|f388|Prophet;Weissager, weissagen,Weissagung. Ich nehme diese Wörter außer der Ordnung zusammen, weil sich keins ohne das
andre vollständig erklären läßt, und setze als ausgemacht voraus,
daß unter den ältesten Völkern Priester und Propheten in gleichem
Range standen, beyde für Diener der Gottheit,
Gottesmenschen (wie die jüdischen Schriftsteller
reden) angesehen wurden, diese
zuweilen auch noch
grösseres Ansehen hatten,
wie bey den Egyptern, unter welchen
derProphet, wie er vorzugsweise genannt wurde, der Erste unter den Priestern war.
Ueberhaupt verband man mit den angeführten Wörtern den Begriff
einerbesondernaußerordentlichenMittheilung der Weisheit oder Kraft Gottes, oder beydes zugleich,
an den Menschen, zur Ausrichtung eines gewissenGeschäfts, wor
|d382|aus
nun verschiedene Grade der
|c317| Weissagung, verschiedene
Stuffen der
Propheten, und die Menge Nebenbedeutungen dieser Wörter sich am besten verständlich machen lassen.
Im
höchstenVerstande ein
Prophet seyn,
weissagen, ist
soviel, als ein durchaus
bevollmächtigter Gesandter Gottes seyn, der den Völkern ihre Schicksale und ihre ganze Verhaltungsart bekannt zu machen, und die dahin gehörigen göttlichen Befehle mit Nachdruck zu vollziehen
bevollmächtiget ist, was
|a298| |b298| wir
einen
bevollmächtigten
Minister nennen; und in
einen solchen dachte man sich das
größte Maaß göttlicher Weisheit und göttlicher Kraft zugleich. Ein solcher mochte nun den Egyptern vermuthlich ihr schlechtweg sogenannter
Prophet seyn; aber
|f389| gewiß war es
Moses den Juden (welches ihre Gelehrten sagen wollen, wenn sie ihn für den Ersten und Einzigen Propheten ihrer Nation
halten) und in diesem
Sinn sollte es Jesus
seyn,
nach der eignen Versichrung der Apostel7, 37.; so wie auch die Juden den
Messias, den sie erwarteten, dafür hielten,
Joh. 1, 21. (bist du
der Prophet, wie eigentlich übersetzt werden
sollte)6, 14.Luc. 7, 16.; Johannes
ihn dafür erkannt wissen wollte Luc. 7, 20.
(Matth. 11, 3.); die Apostel ihn als einen solchen angenommen hatten Luc. 24,
19. und vielleicht auch das Volk
ihn sich dachte
Matth. 21, 9. 11. Ich
sagevielleicht, weil der große Haufe in seinen Vorstellungen immer sehr wankend und ungewiß ist, und
er die Benennung auch wohl in der folgenden Bedeutung kann genommen haben. – Denn
|c318| zunächst heißt ein
Prophet seyn, weissagen, auch
soviel, als ein
außerordentlicherGesand
|d283[!]||e383|ter Gottes seyn, der in besondern Fällen einem
Volk im Namen Gottes eine wichtige Begebenheit bekannt zu machen, eine große Unternehmung
anzubefehlen, und so auch eine allgemeine Reform
der Sitten anzukündigen
hat. So braucht Josephus
die
|a299| |b299| hieher gehörigen Wörter sehr oft
z. E.
von dem
Pinehas jüd.
Alterthümer
V. 2, 1. 10.; in diesem
Verstande wird Samuel
ein
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genannt 1
B.
3, 20. und im
Neuen TestamentJohannes Luc. 7, 28., und dafür hielt vermuthlich der gröste Haufe
Jesum , so wie die
jüdischen Gelehrten in diese Classe ihre eigentlich sogenannten
Propheten setzten, deren Schriften sie nachher in eine
eigne Sammlung gebracht, und die denn allezeit im
N. T.gemeint sind, wo von ehemaligen
Propheten die Rede ist. Diese
außerordentliche Propheten- oder Gesandschaftswürde
war nun dem Hohenpriester beygelegt, und zum Sinnbild der
von ihm nöthigen
Falls zu ertheilenden
Belehrungen der
mit Edelgesteinen besetzte Brustschmuck gegeben –
Der Unterschied zwischen diesen beyden Gattungen der Propheten und der Weissagung ist nun offenbar darinn zu suchen, daß jener unumschränkte Vollmacht hatte, auf alle Zeiten im Namen Gottes zu reden und zu handeln, und also bey ihm die Weisheit und Kraft Gottes als beständig inwohnend gedacht wurde; dieser hingegen die Vollmacht, wie die Eigenschaften dazu, nur unter gewissen Einschränkungen und auf eine kurze Zeit erhielt. –
|c319| Nun hieß aber auch, in einer noch geringern Bedeutung, ein
Prophetseyn
,
weissagen, ein
Bote Gottes seyn, der den Men
|a300||b300|schen überhaupt
|d384||e384|Lehre und Unterricht im Guten und
f√ dem, was Gottes Wille ist, ertheilet; und also
Weissagung, Lehre,
Unterricht. In diesem
Verstande muß das Wort offenbar genommen werden, wenn im
A. T. von
Prophetenkindern,
d. i.
