß sie aber erst
alsdenn wirklich in uns empfunden werde,
|d11| wenn das Uebergewicht des vorhandenen Guten von uns gehörig
bemerkt und anschauend vorgestellet wird. Daher kommt es, daß viele Menschen in den vortheilhaftesten Umständen, in welche sich tausend
andere versetzt zu sehen wünschen, in fortdaurender Unzufriedenheit leben, weil sie entweder das Gute darin zu wenig beahnden und schätzen, oder die kleinern Uebel und Unbequemlichkeiten derselben sich durch Einbildung
vergrössern, und dadurch ihre Aussichten in die Zukunft verdunkeln.
Noch weiter in der Zergliederung zu gehen, und zu entwickeln, was an sich und in Beziehung auf den Menschen gut oder böse in den Bestimmungen seines Zustandes sey, erlaubt und erfordert mein Zweck für jetzt nicht; doch rathe ich jungen Gottesgelehrten diese Untersuchung mit Hülfe der metaphysischen Lehrbücher bis zur Erlangung einer vollständigen Deutlichkeit über die verschiedenen Gattungen des Guten und Bösen fortzusetzen. Im folgenden Abschnitt werden jedoch die Hauptgattungen der menschlichen Güter und Uebel angeführt werden.