Lehrschulknaben, die Rede ist, und im
N. T. Matth.10, 41.
(wer einen
Lehrer aufnimmt
etc.
) 11,
9. (wolltet ihr einen gemeinen
Lehrersehen) Matth. 7, 22. (haben wir nicht in
deinem Namen
gelehrt?) – Aber auch hier liegt der Begriff einer den Menschen vorzüglich verliehenen göttlichen Weisheit und Kraft zum Grunde.
|f391| Und damit ist endlich die
vierte Hauptbedeutung verwandt, da
Weissagung und
weissagen einem jeden zugeschrieben wird, der besonders dazu aufgelegt ist,
andre zu
warnen oder ihnen zu
rathen, das
Verborgne zu
entdecken, das
Dunkleauszulegen, das
künftige zu vermuthen oder wirklich
vorherzusehen, das Herz durch
hohe edleGesänge zu
rühren, einen erwecklichen Vortrag ohne Vorbereitung zu thun, und hiernach sind Propheten bald
Ausleger, bald
Rathgeber, bald
Vorhersager, Dichteru. s. w.
Gott wird auch hier gedacht, wie er einen solchen zu dem einen wie dem andern Geschäfte erweckt, braucht und ihn dazu mit besondern Geisteskräften ausrüstet.
So muß man also
weissagen verstehen, wenn es die Juden spottweise sagten Luc. 22,
|a301| |b301| 64.
|c320| (Marc. 14, 65.). Man sollte sogleich übersetzen:
Entdecke uns, wer dich schlug – So war
Agabus ein Prophet, indem er die Gefangennehmung Pauli
und eine bevorstehende Theurung
vorhersahApostg. 21, 11.11, 28. und in einem noch
|d385| |e385| höhern Grade
Zacharias , da er die Bestimmung seines
Sohnsvorher verkündigteLuc. 1, 67. Und so werden endlich in der Apostelgeschichte 2, 17. 18.19, 6.21, 9. beym Lucas 2, 36. in
den BriefenPauli
an die Römer 12, 7.
im ersten an die Corinther 12, 28. 29.14, 29. 32. 37.11, 4. 5.13, 9.14, 1. 3. 4.
5. 24. 31. 39. an die Epheser 2, 20.3, 5.4, 11.1
Thess. 5, 20.1 Tim. 1, 18.4, 14. die Benennungen Prophet
oderProphetin und die Wörter weissagen, Weissagung, von den Begeisterten
gebraucht die mit einer
außerordentlichenRührung und
|f392| ohne Vorbereitung über Religionssachen sprechen
konnten; und ich denke, man sollte in allen diesen Stellen die Wörter,
Begeisterte, Begeisterung, aus Begeisterung sprechen, sogleich in der Uebersetzung brauchen. Ich
weis wohl, daß man in den meisten von diesen Stellen die Gabe der Schriftauslegung versteht, und der Sprachgebrauch dieses verstattet; aber ich finde es doch, nach einigen unterscheidenden Kennzeichen und Beschreibungen, die der Apostel davon macht, höchst zweifelhaft, sie alle dagegen mit der angezeigten Bedeutung übereinstimmend.
|a302| |b302| Ich will das nicht entgegensetzen, daß der Apostel die Auslegung ausdrücklich von der Weissagung unterscheidet 1 Cor. 12, 10. die Ausleger von den Propheten,
v.
29. 30.
vergl.
14,
|c321| 27–32. weil er diese Auslegung eben so deutlich auf die Erklärung dessen,
was in fremden Sprachen geredet worden, einschränkt, und daher die Schrifterklärung noch etwas verschiedenes könnte gewesen seyn,
und auch
dabey nach der letzten
|d386|Stelle eine Offenbarung statt gefunden
haben. Man
|e386| mag auch das eine oder das andre annehmen, so waren die Ermahnungen nöthig, die Weissagung nicht zu verachten, die Gabe derselben bey sich zu erwecken und diesen ähnliche. Allein zuerst
wär es befremdend, warum er
v.
3. wo er den Nutzen der Weissagung beschreiben will, nicht geradezu gesagt hätte – wer weissaget, der redet zum Verständniß der
Schrift. Ferner ließe sich eben so wenig begreifen, wie er von der Schriftauslegung hätte wünschen können, daß sich alle derselben befleißigen, alle darnach streben möchten
v.
1. 39., wohl
aber könnte er |f393| das von dem lebhaften
abc√Gefühl der Religion
haben sagen wollen, mit welchem und in welchem man nun auch zu andern davon
spricht. Endlich ist die Schriftauslegung, wenn sie auch aus Offenbarung geschieht, doch mehr eine Sache des trocknen
Urtheils als einer
erwärmtenEinbildungskraft, und umgekehrt die
Begeisterung. Nun beschreibt aber Paulus
durchaus die Weissagung mehr als ein Geschäfte
der letzten, da
|a303| |b303|der, der sie besitzt, sich nicht enthalten kann, sogleich zu sprechen; der Ungläubige, der sie an andern gewahr wird, dadurch außerordentlich gerührt wird, die versammleten Christen selbst ganz besonders dadurch erweckt werden
v.
3. 25.
30. 31. und braucht dann
1 Thess. 5, 19. wo Luther
dämpfen übersetzt, ein Wort, welches ordentlich von
|c322| den griechischen Schriftstellern von der Tilgung des hieran
grenzenden poetischen Feuers gebraucht wird. – Wenn man also diese Erklärung annimmt, so war
Offenbarungjede gute
Erleuchtung, aber
Weissagung ein höherer Grad
|d387|derselben, der zugleich außerordentlich be
|e387|redt und
andre zu rühren geschickt
machte. Und so wird man folgende Stellen auch weiter nicht dunkel finden.
Röm. 12, 7.
Hat jemand
einen außerordentlichen Antrieb, der Gemeine etwas erbauliches vorzusagen, so sey
es der Religion gemäß, anständig – er schwatze nicht in den Tag hinein. – Analogie ist hier, wie ich denke, allerdings
Aehnlichkeit, wird der Anomalie entgegengesetzt, und
bey den griechischen Schriftstellern oft mit einem Worte verwechselt
, welches
Gleichheit |f394| bedeutet (
ἰσότης,
s.
Plutarch von der
brüderlichen LiebeS.
484 im 2.
B.
der Frankfurter Ausgabe).
Wollte man auch das vorhergehende
Maaß des Glaubens zur Erklärung ziehen, so könnte man immer noch auch
dieß in gleicher Bedeutung nehmen; so wie Plutarch
in der ange
|a304||b304|führten Stelle das daher abgeleitete Nennwort
Mäßigung in der Bedeutung der
Gleichförmigkeit nimmt.
1
Cor. 12, 10. –
Einem andern
Begeisterung – 29.
sind sie alle
Begeisterte?
– 14, 1.
Befleißiget euch – vornemlich mit
lebhaftemGefühl von der Religion zu sprechen – 3.
wer aus Begeisterung spricht – 6.
s.
Offenbarung : 24. Wenn sie alle in öffentlicher Versammlung rührende Vorträge thäten,
|c323| und käme von ohngefähr ein Ungläubiger, – so würde er durch alle überzeugt, von allen gerührt werden; und so
25. würde er sich nicht enthalten
können seine herzlichen Empfindungen zu entdecken (sie würden sichtbar werden, was Luther
übersetzt,
das Verborgne seines Herzens |d388| |e388|würde offenbar werden), Gott
anzubeten, und zu bekennen, daß Gott in euch sey –
Gott ist in uns, war die bekannte Sprache der Alten, wenn sie sich von einem höhern Wesen begeistert glaubten – 29–32. Die Begeisterten lasset reden, aber
zweye oder
dreyenach einander (dies ist aus
v.
27. zu ergänzen), und die andern beurtheilen, was wirklich wahr und gut gesagt sey – Und so denn
einem dabey sitzenden von ohngefähr ein guter Gedanke sich anbietet, so schweige der
erste. Denn ihr könnet wohl alle einer nach dem andern auftreten
, damit ein jeder dem
|f395| andern zum Guten nützlich
sey; nur müßt ihr die Vorträge
Andrer nicht unter dem Vorwand eines besondern Antriebs
|a305| |b305| des Geistes unterbrechen; denn auch die Erleuchtungen der Begeisterten müssen
untereinander geordnet seyn – 37. Dünket sich
jemand ein wirklich
Begeisterter zu
seyn, der mag doch beurtheilen, ob nicht das alles, was ich bisher gesagt habe, der christlichen Lehre gemäß sey.